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Gudrun Ehlert, Heide Funk et al. (Hrsg.): Grundbegriffe Soziale Arbeit und Geschlecht

Rezensiert von Prof. Dr. Barbara Ketelhut, 15.12.2023

Cover Gudrun Ehlert, Heide Funk et al. (Hrsg.): Grundbegriffe Soziale Arbeit und Geschlecht ISBN 978-3-7799-6503-9

Gudrun Ehlert, Heide Funk, Gerd Stecklin (Hrsg.): Grundbegriffe Soziale Arbeit und Geschlecht. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 2., vollständig überarbeitete Auflage. 821 Seiten. ISBN 978-3-7799-6503-9.

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Thema

Ausgehend von einer fehlenden oder nur rudimentären Bezugnahme auf Geschlechterverhältnisse in allen Bereichen der Sozialen Arbeit wollen die Herausgeber*innen mit dem vorliegenden Band „die Bedeutung von Geschlechterperspektiven für Forschung, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit systematisch“ dokumentieren und „Aspekte für deren Weiterentwicklung“ aufzeigen (S. 12). Sie richten sich dabei sowohl an Forschende, Lehrende und Studierende der Sozialen Arbeit als auch an Sozialarbeiter*innen in der professionellen Praxis.

Herausgeber*innen

Dr. Gudrun Ehlert ist Professorin für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Mittweida. Dr. Heide Funk war bis 2010 Professorin für Soziologie im Fachbereich Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida. Dr. Gerd Stecklina ist Professor für angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule München.

Entstehungshintergrund

Mit dem vorliegenden Band legen die Herausgeber*innen eine aktualisierte, erweiterte und grundlegend überarbeitete Fassung des 2011 im Juventa Verlag erschienenen „Wörterbuch[s] Soziale Arbeit und Geschlecht“ vor (vgl. S. 11). Vergleiche hierzu die Rezension von Prof. Dr. Christel Walter vom 27. Januar 2012.

Aufbau

Die Beiträge zu 175 Stichworten mit einer Länge von durchschnittlich vier Seiten sind alphabetisch angeordnet und beziehen sich (laut Herausgeber*innen) auf fünf Kategorien:

  1. „grundlegende Begriffe aus der Geschlechterdebatte bzw. der Frauen- und Geschlechterforschung“ (z.B. doing gender, Sexismus),
  2. „zentrale sozialwissenschaftliche Konzepte und Grundbegriffe sozialer und gesellschaftlicher Probleme, die eine Weiterentwicklung in der Frauen- und Geschlechterforschung erfahren haben“ (z.B. in Bezug auf Alter, Erwerbsarbeit, Familie),
  3. „Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit“ (z.B. Sozialpolitik),
  4. „spezifische Themen und Begriffe aus der Sozialen Arbeit“ (z.B. Jugendhilfe, Supervision) sowie
  5. „geschlechtsreflektierte Konzepte und Arbeitsformen“ (z.B. Mädchenarbeit) (S. 14).

Jedem Beitrag sind abschließend zumeist drei weiterführende Literaturhinweise angefügt. Ein sich auf alle Beiträge insgesamt beziehendes Literaturverzeichnis befindet sich am Ende des Bandes vor den Hinweisen zu den 104 Autorinnen und 27 Autoren.

Inhalt

Während sich einige im aktuellen Band gestrichene Themen in der Regel in anderen Beiträgen wiederfinden, z.B. „Geschichte der Sozialen Arbeit“ in der Erweiterung auf zwei Beiträge: „Historische Perspektiven auf Soziale Arbeit bis 1945“ und „Historische Perspektiven auf Soziale Arbeit ab 1945“, sind andere Veränderungen den aktuellen Debatten und Fortschritten geschuldet, wenn das Thema Behinderung im Wörterbuch von 2011 In den Beiträgen „Behinderung I“ und „Behinderung II“ im aktualisierten Band im Beitrag „Inklusion“ aufgegriffen wird.

