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Norbert Wohlfahrt: Revolution von rechts?

Rezensiert von Johannes Schillo, 22.09.2022

Cover Norbert Wohlfahrt: Revolution von rechts? ISBN 978-3-96488-127-4

Norbert Wohlfahrt: Revolution von rechts? Der Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral – eine Streitschrift. VSA-Verlag (Hamburg) 2022. 158 Seiten. ISBN 978-3-96488-127-4. D: 12,80 EUR, A: 13,20 EUR.

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Thema

Kapitalismuskritik – sei es als Angriff aufs „schaffende Kapital“, sei es als Verurteilung eines heimatlosen „Globalismus“ – ist ein Topos, der mit oder ohne antisemitische Konnotation in Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus nach wie vor eine Rolle spielt. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob hier von Antikapitalismus gesprochen werden kann.

Autor

Norbert Wohlfahrt ist Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und Lehrbeauftragter für Europäische Sozialpolitik an der Fachhochschule Münster. Er hat 2012 zusammen mit Hans-Jürgen Dahme unter dem Titel „Ungleich gerecht?“ eine Kritik moderner Gerechtigkeitsdiskurse vorgelegt (VSA, Hamburg), bei der auch schon das „faschistische und das sozialistische Gerechtigkeitsideal“ Thema waren.

Entstehungshintergrund

Seit dem historischen Faschismus, seit Mussolinis Plädoyer für einen starken Staat als „sittliche Einheit“ jenseits von Klassengegensätzen, seit Hitlers Gründung einer „Arbeiterpartei“, die „national“ und „sozialistisch“ sein wollte, stiften kapitalismuskritische Töne, die von rechts kommen, einige Verwirrung. Ist hier eine Verbindung von radikalen Rechten und Linken gegeben oder möglich? Anlässlich der „Querdenker“-Proteste, die sich während der Corona-Pandemie ausbreiteten, wurde dies wieder unter dem Label „Querfront“ thematisiert. Wohlfahrts Buch stellt diese These am Beispiel der sozialen Frage auf den Prüfstand.

Aufbau und Inhalt

Im rechten Lager, bei rechtspopulistischen oder rechtsextremistischen Formationen, speziell bei den Bemühungen der Neuen Rechten, sich mit Think Tanks und Theorieangeboten als ernstzunehmende politische Kraft zu präsentieren, werden in der Tat Elemente aus der Arbeiterbewegung und aus der Marx‘schen Kritik der Politischen Ökonomie aufgegriffen. Dies ist der Ausgangspunkt der neuen Publikation, die auch ein breites Spektrum von Fachliteratur einbezieht. Wohlfahrt zeigt aber, dass diese Theoriebausteine oder -fragmente dafür benutzt werden, den Tatbestand einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft gegen Marx – gegen den Gehalt seiner Analyse wie gegen deren politische Perspektive – in einen moralischen Auftrag umzudeuten. Der Klassengegensatz wird demnach vom politische Idealismus einer durch die Kultur (früher: durch Blut und Boden) determinierten Volksgemeinschaft als eine definitive Herausforderung, als Notwendigkeit eines Säuberungs- und Kampfprogramms aufgenommen, das sich gegen antinationale Elemente und die Volksverräter an der Macht wendet.

In 20 Kapiteln mit einigen Exkursen (Populismusbegriff, „Wir sind das Volk“) handelt der Autor das an den zentralen Kategorien Volk, Nation, Staat, Familie, Europa, Verhältnis von Politik und Ökonomie ab. Hinzu kommen wichtige Themen der rechten Agitation wie Flucht und Migration, (Neo-)Liberalismuskritik, Identitätspolitik, weiße Suprematie, aber auch strategische Konzepte wie „Metapolitik“ und der Kampf um „kulturelle Hegemonie“. Immer wird deutlich, dass hier der Gegensatz von Kapital und Arbeit, der seit Marx im Fokus linker Kritik steht, gar nicht wirklich interessiert, sondern nur mit diversen theoretischen Versatzstücken zitiert wird, um die nationale Identität als Höchstwert in Stellung zu bringen. Zielpunkt ist dabei eine „Befreiung des Staates“ (S. 14), der rücksichtslos gegen alles Partikulare vorgehen soll, das sich dem völkischen Zusammenschluss – wirklich oder nur aus ausländerfeindlichem Blickwinkel – entgegenstellt.

In seinem Fazit schreibt der Autor: „Was die Neue Rechte an der Staatsbürgermoral, die sich auf den Staat als Subjekt individueller Interessen schlechthin bezieht, stört, ist die darin enthaltene Berechnung eines irgendwie gearteten individuellen Materialismus.“ (S. 149) Der neurechte Aufschwung ist – auch auf diesen Nachweis legt Wohlfahrts Buch Wert – nur insofern Gegner eines Wirtschaftsliberalismus, als dieser die völkische Sittlichkeit und das Zusammenstehen für die nationale Sache stört. Ansonsten können sich Rechte bestens mit der Macht des Kapitals, auch in seinen grenzüberschreitenden, auf „freien“ Welthandel zielenden Ansprüchen, arrangieren.

Diskussion

Die Leitfrage des Buchs nach einem Antikapitalismus von rechts wird nicht einseitig aufgelöst, indem etwa solche Tendenzen einfach bestritten oder nach dem Vorbild der Totalitarismustheorie in die dogmatische Gewissheit aufgelöst werden, dass links und rechts außen die politischen Positionen sowieso identisch sind. Wohlfahrt gibt hier in überzeugender Weise eine doppelte Antwort: Einerseits lassen sich solche sozialistisch anmutenden Positionsbestimmungen, die in dem Buch auch im Blick auf ihre historische Dimension („Konservative Revolution“, NS-Zeit…) beleuchtet werden, nicht als bloße Täuschung abtun, die auf Stimmenfang berechnet ist; andererseits kann aber von einem rechtsradikalen Projekt, das den Kapitalismus abschaffen will, keine Rede sein. In Übereinstimmung befinden sich die betreffenden Akteure vielmehr mit den Prinzipien patriotischer Moral.

Fazit

Wohlfahrts kurz gefasste, prägnante Schrift ist als aktuelle Einführung ins Thema und auch als Handreichung für die sozialpädagogische Auseinandersetzung mit dem Rechtstrend zu empfehlen. Sie lässt sich zudem als ein Handbuch nutzen, das ein gutes Dutzend Schlüsselbegriffe des Rechtsradikalismus – mit ihren aktuellen Verwendungszusammenhängen – vorstellt und dekonstruiert.

Rezension von
Johannes Schillo
Sozialwissenschaftler und Autor
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Es gibt 18 Rezensionen von Johannes Schillo.

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Zitiervorschlag
Johannes Schillo. Rezension vom 22.09.2022 zu: Norbert Wohlfahrt: Revolution von rechts? Der Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral – eine Streitschrift. VSA-Verlag (Hamburg) 2022. ISBN 978-3-96488-127-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29617.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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