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Michael Göhlich, Nicolas Engel: Organisationspädagogik

Rezensiert von Dr. Hermann Müller, 06.06.2023

Cover Michael Göhlich, Nicolas Engel: Organisationspädagogik ISBN 978-3-17-034725-0

Michael Göhlich, Nicolas Engel: Organisationspädagogik. Eine Einführung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2022. 243 Seiten. ISBN 978-3-17-034725-0. 34,00 EUR.
Reihe: Grundrisse der Erziehungswissenschaft.

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Thema

Das Organisieren von Lernen und Organisationen wie Kindergarten, Schule, Hochschule und Volkshochschule waren schon früher pädagogische Themen, ohne dass man explizit von Organisationspädagogik sprach. Die Organisationspädagogik hat sich dann in den letzten Jahrzehnten etabliert. Hierzu bietet das vorliegende Buch eine Einführung. Einige ihrer Themen sind Lernen in Organisationen „lernende Organisation“ und pädagogische Organisationsentwicklung.

Autoren

Dr. Nicolas Engel ist Professor für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt/Main.

Dr. Michael Göhlich ist Senior-Professor of Education an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in sieben größere Kapitel (einschließlich der Einleitung) mit mehreren Unterkapiteln gegliedert.

Zwei Fragen stehen, so die Autoren in der Einleitung, bei ihrer Ausarbeitung Pate: „Welche Bedeutung haben Organisationen für pädagogische Prozesse?“ Und: „Welche Bedeutung haben pädagogisch Prozesse für Organisationen?“ (S. 11). In der Einleitung wird dann auf pädagogische Diskussionen zu organisatorischen Fragen eingegangen, die zum Teil bereits vor „einer explizit organisationspädagogischen Debatte“ (S. 11) relevant gewesen seien. Mit Bezug auf Ortmann und Kessl wird u. a auf die „dunkle Seite“ und „helle Seite“ von Organisationen im Hinblick auf pädagogische Prozesse hingewiesen. Organisationen seien einerseits macht- und gewaltförmig (dunkle Seiten) ermöglichten aber auch Lernen, Erziehung und soziale Teilhabe (helle Seite).

In Kapitel 2 geht es um Institutionen und Organisationen. Die Autoren plädieren für eine begriffliche Unterscheidung zwischen Institutionen und Organisationen. Zunächst wird dies am Beispiel der Institution Gedenkstättenbesuch veranschaulicht. Es folgt eine Begriffsklärung. Institutionen werden als auf Dauer gestellte Regelwerke, die soziale Geltung haben und sozialen Handeln ermöglichen, aber auch einschränken können, verstanden. Organisationen hingegen seien konkrete Sozialgebilde mit Mitgliedern. Innerhalb von Organisationen gibt es Institutionen und Institutionalisierung. Im nächsten Unterkapitel geht es um Organisieren als pädagogische Praktik und Lernen der Organisationen. Organisieren von Lernen und Lernprozessen ist Bestandteil pädagogischer Praxis. Eingegangen wird dann auf Organisationen im Kontext pädagogischer Prozesse. Hierzu gibt es einen längeren pädagogischen Diskurs, zum Beispiel zu Schulen, zum arbeitsplatznahen Lernen oder der Schulpädagogik. Damit verbunden sei die Wechselwirkung zwischen pädagogischen Praktiken und bürokratischen, ökonomischen oder politischen Praktiken. Danach geht es um Organisationen als Akteur und Adressat pädagogischer Praxis. Organisationen werden als „menschlicher Sozialgebilde“ (S. 36) verstanden, die lernen. Wichtig ist dabei der Begriff des „Organisationalen Lernen“ (S. 36). Es folgt ein Unterabschnitt zu Organisation als Ermöglichung und Bedrohung menschlichen Sein. Die Autoren verweisen auf den Aufsatz „Individuum und Organisation“ von Theodor W. Adorno. Einerseits sind danach Organisationen für das menschliche Sein und die menschliche Entwicklung unausweichlich, andererseits schließt Organisation „auch Formen der Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung ein“ (S. 38). Hier wäre nach Ansicht des Rezensenten eine Unterscheidung nach gesellschaftlichen Zielen von Organisationen sinnvoll. Eine Grundschule als Organisation unterscheidet sich zum Beispiel erheblich von einem Job-Center U25 (zu Jobcentern vgl. zum Beispiel Böhringer u.a. 2012).

In Kapitel 3 geht es dann um die historische Entwicklung der Organisationspädagogik. Begonnen wird mit der Vorschichte ab etwa 1800. Eingegangen wird auf Pädagogen, u.a. Wilhelm von Humboldt, Pestalozzi; Diesterweg, die in ihren Werken bereits auf Organisationen und/oder Organisieren im Zusammenhang mit Pädagogik eingegangen sind, aber noch nicht als explizite Organisationspädagogen bezeichnet werden können. Behandelt werden dann Anfänge expliziter Organisationspädagogik vor allem ab den 1980er Jahren. Verbunden war dies mit einer Problematisierung eines dominierenden erziehungswissenschaftlichen Ressentiments gegenüber Organisationen. Werke einiger Autoren zur Organisationspädagogik werden behandelt. Festgestellt wird eine Zunahme von Arbeiten zu Fragen der Organisation des Pädagogischen und „organisationalem Lernen“. Es bildeten sich eine Diskursgemeinschaft und verschiedene Zusammenschlüsse wie Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft mit einer Sektion Organisationspädagogik und auf europäische Ebene u.a. die „European Educational Research Association“, die pädagogische Organisationsforschung vernetzen. Durch die Einrichtung organisationspädagogischer Studiengänge und Module und von Organisationspädagogik-Professuren habe sich die Organisationspädagogik als Teildisziplin innerhalb der Pädagogik etabliert.

