Gerd Grampp (Hrsg.): Lernort: Werkstatt
Rezensiert von Lars Lucas, 11.11.2022

Gerd Grampp (Hrsg.): Lernort: Werkstatt. Grundlagen, Strukturen, Instrumente, Praxis.
Balance Buch + Medien Verlag
(Köln) 2022.
153 Seiten.
ISBN 978-3-86739-293-8.
35,00 EUR.
Reihe: BALANCE Beruf.
Thema
Das Buch „Lernort: Werkstatt – Grundlagen, Strukturen, Instrumente, Praxis“ legt seinen inhaltlichen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem beruflichen Lernen von Menschen mit Behinderung vor, neben und in der Arbeit. Hierbei definiert es die Werkstätten für Menschen mit Behinderung als Arbeits- und Lernort, an welchem ebendiese berufliche Bildung stattfindet und gestaltet wird. Die Inhalte des Buches richten sich hierbei insbesondere an Fach- und Leitungskräfte im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich sowie im Sozialdienst, welche in ihrem täglichen Handeln unterstützt werden sollen. Die Kapitel vermitteln hierzu neben den rechtlichen Vorgaben und dem theoretischen Bezugsrahmen insbesondere praxiserprobte Instrumente und Verfahren, welche zur Planung und Umsetzung von Bildungsmaßnahmen im Rahmen des beruflichen Lernens genutzt werden können.
AutorIn oder HerausgeberIn
Die Publikation wurde von Gerd Grampp herausgegeben. Dieser war Professor für Theorie und Praxis der Rehabilitation in Jena und begleitete Projekte zur Umsetzung der ICF in der Praxis der Rehabilitation. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Konzeptentwicklung zu den Themen Inklusion und Partizipation zur Umsetzung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie die Bildung an unterschiedlichen Lernorten. Neben Gerd Grampp kommen im Rahmen der Veröffentlichung insbesondere Fachkräfte aus der Praxis zu Wort.
Aufbau & Inhalt
Die Publikation beinhaltet abzüglich des Vorwortes von Dr. Irmgard Plößl, insgesamt zwölf Kapitel, welche sich auf 150 Seiten widerspiegeln. Hierbei wurden die ersten sechs sowie das letzte Kapitel von Herausgeber Gerd Grampp verfasst, wohingegen alle anderen Kapitel durch Fachkräfte aus der Praxis erarbeitet wurden. Im Folgenden werden der Aufbau und Inhalt der einzelnen Kapitel zusammengefasst und dargestellt:
Im ersten Kapitel „Lernen kompakt – Die Inhalte des Buches in Kürze“ stellt der Herausgeber sowohl das grundlegende Thema des Buches wie auch dessen einzelne Kapitel prägnant und verständlich dar.
Hierauf folgt das Kapitel „Lernen geregelt – Vorschriften und Vorgaben“. Dieses beginnt mit einer kurzen geschichtlichen Herleitung der aktuellen Vorschriften und Vorgaben und beleuchtet unter anderem das Schwerbehindertengesetz und das neunte Sozialgesetzbuch. Im Anschluss hieran widmet sich das Kapitel vier zentralen und aktuellen Vorschriften:
- Dem Bundesteilhabegesetz,
- der Werkstättenverordnung,
- der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung und
- dem Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen der Bundesagentur für Arbeit.
Hierbei wird eine erläuternde Haltung eingenommen, welcher es nicht darum geht, aktuelle Vorgaben zur Diskussion zu stellen. Vielmehr werden die grundlegenden Inhalte zwar kurz, aber gekonnt gewählt erläutert, sodass sich diese auf Anhieb für Fachkräfte erschließen.
Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer ebenfalls praxisnahen Darstellung der Instrumente zur Bedarfsermittlung in der Werkstatt, welche sich ebenfalls aus dem Bundesteilhabegesetz sowie dem Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit ergeben.
