Udo Baer: Mit Kindern über Krieg reden
Rezensiert von Prof. Dr.med. Dipl.Psychol. Karla Misek-Schneider, 15.05.2023
Udo Baer: Mit Kindern über Krieg reden. Erste Hilfe für schwierige Gespräche. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2022. 140 Seiten. ISBN 978-3-608-98683-9. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Als am 24.Februar 2022 der russische Präsident W. Putin den militärischen Angriff auf die Ukraine startete, löste das Empörung, Fassungslosigkeit und eine tiefe Erschütterung in Deutschland und der westlichen Welt aus. Hatte doch der größte Teil der deutschen Erwachsenen nie direkt einen Krieg oder eine Bedrohung durch Waffen einer angreifenden Macht erlebt. Zwar ist die aktuelle Großelterngeneration – z.B. die der Rezensentin (geboren in den 50er Jahren) – noch mit Erzählungen über Bombenangriffe, Flucht, Vertreibung, Hunger und Leid durch ihre Mütter/Väter oder Großeltern vertraut, doch kennen die nachfolgenden Generationen – also die aktuelle Elterngeneration von Kindern unter 12 Jahren – Krieg, Leid und Kampf meist nur aus den Medien oder aus Computerspielen. Seit Februar 2022 ist das anders; Krieg und Bedrohung sind in Europa tagtägliches Hauptthema in den Medien und in vielen Gesprächen und somit unweigerlich auch in Familien präsent. Durch die vielen Flüchtlinge und geflüchteten Kinder aus der Ukraine hält das Kriegsleid Einzug in Kita und Schule. Aber wie redet man mit Kindern über solche Themen, wenn man als erwachsene Person selbst tief verunsichert ist und zudem noch die eigenen psychischen Reserven bereits durch die Corona Pandemie sehr strapaziert wurden? In dieser Situation kommt das vorliegende Buch wie gerufen und – soviel sei vorweggenommen – es liefert eine wirklich gute Hilfe und Unterstützung.
Autor
Dr. Udo Baer ist Diplom-Pädagoge und u.a. Mitbegründer der Zukunftswerkstatt „therapieaktiv“, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) und Experte für Traumatherapie sowie dem Einsatz von Tanz, Musik und Kunsttherapie. Zusammen mit seiner Frau (Dr. Gabriele Frick-Baer) hat er viele Fachbücher und Vorträge über traumatisierte Kinder und Jugendliche für pädagogisches Fachpersonal als auch für ein breites Publikum verfasst.
Aufbau
Das Buch richtet sich an alle Eltern und an Fach- und Lehrkräfte aus Schulen und Jugendarbeit. Dem Autor ist es besonders wichtig, dass Kinder und Jugendliche nicht mit den seelischen Folgen des Krieges alleine gelassen werden- Er formuliert 4 Eckpunkte seiner Ausführungen.
- Bei Gesprächen über Krieg und Leid sind immer sehr starke Gefühle beteiligt; deshalb werden im Buch besonders die Emotionen auch die der Erwachsenen angesprochen. Für den Autor ist das Reden über Krieg immer auch ein „Austausch der Herzen“
- Die Schwerpunkte und Wahrnehmung von Problemen bei diesem Gesprächsthema sind vielfältig und reichen von der Bedeutung eines Krieges für die Bevölkerung bis hin zur Flüchtlingswelle
- Viele der geflüchteten Kinder, sowohl aus der Flüchtlingswelle Welle 2015 als auch von 2022/23, sind traumatisiert und diese Traumatisierungen sollten zumindest vorsichtig angesprochen werden.
- Nicht nur die Gefühle und Erfahrungen von Kindern stehen im Zentrum eines solchen Gespräches, sondern immer auch die Emotionen von Eltern oder Fachkräften.
Das Buch ist eingeteilt in 15 Kapitel. Das Themenspektrum ist groß und reicht hierbei von:
- der Benennung und Umgang mit starken Gefühlen wie Zorn, Angst und Traurigkeit,
- der jeweiligen Kommunikationsform bei verschiedenen Altersklassen,
- der Wahl der Orte, die sich für solche Gespräche besonderes eignen,
- der Frage „was ist gut und was ist böse“,
- der Frage welche Funktion haben Kriegsspiele,
- dem Leid von traumatisierten Kindern bis hin zum Trösten als letzte Möglichkeit bei starkem Leid,
- dem Aushalten von Unfassbarem und dem Sinn von Hoffnung
- bis hin zu persönlichen Bewältigungsformen.