Hervorzuheben sind insbesondere mehr als 35 neu hinzugekommene Beiträge, von denen im Folgenden nur einige für die strukturellen Rahmenbedingungen und für die Profession Sozialer Arbeit grundlegende Beiträge exemplarisch skizziert werden.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen werden im Beitrag „Ökonomie“ von Juliane Sagebiel und Elke Wolf dargestellt, wobei sie sowohl auf grundlegende Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung eingehen als auch auf Prämissen von Marktwirtschaft und Neoliberalismus sowie auf feministische Analysen seit der Promotion von Alice Salomon über die ungleiche Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit um 1906 (vgl. S. 430).

Im Beitrag „Klassismus“ gehen Francis Seeck und Brigitte Theißl auf die Bedeutung des Begriffs als „Diskriminierungskategorie“ (S. 325) für eine genderbezogene Soziale Arbeit in Wissenschaft und Praxis ein.

Der Beitrag „Patriarchat“ von Claudia Opitz-Belakhal wurde durch den Beitrag (Trans-)Patriarchat von Marek Naumann vollständig ersetzt. Stärker als der Beitrag von 2011 betont Naumann die Bedeutung von patriarchalen Strukturen in der Geschichte der bürgerlichen und der neuen Frauenbewegung insbesondere im Kontext der Professionalisierung Sozialer Arbeit. Ergänzend fügt er aktuelle Diskussionen zum Thema Transpatriarchat als Möglichkeit „eine gleichzeitige Verschränkung von Patriarchaten, Intersektionalitäten und Transnationalisierungen zu erfassen“ (S. 608). Ferner konstatiert er eine „mögliche Neo-Patriarchalität in neokonservativen und rechtspopulistischen Kreisen“ (S. 609).

Indem Cornelia Füssenhäuser kurz fünf einschlägige „Theorien Sozialer Arbeit“ in einigen Grundannahmen vorstellt, kritisiert sie u.a., dass Geschlechterverhältnisse und Geschlechterdifferenzierungen „primär als ein ergänzender Aspekt“ vorkommen (S. 595) und sieht eine vordringliche Aufgabe darin, „Soziale Arbeit systematischer mit Diskursen im Kontext von Differenz, Heterogenität, Intersektionalität und Diversity … zu verknüpfen“ (S. 598).

Eine ähnliche Situation verdeutlicht der Beitrag „Soziale Arbeit“ von Mechthild Bereswill und Gudrun Ehlert. Sie konstatieren eine zunehmende Individualisierung geschlechtsspezifischer Unterschiede, die zur Ausblendung sozialer Ungleichheiten führt. Hier könnten das „theoretische Wissen und die empirischen Befunde der Geschlechterforschung … für verdeckte Zusammenhänge von Differenz und Ungleichheit“ sensibilisieren (S. 543). Diese kämen u.a. in verschiedenen „gesellschaftstheoretischen Überlegungen“ zu kurz. Zusammenfassend reflektiert werden Ansätze aus marxistisch orientierten, systemtheoretischen und individualisierungstheoretischen Perspektiven (vgl. S. 541 f.).

Gudrun Perko geht in „Berufsethik“ u.a. auf die Kontroverse ein, inwiefern Soziale Arbeit ausschließlich die Aufgabe hat „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten oder darüber hinausgehend ein politisches Mandat wahrnehmen sollte, um auf gesellschaftliche Missstände verändernd einwirken zu können, wie es vor allem Silvia Staub-Bernasconi im Kontext des „Triple Mandats“ fordert (vgl. S. 78).

