André Knabe: Soziale Armut
Rezensiert von Alexander Parchow, 16.02.2023

André Knabe: Soziale Armut. Wahrnehmung und Bewältigung von Armut in sozialen Netzwerken.
Springer VS
(Wiesbaden) 2022.
241 Seiten.
ISBN 978-3-658-36140-2.
D: 39,99 EUR,
A: 43,99 EUR,
CH: 47,14 sFr.
Reihe: Research. Sozialstrukturanalyse.
Thema
Geprägt durch die Auswirkungen verschiedener globaler Krisen und innenpolitischer Herausforderungen in den letzten Jahren, wie etwa die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, steigende Inflation und Energiepreise, ansteigende Mieten und Wohnraumknappheit in städtischen Ballungszentren bei gleichzeitiger Stagnation der Gehälter im Niedriglohnsektor, geraten die Themen Armut, Armutsgefährdung und soziale Ungleichheit immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit.
Die Folgen von Armut sind gravierend für die Menschen: materielle Deprivation, reduzierte gesellschaftliche Teilhabe, gesundheitliche Einschränkungen, ungleiche Bildungschancen – um nur einige Auswirkungen an dieser Stelle zu nennen. Einerseits wird durch verschiedene sozialstaatliche Leistungen und soziale Dienste versucht die Folgen von Armut, insbesondere für Familien und Kinder, abzufedern. Andererseits werden präventive Strategien entwickelt, um dem Thema prospektiv zu begegnen. Handlungsbegleitend beschäftigen sich unterschiedliche Studien mit verschiedenen Aspekten im Kontext von Armut und beleuchten die Lebenssituation armutsbetroffener Menschen.
André Knabe hat es sich zur Aufgabe gemacht den Armutsdiskurs um eine äußerst gewinnbringende Perspektive zu erweitern. Er untersucht die sozialen Netzwerke armutsbetroffener Menschen, um Aussagen über die Folgen von Armut auf die Struktur und die Funktion sozialer Netzwerke tätigen zu können.
Autor und Entstehungshintergrund
Das hier rezensierte Buch von André Knabe ist beim Springer VS Verlag in der Reihe „Sozialstrukturanalyse“ erschienen, in der Werke aufgenommen werden, die sich laut der Herausgeber mit sozialer Ungleichheit beschäftigen und neue Perspektiven aufzeigen. Es handelt sich bei dem Buch um die Dissertationsschrift von André Knabe, die an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock angenommen wurde. André Knabe ist gegenwärtig als Wissenschaftler am Rostocker Institut für Sozialforschung und gesellschaftliche Praxis e.V. beschäftigt.
Aufbau und Inhalt
André Knabes Werk umfasst insgesamt 250 Seiten inklusive Vorwort, Inhalts-, Abbildungs-, Tabellen- und Literaturverzeichnis sowie dem Anhang. Üblicherweise erhält man auf der Internetseite des Verlags einen Einblick in das Inhaltsverzeichnis sowie eine kurze Leseprobe. Da das Buch aufgrund einer Open-Access-Publikation jedoch frei zugänglich ist, lässt sich nach Belieben in der Arbeit von André Knabe umherblättern.
Das erste Kapitel stellt die Einleitung in diesem Werk dar. In mehreren Unterabschnitten nähert sich der Autor gewissermaßen allgemein der Begrifflichkeit von Armut und ihrer kategorialen Messbarkeit an, um in den Gegenstand der Arbeit einzuführen: die sozialen Netzwerke von Menschen, die von relativer Einkommensarmut betroffen sind, also deren Einkommen unterhalb von 60 % des mittleren Einkommens der Bevölkerung liegt. Ziel des Autors ist es durch seine Studie u.a. Erkenntnisse über den Aufbau, die Struktur, die Funktion sowie die Wirkung von sozialen Netzwerken im Kontext von Einkommensarmut zu generieren.
Um den theoretischen Rahmen für seine Arbeit zu spannen, präsentiert der Autor im zweiten Kapitel erst in chronologischer Reihenfolge überblickartig soziologische Armutskonzepte. In einem zweiten Schritt richtet er den Fokus auf theoretische Modelle der Netzwerkforschung. Beide Perspektiven verbindet der Autor in einem letzten Schritt zu seiner eigenen Forschungsperspektive: Die Bestimmung von Armut im Kontext sozialer Netzwerke aus Sicht betroffener Menschen.
Den aktuellen Forschungsstand zu sozialen Netzwerken in Zusammenhang mit dem Thema Armut bildet der Autor im dritten Kapitel ab. Entlang unterschiedlicher internationaler Forschungsarbeiten erläutert André Knabe erstens die Auswirkungen von Armut auf die sozialen Netzwerke (bspw., dass Armut zu einer Verringerung der Netzwerkgröße führt, es aber keine spezifischen Armutsnetzwerke gibt); zweitens die Wirkungen sozialer Netzwerke auf Armut, genauer gesagt inwieweit soziale Netzwerke einerseits zur Entstehung, Reproduktion und Verstärkung von Armut und andererseits zur Reduzierung oder gar Überwindung von Armut beitragen; sowie drittens verschiedene Arten von Typologien sozialer Netzwerke. Am Ende des Kapitels verdichtet André Knabe zusammenfassend die Aufarbeitung des Forschungstandes, um so einerseits die Forschungslücke aufzuzeigen und andererseits seine (mehrperspektivische) Forschungstätigkeit im Diskurs zu verorten.