In Kapitel 4 geht es um vier Organisationstheorien als eine theoretische Grundlegung der Organisationspädagogik. Begonnen wird mit systemtheoretischen Ansätzen der Organisationsberatung und -entwicklung. Zur Veranschaulichung wird ein fiktives Beispiel aus einem Altenheim dargestellt. Anlass eines Konfliktes war hier das Verschwinden einer Bewohnerin, die später unterkühlt im Keller aufgefunden wurde [1]. Skizziert wird, wie systemische Organisationsberater zu diesem Beispiel methodisch unterschiedlich vorgehen. Eingegangen wird dann auf systemtheoretische Arbeiten u.a. von Luhmann und Bateson. Nicht ganz deutlich wird für den Rezensenten, wie diese Theorien auf relativ hohem Abstraktionsniveau für die Praxis der Organisationsberatung und Organisationsentwicklung fruchtbar gemacht werden können. Damit sollen jedoch keineswegs die Wirksamkeit und Erfolge dieser Praxis angezweifelt werden. Systemische Einsätze in der Organisationspädagogik werden anschließend behandelt, wobei auf mehrere Arbeiten und Studien eingegangen wird. Dabei gehe es „um die Veränderung von Regeln, also um Strukturen der Organisation und nicht um die Veränderung von Menschen“ (S. 59) [2]. Anschließend wird in Kap.4.2.2. auf das Konzept des Neo-Institutionalismus eingegangen. Als Fallbespiel hierzu wird die Geschichte einer Auseinandersetzung zwischen dem Nestle-Konzern mit einigen Initiativen und Medien genommen. Inhaltlich ging es um den Vertrieb von Milchpulver in der sogenannten Dritten Welt durch den Nestle-Konzern. Während der Auseinandersetzung kam es zu einem Boykott des Nestle-Konzerns. Eine zentrale Annahme der neo-institutionalistischen Theorie ist „dass sich die formalen Strukturen von Organisationen oft weniger an den unmittelbaren Anforderungen der jeweiligen Arbeit (Produktion, Dienstleistung etc.) als vielmehr an ihrer institutionellen Umwelt, an den im gesellschaftlichen Diskurs gegebenen, sich ändernden oder neu entwickelten Erwartungen, (Spiel-)Regeln, Normen und ggf. Gesetzen orientieren“ (S. 63) Der Rezensent fragt sich, ob hier eine Quantifizierung sinnvoll ist. Es wäre auch ein „sowohl als auch“ möglich. Zu dieser Theorie gehört auch die These von der „losen Kopplung“. Einige Elemente von Organisationen sind danach nur lose gekoppelt. Zum Beispiel sind trotz einheitlichen Schulplans verschiedene Klassen eines Jahrgangs an einer Schule nicht identisch. Anschließend gehen die Autoren auf zwei organisationspädagogische Forschungsstudien ein, in denen neo- institutionalistische Perspektiven deutlich werden. Es handelt sich um eine Studie von Stefanie Hartz zur Implantierung von Qualitätsmanagement in Weiterbildungseinrichtungen und eine Studie von Andreas Schröer zu einem Modell der „partizipativen Hochschule“ die primär auf der „Schauseite“ gepflegt werde, aber nicht auf der Ebene der Formalstruktur. Es folgt ein Unterkapitel zu Theorien zur Organisationskultur. Eingegangen wird auf drei Stränge. Nach einem Ansatz wird Organisationskultur als Steuerungsfaktor verstanden, als „managerial steuerbare Faktor für Change-Prozesse“ (S. 76) Der zweite Strang erfolgt aus einer interpretativen oder rekonstruktiven Perspektive. Eingegangen wird u.a. auf Arbeiten von Edgar H. Schein der ein Stufenmodell entwickelte. „Prozesse des Lernens in und der Entwicklung von Organisationen“ (S. 79) werden demnach von spezifischen kulturellen Eigenheiten der Organisation geprägt. Nach dem dritten Strang werden Organisationen als Kultur mit überwiegend ethnographischen Methoden analysiert. Hierzu gehören auch einige Arbeiten der Autoren. „Als Konstruktion der Wirklichkeit existieren Organisationen in Form eines kognitiv-symbolischen Bedeutungsgewebes, welches von den Mitgliedern immer wieder hergestellt wird“ (S. 80). Es folgt ein Abschnitt zu praxistheoretischen Ansätzen, die den praktischen Vollzug der Organisation und ihre praktische Eigendynamik fokussieren. Zur Veranschaulichung wird wieder ein Fallbeispiel skizziert. Dabei geht es um einen „therapeutischen“ Roboter, der ein lebendiges Robbenbaby simuliert und u.a. in Seniorenheimen, in der Palliativbetreuung von Krebspatienten und bei Kindern mit Autismus eingesetzt wird (S. 83). Der Rezensent hat hier aus professionsethischer Perspektive Bedenken, wenn dies ein Ersatz für therapeutische, pädagogische oder pflegerische Zuwendung in der Pflege geht [3]. Auf verschiedene Theorien sozialer Praktiken in Organisationen wird eingegangen. Es folgt dann ein Abschnitt zu praxistheoretischen Einsätzen in der Organisationspädagogik. Einige dieser Arbeiten werden skizziert, zum Beispiel die ethnomethodologische Studie von Diem et. al. (2013) zur Herstellung kultureller Differenz in Bildungsorganisationen.