Das nächste Kapitel „Lernen arbeitslebenbegleitend – Lernarten und Lernformen“ widmet sich vor allem der Auseinandersetzung mit drei Arten des Lernens:
- Die erste Lernart, das sogenannte Lernen vor der Arbeit, definiert der Autor als jenen Phase in welcher erste Qualifikationen für die Teilhabe am Arbeitsleben erworben werden. Bei der Auseinandersetzung mit diesem Abschnitt gilt das Hauptaugenmerk vor allem der Unterscheidung der klassischen Berufsausbildung, wie sie auf dem freien Arbeitsmarkt stattfindet und einer angemessenen beruflichen Bildung, wie sie Teil der Qualifizierung im Berufsbildungsbereich der Werkstatt ist.
- Die zweite Lernart, das Lernen neben der Arbeit, behandelt den Erwerb, Ausbau oder Erhalt von Qualifikationen sowohl bei Fachkräften als auch Beschäftigten der Werkstatt für behinderte Menschen. Bei dieser Lernart wird ebenfalls eine Unterscheidung vorgenommen. Diesmal zwischen der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Weiterbildung. Zudem werden die Vorgaben zu den arbeitsbegleitenden Maßnahmen, welche sich aus der Werkstättenverordnung ergeben, auf ihre Problematik hin diskutiert.
- Die dritte Lernart, das Lernen in der Arbeit, setzt sich mit der Diskrepanz zwischen dem Begriff des Lernens und der Produktivität auseinander und zeigt anhand fundierter Aufarbeitung und eines Praxisbeispiels der Murgtal-Werkstätten und Wohngemeinschaften in Gaggenau, das diese in einer Werkstatt für behinderte Menschen durchaus zu vereinen und notwendig sind.
Neben den drei Arten des Lernens werden mit dem formalen, nicht-formalen und informellen Lernen auch die drei Charaktersierungen des Lernens im Kapitel erläutert.
Als Nächstes findet sich das Kapitel „Lernen kompetenzorientiert – Kompetenzmodelle und Lernziele“. In diesem Kapitel werden die Kompetenzmodelle des Fachkonzepts für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen der Bundesagentur für Arbeit, des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen vorgestellt. Hierbei wird sich insbesondere mit den jeweils daraus resultierenden Kompetenzstandards bzw. Niveaus auseinandergesetzt. Hierzu finden sich unter jedem der drei Konzepte hilfreiche Auflistungen, die einen schnellen Überblick ermöglichen. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Ergänzung durch den auf der Arbeit von Werkstätten basierenden Kompetenz-hybrid-Ansatz präsentiert wird.
Das Kapitel „Lernen strukturiert – Rahmenpläne und Bausteine“ befasst sich mit der Strukturierung von Lerninhalten durch die im Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen von der Bundesagentur für Arbeit geforderten Rahmenpläne. Hierbei wird erneut ein Vergleich angestrebt zwischen der Strukturierung der Lerninhalte der klassischen Berufsausbildung und der Strukturierung der Lerninhalte in der angemessenen beruflichen Bildung. Dabei werden unter anderem die bundeseinheitlichen Rahmenpläne in den Ausbildungsordnungen sowie die harmonisierten Bildungsrahmenpläne der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen genutzt.
Im Kapitel „Lernen praktisch – Arbeitspädagogische Instrumente zur Gestaltung von Bildung und Arbeit“ werden die Arbeitspädagogik und deren Instrumente als Grundlage des Lernens vor, neben und in der Arbeit vorgestellt. Hierbei wird der Fokus insbesondere auf das nicht-formale und informelle Lernen gelegt. Nachdem zu Beginn des Kapitels noch kurz erläutert wird, warum die Arbeitspädagogik als Grundlage des Lernens verstanden werden kann und welche Aufgabe sie in Werkstätten hat, wird kurz darauf mit dem „Arbeitspädagogischen BildungsSystem“ das erste umfangreiche Instrument der Arbeitspädagogik vor und neben der Arbeit vorgestellt. Hierauf folgt, nun in Bezug auf das Lernen in der Arbeit, die Vorstellung des zweiten, ebenfalls komplexen Instruments, dem „Arbeitspädagogischen ArbeitsGestaltungsSystem“. Beide Instrumente werden mit Hilfe von zahlreichen Tabellen ausführlich und verständlich erklärt.
