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Peter Potthoff: Psychoanalytische Feldtheorien

Rezensiert von Prof. Dr. phil. Marianne Soff, 24.08.2023

Cover Peter Potthoff: Psychoanalytische Feldtheorien ISBN 978-3-8379-3183-9

Peter Potthoff: Psychoanalytische Feldtheorien. Auf dem Weg zu einem schulenübergreifenden Paradigma. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. 89 Seiten. ISBN 978-3-8379-3183-9. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse.

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Thema

Die seit mehr als hundert Jahren als Therapie und Theorie existierende Psychoanalyse hat im Laufe der Zeit viele Ausdifferenzierungen erfahren. Weiterentwicklungen des zunächst ganz auf die intrapsychischen Vorgänge im Patienten konzentrierten Modells ergaben sich insbesondere durch die zunehmende Beachtung der Intersubjektivität. Es blieb jedoch das Problem, die Vorgänge zwischen Analytiker und Analysand theoretisch korrekt zu fassen. Dazu gibt es vor allem seit den 1950er Jahren psychoanalytische Erklärungsansätze, die sich (mehr oder weniger explizit) auf das Konzept des psychologischen Feldes nach Kurt Lewin beziehen.

In diesem Buch werden einige der psychoanalytischen Feldtheorien vorgestellt, mit dem Ziel, eine Diskussionsgrundlage für ein „schulenübergreifendes Paradigma“ zu schaffen.

Autor

Dr. med. Peter Potthoff ist Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist als Lehranalytiker (DPV/IPV/DGPT) und Gruppenlehranalytiker (D3G) tätig. In seinen Veröffentlichungen beschäftigt er sich u.a. mit Relationaler Psychoanalyse, Objektbeziehungstheorie, Gruppenanalyse, dem Mentalisierungskonzept, Supervision und der Therapie bei sexuellem Missbrauch. (Klappentext)

Entstehungshintergrund

Der Band „Psychoanalytische Feldtheorien. Auf dem Weg zu einem schulenübergreifenden Paradigma“ von Peter Potthoff ist Teil der im Psychosozial-Verlag von Hans-Jürgen Wirth herausgegebenen Reihe BIBLIOTHEK DER PSYCHOANALYSE.

Das Anliegen des Buches von Potthoff ist, die wichtigsten psychoanalytischen Feldkonzepte darzustellen und den aktuellen Diskussionsstand wiederzugeben (vgl. S. 11), um auf dieser Basis schließlich Überlegungen für eine weitere Entwicklung des Feldgedankens anzustellen, die mit der Hoffnung verbunden sind, die Komplexität des Geschehens in psychotherapeutischen Situationen für die psychoanalytische Theoriebildung angemessen fassen zu können.

Aufbau

Das kurze Bändchen ist übersichtlich gegliedert: Nach der Einleitung mit dem Schwerpunkt auf der Frage „Warum Feldtheorie?“ (S. 7–16) folgt im ersten Hauptkapitel eine knappe Bezugnahme auf Kurt Lewin als Begründer der Feldtheorie in den Sozialwissenschaften (S. 17–21) und breiter die Darstellung des Feldmodells in der (psychoanalytischen) Gruppentheorie bei Wilfred R. Bion und Sigmund H. Foulkes (S. 21–33).

Das zweite Hauptkapitel zeichnet die Entwicklung der psychoanalytischen Feldtheorien in drei unterschiedlichen Weltregionen nach: Die Theorie des Ehepaars Madeleine und Willy Baranger, die wesentlich in Südamerika entstand und an Lewins Feld-Begriff angelehnt ist (S. 35–46); die „Postbionische Feldtheorie (BFT)“ der italienischen Autoren Ferro und Civitarese (S. 46–52); und das Nordamerikanische Feldmodell rund um Daniel Stern, in dem statt von „Feld“ von einer „Relationalen Matrix“ gesprochen wird (S. 52–64).

Im dritten Hauptkapitel geht es und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den dargestellten Feldmodelle (S. 65–76).