Im Beitrag „Soziale Bewegungen“ von Gudrun Ehlert wird deutlich, dass Veränderungen in Bezug auf Themen und „Grundverständnis“ Sozialer Arbeit (S. 547) ohne die Wechselwirkungen zwischen Sozialen Bewegungen und Sozialer Arbeit nicht denkbar sind. Sie stellt dies an Hand von verschiedenen historischen und aktuellen Beispielen dar. Hierzu geht sie insbesondere auf Frauen-, und Psychiatriebewegungen, der Entstehung der Arbeitskreise Kritische Sozialarbeit sowie den Reformprozess in der Kinder- und Jugendhilfe ein.

Diskussion

Die Beiträge sind in der Regel gut gegliedert, nachvollziehbar in der Darstellung, indem sie sowohl definitorische, historische und analytische Entwicklungen als auch Kontroversen berücksichtigen sowie den Stand aktueller Diskussionen wiedergeben.

Eine Ausnahme stellt der Beitrag „Klassismus“ dar, der nicht frei von widersprüchlichen Aussagen ist, wenn zum einen behauptet wird, dass von „Klassismus betroffenen Menschen …der Zugang zu materiellen Ressourcen verwehrt“ werde und ein paar Zeilen weiter Klassismus den „Zugang zu … Geld“ „begrenzt“ (S. 322). Für die Nachvollziehbarkeit wäre es zudem sinnvoll gewesen, die Begriffe „care leaver“ und „care-chain“ entweder bei der Verwendung zu erklären oder auf entsprechende Beiträge zu verweisen. So werden „global care chains“ im Beitrag „Macht“ von Theresa Lempp (vgl. S. 366) bzw. „Sorge-Ketten“ im Beitrag „Care“ von Margit Brückner (vgl. S. 102) und „care leaver“ im Beitrag „Hilfen zur Erziehung“ von Luise Hartwig und Martina Kriener (vgl. S. 262) erläutert.

Auch wenn den Herausgeber*innen zuzustimmen ist, dass nicht alle Themen berücksichtigt werden können, so wäre doch zu wünschen einen Folgeband um einen Beitrag zur Debatte um Sozialarbeitswissenschaft bzw. Wissenschaft(en) der Sozialen Arbeit zu ergänzen. So könnten auch hier Geschlechterverhältnisse stärker als bisher in den Vordergrund gerückt werden. Das gilt sowohl für die Diskussionen um (Meta-)Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit als auch, für die Notwendigkeit einer zahlenmäßig stärkeren Beteiligung von Frauen an der Hochschulausbildung von Sozialarbeiter*innen, die zumeist eine Promotion voraussetzt.

Fazit

Bot bereits der vorangegangene Band „Wörterbuch Soziale Arbeit und Geschlecht“ einen guten Überblick zum Thema, so stellt der vorliegende aktualisierte Band eine Weiterentwicklung dar. Dies gilt sowohl in Bezug auf Beiträge zu aktuell in den letzten Jahren diskutierten Themen, wie z.B. „Antifeminismus“, „Femizid“, „Flucht und Asyl“ oder „Postheteronormativität“, als auch in Bezug auf strukturelle gesellschaftliche Bedingungen, wodurch sozialpolitische Positionen in der Sozialen Arbeit stärker als vorher betont werden.

Empfehlenswert ist der Band sowohl für Studierende als auch für alle anderen Akteur*innen in Praxis, Theorie und Forschung Sozialer Arbeit zur Information und Anregung zur Weiterarbeit an der Integration von Geschlechterverhältnissen in Theorie und Praxis.

Rezension von
Prof. Dr. Barbara Ketelhut
(im Ruhestand) Hochschule Hannover, University of Applied Sciences and Arts Homepage www.hs-hannover.de E-Mail: barbaraketelhut@aol.com
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Es gibt 17 Rezensionen von Barbara Ketelhut.

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Zitiervorschlag
Barbara Ketelhut. Rezension vom 15.12.2023 zu: Gudrun Ehlert, Heide Funk, Gerd Stecklin (Hrsg.): Grundbegriffe Soziale Arbeit und Geschlecht. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 2., vollständig überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-7799-6503-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29607.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.


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