Mit dem Kapitel „Lernen extern – am Beispiel des Frankfurter Vereins“ kommen mit Dieter Debus und Marie-Theres Wuth zwei Fachkräfte aus der Praxis zu Wort. Hierbei stellen diese die berufliche Qualifizierungs- und Bildungsarbeit des Frankfurter Vereins praxisorientiert dar. Das Kapitel startet mit einer kritischen Auseinandersetzung mit den Prämissen beruflicher Bildung und behandelt dabei unter anderem die Dauer und den Zeitpunkt des Berufsbildungsbereichs. Hierauf folgt eine Erläuterung der beruflichen Qualifizierungsarbeit im Rahmen des Frankfurter Vereins. Beendet wird das Kapitel mit einem Praxisbeispiel in dem ein erfolgreicher Übergang von der Werkstatt für behinderte Menschen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung detailliert beschrieben wird.
Hiernach beschreibt das Kapitel „Lernen systematisiert – Lerneinheiten von allen für alle erstellen“ von Susanne Anker Möglichkeiten der Standardisierung von Lernmaterialien auf Basis des „Arbeitspädagogischen BildungsSystems“. Nachdem dieses Instrument bereits im vorletzten Kapitel in der Theorie beschrieben wurde, wird in diesem Kapitel dargestellt, wie es sich konkret in der Praxis anwenden lässt. Hierbei behandelt das Kapitel die notwendigen Schulungen von Mitarbeitenden, die Entstehung, Erstellung und Nutzung standardisierter Lerneinheiten und den Gebrauch der hierauf bezogenen Online-Datenbank. Den Abschluss macht ein Appell in Bezug auf die Digitalisierung als Auftrag für die Zukunft.
Das nächste, von Paul Birsens verfasste Kapitel „Lernen unterstützt – Selbstbestimmung fördern für die Praxis“, basiert auf einem Projekt, welches die Qualifizierung von Arbeitsteams und Gruppenleitungen in der Werkstatt für behinderte Menschen zum Ziel hat. Als zentrale Ideen stehen hierbei unter anderem die Selbstbestimmung und ein geplantes Vorgehen im Mittelpunkt. Hierbei wird nach einer kurzen Begriffsklärung zwischen Methodik und Didaktik die „Themenzentrierte Interaktion“ als nützliches Gestaltungs- und Analyseinstrument beschrieben, wobei der Schwerpunkt auf dem sogenannten Vier-Faktoren-Modell liegt. Des Weiteren behandelt das Kapitel die Entwicklung und Erhaltung der beruflichen Handlungskompetenz und nimmt dabei Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung durch teilautonome Gruppenarbeit. Abgeschlossen wird das Kapitel durch einen Abschnitt, in welchem berufliche Bildung als gemeinsame Aufgabe formuliert und zum Perspektivwechsel angeregt wird.
Im Kapitel „Lernen digitalisiert – Die Lernwelt dibab“ befassen sich Bastian Thiedau und Dörte Ulka Engelkes mit der Möglichkeit der Förderung von Praxiskompetenzen durch digitale Bildung. Dabei beginnt das Kapitel mit einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Thematik digitale Bildung für Menschen mit Behinderung. Hierbei werden mitunter Erläuterungen digital geprägter Begriffe (z.B.: Blended-Learning) wie auch eine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen digitalen Lernformen vorgenommen. Hierauf folgt eine detaillierte Auseinandersetzung mit der für Menschen mit Behinderung entwickelten E-Learning-Plattform dibab. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Blick in die Zukunft, welcher die Zunahme digitaler beruflicher Bildung schildert.