Und schließlich wird im Ausblick, dem vierten Hauptkapitel, die Frage gestellt „Eine Feldtheorie oder viele?“ (S. 77–82)

Inhalt

Der Band „Psychoanalytische Feldtheorien. Auf dem Weg zu einem schulenübergreifenden Paradigma“ von Peter Potthoff gehört zu der im Psychosozial-Verlag von Hans-Jürgen Wirth herausgegebenen Reihe BIBLIOTHEK DER PSYCHOANALYSE. Diese Reihe verfolgt das Anliegen, „ein Forum der Auseinandersetzung zu schaffen, das der Psychoanalyse als Grundlagenwissenschaft, als Human- und Kulturwissenschaft sowie als klinische Theorie und Praxis neue Impulse verleiht“ (S. 2). Im Einleitungstext (ebd.) wird die Wichtigkeit gerade der geisteswissenschaftlichen, kulturanalytischen und politischen Bezüge der Psychoanalyse betont, die oft vernachlässigt würden, zumal die Psychoanalyse sowohl zu benachbarten Psychotherapieverfahren, als auch zur biologisch-naturwissenschaftlichenPsychiatrie in Konkurrenz stehe, aber eben „das ambitionierteste unter den psychotherapeutischen Verfahren“ sei. Freilich sei es – hundert Jahre nach der Schöpfung der Psychoanalyse durch Sigmund Freud – erforderlich, sich der Überprüfung der Verfahrensweisen und Therapieerfolge durch die empirischen Wissenschaften zu stellen, aber auch, eigene Kriterien für die Erfolgskontrolle zu entwickeln und die Diskussion „über den besonderen wissenschaftstheoretischen Status der Psychoanalyse“ wieder aufzunehmen.

Zu dieser Diskussion um den wissenschaftstheoretischen Status passt nun auch das vorliegende Buch von Peter Potthoff. Der Autor gibt einen knappen Überblick über einige innerhalb der Psychoanalyse entwickelte feldtheoretische Ansätze und unternimmt erste Schritte zu einem „neuen psychoanalytischen Paradigma“, das zu einer angemessenen theoretischen Behandlung der Intersubjektivität zwischen Analytiker*in und Analysand*in führen soll. Die im Titel gewählte Bezeichnung des „schulenübergreifenden Paradigmas“ bezieht sich dabei auf die verschiedenen Denktraditionen, die sich innerhalb der Psychoanalyse entwickelt haben. Einleitend wird dazu auf die (u.a. aus der Gestalt-Psychologie hervorgegangene) Feldtheorie Kurt Lewins und auf die Grundannahmen der psychoanalytischen Gruppentheoretiker Bion und Foulkes Bezug genommen.

Die Darstellung der behandelten theoretischen Ansätze umfasst neben der Zusammenfassung der inhaltlichen Schwerpunkte auch eine wissenschaftshistorische Einordnung und teilweise Bezüge zur Lebens- und Wirkungsgeschichte ihrer Autoren.

Ein grundlegendes Feld-Verständnis nach Lewin, basierend vor allem auf der Arbeit „Definition des Feldes zu einer bestimmten Zeit“ (1943/1982), versucht Potthoff auf S. 17–20 zu vermitteln, wobei es allerdings zu Verkürzungen kommt. Das psychologische Feld, „durch multiple anziehende und abstoßende Kräfte bestimmt“ (S. 19), umfasst die Person und ihre (psychologische) Umwelt, die in dynamischer Wechselwirkung und permanenter Veränderung gedacht sind. „Lewin sah die Hauptaufgabe der Psychologie darin, die im Feld wirkenden Kräfte nach Stärke und Richtung zu bestimmen und dadurch den Hintergrund der beobachtbaren Phänomene wissenschaftlich zu fassen“ (ebd.). Erwähnt wird auch, dass Lewin in den 1930er und 40er Jahren Gruppenprozesse zum Forschungsgegenstand machte, die sich „gut mit der Feldtheorie verstehen ließen“ (S. 20), zumal Gruppen als „dynamische Ganzheiten“ charakterisierbar sind, in denen Veränderungen im Zustand eines Teils zu Veränderungen des Zustands jedes anderen Teiles führen.

Die Gruppentheorien von Wilfried R. Bion und Sigmund H. Foulkes nehmen mehr Raum ein. Insbesondere Foulkes sprach in Anlehnung an Lewin und an Kurt Goldstein vom Netzwerk der Kommunikation in Gruppen zunächst als „Feld“, später habe er die Bezeichnung „Matrix“ gewählt (S. 30). „Die Gruppe zeigt charakteristische Feldphänomene, die man in den Feldern der Einzelanalyse so in der Regel nicht vorfindet. Es gibt gemeinsame Widerstände der Gruppe, gemeinsame unbewusste Phantasien und kollektive Übertragungsphänomene“ (S. 31). Im therapeutischen Verlauf entwickelt sich die Matrix dann „in Richtung auf einen freieren, offeneren Austausch der Mitglieder“ (S. 32).