An vielen Stellen sind anschauliche Fallvignetten mit Beispielen aus dem pädagogischen Alltag eingearbeitet. Zudem endet jedes Kapitel mit Fragen zur Reflexion über die eigenen Erfahrungen des Lesers/der Leserin mit der Thematik bei sich persönlich oder in Schule, Beruf und Familie.
Im letzten Kapitel 15 werden zahlreiche Hinweise, spezifische Bücher zu Kriegserleben von Kindern und pädagogischen Materialen zum Themen Krieg und Frieden übersichtlich präsentiert. Weiterhin finden sich hier Links zu passenden Bastelanleitungen, Musikvorschlägen und zu Kindernachrichten in verschiedenen Sendern.
Inhalt
Der Autor spricht relevante Themen an, erläutert Zusammenhänge und gibt viele gute Tipps und praktische Ratschläge. Immer wieder lädt er zum Nachdenken über das eigene Erleben und Verhalten zu der Kriegsbedrohung ein. Mit vielen anschaulichen Beispielen und unkomplizierten Formulierungen gelingt es dem Autor alle Leser*innen mit unterschiedlichem Vorwissen mitzunehmen, substantiell zu informieren und sie anzuregen und mit konkreten Anleitungen zu ermutigen, sich auf Gespräche mit Kindern über Krieg einzulassen.
Diskussion
Das Buch ist entstanden auf dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und den dadurch ausgelösten starken Emotionen. Das Thema Krieg, Leid und Bedrohung ist durch die tägliche Berichterstattung über den Krieg für jeden präsent und so unweigerlich auch für unsere Kinder. Der langjährig erfahrene Trauma-Pädagoge und Fachbuchautor Dr. Udo Baer möchte mit seinem Buch Eltern und pädagogisches Fachpersonal ermutigen und anregen, das Thema in der Kommunikation mit Kindern nicht auszusparen, sondern anzusprechen. Dazu liefert er in seinem Buch konkrete Anleitungen, Tipps und praktische Anregungen, zu dem, was in solchen Gesprächen wichtig ist, wie es in verschiedenen Altersstufen angesprochen werden kann und welche Ziele solche Gespräche haben können. Hierbei spielen das An- und Aussprechen von Gefühlszuständen bei den Erwachsenen und bei den Kindern eine wichtige Rolle. Das Teilen von Emotionen schafft Gemeinschaft, spendet Trost und stärkt die Kinder wie die Erwachsenen mit dem Unfassbaren und der Bedrohung umzugehen. Neben anschaulichen Praxisbeispielen und der Vermittlung von Wissen und Methoden werden weitere Materialien, Bücher und andere kreative Tools zu der Thematik vorgestellt.
Die Stärke des Buches ist u.a. die Praxisnähe des Autors. Beeindruckend ist weiterhin dessen durch viel Respekt geprägte Sicht auf Kinder und Jugendliche sowie die Fähigkeit des Autors, der Leserschaft Zutrauen zu vermitteln, das Thema Krieg, Angst und Leid nicht aus pädagogischen Institutionen oder im Familienkreis auszusperren. Bei derartigen Gesprächen kann ein stärkendes Gemeinsamkeitsgefühl zwischen Erwachsenen und Kindern entstehen, was dabei hilft, Angst und Leid zu ertragen evtl. sogar zu mindern und zu akzeptieren, dass sich auf manche Fragen der Kinder keine Antworten finden lassen. Ein gutes Buch eines erfahrenen Fachmanns, das auch weiterführende Materialien, Links und Bücher zu der Thematik nennt.
Fazit
Dem Autor ist es gelungen, das schwierige Thema motivierend und sehr praxisnah darzubieten. Ein gutes und wichtiges Buch, dass sowohl für Eltern als auch für alle pädagogischen und psychologischen Fachleute, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, empfohlen werden kann.
Rezension von
Prof. Dr.med. Dipl.Psychol. Karla Misek-Schneider
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Es gibt 19 Rezensionen von Karla Misek-Schneider.
Zitiervorschlag
Karla Misek-Schneider. Rezension vom 15.05.2023 zu:
Udo Baer: Mit Kindern über Krieg reden. Erste Hilfe für schwierige Gespräche. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2022.
ISBN 978-3-608-98683-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29733.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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