Der Rezensent fragt sich nach der Praxisrelevanz und Forschungsrelevanz der dargestellten Ansätze und Theorien. In einigen dieser Ansätze werden bestimmte Aspekte besonders fokussiert, während andere eher unscharf bleiben. Zum Beispiel kann man Organisationen als Kultur analysieren, sie sind aber nicht nur Kultur. Viele Organisationen, zum Beispiel Jobcenter, werden auch stärker von außen gesteuert und kontrolliert und vom Führungspersonal ebenfalls geleitet. Praktiker müssen auf solche Vorgaben eingehen, was aber nicht bedeutet, dass sie sie eins zu eins umsetzen können bzw. müssen [4].

Es folgt das Kapitel 5 zum Feld der Organisationspädagogik. Begonnen wird mit theoretischen Perspektiven auf „organisationales Lernen“ wobei zunächst zwischen „Lernen in Organisationen“ und „Lernen von Organisationen“ unterschieden wird. Dann werden ausgewählte Theorien zu organisationalen Lernens skizziert und diskutiert. Es folgt dann ein Unterkapitel zur pädagogischen Sicht auf organisationales Lernen. Die Autoren unterscheiden die Dimensionen „Wissen-Lernen“, „Können-lernen“, „Leben-Lernen“ und „Lernen- Lernen“ Dies wird bezogen auf das Lernen in Organisationen und das Lernen von Organisationen. Anhand der Interpretation eines Fallbeispiels werden dann diese Aspekte veranschaulicht. Es handelt sich um das Arrangieren von Gruppenfotos in einer deutsch-tschechischen Organisation und die Ausstellung dieser Fotos im Büro der Organisation. Es folgt ein Kapitel zu Praxisstrategien und Praxismuster. Unter Praxisstrategien werden zweckrationaler intentionale Vollzüge verstanden. Überindividuelle Praxismuster dagegen sind selten explizit organisiert. Sie werden als „Routinen im kollaborativem Zusammenspiel menschlicher und nicht-menschlicher Akteure entwickelt und fortgesetzt“(S. 120) Beide Begriffe werden im Zusammenhang mit dem Begriff „Übersetzung“ diskutiert. Es folgt ein Abschnitt zur Organisationsentwicklung als organisationspädagogisches Arbeitsfeld. Begonnen wird der Darstellung zweier Fallbeispiele. Die zwei Organisationen sind ziemlich unterschiedlich. Im Fall 1 handelt es sich um ein am Gewinn orientiertes Unternehmen, das seine Interessen notfalls auch gegen die Interessen von Mitarbeitenden durchsetzt. Klient ist primär die Unternehmensführung. Im zweiten Fall geht es um den Aufbau eines Auslandsamtes an einer Hochschule. Auch hier werden unterschiedliche Interessen deutlich, aber die Klienten sind auch die Mitarbeitenden des Auslandsamtes, nicht primär die Hochschulleitung. Anschließend werden beide Beispiele unter organisationstheoretischen Aspekten und Organisationsentwicklungsaspekten kurz diskutiert. Es folgt ein Abschnitt zu Modellen der Organisationsentwicklung. Unterschieden werden top-down-angeordnete Organisationsveränderung“ (S. 131) und Modelle des organisationalen Lernens. Eingegangen wird auf das Drei-Phasen-Modell von Kurt Lewin und die Phasenmodelle von John Kotter und Otto Scharmer sowie auf soziologische und pädagogische Kritik an den Modellen. Ein wichtiger Kritikpunkt ist dabei die Ausblendung von Interessengegensätzen zwischen Organisation und Umwelt und innerhalb von Organisationen [5]. Die Autoren diskutieren die Frage, inwieweit „Agilisierung“ eine Antwort der Organisationsentwicklung auf die Bedingungen des 21. Jahrhunderts sein können. Die technischen und die sozialen Rahmenbedingungen hätten sich stark verändert. Angeführt wird die Digitalisierung, der demographische Wandel und „kulturelle Diversität“ als Veränderungen [6]. „Das Konzept der Agilität bzw. Agilisierung kann als aktuelle Antwort auf diese Beschleunigung des Ressourcen- bzw. Kontextwandel verstanden werden“ (S. 142). Kritisiert an diesem Konzept werden u.a. eine Ausblendung des Humanen und eine Unterschätzung langfristig stabiler Umweltbestandteile. Es folgt ein Abschnitt zur Personalentwicklung als organisationspädagogisches Arbeitsfeld. Unterschieden wird zwischen einem Verständnis von Personalentwicklung, das auch die Freisetzung unrentablen Personals mit umfasst und dem pädagogischen Blick auf Personalentwicklung. Bei letzteren gehe es stärker um die Förderung individuellen und kollektiven Lernens. Hingewiesen wird auf eine Spannung zwischen Erwachsenenbildung und pädagogischer Personalentwicklung in der Literatur. Die Autoren zitieren Seifert. Eine Herausforderung sei „das Spannungsverhältnis zwischen den individuellen Interessen der Mitarbeitenden und die Ausrichtung auf die Geschäftsziele der Unternehmen“ (S. 148) [7]. Eingegangen wird dann auf Phasen und Formen der Personalentwicklung. Begonnen wird mit einer „Personalentwicklungsbedarfsdiagnose“. Es folgen dann bildungsbezogene und stellenbezogene Maßnahmen, die verschieden kategorisiert werden (u.a. „into the job, „near the Job“ „off the job“)

