Klaus Antons: Supervision mit größeren Gruppen und Teams
Rezensiert von Prof. (i.R.) Dr. Hans-Jürgen Balz, 25.01.2023

Klaus Antons: Supervision mit größeren Gruppen und Teams.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2022.
159 Seiten.
ISBN 978-3-8497-0446-9.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR.
Reihe: Beratung, Coaching, Supervision.
Thema
Gruppen- und Teamsupervision setzen im Unterschied zur Supervision und Beratung von Einzelpersonen Wissen über Gruppenkommunikation und -dynamik, methodische Kompetenzen zur Gestaltung von Gruppenprozessen und eine professionelle Grundhaltung (z.B. Allparteilichkeit) voraus. Darüber hinaus gilt es für die Teamsupervision arbeitspsychologisches und organisationssoziologisches Wissen einzubeziehen.
Die sozialpsychologische Gruppenforschung hat eine lange Tradition im 20. Jahrhundert und erlebte zwischen den 1950er und 1970er Jahren eine besondere Blüte. Die Gruppe (und der Gruppenführer bzw. die -führerin) hatten in der Referenz zur nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland u.a. Ende der 1930er Jahre Kurt Lewin angeregt über die Dynamik von Führungsstilen in ihrer Wirkung auf das Gruppengeschehen und das Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder zu forschen. Das sozialpsychologische und gruppendynamische Wissen ist aber heute nur in Ausschnitten in der supervisorischen Literatur präsent.
Ein besonderer Aspekt für die Planung und Durchführung von Supervisionen ist die Gruppengröße. Wie groß sollte eine Gruppe höchstens und wie groß mindestens sein, damit die Teilnehmer*innen von den Gruppenprozessen profitieren?
Von dieser Frage ausgehend entstand bei Klaus Antons die Idee zu seinem Buch. Daneben geht es ihm um Fragen der zeitlichen und räumlichen Gestaltung und der Struktur in der supervisorischen Gruppenarbeit, speziell in größeren Kleingruppen (zwischen 10 – 20 Personen).
Unter der Mitarbeit von fünf Kolleg*innen arbeitet er die psychoanalytische und feldtheoretisch fundierte Literatur zur Großgruppenforschung auf, um die Erkenntnisse für die supervisorische Arbeit mit größeren Gruppen zu nutzen. Es gilt ihm den im Mainstream gebräuchlichen Anhaltswert – Supervisionsgruppen seien bei 5 – 10 Personen am besten arbeitsfähig – auf seine Gültigkeit zu prüfen und zu einer differenzierteren Analyse von Einflussfaktoren auf das Gruppengeschehen einzuladen.
Entstehungshintergrund
Die Publikation von Klaus Antons (unter der Mitarbeit von Almut Aeppli, Patricia Kramer, Sabine Kvapil, Dagmar Lampart und Margot Ruprecht insbesondere im Kontext der Fallschilderungen und Praxisreflexion) erscheint in der Reihe “Beratung, Coaching, Supervision” unter der Herausgeberschaft von Dirk Rohr im Carl Auer Verlag. Die Reihe richtet sich auf das weite Feld des Counselling und integriert Beiträge aus verschiedenen Schulen bzw. Beratungsansätzen (systemisch, psychoanaltisch, humanistisch u.a.). Es gilt praxistauglich Themen zu behandeln, die Berater*innen, Coaches und Supervisor*innen zur Selbstreflexion und zum Weiterlernen anregen.
Klaus Antons ist promovierter und habilitierter Diplom Psychologe, freiberuflicher Trainer für Gruppendynamik mit den Arbeitsschwerpunkten Supervision, Coaching, Persönlichkeitsentwicklung, Organisations- und Konfliktberatung und Psychotherapie. Von ihm liegen zahlreiche Publikationen u.a. zur Gruppendynamik, Praxis der Gruppenfort- und -weiterbildung und zur Feldtheorie vor.
Aufbau
Das vorliegende Buch gliedert sich in sechs Kapitel. Nach einer Einleitung zur Entstehungsgeschichte, zur Zielsetzung, den Adressat*innen und dem Aufbau des Buches behandelt das erste Kapitel die Psychoanalytische Großgruppenforschung. Es werden wesentliche Forschungskontexte (z.B. die Tavistock-Schule), Strömungen und wichtige Vertreter*innen mit ihren Beiträgen (Le Bon, Jones, Main, Bion, Island u.a.) vorgestellt.
Inhalt des Kapitel zwei sind die feldtheoretisch fundierten Großgruppentheorien. Hierzu stellt Klaus Antons nach den eher wissenschaftshistorischen Theorien des ersten Kapitels nun die in der heutigen Gruppenforschung häufig verwendeten Konzepte und Theorien vor. Geprägt sind diese Ansätze durch eine größere Strukturierung und die optimistische Sicht auf die in der Selbstorganisation von Großgruppen liegende Kreativität und Energie. Diese Ansätze zielen stärker auf die Gestaltung von Veränderungs- und Entwicklungsprozesse ab, wie sie in der Organisationsentwicklung angestrebt werden. Die seit Ende der 1960er Jahren gestärkte Ausrichtung schließt Fragen der Partizipation und Demokratisierung ein, vorgedacht insbesondere von Lewin und Moreno, die sich auch im Konzept der Themenzentrierten Interaktion von Cohn wiederfinden. Der Autor zeigt in diesem Kapitel noch ohne direkten Bezug zur Supervision die Themenfelder und Forschungslinien in der Großgruppenforschung auf, häufig gebündelt in Handbüchern und Sammelbänden (z.B. von Holman und Devane). Kritisch setzt sich Klaus Antons mit Ruth Seliger als eine Vertreterin des systemischen Ansatzes auseinander, da er hier die Bedeutung und den Einfluss der frühen Gruppenforschungsliteratur beispielsweise psychoanalytischer Prägung zu wenig berücksichtigt und gewertschätzt sieht.
