Stephan Gingelmaier, Martina Hoanzl u.a. (Hrsg.): Lernen mit Kopf - ohne Herz und Hand?
Rezensiert von Petra Siegrist, 17.03.2023

Stephan Gingelmaier, Martina Hoanzl, Hans Weiß (Hrsg.): Lernen mit Kopf - ohne Herz und Hand? Impulse für leibhaftige Begegnungen, emotionsbasiertes Lernen und eine ästhetische Praxis mit Kindern und Jugendlichen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 228 Seiten. ISBN 978-3-7799-6554-1. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR.
Thema
Dieses Buch von Stephan Gingelmaier, Martina Hoanzl und Hans Weiß (Hrsg.) greift auf vielschichtige Weise das Themenfeld Bildung von und mit Kindern und Jugendlichen in besonderen Lebenslagen auf. Kritisch beleuchtete aktuelle Beiträge zur pädagogischen Praxis befassen sich auf hohem Niveau direkt und indirekt mit dem Leitmotiv: „Lernen mit Hirn, Herz und Hand“ und damit auch dem Wirken von Werner Bleher als Hochschullehrer.
Entstehungshintergrund
Das berufliche Engagement von Werner Bleher würdigend, ist es den Herausgeber*innen ein Anliegen fachlich fundierte Beiträge zur aktuellen Bedeutung des Pestalozzisschen Bildungsapells „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ im Bereich der Sonder- und Sozialpädagogik und damit auch im psycho-sozialen Bildungs-und Betreuungskontext zu verdeutlichen.
Inhalt
Das Buch beginnt mit einem Rückblick auf eine gemeinsame Spurensuche zu Pestalozzis Schriften. Der handlungsorientierte Zugang zur Theorievermittlung modelliert bereits die Denkfigur des Buches. Wie verhält es sich mit leibhaftigem Begegnen und emotionsbasiertem Lernen im eigenen und gemeinsamen Professionalisierungsprozess? Auf berührende Weise wird die fächerübergreifende Verbundenheit mit dem Thema initiiert und für die nachfolgenden Fachbeiträge spannend aufbereitet. Beginnend mit der Benennung des institutionell verankerten Spannungsfeldes zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Sozialer Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) und Sonderpädagogik (Günter 2021, S. 18), spannt sich ein Bogen über in Interviewform gehaltenen Betrachtungen zu Pestalozzis Begriff der Selbstkraft (Ertle, Hoanzl 2021, S. 23). Anschließend werden pädagogische Herausforderungen unter Pandemiebedingungen untersucht.
Im Abschnitt Orientierungen und konzeptionelle Impulse wird die chiasmatische Struktur bei Vulnerabilität als eine Art Überkreuzung responsiver Ethik und „nichtexklusiver Politik“ (Stinkes 2021, S. 74) aufgezeigt und mit einem Beitrag über Soziales Lernen und den notwendigen Rahmenbedingungen praxisorientiert geerdet. Die Frage nach der Didaktisierbarkeit von Wagnis wird anhand eines Praxisbeispiels mit augenzwinkerndem Humor bearbeitet. Das Kapitel Situationsanalysen widmet sich hingebungsvoll der Notwendigkeit der Selbstthematisierung im Rahmen professioneller Beziehungsarbeit und bietet neben reflexiver Theorie auch einen Leitfaden zum Erstellen von Situationsanalysen (Hoanzl, Weiß 2021, S. 131).
Mit den Kapiteln Anerkennung – Eigensinn – Fürsprache: Leitgedanken pädagogischer Praxis, (Mack 2021, S. 150ff), BeHERZter Widerstand, (Leitner 2021, S. 163ff) und Sachwalter und Fürsprecher, (Hiller 2021, S. 174ff) wird anhand von Fallbeispielen aus der Produktionsschule, einem Interview mit einer Frau mit Fluchterfahrung und anhand zweier Beispiele anwaltlicher Parteinahme zu Gunsten Geflüchteter, mittels einer anerkennungstheoretischen Reflexion die Trias: Lernen mit Hirn, Herz und Hand behandelt. Der letzte Abschnitt, Aspekte ästhetischer Bildung im Kontext sozial-emotionaler Erschwernisse, gibt der Bedeutung bildnerischen Darstellens in der pädagogischen Arbeit mit psycho-sozial belasteten Schüler*innen Raum, (Ricci 2021, S. 184). Im Forschungsprojekt waebi der Universität Würzburg werden ästhetische Erfahrungsprozesse untersucht (Stein/Reuter 2021, S. 197) und das vorgestellte Projekt Beatstomper im letzten Beitrag zur Selbstermächtigung im Jugendstrafvollzug, als Hinleitung zu einer leiborientierten Musik- und Bewegungsdidaktik (Zaiser 2021, S. 209ff), runden den zweiten Teil dieses Buches ab.
Diskussion
Den Herausgeber*innen und Autor*innen dieses Buches gelingt eine inspirierende disziplinübergreifende kritisch-philosophische Auseinandersetzung mit interessanten Fallbeispielen für theorieaffine Leser*innen. Die profunde pädagogisch/literarische Ausleuchtung Pestalozzis Überlegungen, in der Verknüpfung mit den ausgewählten Beiträgen lädt zur Selbst-Reflexion des eigenen Standpunktes über gelingendes Lernen im sonder- und sozialpädagogischen Bildungsauftrag ein.
Fazit
Dieser Sammelband besticht mit einer fachlichen und personalen Würdigung des Engagements von Werner Bleher als Hochschullehrer durch Beiträge verschiedener Expert*innen aus den Human- und Bildungswissenschaften das Recht auf Bildung durch leibhaftige Begegnung für alle Kinder zu befördern und beherzt einzufordern. Die aktuell leibentfremdende Bildungsrealität wird mit dem historischen Bezug auf Pestalozzi auf der Haltungs-, Wissens-, und Handlungsebene thematisiert und zeigt in den dafür ausgewählten Beiträgen Chancen und Risiken der gelebten Praxis, der Ausbildungslandschaft und dem zu führenden theoretischen Diskurs auf.
Rezension von
Petra Siegrist
Lehrende Fachbereich Praxis
Lehrgang Akademische*r Sozialpädagogische*r Fachbetreuer*in
FH OÖ Studienbetriebs GmbH
Fakultät für Medizintechnik und Angewandte Sozialwissenschaften
Mailformular
Es gibt 1 Rezension von Petra Siegrist.
Zitiervorschlag
Petra Siegrist. Rezension vom 17.03.2023 zu:
Stephan Gingelmaier, Martina Hoanzl, Hans Weiß (Hrsg.): Lernen mit Kopf - ohne Herz und Hand? Impulse für leibhaftige Begegnungen, emotionsbasiertes Lernen und eine ästhetische Praxis mit Kindern und Jugendlichen. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2021.
ISBN 978-3-7799-6554-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29765.php, Datum des Zugriffs 01.04.2023.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.