In Kapitel 6 werden ausgewählte pädagogische Arbeitsfelder aus organisationspädagogischer Perspektive behandelt. Schwerpunkte sind das Lernen Erwachsener, die Rolle des Betriebes als Lernort und soziale Organisationen der Hilfe.

Soziale Organisationen mit der Aufgabe der Weiterbildung von Erwachsenen und Qualifikation bereits „Erstausgebildeter“ sind Arenen des Lernens (6.1.). Unterschieden werden habituelle Typen von Weiterbildungseinrichtungen. Eingegangen wird auf „Lernen im Lebenslauf“, zum Beispiel beim Wechsel von der Ausbildung in den Beruf oder von Weiterbildung zum Übergang vom Beruf zur Rente [8]. Organisationen könnten an der Bewältigung solche Übergänge mitwirken und durch diese Aufgaben mit konstituiert sein. Thematisiert eine Wechselwirkung von Organisationseinflüssen auf das Lernen und den Einfluss des Lernens auf die Organisation.

Das nächste Kapitel (6.2.) handelt von Betrieben als Lernwelten. Eingegangen wird auf die pädagogische Literatur zu diesem Bereich mit verschiedenen Schwerpunkten. Anschließend werden drei Dimensionen der Lernwelt Betrieb behandelt: Betrieb als Lernort, Betrieb als Sozialisationsinstanz und Betrieb als lernende Welt. Zur ersten Dimension (Lernwelt) gehören u.a. das Lernen am Arbeitsplatz und der Arbeitsplatz als Ort der Erprobung und Erfahrungsreflexion. Die zweite Dimension (Sozialisationsinstanz) wird unter anderem diskutiert „unter dem Stichwort der organisationalen und betrieblichen Sozialisation“ (S. 169). [9]Bei der dritten Dimension geht es um den Betrieb selbst als lernendes soziale Gebilde. 

Es folgt ein Beitrag von Andreas Schröer (6.3.) zu „Organisation des Sozialen – Organisation der Hilfe“. Organisation des Sozialen wird im weiteren Sinne als Organisation der Kommunikation und des Zusammenlebens verstanden. Das würde faktisch in vielen Kontexten stattfinden. Dagegen meint Organisation der Hilfe das Praxisfeld der Sozialen Arbeit bzw. Sozialpädagogik zur Organisation von Hilfen für Menschen mit Hilfe- und Unterstützungsbedarf. Sozialpädagogische Theoriebildung und Forschung habe sich lange Zeit wenig mit dem Thema Organisation befasst. Der Autor spricht von „Organisationsvergessenheit der Sozialpädagogik“. Die Bestimmung des Gegenstands der Sozialpädagogik als soziale Hilfe ist nach Ansicht des Rezensenten unvollständig. Der Autor erwähnt ja auch das „doppelte Mandat“ von Hilfe und Kontrolle. Dabei handelt es sich um eine Paradoxie beruflichen Handels in der Sozialpädagogik [10]. Einrichtungen der Sozialen Arbeit bzw. Sozialpädagogik wird als Dienstleistungsorganisationen zur Unterstützung der Lebensbewältigung von Klienten verstanden. Allerdings verbiete sich die Kundenlogik. Es gebe ein Dreiecksverhältnis von Kostenträger, Leistungserbringer und Klient. Der Rezensent hat einige Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieser Theorie der Dienstleistungsfunktion. Hingewiesen wird auf Arbeiten zum Sozialmanagement und die Bezugnahme von Organisationsentwicklung und Sozialmanagement wird diskutiert. Hierzu gehört auch die Personalentwicklung im Rahmen von Sozialmanagement und Organisationsentwicklung. Skizziert werden dann Spezifika, Funktionen und Besonderheiten von Organisationen der Hilfe anhand der Merkmale Mitgliedschaft, Hierarchie, Zweck, Technologie und Umweltbezüge. Zur Besonderheiten der Mitgliedschaft gehöre u.a., dass die Arbeit an der „ganzen Person“ ansetze (S. 185) [11]. Digitalisierung als Herausforderungen für Organisationen der Hilfe werden diskutiert. Diese könnten sich beziehen u.a. auf die Vorauswahl des Fachpersonals, auf die Fallbearbeitung und die Leistungsfähigkeit der Organisationen. Der Rezensent sieht hier neben Möglichkeiten auch erheblich Gefahren für die sozialpädagogische Arbeit. [12] 

