Sigrid Haunberger, Konstantin Kehl et al. (Hrsg.): Freiwilligenmanagement in Zivilgesellschaftlichen Organisationen
Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 07.12.2022

Sigrid Haunberger, Konstantin Kehl, Carmen Steiner (Hrsg.): Freiwilligenmanagement in Zivilgesellschaftlichen Organisationen. Anwerben, Begleiten und Anerkennen von freiwilligem Engagement im Alter.
Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen AG
(Zürich) 2022.
285 Seiten.
ISBN 978-3-03777-258-4.
D: 33,00 EUR,
A: 33,00 EUR,
CH: 38,00 sFr.
Reihe: Freiwilligkeit.
Thema
Das vorliegende Buch widmet sich dem Freiwilligenmanagement, also dem Anwerben, Begleiten und Anerkennen von freiwilligem Engagement, in zivilgesellschaftlichen Organisationen der Schweiz, wobei der besondere Fokus auf den Freiwilligen im höheren Erwachsenen- und gesunden Rentenalter liegt, die aufgrund ihrer Erfahrungen und verfügbaren Zeit eine zunehmend begehrte und umkämpfte Gruppe für die Freiwilligenarbeit sind.
Herausgeber- und Autor:innen
Neben den Herausgebenden, Prof. Dr. Sigrid Haunberger, Prof. Dr. Konstantin Kehl und MSc Carmen Steiner, die am Institut für Sozialmanagement, Departement Soziale Arbeit, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) unter anderem zu den Themen Zivilgesellschaft und Freiwilligenmanagement lehren und forschen, haben an der Veröffentlichung die folgenden zwölf Personen mitgewirkt: Barbara Baumeister, Nicole A. Baur, Prof. Dr. François Höpflinger, Prof. Dr. Sylvie Johner-Kobi, Hubert Kausch, Dr. Oto Potluka, Barbara Richinger, Dr. Manuela Schicka, Prof. Dr. Georg von Schnurbein, Ines Walter Grimm, Doris Widmer und Dunja Zazar, die allesamt in unterschiedlichen Bereichen mit der Freiwilligenarbeit in Theorie und Praxis zu tun haben.
Entstehungshintergrund
Die Studie entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Freiwilligenmanagement von und mit Seniorinnen und Senioren“ am Institut für Sozialmanagement, Departement Soziale Arbeit, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), das zwischen 2019 und 2021 vom ZHAW-Forschungsschwerpunkt „Gesellschaftliche Integration“ finanziert wurde. Dabei wurden Führungspersonen interviewt und mehr als 200 Organisationen mittels Online-Survey befragt, ebenso wie umfangreiche Sekundäranalysen unter anderem mit dem Freiwilligen-Monitor durchgeführt. Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse in der Reihe „Freiwilligkeit“, die im Seismo Verlag (Zürich und Genf) von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) herausgegeben wird und Fragen zur Freiwilligenarbeit und zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Schweiz thematisiert (https://sgg-ssup.ch/freiwilligenarbeit/​forschung-freiwilligenarbeit).
Aufbau
Nach einem Vorwort von Lukas Niederberger, dem Geschäftsführer der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, und einer Einleitung der Herausgebenden vereint der Sammelband elf Beiträge, die sich den folgenden drei Teilen zuordnen:
- Theoretische und empirische Grundlagen zu Alter(n) und Freiwilligkeit
- Ergebnisse aus dem Projekt „Freiwilligenmanagement von Seniorinnen und Senioren“
- Perspektiven auf das Freiwilligenmanagement von Seniorinnen und Senioren.
Um das vielschichtige Phänomen Freiwilligenmanagement und seine „blinden Flecken“ bestmöglich zu untersuchen, werden zunächst die Rahmenbedingungen und Strukturmerkmale der Freiwilligkeit ausgeleuchtet, bevor konkrete Strategien und Techniken des Anwerbens, Begleitens und Anerkennens von Freiwilligen seitens zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Mittelpunkt rücken. Dabei finden theoretisch-konzeptionelle und empirische, quantitative und qualitative Aspekte gleichermaßen Berücksichtigung.
Inhalt
Ausgehend von der grundlegenden These, dass formelle Freiwilligenarbeit von Älteren, also unbezahlte Arbeit, die außerhalb der Familie in Organisationen und Vereinsstrukturen stattfindet, „ein Schritt zu einer neuen ‚Vergesellschaftung’ des Alters sein könnte“ (S. 24), zeigen die hier vereinten Beiträge verschiedene Facetten von Freiwilligenarbeit und Freiwilligenmanagement auf.
Im ersten Teil werden theoretische und empirische Grundlagen skizziert. Gestützt auf die Datengrundlage des Schweizer Haushalts-Panels und des Freiwilligen-Monitors geht zunächst François Höpflinger der Frage nach, wie „Alter(n) und Freiwilligentätigkeiten“ zusammenhängen (S. 33–51). Wie er hierbei festhält, lassen sich zwischen einem freiwilligen Engagement, sozialer Integration und psychischem Wohlbefinden in der nachberuflichen Lebensphase positive Wechselwirkungen nachweisen. Allerdings gelte es dabei, den „biographischen Rucksack “ (S. 50) der älteren Freiwilligen zu berücksichtigen.