Bis zu diesem Punkt hat André Knabe in den ersten drei Kapiteln gewissermaßen den Rahmen für seine Arbeit umrissen. Das folgende, vierte Kapitel beschäftigt sich daher konsequenterweise mit dem empirischen Forschungsdesign der Untersuchung: Mit Rückgriff auf eine groß angelegte Studie, an welcher der Autor beteiligt war, setzte sich das Sample der Arbeit aus insgesamt 57 Personen in relativer Einkommensarmut zusammen, die im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in sowohl städtischen als auch ländlichen Regionen befragt wurden. Die Datensammlung erfolgte mittels problemzentrierten Interviews, unter Zuhilfenahme des Computerprogramms VennMaker zur Erfassung der sozialen Netzwerke sowie mittels Datenbogen zur Erhebung der soziodemografischen Merkmale. Die Auswertung umfasste eine quantitative Netzwerkanalyse, inklusive Clusteranalyse zur Ermittlung von Netzwerktypen, sowie eine komplexe qualitative Analyse des Interviewmaterials, in dessen Kontext der Autor Fallporträts entwickelte. Diese Fallporträts wurden ebenfalls, angelehnt an die dokumentarische Methode, typisiert.
In Kapitel fünf widmet sich André Knabe den Ergebnissen seiner Untersuchung, die er in drei Teile – quantitative Netzwerkanalyse, qualitative Typologien sowie subjektive Wahrnehmung und strukturelle Einbindung – unterteilt. Schritt für Schritt illustriert der Autor seine Analysen, sodass man als lesende Person nachvollziehen kann, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind. Dabei werden viele Tabellen und Abbildungen in die Ergebnisdarstellung einbezogen, auf die im Fließtext zum besseren Verständnis erklärend verwiesen wird. Im ersten Teil erläutert André Knabe die durch die quantitative Netzwerkanalyse ermittelten drei Netzwerke („institutionelles Unterstützungsnetzwerk“, „kleines eng verbundenes Familiennetzwerk“, „großes, verzweigtes Peer-Netzwerk“). Im zweiten Teil geht er detailliert auf die vier Typologien der qualitativen Analyse ein, bevor er im dritten Ergebnisteil die beiden Typologien miteinander verschränkt, um Zusammenhänge zwischen den quantiativen Netzwerktypen und den qualitativen Typen zu erkennen.
Mit dem fünften Kapitel beendet André Knabe sein Werk, indem er wesentliche Inhalte seiner Studie zusammenfasst, Antworten auf seine Forschungsfragen gibt, die Grenzen seiner Arbeit reflektiert sowie Implikationen für Politik und Praxis formuliert.
Diskussion
Mit einem Umfang von etwas über 200 Seiten ist es André Knabe gelungen seine durchaus komplexe Arbeit in einer lesefreundlichen Länge zu präsentieren. Der Schreibstil ist klar und gut verständlich, sodass auch soziologiefernere Personen die Arbeit mit Sicherheit sehr gut verstehen können. Besonders hervorheben möchte der Rezensent die Beschreibung der methodischen Vorgehensweise des Autors sowie die Präsentation der Ergebnisse. André Knabe gelingt es diese den Lesenden in hervorragender Weise Schritt für Schritt zugänglich zu machen, sodass man ihm für sein fantastisches Werk, das völlig zu Recht mit einen Wissenschaftspreis ausgezeichnet wurde, nur danken kann.
Fazit
Mit seinem Buch legt André Knabe ein spannendendes und zugleich komplexes Werk zu einem sozialpolitisch überaus wichtigem Thema vor, indem er Armut im Kontext sozialer Netzwerke aus Sicht von armutsbetroffenen Menschen analysiert. Seine Vorgehensweise im Forschungsprozess erläutert er nachvollziehbar und in einem gut verständlichen Schreibstil. Das Buch kann daher schon fast als eine Anleitung zur Netzwerkanalyse entlang eines konkreten Beispiels gelesen werden. Für Personen, die sich thematisch mit Armut beschäftigen oder mit der Analyse sozialer Netzwerke auseinandersetzen wollen ist das Buch ein echtes Must-have!
Rezension von
Alexander Parchow
M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen
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Es gibt 4 Rezensionen von Alexander Parchow.
Zitiervorschlag
Alexander Parchow. Rezension vom 16.02.2023 zu:
André Knabe: Soziale Armut. Wahrnehmung und Bewältigung von Armut in sozialen Netzwerken. Springer VS
(Wiesbaden) 2022.
ISBN 978-3-658-36140-2.
Reihe: Research. Sozialstrukturanalyse.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29663.php, Datum des Zugriffs 24.03.2023.
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