In Kapitel 7 wird Organisationspädagogik vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationsprozesse behandelt. Es hat zwei Unterkapitel. Unterkapitel 7.1. bezieht sich auf den Prozess der Transnationalisierung, in Unterkapitel 7.2 geht es um Organisationen als Generatoren von Gleichheit und Ungleichheit.

Transnationalisierung im Sinne von Globalisierung sei, so die Autoren, zunächst von euphorischen Vorstellungen begleitet gewesen. Diese seien später massiv erschüttert worden. Hingewiesen wird auf Re-Nationalisierungen in verschiedenen Ländern. Die Entwicklung der transnationalen Organisationsforschung wird skizziert. Zunächst habe es sich primäre um Forschungen gehandelt zu Organisationen als global agierende Einheiten aus der Perspektive eines Managementmodells. Hinzu kamen später Forschungen zu transnationalen Praktiken und Organisationen als „transnationale soziale Räume“ (S. 195). Auch auf die „postkoloniale Management- und Organisationsforschung“ (S. 195) wird eingegangen. Von multinationalen Organisationen würden „postkoloniale Machtverhältnisse“ auch durch pädagogische Prozesse geschaffen und stabilisiert. Transnationale Organisationen träten als Arenen und Akteure der „Transnationalsierung von Wissen“ in Erscheinung. Organisationen werden als Arenen und Akteure „transnationaler Wissensproduktion“ skizziert. Dabei geht es einmal die programmatische Ebene, in der „Wissen auf spezifische Weise aufbereitet, dokumentiert, vermittelt und angeeignet“ (S. 198) wird, aber auch um Hinterbühnenwissen. Als Beispiel wird auf Zinnecker verwiesen, der von „heimlichen Lehrplan“ in Schulen spricht. Auf einen Workshop mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund in einer NS-Gedenkstätte wird als weiteres Beispiel eingegangen. In diesem Zusammenhang wird auch auf die AFD eingegangen. Hier „produziert die Organisation (hier AFD) Wissensbehauptungen und konstruiert damit ein nationalistisches Bewusstsein sowie den Anspruch auf die Richtigkeit dieses Bewusstseins“ (S. 200). Ein weiteres Beispiel ist deutsch-tschechische Begegnungsarbeit. Interessant ist, dass in den Selbstpräsentationen auch nationale Kategorisierungen wie (Pünktlichkeit= Deutsch) [13] aufgegriffen werden, um Grenzen und Nationalstaatlichkeit sichtbar zu machen.

In dem Unterkapitel zu Organisationen als Generatoren von Gleichheit und Ungleichheit (7.2.) wird mit dem Hinweis auf soziologische Theorien zur Ungleichheit (u.a. Marx, Weber, Bourdieu) begonnen. Im Unterschied zu diesen Ansätzen geht es den Autoren weniger um „Makrostrukturanalysen“ der Gesellschaft oder die „Mikroebene“ der Personen als um die „Mesoebene“ der Organisationen. Eingegangen wird auf drei Thesen: Organisationen als Generatoren von Gleichheit, als Generatoren von Ungleichheit und Angewiesen sein auf Ungleichheit im Sinne von Diversität. Zur Gleichheitsthese wird zunächst auf die „gesetzte Ordnung“ von Organisationen und bestimmte Regelungen eingegangen. Dann wird die Generierung von Gleichheit durch „Scientific Management“ nach Taylor, „Quality Management“ nach Demning „algorithmic management“ nach Lee skizziert. Hingewiesen wird auf Probleme der Anwendung des Qualitätsmanagements auf Bildungs- und Sozialeinrichtungen [14]. Anschließend geht es um Ungleichheit. Die Autoren stellen fest: „Organisationen sind eben nicht nur Regeneratoren von Ungleichheit der auf der Ebene der Gesellschaft zentralen Ungleichheiten, sondern (auch) Generatoren eigener Ungleichheiten“ (S. 212). Beispiele für gesellschaftliche Ungleichheit sind Ungleichheiten nach „class, gender und race“ [15] Zu den organisatorischen Kriterien gehören unter anderen unterschiedliche Vertragslaufzeiten, unterschiedlicher Zugang zu Informationen, Differenzierungen von planenden und ausführenden Tätigkeiten [16]. Häufig werden auch gesellschaftliche Kategorien von den Organisationen verwendet und überformt [17]. Es folgt ein Abschnitt zum organisationalem Lernen im Zeichen von Diversität. Ungleichheit im Sinne von Diversität genutzt werden, um sich als Organisation weiterzuentwickeln und gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Nach Gardenwartz und Rowe wird zwischen Persönlichkeit, Internale Dimension (u.a. race und gender), externale Dimension (u.a. Bildungshintergrund und Einkommen) und organisatorische Dimension (u.a. Abteilungen, Arbeitsfelder) unterschieden. Eingegangen wird unter anderem auf einen Diversity-Ansatz bei Ford mit Arbeiten von Kellner (Koordinatorin der Aus- und Weiterbildung) und eine Studie des Deutschen Jugendinstituts hierzu, in der höhere interkulturelle Kompetenzen Auszubildender, die ein entsprechendes Seminar besucht hatte, festgestellt wurden. Die Autoren weisen darauf hin, dass es sich um einen riskanten dialogischen Vorgang handele, der „gleichermaßen unterdrückende und existenzbedrohlich Potenziale freisetzt“ (S. 215) Auf eine Studie von Schönefeld und Wolff zu einer auch „domestizierende Wirkung“ von Diversity Management wird eingegangen.

