Peter Schadt: Digitalisierung
Rezensiert von Joshua Graf, 13.10.2022
Peter Schadt: Digitalisierung.
PapyRossa Verlag
(Köln) 2022.
118 Seiten.
ISBN 978-3-89438-783-9.
D: 9,90 EUR,
A: 10,20 EUR.
Reihe: Basiswissen Politik / Geschichte / Ökonomie.
Thema
Peter Schadts Band befasst sich mit dem grundlegenden Verhältnis von kapitalistischen Akkumulationsbestrebungen und den zu diesen Zwecken vorgebrachten technischen Neuerungen. Er diskutiert, wie Innovationen schon in ihrer Genese in die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse eingebaut sind und welche Auswirkungen dies für die Charaktermasken (Karl Marx) „Kapital“ und „Arbeit“ mit sich bringt.
Autor
Peter Schadt ist Gewerkschaftssekretär beim DGB Nord-Württemberg. Zum Thema ist von ihm bereits seine Dissertationsschrift „Die Digitalisierung der deutschen Autoindustrie – Kooperation und Konkurrenz in einer Schlüsselbranche“ (2020) erschienen.
Entstehungshintergrund
Die Debatte um die „Industrie 4.0“ und ihre Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland erfreut sich weiterhin regem Interesse. Sowohl hochrangige Politiker*innen als auch diverse Soziolog*innen intervenierten bereits in die Debatte um die sozialen Implikationen der Digitalisierung. In diese Debatte bringt sich Peter Schadt ein, um die technischen Neuerungen konsequent eingebettet in die kapitalistischen Verhältnisse von Konkurrenz und Klassenantagonismus zu betrachten.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist unterteilt in fünf Überkapitel. Zu Beginn stellt Schadt in seiner Einführung den aktuellen Debattenstand rund um den Gegenstand der Digitalisierung dar. Eingeführt werden sowohl kontemporäre soziologische Überlegungen als auch politische Ausführungen über vermeintliche Chancen und Risiken der Digitalisierung. Schadt kritisiert die vorherrschende Denkweise von Chancen und Risiken, indem er auf den basalen Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit verweist und folglich konstatiert: „Das Risiko, morgen keinen Job mehr zu haben oder dequalifiziert zu werden, ist für die anderen die Chance sich mit ihrem digital erneuerten Unternehmen und gesteigerter Produktivität in der Konkurrenz durchzusetzen.“ (S. 11)
Im nächsten Kapitel „Wessen Digitalisierung zu wessen Nutzung?“ führt Schadt anhand verschiedener Komponenten aus, welche Veränderungen sich wandelnde technische Bedingungen für die verschiedenen polit-ökonomischen Akteur*innen haben. Er diskutiert neue Techniken wie beispielsweise RFID-Chips (S. 14), Cyber-physische Systeme (S. 15) und vieles mehr. Gleichwohl betont Schadt, dass die Digitalisierung kein eigenständiger handelnder Akteur ist, sondern von Unternehmen zum Erreichen ihrer Zielsetzungen vorangetrieben wird.
Anschließend diskutiert Schadt im nächsten Kapitel die Kalkulationen der diversen Staaten, insbesondere mit Schwerpunkt auf das deutsche staatliche Programm, hinsichtlich innenpolitischer sowie außenpolitischer Erwägungen. Der Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Friedrich Engels) ist qua politischer Programme damit befasst, die Digitalisierung als Mittel in der Konkurrenz gegenüber anderen Staaten zu gebrauchen (S. 53). Mit welchen Mitteln diese Ansprüche verfolgt werden, sowie welche Auswirkungen die Verfolgung dieser Zielsetzung für die Bürger*innen hat, ist dem dritten Kapitel zu entnehmen.
Folgend beschäftigt sich das vierte Kapitel mit den Konsequenzen der Digitalisierung für die Arbeitsplätze. Schadt verortet die digitale Technik im kapitalistischen Produktionsprozess als Mittel um das Verhältnis von bezahlter Arbeit zu unbezahlter Mehrarbeit zugunsten letzter zu verschieben (ebd., S. 90). Dabei geht diese Steigerung der relativen Mehrwertrate, für die Lohnabhängigen mit einer Verdichtung ihrer Arbeit einher (S. 94) und verkürzt gleichzeitig die Zeit des Tages, während der der*die Arbeiter*in für die Reproduktion der eigenen Ware Arbeitskraft arbeitet.
