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Johanna Lisa Degen: Unmasking Diversity Management

Rezensiert von Dr. Alexander Brandenburg, 25.10.2023

Cover Johanna Lisa Degen: Unmasking Diversity Management ISBN 978-3-8379-3184-6

Johanna Lisa Degen: Unmasking Diversity Management. Die kapitalistische Einverleibung von Subjekt, Moral und Widerstand. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. 264 Seiten. ISBN 978-3-8379-3184-6. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.
Reihe: Forschung psychosozial.

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Thema

Die Thematik der Diversität – Verschiedenheit, Vielfalt und Ungleichheit – hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Geht es doch um Anerkennung und Wertschätzung eines jeden Menschen- unabhängig von seiner sozialen und ethnischen Herkunft und unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, religiöser Einstellung und Lebensalter etc. Einem solchen Vorhaben wird niemand widersprechen.

In den USA fanden sich in den 1990er Jahren Menschen aus sozial benachteiligten Gruppen zusammen, um für gleiche Rechte und Chancen und gegen soziale Diskriminierung vorzugehen. Diversity Management etablierte sich als Stimme sozial Benachteiligter in den USA und wurde schnell ein internationales und globales Markenzeichen.

Die besonders gern den innovativen Entwicklungen der USA nachfolgende deutsche Politik machte Diversity flott zu einem in Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft omnipräsenten Begriff. Diversity kam in aller Wirtschaftsmunde und wurde bald zum Ausweis eines fortschrittlichen Denkens und Handelns.

Hatte die Entwicklung in den USA eine aus Betroffenen bestehenden Kern, so ist es in Deutschland die Politik selbst, die mit viel „Marie“ die Aufgabe und Konzeption des Diversity Managements voranbringt oder in den Sand setzt, was ja auch eine Möglichkeit wäre. Wir werden sehen.

Dem Management in der Industrie wurde über Nacht mit der Hilfe des Staates das Diversity Mangement zugefügt. Es bekam die Aufgabe zugewiesen: fehlende Fachkräfte zu gewinnen, neue Zielgruppen und Märkte zu erschließen und mit gemischten Teams bessere Lösungen für die anfallenden Herausforderungen zu finden. Kurz und gut: Staatliche Förderung des wirtschaftlichen Geschehens durch Innovationen auf allen auserlesenen Gebieten, um eine inklusive Kultur und Vielfalt in der Arbeitswelt zu etablieren.

Die hochkarätig besetzte „Charta der Vielfalt“ und ein eingeführter Diversity-Tag zeigen, dass man die Sache ernst nimmt. Werbung und Reklame in unseren Medien zeugen jedenfalls von der Bedeutung dieses „neuen“ Ansatzes für das Management und das Geschäft.

Auch socialnet weist ein wenig von der Allgegenwärtigkeit dieses Begriffes auf. Meine kleine Auswertung der bei socialnet veröffentlichen 45 Diversity – Rezensionen kommt zu folgendem Ergebnis: Von 2007 bis 2016, in 10 Jahren also, gibt es 13 Besprechungen, von 2017 bis heute, in gut 7 Jahren also, erscheinen 32 Arbeiten über das Thema. Ich finde ein bemerkenswerter Anstieg!

Beim socialnet-Lexikon werden unter dem Stichwort Diversity zahlreiche, überwiegend noch nicht fertiggestellte Artikel aufgeführt: Diversität – Diversität in der Beratung – Diversitätsforschung – Diversitätskompetenz – Diversitäts Education – Diversity Management – Diversitätstraining. Man wird sich in Bälde umfassend informieren können!

Autorin

Johanna L. Degen, Dr. phil. und Sozialpsychologin, arbeitet in Forschung und Lehre an der Europa-Universität Flensburg und als Gastforscherin an den Universitäten in Oslo, Verona und Amsterdam. Außerdem ist sie Paartherapeutin in ihrer psychologischen Forschungspraxis in Flensburg.

Entstehungshintergrund

Das initiierende Moment der Forschungsarbeit ist interessant, überraschend und aufschlussreich. Die bildliche Darstellung von Diversity-Management auf Firmenwebseiten, in den Medien und auf Reklameschildern entsprach nicht den Vorstellungen, die man von soliden Unternehmen erwarten konnte, sondern wichen vom üblichen Wirtschaftshabitus ab. Es gab kindliche und freizeitliche Posen mit auffällig bunten Requisiten etc. Die Autorin wunderte sich und stellte sich die Frage: Das soll Diversity-Management sein? Eine ernsthafte Sache auf solchem unterirdischen Niveau war unserer Autorin eine grundlegende Untersuchung wert.

Aufbau und Inhalt

Es geht in diesem Buch um einen Einblick in die Methoden der Sozialforschung. Unsere Autorin will wissen, was sich hinter der obskuren Darstellung von Diversity Management in der Öffentlichkeit verbirgt. Zu diesem Zweck muss Johanna Degen sich mit Institutionen in Verbindung setzen, die ihr bisheriges Management um Diversity ergänzt haben und schon länger diese neue Form des Managements praktizieren. Solche zumeist global tätigen Konzerne und Großbetriebe haben die Ressourcen für Diversity Management und auch die entsprechenden Kanäle zur Politik, die dieses Management-System ja propagiert. Es lag also auf der Hand, mit einer entsprechenden Institution Kontakt aufzunehmen und die Belegschaft von oben bis unten nach der Praxis des neuen Managements zu befragen. Keine leichte Aufgabe, wie die hier vorgestellten Vorbereitungen und Auswertungen zeigen. Was hat es also mit diesem Diversitäts – Boom auf sich?