Manuela Schicka, die das „Potenzial der Nachbarschaftshilfe für das Freiwilligenmanagement“ thematisiert (S. 53–72), zeigt auf, dass in der Nachbarschaftshilfe großes Potenzial steckt und die ältere Bevölkerung in der Schweiz in dieser Hinsicht „bereits einen großen Beitrag“ (S. 70) leistet. Da die Nachbarschaftshilfe angesichts der demografischen Entwicklungen und der steigenden Mobilität von Familienmitgliedern in Zukunft an Bedeutung gewinne, sollte sie auch im Rahmen des Freiwilligenmanagements stärker betrachtet werden.
Oto Potluka, Sigrid Haunberger und Georg von Schnurbein stellen auf der Datengrundlage des Freiwilligen-Monitors in ihrem Beitrag „Soziale Ungleichheiten in der Freiwilligenarbeit“ (S. 73–98) fest, dass Freiwilligenarbeit „nicht frei von unerwünschten Nebenwirkungen ist und sozial ungleiche Verhältnisse reproduziert“ (S. 94), wobei das Alter aber keine Determinante für soziale Ungleichheit in der Freiwilligenarbeit sei. Von daher sollte verstärkt darauf geachtet werden, verstärkt Freiwillige aus unterrepräsentativen Bevölkerungsschichten zu rekrutieren.
Im zweiten Teil, der die Ergebnisse aus dem Projekt „Freiwilligenmanagement von Seniorinnen und Senioren“ näher vorstellt, betrachten zunächst Sigrid Haunberger und Nicole A. Baur auf der Datengrundlage des Freiwilligen-Monitors die „formelle Freiwilligentätigkeit von Personen im höheren Erwachsenenalter in der Schweiz“ (S. 101–125). Aufgrund ihrer Analyse – wer sind die Freiwilligen, warum, wo und in welchem Umfang engagieren sie sich und welche Maßnahmen zur Engagementförderung wünschen sie sich? – leiten sie im Hinblick auf das Freiwilligenmanagement Vorschläge ab, wie ein formelles Engagement – differenziert nach Altersgruppen – gefördert werden kann (S. 119–122).
Sodann stellen Carmen Steiner, Sigrid Haunberger und Konstantin Kehl ihre „Erkenntnisse einer Organisationsbefragung“ (S. 127–156) vor. Damit geben sie nicht nur Einblicke in den Ausprägungsgrad von Freiwilligenmanagement, sondern beschreiben auch, wie die über 200 (online) befragten Organisationen Freiwillige ansprechen, gewinnen, begleiten und anerkennen. In jedem Fall, so ihre Erkenntnis, sei „ein gut entwickeltes Freiwilligenmanagement“ (S. 154) für die entsprechenden Organisationen lohnenswert.
Konstantin Kehl fast schließlich den „Stand des Freiwilligenengagements in der Schweiz – aus der Perspektive von Expertinnen und Experten zivilgesellschaftlicher Organisationen“ (S. 157–176) zusammen. Entsprechende Interviews zeigten nicht nur eindrucksvoll die Bandbreite des Freiwilligenmanagements, so der Autor, sondern verdeutlichten auch, dass sich Organisationen im Hinblick auf die Gewinnung, Begleitung und Anerkennung von Freiwilligen verschiedener Ansätze und Instrumente bedienen. So seien beispielsweise von allen interviewten Personen „die persönliche Ansprache und kontinuierliche Beziehungsarbeit als hochrelevante Faktoren eines erfolgreichen Freiwilligenmanagements genannt“ worden (S. 175).
Im dritten Teil, dessen Beiträge Perspektiven auf das Freiwilligenmanagement von Seniorinnen und Senioren aufzeigen, gehen zunächst Ines Walter Grimm, Doris Widmer und Barbara Richinger der Frage nach, wie man die Generation der über 60-Jährigen für die Freiwilligenarbeit gewinnen kann (S. 179–199). Hierbei streichen sie sowohl die Bedeutung eines Freiwilligenmanagements heraus, das Freiwillige, die Gesellschaft und die Organisationen gleichermaßen berücksichtigt, als auch den notwendigen „Wandel bei den Altersbildern in der Gesellschaft – weg von defizitorientierten Altersbildern hin zur Förderung des enormen Potenzials dieser Altersgruppe“ (S. 197).
