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Raingard Knauer, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Demokratische Partizipation und Inklusion in Kindertageseinrichtungen

Rezensiert von Prof. i.R. Manfred Baberg, 02.02.2024

Cover Raingard Knauer, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Demokratische Partizipation und Inklusion in Kindertageseinrichtungen ISBN 978-3-7799-7090-3

Raingard Knauer, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Demokratische Partizipation und Inklusion in Kindertageseinrichtungen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 341 Seiten. ISBN 978-3-7799-7090-3. D: 26,95 EUR, A: 27,70 EUR.

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Herausgeber*innen und Verfasser*innen

Raingard Knauer war Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Erziehung und Bildung im Kindesalter an der FH Kiel, Benedikt Sturzenhecker war Professor für Erziehungswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Sozialpädagogik und außerschulischen Bildung an der Universität Hamburg.

Die zahlreichen Verfasser*innen der Einzelbeiträge des Bandes haben alle einen engen Bezug zu den Themen Inklusion und Partizipation, die Schwerpunkte dieser Arbeit bilden.

Aufbau

Die Arbeit ist in vier Kapitel gegliedert: Den Anfang macht nach dem Vorwort der Herausgeber*innen als Einführung eine umfangreiche empirische Studie „Zum Zusammenhang von Erziehung und Bildung, demokratischer Partizipation und Inklusion“. Es folgen drei Beiträge zu: „Theoretische Grundlagen und Reflexionen“, drei weitere Beiträge zu „Konzeptionelle Ansätze“ und als Abschluss fünf Beiträge zu „Empirische Annäherungen“.

Inhalt

Im Vorwort formulieren die Herausgeber*innen folgende zentrale Fragestellungen des Bandes: „Was kann dazu beitragen, allen Kindern in der Kita gleiche (Beteiligungs-) Rechte unter Berücksichtigung ihrer Vielfalt und der damit verbundenen Ungleichheiten zu gewährleisten? Wie kann demokratische Partizipation differenzgerecht und inklusiv gestaltet werden und wie kann Inklusion, das Recht der Kinder auf demokratisches Mitentscheiden und Mithandeln stärken?“ (10). Diese Fragen werden in den folgenden Kapiteln sowohl theoretisch als auch empirisch aufgearbeitet.

Einführung: Zum Zusammenhang von Erziehung und Bildung, demokratischer Partizipation und Inklusion – eine empirische Fallstudie. Partizipation und Inklusion in einer demokratieorientierten Kita – Ergebnis eines Forschungsprojekts (Benedikt Sturzenhecker, Raingard Knauer & Laura-Aliki Vesper)

Im Rahmen einer empirischen Studie in einer demokratieorientierten Kita in Schleswig-Holstein wurden im April 2019 drei Wochen lang teilnehmende Beobachtungen zur Frage durchgeführt, ob und wie eine Beteiligung aller unterschiedlichen Kinder an demokratischer Beteiligung gelingt. Zentraler Begriff ist die „egalitäre Differenz“ (Prengel): Alle Beteiligten müssen in ihrer Unterschiedlichkeit anerkannt und doch gleichberechtigt an den Entscheidungen teilnehmen können. Deswegen wurde eine Kita mit möglichst heterogener Zusammensetzung ausgewählt, die demokratische Partizipation durch eine Kita-Verfassung festgelegt hat.

Die Kinder haben weitgehende Freiheit, was Essen, Schlafen und Auswahl von Spielen anbelangt. Gemeinsame Entscheidungen werden in Vollversammlungen, Bezugsgruppentreffen und Projektgruppen getroffen.

Neben zahlreichen positiven Erkenntnissen über die demokratische Teilhabe der Kinder hat sich eine Beobachtung als problematisch erwiesen: Es gibt eine Dominanz des Sprachlichen. Diese birgt das Risiko, dass sprachlich benachteiligte Kinder sich nicht an demokratischen Prozessen beteiligen können und dadurch ausgegrenzt werden.

Problematisch für Inklusion ist generell der Umgang mit Behinderung: Es besteht ein „Etikettierungs-Ressourcendilemma“ (98), weil ohne Zuschreibung von Behinderung keine angemessene Förderung möglich ist, andererseits die Zuschreibung von Defiziten aber zu Abwertungen führen kann. Deswegen müssen auch andere Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten für die betroffenen Kinder entwickelt werden, die ihnen eine gleichberechtigte Teilnahme ermöglichen.

Das Forschungsteam hat seine Beobachtungsergebnisse der Kitaleitung und den Fachkräften in den Gruppendiskussionen und einem abschließenden Bericht mitgeteilt. Das Kitateam hat diese Ergebnisse in einem Brief an das Forschungsteam kommentiert und dabei als einen wichtigen Punkt festgehalten, dass ihr klassisches Bild von Erziehung (bewusstes Vorstellen und Vorleben pädagogischer Inhalte – verbunden mit Dominanz der Erwachsenen) nicht mehr den heutigen Zielen nach Selbstbildung der Kinder entspricht und durch mehr Sensibilität ihren Wünschen und Beschwerden gegenüber ersetzt werden muss. Hierzu zählt auch, den Kindern mehr zuzutrauen und dadurch ihre Eigenständigkeit zu fördern.