1 Was ist Diversity Management?

Ehemals eine Stimme der sozial Benachteiligten wird mit Diversität Management heute in den wirtschaftlichen Institutionen eher über die Benachteiligten gesprochen. Standen vormals die primären Eigeninteressen der Benachteiligten im Mittelpunkt, so heute die Hantierung der Interessen der Benachteiligten durch Führungspersonen.

2 Problematisierung von Diversity Management

Als Forschungsgegenstand ist Diversity Management unpräzise und diffus. Es gibt weder eine gemeinsame Definition noch eine integrative Theorie. Hauptsächlich ist es ein Werkzeug des Managements, um zum Beispiel ökonomische Vorteile zu generieren. Die kritische Perspektive befragt die von der Wirtschaft beanspruchte Machtreproduktion und die beanspruchte Definitionsmacht. Diese und andere offenen Fragen bedürfen einer wissenschaftlichen Bearbeitung. Besonders wichtig ist es dabei, sich vom Standpunkt des Subjekterlebens der Wirklichkeit der tätigen Subjekte anzunähern und zu fragen, wie und ob es auch anders sein könnte.

3 Kritische Sozialpsychologie und der Gegenstand Diversity Management

Die Frage steht im Mittelpunkt, wie sich der Zusammenhang von Forschungsfrage, Gegenstand, Forschungsperspektive und Vorgehen begründet und welche Konsequenzen sich davon für die Analysemethode, aber auch die Generalisierung der Ergebnisse ableiten lassen. Hegel, Marx, Freud, Frankfurter Schule sowie Bourdieu und Foucault kommen zur Sprache. Mit Holzkamps Perspektive auf Subjekt, Gesellschaft und ihre Veränderung werden Konsequenzen für die Forschungsarbeit gezogen. Die Wahrnehmung der natürlich erscheinenden Lebensbedingungen und deren Reproduktion sollte hinterfragt und eine Wissenschaft betrieben werden, die Subjekten eine Veränderung bewirkendes Verhalten erleichtert. Individuen sind als handlungsfähige Akteure anzusehen, die prinzipiell Lebensverhältnisse überwinden und Handlungsalternativen entwickeln und etablieren können.

4 Methodik: Rekonstruktive Methodologie, die Dokumentarische Methode in der Psychologie und Gang der Untersuchung

Rekonstruktive Methodologie, die Dokumentarische Methode in der Psychologie und Gang der Untersuchung. Mit der an die Wissenssoziologie (Mannheim) anknüpfenden Dokumentarischen Methode zur Analyse von Interviews ist es möglich, Aussagen zu generieren, die über die subjektive Perspektive der Befragten hinausgehen. Es kann u.a. gezeigt werden, welche sozialen Positionen es gibt, wie sie charakterisiert sind und welche Einstellungen und Verhalten sich daraus ergeben. Die einzelnen Schritte der Untersuchung von der Auswahl derProbanden – vom Geschäftsführer bis zum Arbeitssuchenden- über die Erhebungsmethode bis hin zu ethischen Überlegungen und zur Sample-Beschreibung werden uns sorgfältig repräsentiert. Übergehen wir jetzt die umfangreiche Auswertung der Forschungsergebnisse in den Kapiteln 5 und 6 und machen wir einen großen Sprung in das Schlusskapitel:

5 Das ist Diversity-Management: die Einverleibung von Subjekt, Widerstand und Moral

Unter Berücksichtigung aller erhobenen Daten kann die Forschungsfrage nach dem Nutzen und dem Nachteil von Diversity Management aus der Subjektperspektive so beantwortet werden: Die Ideologie des Diversity Managements hat sich von ihrem Ziel gelöst, soziale Ungleichheiten abzubauen. Sie hat sich in eine Richtung verselbstständigt, die eine universelle Moral propagiert und die Interessen und Bedarfslagen der Menschen verfehlt. Mit einem umfangreichen Einblick in die Literatur und einem Anhang, der über Abbildungen und Tabellen informiert, findet das Buch sein Ende.

Diskussion

Auch in diesem Fall des Diversity Management erleben wir, wie große Versprechen und angekündigte Veränderungen ins Leere gehen bzw. nicht den versprochenen Erfolg zeigen. Die Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Menschen wird propagiert, aber nicht praktiziert. Vorteile ergeben sich für die global Player und die Regierung im Image-Bereich und – wenn es gut geht – für die Industrie bei der Erschließung neuer Absatzfelder, für die Politik bei der nächsten Wahl. Je größer die Ankündigung, je mehr Moralisierung in der Luft, desto vorsichtiger und skeptischer sollte man sein.

Natürlich haben wir auch ein wenig Kritik im Angebot. Das Buch ist mit vielen Ausführungen und Exkursen überfrachtet. Es ist kein Zufall, dass unsere Autorin oft eine „Zusammenfassung“ in den Text einfügen muss. Mehr Konzentration und Dichte, weniger Überlappung hätten das Werk auf jeden Fall lesbarer gemacht.

Fazit

Es ist ein großer Verdienst dieser Publikation, dass sie das Diversity Management als einen aufgeblasenen Luftballon von großer Industrie und Politik kenntlich gemacht hat. Wer Geduld mitbringt, kann einiges in Sachen empirischer Sozialforschung und Befragung lernen.

Rezension von
Dr. Alexander Brandenburg
Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung bei der Stadt Herne
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Es gibt 99 Rezensionen von Alexander Brandenburg.

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Zitiervorschlag
Alexander Brandenburg. Rezension vom 25.10.2023 zu: Johanna Lisa Degen: Unmasking Diversity Management. Die kapitalistische Einverleibung von Subjekt, Moral und Widerstand. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. ISBN 978-3-8379-3184-6. Reihe: Forschung psychosozial. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29625.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.


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