Auf den letzten beiden Seiten des Buches erfolgt eine Art Abschlusskommentar, der sich nicht nur auf das Kapitel 7, sondern auf das gesamte Buch bezieht. Die Autoren hatten den „Anspruch, die Organisationspädagogik allgemeinpädagogisch zu begründen sowie mit Blick auf ihre gesellschaftliche und darüber hinaus Verantwortung zu reflektieren“ (S. 216). Im Band würde nur eine Auswahl organisationspädagogischer Arbeitsfelder behandelt, was mit dem „Format Einführung“ erklärt wird. Man riskiere damit aber auch Leerstellen und blinde Flecke und produziere neue Fragestellungen.

Diskussion

Das Buch gibt einen guten Einblick in für die Organisationspädagogik relevante Theorien, Methoden und Fragestellung sowie wichtigen organisationspädagogischen Arbeiten.

Es ist eine Einführung, kein Handbuch. Die Leserinnen und Leser werden in Teildisziplin Organisationspädagogik eingeführt und sind damit aufgefordert je nach ihren wissenschaftlichen Interessen, Zielen und methodische Ausrichtung Literatur vertiefend zu rezipieren und weitere Fragestellungen zu formulieren.

Neben allgemeinen Theorien zu Organisationen, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung ist eine Differenzierung nach unterschiedlichen Organisationstypen und unterschiedlichen Organisationsstrukturen sinnvoll. Soziale Organisationen wie Jobcenter, Kinder- und Jugendhilfe mit Kinderschutz, Jugendwerkstätten, Hospizvereine, Gerichte und Jugendzentren unterscheiden sich zum Beispiel erheblich. Hier wären Analysen und Theorien mittlerer Reichweite notwendig.

Ein Thema, das vertieft werden könnte, ist Organisation und Interessen. Personen und Organisationen haben bestimmte, manchmal divergierende, Interessen an einzelnen Organisationen. Es gibt auch divergierende Interessen zwischen Organisationsmitgliedern und Gruppen von Mitgliedern sowie den Kunden, Klienten oder Patienten. Gleiches gilt für die Interessen der Politik. Ob zum Beispiel die Legislative und die Exekutive ernsthaft an einer nachhaltigen Integration der Mehrheit der Langzeitarbeitslosen interessiert sind, ist zweifelhaft. Dann würden deutlich mehr Mittel eingesetzt. Ein Beispiel hierfür ist die Konstruktion von Maßnahmekarrieren als Warteschleifen für Langzeitarbeitslose. Unterschiedliche Interessen und Ziele können sich auf die pädagogische Fallarbeit auswirken. Die Mitarbeitenden der Arbeitsämter wissen häufig, dass solche „Maßnahmen“ in bestimmten Fällen nicht zielführend sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jobcentern sind nach dem SGB II verpflichtet, Klienten, die Pflichten verletzt haben, zu sanktionieren. Das kann aber in manchen Fällen für die sozialpädagogische Fallarbeit geradezu kontraproduktiv sein. Es kann dann ein Anliegen der Fallmanagerin sein, Sanktionen zu vermeiden (vgl. Karl u.a. 2011, auch in Böhringer u.a. 2012 S 154 – 184). Einige Organisationen, zum Beispiel Schulen, haben auch eine Selektionsaufgabe für die Gesellschaft [18].

 Ein weiteres Thema wäre die Beziehung zwischen Organisationen. Ein Beispiel aus einem Interview: Jugendamt, Jobcenter, Jugendwerkstatt und Schuldnerberatung arbeiten mit der gleichen Person, nämlich einer alleinerziehenden jungen Mutter, die arbeitslos und verschuldet ist. Die jeweiligen Ziele der Fallarbeit in diesen Organisationen können dann unterschiedlich sein. Daraus ergibt sich die Frage nach einer fallbezogenen Kooperation zwischen Organisationen und ihren Mitgliedern. Ein weiteres Beispiel ist die Beziehung zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie (vgl. Fegert, Schrapper 2004).