Das vorletzte Kapitel „Lernprozesse dokumentiert – Lernprozesse digital verwalten“ wurde von Ulrich Schlösser und Dieter Weber verfasst. Hierbei stellen die Autoren zunächst die zukunftsgerichtete Notwendigkeit der digitalen Dokumentation dar. Dabei gehen sie unter anderem auf die Anforderungen an EDV-gestützte Dokumentationen aus verschiedenen Perspektiven ein. Hierauf folgt eine ausführliche Darstellung der Dokumentationsmöglichkeiten mit dem TeilhabeManagementSystem. Abschließend wird kurz auf die Lerndokumentation mit ICD und ICF eingegangen.
Abgeschlossen wird die Publikation mit dem Kapitel „Lernen bilanziert – Die Entwicklung der Werkstatt als Lernort“, welches wie die ersten Kapitel des Buches durch den Herausgeber Gerd Grampp verfasst wurde. Hierbei wird das Buch prägnant bilanziert, wobei die Kernaussage darauf abzielt die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Werkstatt als Bildungs- und Lernort zu etablieren und die Praxisinhalte dieses Buches zu hierzu zu nutzen.
Diskussion
Der vorgestellte Titel liest sich äußerst kurzweilig, was sich mitunter darin begründen lässt, dass er sehr dezidiert verfasst wurde und nicht den Eindruck erweckt abzuschweifen. Vielmehr liefert er eine Fülle an hilfreichen Informationen und Instrumenten. Allerdings hätte es der Publikation nicht geschadet, sich kritischer mit der allgemeinen Thematik der Werkstätten für Menschen mit Behinderung auseinanderzusetzen. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Forderungen nach einem gänzlichen Auslaufen dieses Systems und der Verlagerung der betroffenen Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Allerdings scheint es den Verfassenden im Kern auch nicht darum zu gehen, Systemkritik zu üben. Vielmehr sollen Fachkräfte und theoretisch Interessierte mit nützlichem und aktuellem Wissen in Bezug auf das berufliche Lernen in der Werkstatt versorgt werden, was auch gut gelingt.
Die Publikation „Lernort: Werkstatt – Grundlagen, Strukturen, Instrumente, Praxis“ von Gerd Grampp liefert eine Reihe sachdienlicher und oftmals gut illustrierter Informationen sowohl für theoretisch Interessierte als auch für Fachkräfte aus dem erweiterten Feld der Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Insbesondere letztere bekommen hierbei sowohl verständliche Grundlagen und Theorien wie auch praktisch umsetzbare Ratschläge und Instrumente für die Initiierung, Umsetzung und Evaluation beruflicher Lernmaßnahmen geliefert. Die Verfassenden der einzelnen Kapitel schaffen es hierbei immer wieder über den Tellerrand hinauszublicken und auch wichtige für das berufliche Lernen relevante Aspekte außerhalb der Werkstatt in den Blick zu nehmen. Die große Stärke der Publikation liegt zudem in ihrer Kompaktheit. Auf lediglich 150 Seiten wird nahezu alles erläutert, was es braucht um die Werkstatt als Lernort zu verstehen und dahingehend zu gestalten. Ein breites Angebot an online verfügbarem Zusatzmaterial rundet die Publikation gelungen ab.
Fazit
Die vorliegende Veröffentlichung vermittelt sowohl das erforderliche theoretische Wissen als auch diverse praktische Handlungsempfehlungen, welche notwendig sind, um die Werkstatt für Menschen mit Behinderung als einen sogenannten Lernort zu verstehen. Hierdurch trägt sie in gekonnter Weise dazu bei, eine neue und anregende Betrachtungsweise auf diese Einrichtungsform zu schaffen. Sie eignet sich daher ideal für Personen, welche die Werkstatt für Menschen mit Behinderung neu- bzw. umdenken und umgestalten möchten.
Rezension von
Lars Lucas
M.A. (Studiengang: Bildung und Soziale Arbeit), Promotionsstudent Universität Siegen.
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