Sabine Wesener: Die Kita-Fachkraft
Rezensiert von Prof. Dr. Susann Kunze, 10.08.2023

Sabine Wesener: Die Kita-Fachkraft. Ein Ausflug in die Berufsgeschichte. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 207 Seiten. ISBN 978-3-7799-6786-6. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Diese Monografie zeichnet die vielfältigen Berufsgeschichten und Traditionen unterschiedlicher Ausbildungswege nach, welche in der KiTa zu finden sind. Dabei werden historische Entwicklungen, Brüche während der NS-Zeit sowie die Wiederaufnahme vorheriger Entwicklungen ausführlich behandelt. Ebenso werden die unterschiedlichen Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet und ausgewählte Herausforderungen im Kontext der Wiedervereinigung thematisiert.
AutorIn oder HerausgeberIn
Dr. Sabine Wesener ist geschäftsführende Gesellschafterin des Unternehmens Kultur gemeinnützige GmbH in Dresden. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaft und Sozialpädagogik promovierte sie am Institut für Soziologie der TU Dresden zum Beitrag von Kindertagesstätten zur kindlichen Chancengerechtigkeit unter Berücksichtigung verschiedener Berufsabschüsse des pädagogischen Fachpersonals.
Aufbau
In den ersten sieben Kapiteln werden einige zentrale historische Meilensteine unterschiedlicher Berufsgruppen im KiTa-Bereich nachgezeichnet und im achten Kapitel ein Blick in die Zukunft des Arbeitsfeldes gewagt. Die Monografie endet im neunten Kapitel mit einer Anekdote zu den Herausforderungen von Erzieher:innen. Die Kapitel lauten:
- Spezialisiert auf die Jüngsten: Krippenerzieherin
- Von Fröbel kreiert: Kindergärtnerin
- Zwischen Schule und Freizeit: Hortnerin
- Ein uralter Beruf: Erzieher_in
- Für Menschen mit Handicap: Heilerziehungspfleger_in und Heilpädagog_in
- Zwischen Hilfe und Kontrolle: Sozialarbeiter_in und Sozialpädagog_in
- Mit Wissenschaft im Gepäck: Kindheitspädagog_in
- Quo vadis? Ein Ausblick auf die nähere Zukunft
- Als der liebe Gott die Erzieherin schuf
Inhalt
Der Einstieg in das Buch führt in die Anfänge der Kleinstkindbetreuung ein, die durch die mangelnde Betreuung der Kleinsten während der elterlichen Feldarbeit und später während der Industrialisierung entstanden ist. Anschließend werden zentrale Persönlichkeiten vorgestellt, die maßgeblich zur Entstehung der Krippenerziehung beigetragen haben. Das nachfolgende Engagement der Sozialen Frauenschulen für verbindliche Standards in der Ausbildung von Krippenerzieherinnen fand ein jähes Ende durch den Nationalsozialismus. Die nachfolgend gering ausgeprägte Krippenbetreuung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgte anschließend unterschiedliche Entwicklungen in West- und Ostdeutschland. Die Hintergründe dieser Entwicklung werden ebenso nachgezeichnet, wie die Besonderheiten in Westberlin. Erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands erlangten Krippen in Gesamtdeutschland den Status einer Einrichtung mit offiziellem Bildungs- und Erziehungsauftrag, welcher durch die Reformen 2013 weiter voranschritt.
Im zweiten Kapitel wird der Beitrag von Friedrich Fröbel für die Entwicklung des Kindergartens und des Berufsbilds der Kindergärtnerin nachgezeichnet. Nachdem die Preußische Regierung die Kindergärten verbot, kämpfte Bertha Maria von Marenholtz-Bülow für die Wiederherstellung dieser Einrichtungen, und sie erhielt wertvolle Unterstützung aus dem Bürgertum. Dieser erfolgreiche Kampf führte schließlich im Jahr 1911 zur Etablierung erster verbindlicher Ausbildungsstandards für Kindergärtnerinnen durch das Preußische Kulturministerium. Trotz des Erfolgs blieb der Kindergarten von politischen Instrumentalisierungen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges nicht verschont, und dieser Trend verstärkte sich während der Zeit des Nationalsozialismus noch deutlich. Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde der Kindergarten wieder aufgebaut, die Ausbildung war noch unzureichend, die Reformbewegungen in den 1960ern und 1970ern förderten das Bild vom Kind als Akteur seiner Entwicklung. Im Laufe der Zeit hat die Bedeutung der Kindergärten als Bildungseinrichtungen zugenommen, und reformpädagogische Ansätze haben ihren Platz darin gefunden. Heutzutage stehen die Kindergärten jedoch vor neuen Herausforderungen, die eine fortwährende Weiterentwicklung notwendig machen.