Während Hubert Kausch eine „Momentaufnahme aus dem Freiwilligenmanagement einer Freiwilligenorganisation“ (konkret dem Schweizerischen Roten Kreuz) präsentiert (S. 201–217), bei der er insbesondere die Veränderungen skizziert, die sich im Freiwilligenmanagement durch und mit der Digitalisierung für Organisationen im Hinblick auf ältere Freiwillige und Begünstigte ergeben, beschäftigen sich Barbara Baumeister und Sylvie Johner-Kobi mit der „Beteiligung älterer Menschen im Wohnquartier“ (S. 219–237), wobei sie insbesondere auf die Bedeutung der Partizipationsförderung als „wichtige Voraussetzung für freiwilliges Engagement“ (S. 233) hinweisen.
Unter der Überschrift „Freiwilliges Engagement im Pensionsalter“ (S. 239–260) stellt Dunja Zazar ihre Ergebnisse zu den Beweggründen und den Bedürfnissen formell freiwillig tätiger Seniorinnen und Senioren vor. Die Motivation, eine Freiwilligentätigkeit auszuüben, kann demnach „durchaus als eine Strategie zur Bewältigung des Alters betrachtet werden“ (S. 253). Im Freiwilligenmanagement sollten dementsprechend auch „geschlechtsspezifische Unterschiede“ einbezogen werden und die Belange unterschiedlicher Gruppierungen Berücksichtigung finden.
Abschließend fassen Konstantin Kehl, Sigrid Haunberger und Carmen Steiner ausgewählte Erkenntnisse des vorliegenden Buches zusammen und vergleichen diese kurz mit der Situation in Deutschland und Frankreich, bevor sie zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema – bewusst plakativ formuliert und von ihren professionellen Hintergründen und subjektiven Eindrücken geprägt – fünf Thesen zum derzeitigen Stand und der weiteren Entwicklung des Freiwilligenengagements in der Schweiz formulieren (S. 261–281).
Diskussion
Das Buch „Freiwilligenmanagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen“ vereint eine Reihe von Beiträgen, in denen unterschiedliche Expert:innen aus Wissenschaft und zivilgesellschaftlicher Praxis die unentgeltliche Freiwilligenarbeit und das Freiwilligenmanagement in der Schweiz beleuchten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Gewinnung, Begleitung und Anerkennung von Freiwilligen im höheren Erwachsenen- und gesunden Rentenalter sowie auf dem Engagement im formal organisierten Kontext. Wie die Herausgebenden in ihrer Einleitung betonen, wollen sie mit ihrer Arbeit nicht nur den Status quo des Freiwilligenmanagements in der Schweiz dokumentieren, sondern auch Impulse für dessen Weiterentwicklung sowie für neue Forschungsfragen in die Diskussion einbringen. Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung halten sie sodann wörtlich fest: „Es ist uns ein Anliegen, das Verständnis des Managements für die Koordinierung von Freiwilligen im höheren Lebensalter zu schärfen, aber auch Denkanstöße zu geben, wie die zivilgesellschaftliche Infrastruktur gestärkt und soziale Versorgungslandschaften in einer für alle Beteiligten gewinnbringenden Weise gestaltet werden können“ (S. 10).
Insgesamt betrachtet zeigen die Autor:innen, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Schweiz über ein gut ausgebautes Freiwilligenmanagement verfügen, wobei für sie die Freiwilligen – nicht zuletzt auch die älteren – eine wichtige Ressource sind. Während das Engagement älterer Personen von einer großen Heterogenität geprägt ist, wie die Studie gezeigt hat, gibt es „die Engagierten“ als Kategorie sui generis nicht. Wenngleich gewisse Muster hinsichtlich der Motive, Wünsche und Handlungsfelder der Engagierten zu erkennen seien, würden die konkreten Tätigkeiten und Einsatzgebiete von individuellen und organisationsspezifischen Faktoren abhängen, von den sie strukturierenden sozialen Beziehungen und Interaktionen sowie von gesellschaftlich geformten Voraussetzungen und Gelegenheitsbedingungen (Stichwort: soziale Ungleichheit). Dementsprechend hält die Studie unter anderem fest, dass heute bereits viele Organisationen in durchaus professioneller Weise aktiv Freiwilligenmanagement betreiben und dies als wichtige Ressource betrachtet wird, um die Interessen und Bedürfnisse der Engagierten mit jenen der Organisation und den jeweiligen Begünstigten bestmöglich zu vereinbaren.
Fazit
Das von Sigrid Haunberger, Konstantin Kehl und Carmen Steiner herausgegebene Buch „Freiwilligenmanagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen“ gehört in die Hände all derjenigen, die sich – sei es nun in der Praxis oder Wissenschaft – mit Fragen des Alter(n)s, der Zivilgesellschaft und der Sozialpolitik auseinandersetzen. Wenngleich der Fokus der Darstellung auf der Schweiz und im höheren Erwachsenen- und gesunden Rentenalter liegt, sei die Veröffentlichung auch allen in Deutschland zur Lektüre wärmstens empfohlen, die in irgendeiner Form mit Freiwilligendiensten zu tun haben beziehungsweise sich mit Fragen der Zivilgesellschaft beschäftigen.
Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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