Recht ausführlich wird im Kapitel Die Entwicklung der psychoanalytischen Feldtheoriender Ansatz von Madeleine und Willy Baranger vorgestellt, die sich in ihrer Arbeit „Die analytische Situation als dynamisches Feld“ (1961/62) ausdrücklich auf Lewins Feldkonzeption sowie u.a. auf den französischen Philosophen Merleau-Ponty beziehen. Als konstitutive Komponenten des Feldes betrachten sie seine räumliche, zeitliche und funktionale Struktur, innerhalb derer sich die psychoanalytische Situation in ihrer Mehrdeutigkeit unter Beteiligung des Analysanden und des Analytikers entfalten kann. „Das Feld wird im Wesentlichen durch eine unbewusste Phantasie strukturiert, die aber – anders als in der traditionellen psychoanalytischen Theoriebildung – nicht als alleinige Phantasie des Analysanden verstanden wird, sondern eine unbewusste Theorie über das analytische Paar darstellt, an deren Herstellung beide teilhaben.“ (S. 38f)

Wichtig ist dabei die dynamische Gesamtkonstellation des Feldes und dessen Beweglichkeit bzw. Unbeweglichkeit. „Der Fortschritt der Analyse manifestiert sich durch eine größere Beweglichkeit im Feld“ (S. 45)

In der Postbionischen Feldtheorie (BFT), die seit den 1990er Jahren hauptsächlich in Italien entwickelt wurde (S. 46f), wird die psychoanalytische Situation verstanden als „Raum des Traums, innerhalb dessen Phantasien über das analytische Paar gebildet und weiterentwickelt werden.“ (ebd.). Dabei wird Bions „Container-Contained-Modell“ der Erfahrungsverarbeitung zur Erklärung der analytischen Beziehung eingesetzt: „In der Regel fungiert der Analytiker überwiegend als aufnehmend-verdauender Container, der das für den Analysanden Unverdauliche (das Contained) aufnimmt, prozessiert und dann dem Analysanden in ‚verdaulicherer‘ Form zur Verfügung stellt. Grundsätzlich kann aber auch der Analysand zum Container des Analytikers werden (…). In der Regel finden sich Container-Contained-Relationen gleichzeitig auf vielen Ebenen “. (S. 49) „Wenn sich das Feld gut etabliert hat, findet dieses Weiterspinnen von beiden Beteiligten statt – die Analyse wird ein großer, ständig expandierender Traum, an dem beide beteiligt sind (…)“ (S. 50)

Schließlich wird unter der Überschrift „Das Nordamerikanische Feldmodell“ (S. 52ff) die Aufspaltung der psychoanalytischen Bewegung in den USA in mindestens vier unterschiedliche Strömungen beschrieben, die alle in Abgrenzung zur klassischen Psychoanalyse nach Freud und der Ich-Psychologie Hartmanns entstanden sind, und die nach Potthoff alle eine „zumindest immanente Feldkonzeption“ verwenden (S. 52): die Interpersonale Psychoanalyse, die Relationale Psychoanalyse, die Intersubjektive Psychoanalyse und die Motivationale Systemtheorie. Letztere bezieht sich stark auf empirische Ergebnisse der Kleinkindforschung rund um Daniel Stern.

Potthoff fasst gemeinsame „Grundzüge der immanenten Feldtheorie“ aller vier nordamerikanischen Strömungen zusammen:

  1. eine Theorie der Motivation, die die Suche nach haltgebenden und befriedigenden Objekten in den Vordergrund stellt (S. 57f)
  2. die Therapie als Begegnung zweier Subjekte in einem strukturierten Feld (S. 59ff), hier werden auch ein paar kritische erkenntnistheoretische Überlegungen angestellt), und
  3. Therapie-Erfolg als Erweiterung der Beziehungsmöglichkeiten (S. 63f).