Im dritten Kapitel wird einführend dargelegt, wie sich die ersten Industrieschulen und Horte entwickelten und welche Folgen die Industrialisierung auf gesetzliche Normen für die Arbeit von Minderjährigen nach sich zog. Der erste Hort für männliche Kinder aus proletarischen Familien wurde im Jahr 1872 eröffnet. Weitere Horteröffnungen folgten und im Jahr 1910 entstand die erste reguläre Hortnerinnen-Ausbildung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliefen die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich, mit einer höheren Betreuungsquote im ostdeutschen Gebiet, welche bis heute Bestand hat. Neben diesen Entwicklungslinien geht die Autorin auf die Herausforderungen der Zusammenarbeit zwischen Schule und Hort am Ende des Kapitels ein.
Die Entwicklung des Berufs „Erzieher:in“ wird im vierten Kapitel ein detaillierter Einblick gewährt. Dabei wird die lange Tradition dieses Berufsfeldes beleuchtet und auch die Bedeutung von Comenius, Rousseau und Pestalozzi für dessen Entstehung aufgezeigt. Es werden die ersten Kleinkindschulen und -anstalten betrachtet und die Ausbildung von Erzieher:innen in diesem Zusammenhang sowie die ersten Fortschritte in der frühkindlichen Bildung beschrieben. Des Weiteren werden die Entwicklungen im geteilten Deutschland separat betrachtet, um anschließend die Reformen in der Ausbildung nach der Wiedervereinigung Deutschlands zu reflektieren. Dabei werden auch neuere Entwicklungen berücksichtigt und verschiedene Herausforderungen sowie Ansprüche an den Beruf und dessen Bedeutung für die frühkindliche Bildung aufgezeigt.
Im fünften Kapitel werden die Wurzeln der Heilpädagogik im 18. Jahrhundert beleuchtet. Dabei wird die besondere Rolle der Kirche in der Arbeit mit Kindern mit Einschränkungen anhand unterschiedlicher Akteure genauer untersucht. Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Heilpädagogik und Heilerziehungspflege zu eigenständigen Disziplinen. Das sich entwickelnde Fürsorgesystem fand jedoch durch die von den Nationalsozialisten verfolgte Eugenik ein jähes Ende, mit der Diskriminierung und Ermordung Tausender Kinder mit Einschränkungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an den Entwicklungen davor wieder angeknüpft, und die ersten Fachschulen für Heilerziehungspflege entstanden. Die Ausbildung der Heilerziehungspfleger:innen variiert je nach Bundesland in den Inhalten und Anforderungen, wobei einige Unterschiede beispielhaft aufgeführt werden. Zusätzlich wird auf die Bedeutung der Heilpädagogik für die Inklusion in Kindertageseinrichtungen eingegangen und auf die zunehmende Akademisierung der Heilpädagogik hingewiesen.
Das sechste Kapitel widmet sich dem Berufszweig der Sozialarbeit/​Sozialpädagogik und bietet einen umfassenden Einblick in dessen lange Entwicklungsgeschichte und unterschiedliche Bezeichnungen. Es verdeutlicht, wie sich Haltungen in einer Gesellschaft und die Fürsorge miteinander verschränken. Zudem werden verschiedene Pionier:innen der Sozialen Arbeit des 19. Jahrhunderts und ihr Wirken beleuchtet, wobei die Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, sozialen Problemen, sozialem Engagement und der Entstehung von Fürsorgeverbänden hervorgehoben werden. Ebenfalls behandelt werden das im Jahr 1909 in Kraft tretende Gesetz über die Fürsorgeerziehung, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren sowie die Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die Soziale Arbeit. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird separat für die BRD und DDR dargelegt. Zudem finden die Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands und die Reform des Studiengangs Soziale Arbeit im Zuge der Bologna-Reform Berücksichtigung. Schließlich werden auch aktuelle Herausforderungen in der Sozialen Arbeit thematisiert.
Im siebten Kapitel wird die Kindheitspädagogik als jüngste Berufsgruppe in der KiTa beleuchtet. Der Startpunkt für die Entwicklung der Studiengänge wurde auf das Jahr 1994 gelegt – im Rahmen der Einrichtung der „Kommission für erziehungswissenschaftliche Strukturberatung“ durch die DGfE. Obwohl die Studiengänge nachfolgend eingerichtet und ausgebaut wurden und die Zahl der Studienabgänger:innen wuchs, werden immer noch die „klassischen“ Berufsabschlüsse im Bereich der KiTa bevorzugt. Infolgedessen zieht die Autorin den Schluss, dass die Erwartungen an den Studiengang Kindheitspädagogik bislang nicht erfüllt wurden.