Abschließend befasst sich Schadt kritisch mit Vorstellungen über die Digitalisierung, welche er als „Ideologien“ (S. 97) zurückweist. So argumentiert er, dass die Vorstellung einer Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine einem ideologischen Fehlurteil zugrunde liege. Die diskutierte Dichotomie zwischen Mensch und Maschine suggeriert es sei der Technik eingeschrieben, beispielsweise Arbeit zu verdichten und Menschen überflüssig zu machen. Dem wird gegenübergestellt, dass aus der Technik selbst keine Notwendigkeit über ihre Verwendung auf eine bestimmte Art erwächst, sondern sich dies aus ihrer kapitalistischen Zwecksetzung ergebe (S. 98). Außerdem befasst sich das Kapitel auch noch mit Bitcoins, der Digitalisierung als Scheinsubjekt, sowie der Vorstellung, durch die Digitalisierung würde es bald keine Arbeit mehr geben.
Diskussion
Früher begehrten radikale Arbeiter*innengruppen (wie die Luddit*innen) auf und zerstörten Maschinen, welche sie als die Ursache ihrer Ausbeutung und miserablen Stellung ansahen. Dies stellte eine Form von falschem Bewusstsein dar, insofern, als dass die Arbeiter*innen mit den Maschinen auch den angehäuften materiellen Reichtum zerschlugen, welcher potenziell die Fähigkeit besaß, das Maß notwendiger Arbeit massiv zu minimieren. Das falsche Bewusstsein brachte die Arbeiter*innen dazu, gegenüber leblosen Maschinen gewalttätig zu werden, anstatt sich ihre Situation richtig zu erklären. Maschinen und digitale Technik zwingen niemandem zu etwas. Viel mehr werden sie eingesetzt und schon in ihrer Genese konzipiert als Mittel zum Zwecke der möglichst erfolgreichen Kapitalverwertung, zu Ungunsten des Proletariats.
Die Digitalisierung ist nicht abgetrennt von ihren Akteur*innen und den materiellen Interessen, welche sie in einer Klassengesellschaft besitzen, zu untersuchen. Sie kann nicht als selbstständiges handelndes Subjekt charakterisiert werden. Daher konstatiert Schadt richtig: „Die Digitalisierung selbst tut gar nichts.“ (S. 105) Folglich ergeben sich aus ihr auch keine unausweichlichen Sachzwänge, sondern die Digitalisierung wird von Unternehmer*innen für ihre polit-ökonomischen Interessen ins Werk gesetzt (S. 106).
Dem Autor ist es gelungen, darzustellen wie Digitalisierung und technischer Fortschritt in einer kapitalistischen Gesellschaft eingeführt und genutzt werden. Es ist Peter Schadts Verdienst bestehende Fehlurteile, die aus der Digitalisierung scheinbare Naturnotwendigkeiten ableiten, widerlegt zu haben. Stattdessen ist zu lernen, dass die Technik als Mittel zur Verfolgung ökonomischer Kalkulationen von Seiten des Kapitals aus genutzt wird, um Arbeitskraft, sprich variables Kapital, überflüssig zu machen und dem eigenen Profitstreben somit erfolgreich nachzugehen (S. 12).
Hätten die Luddit*innen Peter Schadt gelesen, hätten sie gewusst, dass die Ursache für ihre missliche Lage nicht in der Technik an sich, sondern in ihrer Stellung in Bezug auf die Produktionsmittel zu suchen wäre.
In diesem Sinne stellt Peter Schadts Einführungsband einen ersten Zugang zum Gegenstand dar, dessen Stärke darin liegt, die Digitalisierung von ihrer fetischisierten Form zu befreien und die vermeintlichen Naturnotwendigkeiten als Ideologie zu demaskieren. Technologie ist im kapitalistischen System eine Waffe von Seiten des Kapitals. Folgerichtig ist daher auch Schadts Schlussplädoyer zuzustimmen: „Wenn wir nicht als variables Kapital leben wollen, werden wir damit – über alle Tagesforderungen hinaus – schon selbst Schluss machen müssen.“ (S. 110).
Fazit
Wer wissen will mit was man es beim Gegenstand der Digitalisierung zu tun hat, ist mit der Lektüre dieses Werks gut beraten. Peter Schadt liefert eine griffige und dennoch in den entscheidenden Punkten treffsichere und komplexe Analyse der polit-ökonomischen Implikationen der Digitalisierung. Die Lektüre ist sowohl Anfänger*innen als auch fortgeschrittenen Leser*innen wärmstens zu empfehlen.
Rezension von
Joshua Graf
M.A. Soziale Arbeit
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Zitiervorschlag
Joshua Graf. Rezension vom 13.10.2022 zu:
Peter Schadt: Digitalisierung. PapyRossa Verlag
(Köln) 2022.
ISBN 978-3-89438-783-9.
Reihe: Basiswissen Politik / Geschichte / Ökonomie.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29734.php, Datum des Zugriffs 14.12.2024.
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