Im anschließenden Kapitel geht es nochmals um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der psychoanalytischen Feldmodelle (S. 65–76), diesmal unter Einschluss der Modelle von Baranger & Baranger und der Postbionischen Feldtheorie. Hervorgehoben wird, dass das traditionelle psychoanalytische Paradigma von Übertragung und Gegenübertragung in den Feldmodellen ergänzt wird durch „eine gewissermaßen dritte Dimension gegenseitiger rekursiver Beeinflussung und Durchdringung von Analytiker und Analysand“, wodurch eine „geteilte, ko-kreierte Struktur“ entstehe, die auf beide Beteiligte zurückwirke, ein „Dazwischen“ (S. 65), das „neben Phantasien und Abwehrmechanismen auch die materiellen Komponenten des Settings“ enthalte (S. 66). Das psychoanalytische Feld ist in „übergreifende“ (soziale, politische, historische) Felder eingebettet (besonders betont in der Relationalen Psychoanalyse) und bezieht systemtheoretische Überlegungen ein.

Unterschiede zwischen den dargestellten Ansätzen sieht Potthoff bezüglich der Nähe und Anschlussfähigkeit zur traditionellen Theoriebildung (S. 67f) und hinsichtlich der Modelle des psychoanalytischen Prozesses (S. 69ff), auch hinsichtlich der Position des Analytikers (S. 72ff) und der Schwerpunkte der Behandlungsziele (S. 76), die außer der impliziten Beibehaltung der traditionellen Freudschen Behandlungsziele (Arbeits- und Liebesfähigkeit) in den einzelnen Richtungen unterschiedlich akzentuiert werden.

Im Schlusskapitel, Ausblick: Eine Feldtheorie oder viele?, hebt Potthoff das Potenzial feldtheoretischer Ansätze hervor, „zumal das Feldmodell alle Ingredienzien eines für die Psychoanalyse revolutionären Paradigmas im Kuhnschen Sinne besitzt: Es erweitert und präzisiert den neuen Ansatz der Intersubjektivität(…)“ (S. 78).

Und weiter: „Das bisher zweidimensionale System der Intersubjektivität, gebildet durch die innige Verschränkung von Übertragung und Gegenübertragung, wird durch eine dritte Dimension wesentlich erweitert: Beide Beteiligten der psychoanalytischen Situation generieren ein Feld, das sich neben der Wechselseitigkeit vor allem durch nicht-lineare Kausalität auszeichnet. Die neue Struktur lässt bestimmte Erscheinungen im Feld nicht einseitig bestimmten Akteuren eindeutig zuordnen. Das Feld hat darüber hinaus unerwartete und unvorhersehbare Eigenschaften, die als emergente, bei beiden Beteiligten separat und vorgängig nicht vorhandene Eigenschaften verstanden werden können. Es entsteht also eine neue geteilte, und ko-kreierte Struktur, die Eigenschaften aufweist, die durch das alte Modell von Übertragung und Gegenübertragung nur teilweise erklärt werden können. Bei aller Gefahr der Reifizierung kann man von einer Struktur sprechen, die mit dem analytischen Prozess wächst und ihre eigenen Schicksale erleidet.“ (ebd.)

Einige weitere Aspekte der Feldkonzeptionen

  • die Konzeptionalisierung der „expansiven Eigenschaft“ des Feldes, die Erweiterung und Vertiefung der Verarbeitungs- und Erlebnismöglichkeiten für beide prozessbeteiligte Personen im gelingenden Fall,
  • die Differenzierung unterschiedlicher Feld-„Zonen“ in solche der Stagnation und solche des Wachstums und der Entwicklung, die dennoch untereinander feldförmig verbunden sind,
  • die Einbettung des analytischen Feldes in andere Felder, die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wie sie von den Sozialwissenschaften betont wird, und die
  • Prozessorientierung der Feldkonzeptionen

sind nach Potthoff geeignet, den Austausch ganz unterschiedlicher psychoanalytischer Schulrichtungen und der Gruppenanalyse untereinander in einer „gemeinsamen Beobachtungsplattform“ zu erleichtern. „Alle beobachteten Phänomene und einen Teil der Theoriekonstrukte kann man implizit sicher auch in gewissem Umfang in der traditionellen Psychoanalyse finden. Der Vorteil der Feldtheorien liegt darin, dass sie diese Größen genauer erfassen, systematisieren und ihnen einen angemessenen Platz zuweisen, was enorme theoretische, vor allem aber behandlungspraktische Folgen hat. So erweitern die Feldtheorien insgesamt unsere Verständnis- und Interventionsmöglichkeiten, auch wenn sich unter ihnen bisher nur gewisse Konvergenzen nachweisen lassen, bisher keine übergreifende Feldtheorie entworfen werden konnte.“ (S. 82)