Fazit

Das Buch bietet eine gute Einführung in die Organisationspädagogik als Teildisziplin der Pädagogik.

Literatur

Böhringer, D.; Karl, U.; Müller, H.; Schröer, W.; Wolff, St. (2012): Den Fall bearbeitbar halten. Gespräche in Jobcentern mit jungen Menschen. Opladen, Berlin, Toronto

Borasio, G. D. (2014) selbst bestimmt sterben. Was es bedeutet, was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können, München, Verlag C.H. Beck.

Cicourel, Aaron V.; Mark (1978), in: Kohli, Martin (Hrsg.), Soziologie des Lebenslaufs, Darmstadt und Neuwied: Luchterhand,S. 291 – 310, Es handelt sich um einen Auszug aus dem Buch: Cicourel, Aaron V. (1978) The Social Organization of Juvenile Justice S. 186 -203

Fegert, Jörg M.; Schrapper, Christian (2004): Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe zwischen Kooperation und Konkurrenz. S. 5–25 in: Fegert, Jörg M.; Schrapper, Christian (Hg.): Handbuch Jugendhilfe – Jugendpsychiatrie. Interdisziplinäre Kooperation. Weinheim und München: Juventa.

Frerichs, Frerich (2007) Weiterbildung und Personalentwicklung 40plus: eine praxisorientierte Strukturanalyse, in: Länge, Theo W.; Menke, Barbara (Hrsg.) Generation 40plus. Demographischer Wandel und die Anforderungen an die Arbeitswelt, S. 67 -104

Gottschling, Sven (2016) Leben bis zuletzt, Frankfurt am Main: Fischer

Kade, S. (2000), Lernen im Alltag, in: Becker, S.; Velken, L.; Wallraven, K.D.; Handbuch Altenbildung, Opladen S. 234 -246

Kade, S. (2001) Selbstorganisiertes Alter – Lernen in reflexiven Milieus, Bielefeld

 Karl, Ute; Müller, Hermann Wolff, Stephan (2011): Gekonnte Strenge im Sozialstaat, Praktiken der (Nicht-)Sanktionierung in JobCenter-Gesprächen/U 25, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie, Heft 1/2011) S. 101.-128

Klehm, W.-R. (1996). ZWAR, Freizeitinitiativen zwischen Arbeit und Ruhestand. In: Cornelia Schweppe (Hrsg.), Soziale Altenarbeit, Pädagogische Ansätze und Gestaltung von Lebensentwürfen im Alter (S. 187–206). Weinheim: Juventa.

Luhmann, N. (2003) Soziologie des Risikos, Berlin: de Gruyter

Müller, Hermann (2016) Professionalisierung von Praxisfeldern der Sozialarbeit,Verlag Barbara Budrich in der Reihe Rekonstruktive Forschung zur Sozialen Arbeit Band 17, Opladen

Ohlerth, Eva und Wittig Frank (2019), Albtraum Pflegeheim. Eine Altenpflegerin gibt Einblick in skandalöse Zustände, München, Riva Verlag

Oevermann, U. (1996). Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionellen Handelns. In Combe, A. & Helsper, W. (Hrsg.). Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 70–182). Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.

Rieger, Armin (2017) Der Pflegeaufstand. Ein Heimleiter entlarvt unser krankes System, München, Ludwig Verlag.


[1] Bei dementen Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern besteht das Risiko, dass sie im verwirrten Zustand weglaufen, sich nicht mehr zu Recht finden und so sich selbst schädigen. Das Personal hat hier eine Aufsichtspflicht. Man kann versuchen, Risiken zu verringern, was aber auch wieder zu Kosten führt und Risiken hat (vgl. Luhmann 2003). Höhere Sicherheit kann zum Beispiel zu einer Einschränkung von Bewegungsfreiheit führen und so in Freiheitsrechte eingreifen.

[2] Dass die Veränderung von Strukturen auch zu einer wesentlichen Veränderung von Persönlichkeiten führen kann, wird in der systemischen Familientherapie deutlich. Das kann aber auch für eine Organisation, besonders für Schulen, gelten.

[3] Vor dem Hintergrund des Pflegenotstands (vgl. Rieger 2017, Ohlerth und Wittig 2019) besteht diese Gefahr. Die Palliativversorgung von Krebspationen in Hospizen ist hier erheblich besser (vgl. zum Beispiel Borasio 2014, Gottschling 2017). Aber auch hier wäre ein Roboter nur ein zusätzliches Spielzeug, kein Ersatz für menschliche Zuwendung am Lebensende. Allerdings kann es ganz unterschiedliche Praktiken beim Einsatz eines solchen Roboters geben, die untersucht werden müssten

[4] Ein Beispiel hierfür sind Vorgaben im SGB II für die Fallarbeit mit jungen Menschen in Jobentern (vgl. Böhringer u.a. 2012, S. 154 ff.)

[5] Unterscheiden müsste man hier auch unterschiedliche Typen von Organisationen. So haben Wirtschaftsunternehmen die Ziele der Gewinnmaximierung und Kostenverringerung. Diese sind aber nicht identisch mit den Zielen aller Mitarbeiter. Outsourcing kann zum Beispiel zu Arbeitsplatzverlusten führen.