Im dritten Kapitel (und den folgenden) wird thematisch die Supervisionsarbeit in den Blick genommen. Dabei beginnen die Autor*innen mit Grundlagen zum Supervisionsbegriff im Unterschied u.a. zu Beratung, Moderation und Training, der Differenzierung von Gruppe und Team und der Bedeutung des Raumes in der Gruppenarbeit. Ab diesem Kapitel werden die Ausführungen durch Praxisbeispiel und Fallberichte verschiedener Mitarbeiter*innen angereichert.
Das Kapitel vier führt hier thematisch weiter, indem es Anwendungsfragen zur Unterscheidung zwischen Fall- und Teamsupervision diskutiert. Dabei werden u.a. verdeckte Aufträge zur Teamentwicklung, Konsequenzen von prekären Arbeitsbedingungen und strukturelle Defizite in der Organisation thematisiert. Klaus Antons (und Mitarbeiter*innen) berichten aus ihrer Praxis der Auftragsklärung, der Gruppenprozesse, von Übertragungsphänomenen der Klient*innen auf die Helfer*innen und reflektieren die Rolle und Aufgabe eines/r Supervisor*in.
Die Methodik der Supervisionsarbeit in großen Kleingruppen nimmt das fünfte Kapitel in den Blick. Hier werden Methoden, konkrete Übungen und Supervisionssettings für den Beginn einer Supervision, die Übernahme eines Supervisionskontrakts (in einer bestehenden Gruppe), die verschiedenen Repräsentationsmethoden (z.B. Fish bowl, Expert*inneninterview), mögliche Varianten der Kleingruppenarbeit, des Rollentauschs, der Auswertung des Supervisionsprozesses u.a. vorgestellt und deren Herkunft (z.B. aus dem Psychodrama, der Psychoanalyse) aufgezeigt.
Das sechste Kapitel schließt das Buch mit der Überschrift „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“ ab. Hier finden sich Praxisreflexionen über die Zeit der Online-Arbeit in Zeiten der Pandemie. Dabei handelt es sich um erste Erfahrungen und Beobachtungen in den Jahren 2020 und 2021, bis zur Fertigstellung des Manuskripts. Insbesondere werden die Reduktion der Sinneseindrücke, der Gruppendynamik und der Interaktionsformen durch das Online-Format reflektiert. Vereinfachungen und Vorteile ließen sich hinsichtlich der Aufteilungsmodi (Kleingruppenbildung u.a.) ausmachen. Außerdem hebt Klaus Antons die Bedeutung der Perspektive des „Hier und Jetzt“ als Erfahrungsmodus der Teilnehmer*innen hervor und den Gewinn sich in der Gruppe darüber auszutauschen.
Abschließend gibt es ein Verzeichnis der Übungen und der verwendeten Literatur.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich an Supervisor*innen, Coaches und Organisationsberater*innen. Darüber hinaus beschreibt der Autor das Buch als hilfreich für Kolleg*innen, die mit „großen Kleingruppen“ (S. 12) beispielsweise in der Ausbildung von Sozial- und Pflegeberufen, der Erwachsenenbildung und im kirchlichen Kontext arbeiten.
Disskussion
Den Leser*innen liegt ein praxisfundiertes und vielfältige inhaltliche und konzeptionelle Verbindungen aufzeigendes Buch vor. Supervisor*innen können das Buch von Klaus Antons (unter der Mitarbeit von Almut Aeppli, Patricia Kramer, Sabine Kvapil, Dagmar Lampart und Margot Ruprecht) zu einer Zeitreise hin zu den Ursprüngen psychoanalytischer, feldtheoretischer und gruppendynamischer Gruppenforschung nutzen und kritische Kommentierung zu den prekären Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialsektor sowie der heute von systemischer dominierter Literatur erhalten. Gleichzeitig bietet der zweite Teil des Buches auf Basis der vielfältigen Praxiserfahrungen der Autor*innen zahlreiche Formate, Methoden und inhaltliche Anregungen zur supervisorischen Arbeit mit großen Kleingruppen angereichert mit ausführlichen Praxisbeispielen bzw. Fallschilderungen.
Fazit
Das Buch integriert psychoanalytisches, feldtheoretisches und gruppendynamisches Grundlagenwissen für die Arbeit mit Gruppen über einen historischen Zugang zum Thema mit der Praxisreflexion von methodischem und fallbezogenem Erfahrungswissen in der Arbeit mit großen Kleingruppen. Der Brückenschlag und die vielfältige Praxiszugänge von Klaus Antons und seinen Mitautorinnen zeichnet das lesenswerte Buch in besonderer Weise aus.
Rezension von
Prof. (i.R.) Dr. Hans-Jürgen Balz
von 2002 bis 2023 Dozent für Psychologie (Schwerpunkte Diagnostik und Beratung) an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Supervisor, Coach und Weiterbildner im Institut für Lösungsfokussierte Kommunikation (ILK-Bielefeld).
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