Im vorletzten Kapitel erfolgt nach einer kurzen Zusammenfassung der bisherigen Entwicklungen ein Ausblick in die Zukunft. Dieser umfasst Themen wie den steigenden Fachkräftebedarf, die Bedeutung der KiTa für die Bildungs- und Chancengerechtigkeit von Kindern und die zukünftige Konkurrenz der Arbeitgeber um qualifizierte Fachkräfte. Kontroverse Diskussionen, wie etwa zur Fachassistenz-Ausbildung, werden ebenfalls reflektiert. Insgesamt zieht die Autorin ein positives Fazit für die Zukunft der Kinderbetreuung aufgrund des steigenden Fachkräftebedarfs. Dabei räumt sie ein, dass weitere Diskussionen und Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsqualität und der Arbeitsbedingungen dringend erforderlich sind, um eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung und Betreuung gewährleisten zu können.
Im letzten Kapitel folgt eine Anekdote, welche auf die Einzigartigkeit der pädagogischen Fachkraft eingeht.
Diskussion
Das Buch verfolgt die wesentlichen Entwicklungsstränge der Berufe in der KiTa und beleuchtet dabei die Beiträge zentraler Persönlichkeiten. Es zeigt auf, wie politische und gesellschaftliche Einflüsse die institutionellen Betreuungs- und Bildungseinrichtungen sowie pädagogische Ausbildungen beeinflusst haben. Dabei werden Fortschritte erläutert, die zeitweise wieder verloren gingen und später erneut aufgegriffen wurden. Dadurch werden einige Höhen und Tiefen der Entwicklung bis heute deutlich erkennbar. Dieser Aspekt ist eindeutig positiv zu bewerten.
Allerdings beeinträchtigen gelegentliche fehlerhafte Zuordnungen, wie die Verknüpfung von „Lienhard und Gertrud“ zu Rousseau (S. 73) statt Pestalozzi, die Klarheit der Darlegungen. Das Buch ist daher möglicherweise nur eingeschränkt für angehende Fachkräfte in der Ausbildung oder im Studium geeignet, es sei denn, sie verfügen bereits über ein Grundwissen zur Historie oder nehmen sich die Zeit für eine gemeinsame Reflexion der Inhalte – am besten mit ihrer Lehrperson.
Während einige Berufsfelder deutlich mit der KiTa verknüpft werden, könnte bei anderen Berufszweigen (Soziale Arbeit) eine stärkere Fokussierung auf diese Verbindung hilfreich sein, um das Verständnis der Lesenden zur Bedeutung des Berufs für die KiTa zu verbessern.
Kritisch betrachtet werden müssen einige Schlussfolgerungen, wie das angedeutete Anzweifeln einer akademisierten Ausbildung in der Soziale Arbeit (S. 157–158) oder ein mögliches Scheitern der Kindheitspädagogik (S. 164–165). Letzteres kann durch einen Blick in das Gutachten zur Disziplinentwicklung der Kindheitspädagogik von Hechler et al. (2021) hinterfragt werden, das zeigt, dass sich die Disziplin der Kindheitspädagogik weiterhin in Entwicklung befindet. Es sollte in Erinnerung gerufen werden, dass die ersten kindheitspädagogischen Studiengänge erst im Jahr 2004 gestartet sind, was aufzeigt, dass dieser Beruf eine deutlich kürzere Historie hat als andere Berufe in der KiTa.
Fazit
Insgesamt ist die Lektüre nicht klar einem Buchgenre zugeordnet, da sich belletristisch angehauchte Abschnitte mit klaren Fakten abwechseln und den Lesefluss beeinträchtigen. Es kann im Unterricht hilfreiche Impulse bieten, bedarf jedoch aufgrund der in der Diskussion genannten Kritikpunkte unbedingt der gemeinsamen Reflexion mit der Lehrperson.
Literatur
Hechler, Daniel; Hykel, Theresa; Pasternack, Peer (2021): Disziplinentwicklung der Kindheitspädagogik. Eine empirische Bestandsaufnahme anderthalb Jahrzehnte nach Einrichtung der neuen Studiengänge. München: Deutsches Jugendinstitut (Ausbildung, Band 34). ISBN 978-3-86379-365-4
Rezension von
Prof. Dr. Susann Kunze
IU Internationale Hochschule · Fernstudium, Erfurt
Professorin für Kindheitspädagogik
Studiengangsleiterin Kindheitspädagogik (B.A.) im Fernstudium
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Es gibt 7 Rezensionen von Susann Kunze.
Zitiervorschlag
Susann Kunze. Rezension vom 10.08.2023 zu:
Sabine Wesener: Die Kita-Fachkraft. Ein Ausflug in die Berufsgeschichte. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
ISBN 978-3-7799-6786-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29762.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.
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