[6] Nach Ansicht des Rezensenten beginnen diese Veränderungen bereits im 20. Jahrhundert. Große technische Veränderungen und Digitalisierung setzte in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ein, ebenso der demographische Wandel. Kulturelle Diversität begann verstärkt in den 60er Jahren.

[7] Weiterbildung kann hier – gewollt oder ungewollt – eine Selektionsfunktion haben, etwa wenn ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Auswahl benachteiligt sind oder seltener teilnehmen wollen (vgl. Frerichs 2007)

[8] Zum Lernen in der nachberuflichen Phase vgl. auch Klehm 1996, Kade, S. 2000 und 2001. Zu den Wechseln könnten auch Phasen im Familienzyklus wie Auszug aus dem Elternhaus (leeres Nest) oder Partnerverlust hinzurechnen.

[9] Sozialisation in diesem Sinne findet lebenslang und in verschiedenen Sozialzusammenhängen (zum Beispiel Ehe und Elternschaft, Nachbarschaft, Kneipe etc.) statt.

[10] Nicht in allen, aber in vielen Praxisfeldern hat die Sozialpädagogik 2 Mandanten, die nicht nur identischen Interessen haben. Das führt zu inneren Konflikten auch bei den Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zwischen den Interessen der Klientinnen und dem gesellschaftlichen Auftrag. Die Kontrolle geht es nicht nur um Evaluation des Hilfeprozesses, sondern um Kontrolle des Klienten. Zum Beispiel hat die Gesellschaft den Job-Centern das Ziel vorgegeben, junge Arbeitslose möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auch durch prekäre und schlecht bezahlte Beschäftigung. Das ist aber nicht unbedingt im Interesse der jungen Arbeitslosen, zum Beispiel weil die Integration nicht nachhaltig ist oder aus der Armut nicht befreit.

[11] Oevermann (1996, S. 119) würde von „Widersprüchlicher Einheit von Spezifität und Diffusität“ sprechen. Das gilt auch für den Helfer, da er sich mit dem Klienten als ganzer Person befassen muss, was auch intime Bereiche einschließt. Mehr rollenspezifisch ist zum Beispiel meist die Beziehung Käufer-Verkäufer.

[12] Zur Fallarbeit gehört die Fähigkeit, eine Klientin als ganze Person in Ihrer Familie und ihrem Umfeld zu verstehen und sich in sie einzufühlen, nicht nur anhand standardisierter Kategorien. Jeder Fall ist auch einzigartig. Digitalisierung erleichtert den Zugriff auf persönliche und sensible Daten der Klienten, die zur Konstruktion „administrativen Biographien“ (Cicourel 1978) verwendet werden können. Wer hat Zugriff auf diese Daten? Die Qualität der Fallarbeit ist letztlich nur am Einzelfall messbar, weil jeder Fall einzigartig und die Zukunft offen ist. Eine Scheidung kann zum Beispiel eine Familienstruktur verändern. Fallsupervision kann das berücksichtigen.

[13] Das impliziert, dass Nicht-Deutsche unpünktlich bzw. weniger oder seltener pünktlich sind. Differenz wir so „gemacht“.

[14] Ein Grund könnte sein, dass es um Klienten, Schüler oder Patienten als ganze Person geht. Solche Beziehungen sind nur begrenzt standardisierbar und daher schwer nach formalen Kriterien messbar. Was zum Beispiel für einen Patienten mit Schlaganfall eine richtige Therapie sein kann, ist für einen anderen Patient mit dieser Diagnose nicht indiziert oder gar kontra-indiziert. 

[15] Der Begriff Rasse ist als soziologische Kategorie ungenau. Häufiger geht es dabei weniger um die Zugehörigkeit zu einer „Menschenrasse“, sondern eher um Religionszugehörigkeit (zum Beispiel Islam) oder um Eigenschaften, die einer bestimmten ethnischen Gruppe zugeschrieben werden.

[16] Ungleichheiten dürften in den letzten 20 Jahren zugenommen haben. Neben Angehörigen der Stammbelegschaft gibt es Mitglieder aus Zeitarbeitsfirmen. Vor einigen Jahren blieben viele Menschen lange Praktikanten, bevor sie (vielleicht) übernommen wurden (Generation Praktikum). Auch Alter ist eine relevante Kategorie.

[17] Zum Beispiel vermutete Deutschunkenntnisse von Bewerbern mit Migrationshintergrund, Stationen und Lücken im Lebenslauf

[18] Was hier nicht moralisch bewertet werden soll.

Rezension von
Dr. Hermann Müller
Universität Hildesheim, Institut für Sozial- und Organisationspädagogik
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Es gibt 34 Rezensionen von Hermann Müller.

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Zitiervorschlag
Hermann Müller. Rezension vom 06.06.2023 zu: Michael Göhlich, Nicolas Engel: Organisationspädagogik. Eine Einführung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2022. ISBN 978-3-17-034725-0. Reihe: Grundrisse der Erziehungswissenschaft. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29688.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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