Diskussion

Der Autor legt einen knappen, aber sehr informationsdichten Text vor. Er gibt darin einen kenntnisreichen Einblick in psychoanalytisch-feldtheoretische Modelle und lässt die (hinreichend vor-gebildeten) Leser*innen teilhaben an ihrer Entwicklung, ihren theoretischen und behandlungsorientierten Schwerpunkten. Auch Zusammenhänge und Abgrenzungen zwischen verschiedenen Arbeitsgruppen und psychoanalytischen „Schulen“ werden verdeutlicht, insofern leistet der schmale Band auch einen Beitrag zur wissenschaftshistorischen und systematischen Einordnung der verschiedenen Strömungen. Mit der (über die Kapitel hin zunehmenden) Ausarbeitung der Besonderheiten und schließlich der Vorzüge einer feldtheoretischen Betrachtungsweise wird er durchaus dem Anliegen der BIBLIOTHEK DER PSYCHOANALYSE gerecht (vgl. oben, Inhalt).

Die vorangestellte Zusammenfassung einiger Aspekte der Feldtheorie Kurt Lewins weist allerdings Verkürzungen und Schwächen auf, die dem Ansatz Lewins und insbesondere seiner Fruchtbarkeit für eine gelingende psychotherapeutische Arbeit nicht gerecht werden (vgl. hierzu besonders Stemberger, 2023).

Auch muss – vor dem Hintergrund der erkenntnistheoretischen Position des Kritischen Realismus, wie er in der Gestalttheorie vertreten wird (vgl. Bischof (1966), Metzger (1969/1986), Tholey (1980/2018)) und zum Beispiel in der Gestalttheoretischen Psychotherapie zur Anwendung kommt (vgl. Soff (2018), Sternek (2018) und Stemberger (2023)) – auf ein zentrales Problem der referierten feldtheoretischen Ansätze hingewiesen werden, das Potthoff in seinem Abschlusskapitel mit dem Begriff der „Gefahr der Reifizierung“ (S. 78) zwar streift, aber nicht löst:

Wo befindet sich „das psychoanalytische Feld“? Tatsächlich als „ein Drittes“ neben und „zwischen“ dem (Bewusstseins-)„Feld“ des Analytikers und dem des Patienten, oder gar zwischen beiden beteiligten Personen? Hier werden, im Versuch, sich die Wechselseitigkeit des Geschehens zwischen den Beteiligten zu erklären, grundlegende Kategorien vermischt, solange nicht klargestellt wird, dass dieses erlebte „gemeinsame Feld zwischen Analytiker und Analysand“, das „Dazwischen“, eben keine physikalische Gegebenheit ist, sondern als „gemeinsames Feld“ in den je individuellen Varianten ausschließlich im jeweiligen psychologischen Feld beider Beteiligter existiert. Lewins Konzeption des Feldes, auf das Potthoff sich ja bezieht, war ein rein psychologischer Ansatz zum Verständnis der Grundlagen von Erleben, Verhalten und Entwicklung. „Feldkräfte“ erlebter Anziehung und Abstoßung und erlebter Gemeinsamkeit sowie der dynamischen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Phänomenen sind psychische Gegebenheiten, für die es in der physischen Welt keine direkte Entsprechung gibt (vgl. Metzger, 1965+1969/1986). Stattdessen ist in der physischen Grundlage der psychoanalytischen Situation mit kybernetischen Steuerungswirkungen anstelle von Feld-Wirkungen zu rechnen. Erst über die jeweilige psychische Verarbeitung in den (voneinander verschiedenen und eben nicht „gemeinsamen“!) psychologischen Feldern der beiden Beteiligten kann dies etwa zur Entwicklung der „expansiven Feld-Eigenschaften“ führen, zur (als befreiend erlebten) Erweiterung und Ausdifferenzierung (Therapieerfolg als Erweiterung der Beziehungsmöglichkeiten). Welche Vorteile eine solche kritisch-realistische Interpretation des Feldmodells nach Lewin für ein angemessenes und reflektiertes Verständnis psychotherapeutischer Situationen hat, wurde kürzlich von Stemberger (2023) nochmals systematisch ausgearbeitet.

Es wäre zu wünschen, dass gerade in der Diskussion um die Vorzüge einer feldtheoretischen Betrachtungsweise auch in der psychoanalytischen Theoriebildung dieser differenzierende Ansatz angemessene Berücksichtigung findet.