Theoretische Grundlagen und Reflexionen

Ein Versuch, über Inklusion in einem weiten Horizont nachzudenken (Michael Winkler)

Winkler sieht Inklusion kritisch, weil die gesellschaftliche Entwicklung nicht zu „inclusive spaces“ führe, in welchen alle Menschen zusammenfinden können, sondern sich die Gesellschaft durch Neoliberalismus und einen durch auf radikalen Konsum ausgerichteten Extraktions-Kapitalismus auf eine abstrakte Individualität zubewege, die kaum noch einen Bezug zur Solidarität habe.

Seine Frage lautet: „Man muss sich also bei allen Forderungen nach Inklusion fragen, um welche Gesellschaft es geht, in die da inkludiert werden soll“ (22). Die Dominanz des neoliberalen Kapitalismus führt dazu, alle Menschen zu Produzenten und Konsumenten zu machen. Beides bedeutet Ausbeutung.

Als Gegenpol zu dieser Entwicklung sieht Winkler die Sozialpädagogik, die notwendig ist, weil Menschen immer auch auf die Unterstützung anderer angewiesen sind. Sozialpädagogik ist deswegen ein wichtiges Projekt der Aufklärung über die Gesellschaft.

Skeptisch ist er jedoch, wenn es um die Inklusion in den Arbeitsmarkt geht. Hier sieht er die Gefahr von Ausbeutung und Verbrauch von Energie bei den Betroffenen und fordert stattdessen ein Nachdenken über das garantierte Mindesteinkommen.

Ein Blick auf den Zusammenhang von Partizipation und Inklusion aus der Sicht der Pädagogik bei Behinderung und Benachteiligung (Iris Beck)

In Bezug auf Inklusion diskutiert die Verfasserin ausführlich die Problematik von Ungleichheit. Einerseits sieht sie die Gefahr, dass die unterschiedlichen pädagogischen Bedürfnisse von Kindern zum Beispiel mit Behinderungen nicht genügend im Fokus des pädagogischen Handelns stehen. Auf der anderen Seite ist es notwendig, Kinder mit Behinderung zuerst als Kinder zu sehen, weil nur so ihre Gleichberechtigung akzeptiert werden kann. Zentrales Element hierfür ist die Partizipation, deren wichtigstes Ziel die gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder ist.

Unter Partizipation wird das Verhältnis der Subjekte zum Sozialen bzw. zur Gesellschaft verstanden. Teilnahme bedeutet die aktive Beteiligung an Entscheidungen und Entwicklungen – ebenso die Teilhabe an den Ergebnissen dieser Entwicklung.

Für den Inklusionsbegriff sind drei Entwicklungsstränge wichtig:

  1. Die Herstellung von Frieden, Grundfreiheiten und Demokratie, die unter anderem durch Bildung als Schlüssel zu Lebenschancen gefördert werden.
  2. Notwendig ist hierzu eine gerechte Verteilung von Zugangschancen, insbesondere von Bildung und Erziehung und
  3. die Bekämpfung von sozialem Ausschluss und Diskriminierung.

Für die Inklusion von Kindern mit Behinderung in Kitas bedeutet dies, dass sie nicht aufgrund ihrer Beeinträchtigungen an Partizipation gehindert werden dürfen. Notwendig ist vielmehr, ihnen Wege der Beteiligung zu eröffnen, die ihren speziellen Bedürfnissen gerecht werden.

Egalitäre Differenz – eine Orientierung an Inklusion und Partizipation von der frühen Bildung an (Annedore Prengel)

Die schon in den vorigen Kapiteln angeschnittene Problematik der Gleichheit von Recht und der Unterschiedlichkeit von Fähigkeiten und Persönlichkeitsstrukturen fast Prengel mit dem Begriff „egalitäre Differenz“ zusammen, der ein Menschenbild zum Ausdruck bringt, „in dem wir einander sowohl als gleich als auch als verschieden anerkennen“ (166).

Der Zusammenhang von Gleichheit und Verschiedenheit kommt in den grundlegenden Menschenrechten Gleichheit, Freiheit und Solidarität zum Ausdruck. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Freiheit, aus der vielfältige Lebensformen hervorgehen können. Für die inklusive pädagogische Arbeit ist das Konzept der Intersektionalität besonders wichtig, weil wir mehreren Gruppierungen gleichzeitig angehören, die auch von Diskriminierungen und Benachteiligungen betroffen sein können, die sich gegenseitig verstärken.

Mit der Zielsetzung der egalitären Differenz müssen diese Diskriminierungen aufgehoben werden, wozu vor allem eine Aufhebung oder zumindest Einschränkung von Hierarchie erforderlich ist. In diesem Sinne wird Heterogenität definiert „als verschiedenes, das einander nicht untergeordnet ist“ (169).

Statt Unterordnung ist Partizipation aller erforderlich – unabhängig von sozialer Herkunft, kulturellen Traditionen, Befähigungen oder Beeinträchtigungen. Rechtsradikale Tendenzen, die stattdessen Gruppenegoismen in den Mittelpunkt stellen, müssen als gleichheitsfeindlich und undemokratisch kritisiert werden.