Fazit

Es handelt sich bei Potthoffs Schrift „Psychoanalytische Feldtheorien. Auf dem Weg zu einem schulenübergreifenden Paradigma“ um ein lesenswertes Buch für psychoanalytisch hinreichend vorgebildete Leser*innen, die sich über den klassischen Ansatz von „Übertragung und Gegenübertragung“ hinaus einen knapp gehaltenen Überblick über die Ansätze zum Verständnis der interpersonalen und intersubjektiven Aspekte in der Psychoanalyse verschaffen wollen. Ein geklärtes und vertieftes Feld-Verständnis im Sinn Lewins hätte dem Anliegen, eine „übergreifende Feldtheorie“ als Meta-Theorie (vgl. Bogner, 2017) für die verschiedenen psychoanalytischen Ansätze zu entwickeln, gutgetan. Zur kritischen Reflexion und zur theoretischen Anreicherung des (eigenen) therapeutischen und psychoanalytischen Handelns lädt der Band jedenfalls ein.

Literatur

Bischof, N. (1966). Erkenntnistheoretische Grundlagenprobleme der Wahrnehmungspsychologie. In W. Metzger & H. Erke (Hrsg.), Handbuch der Psychologie, Bd. 1/I: Wahrnehmung und Bewusstsein (S. 21–78). Göttingen: Hogrefe, Verlag für Psychologie.

Bogner, D.P. (2017). Die Feldtheorie Kurt Lewins. Eine vergessene Meta-Theorie für die Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.

Lewin, K. (1943/1982). Definition des „Feldes zu einer bestimmten Zeit“. In C.-F. Graumann (Hrsg.), Kurt-Lewin-Werkausgabe, Bd. 4, Feldtheorie (S. 133–154). Bern, Stuttgart: Hans Huber, Klett-Cotta.

Metzger, W. (1965/1986). Über Notwendigkeit und Möglichkeit kybernetischer Vorstellungen in der Theorie des Verhaltens. In M. Stadler & H. Crabus (Hrsg.), Wolfgang Metzger. Gestalt-Psychologie. Ausgewählte Werke aus den Jahren 1950–1982 (S. 264–268). Frankfurt a.M.: Kramer.

Metzger, W. (1969/1986). Die Wahrnehmungswelt als zentrales Steuerungsorgan. In M. Stadler & H. Crabus (Hrsg.), Wolfgang Metzger. Gestalt-Psychologie. Ausgewählte Werke aus den Jahren 1950–1982 (S. 269–279). Frankfurt a.M.: Kramer.

Soff, M. (2018). Gestalttheorie und Feldtheorie. In M. Hochgerner et.al. (Hrsg.). Gestalttherapie. Zweite, überarbeitete und aktualisierte Auflage. (S. 13–43). Wien: Facultas.

Stemberger, G. (2023). Lewins Feldkonzept in der Psychotherapie heute. In D. P. Bogner et.al. (Hrsg.). Kurt Lewin reloaded – Band II. Feldtheoretische Modelle und Konzepte für interdisziplinäre Forschung und Praxis. (S. 162–178). Wiesbaden: Springer

Sternek, K. (2018). Vom Nutzen erkenntnistheoretischer Modell für PsychotherapeutInnen. Phänomenal, 10(1), 15–24.

Tholey, P. (1980/2018). Erkenntnistheoretische und systemtheoretische Grundlagen der Sensumotorik aus gestalttheoretischer Sicht. In G. Stemberger (Hrsg.). Gestalttheorie von Sport, Klartraum und Bewusstsein. Ausgewählte Arbeiten. (S. 3–34). Wien: Krammer.

Rezension von
Prof. Dr. phil. Marianne Soff
Dipl. Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin,(Tiefenpsychologie; Gestalttheoretische Psychotherapie) und Supervisorin; langjährig in der Hochschullehre an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe tätig; Habilitation über Gestalttheorie und Feldtheorie als klassische psychologische Fundamente pädagogischer Praxis; Vorsitzende der Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen e.V.(GTA)
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Zitiervorschlag
Marianne Soff. Rezension vom 24.08.2023 zu: Peter Potthoff: Psychoanalytische Feldtheorien. Auf dem Weg zu einem schulenübergreifenden Paradigma. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. ISBN 978-3-8379-3183-9. Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29728.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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