Die Umsetzung egalitärer Differenz in der Frühpädagogik muss auf einem inklusiven Curriculum beruhen, dass grundsätzlich individualisierbar ist.

Konzeptionelle Ansätze

„Liberale Demokratie“ in der Kita – Schutz und gleiche Freiheit für alle Verschiedenen (Rüdiger Hansen)

Da die Substanz der Demokratie in Deutschland durch Probleme wie Rechtsextremismus, religiösen Fanatismus und gruppenbezogene Menschenfreundlichkeit gefährdet ist, soll demokratische Bildung auf ein Leben in einer freiheitlichen und liberalen Demokratie bereits in der Kita vorbereiten.

Hansen orientiert sich dabei am Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“, das unter anderem vorsieht, in der Kita eine demokratische Miniaturgesellschaft zu entwickeln. Diese basiert auf fünf für die liberale Demokratie bedeutsamen Begriffen: Demokratie, Menschenwürde, Rechte, Macht und Gewaltenteilung. Neben demokratischen Mitentscheidungsrechten für die Kinder ist vor allem die Menschenwürde ein zentrales Anliegen, die im Kern in der Freiheit besteht, die eigenen Belange selbst zu bestimmen, sofern sie mit der gleichen Freiheit anderer vereinbar ist (189).

Macht- und Gewaltenteilung sind in der Pädagogik ein wichtiges Problem, weil die erwachsenen Fachkräfte häufig dominant sind. Zur Aufteilung der Macht ist es deswegen notwendig, einerseits verbindliche Gremien und Verfahren zu entwickeln, andererseits Machtmissbrauch der pädagogischen Fachkräfte zu unterbinden, zum Beispiel dadurch, dass die Leitungen eine Liste unangemessenen Erzieher*innenverhaltens zusammenstellen.

Antidiskriminierung und Bildungsgerechtigkeit in Kitas (Petra Wagner)

Der von der Verfasserin vertretene Ansatz ist die „Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“ (VBuE), die auf dem Hintergrund des Anti-Bias-Approach seit mehr als 20 Jahren in Deutschland entwickelt wird.

Das deutsche Bildungssystem sei durch Ungleichheit und Dominanzkultur beherrscht, die überwunden werden müssen, um mehr Gleichheit und Gerechtigkeit auch schon in der frühen Bildung zu erreichen.

VBuE leistet hierzu einen wichtigen Beitrag, weil sie die schädlichen Auswirkungen unreflektierter Vorurteile von Pädagog*innen aufdeckt und eine diskriminierungskritische pädagogische Praxis entwickelt.

Die zerstörerischen Wirkungen von Diskriminierung liegen unter anderem daran, dass mit dem unterstellten „Anderssein“ eine Abwertung als minderwertig verbunden ist, die auch als Rechtfertigung für Ausschluss und Benachteiligung benutzt wird. Bei den Betroffenen führt dies zu Angst und Minderwertigkeitsgefühlen und übt einen starken Anpassungsdruck auf betroffene Kinder aus, die zur Distanzierung von ihrem bisherigen kulturellen Hintergrund und zur Ausgrenzung aus der eigenen Familie führt.

Kinder mit Behinderungen brauchen weder Ignorieren der Behinderung noch Trost, sondern Empathie und eine barrierefreie Umgebung.

Alle Kinder brauchen eine positive Resonanz auf ihr Mitgebrachtes, ihre Interessen, Erfahrungen und Gefühle, um sich zugehörig zu fühlen und die Gemeinschaft mitgestalten zu können.

Potenziale von Gebärden für Partizipation und Inklusion in Kindertageseinrichtungen (Madlen Goppelt-Kunkel & Barbara Hänel-Faulhaber)

Partizipation als Recht auf freie und gleichberechtigte Meinungsäußerung erfordert eine alters- und behinderungsgerechte Hilfe hierfür. Die Gebärdensprache als visuelle Kommunikationsform kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Empirische Studien bestätigen, dass nicht nur gehörlose Kinder über Gebärdensprache einen Zugang zum Sprachsystem erhalten. Auch Kinder mit anderen Sprachentwicklungsbeeinträchtigungen können von Gebärden und Gesten profitieren. Hierzu zählen Kinder mit Trisomie 21, Autismus, besonderem Förderbedarf und mit frühem Zweitsprachenerwerb. Auch Kinder ohne Sprachentwicklungsverzögerung können mithilfe von Gebärden und Gesten ihren sprachlichen Wortschatz in frühen Entwicklungsphasen schneller aufbauen.

Weitere unterstützende Kommunikationsformen können leicht verständliche Sprache und Visualisierung in Form von Bildern, Zeichnungen oder Fotos sein.

Empirische Annäherungen

Was pädagogische Fachkräfte im Kita-Alltag tun, um Kinder demokratisch zu beteiligen – eine empirische Studie (Rüdiger Hansen, Raingard Knauer und Sabine Redecker)

In vier Kindertageseinrichtungen der AWO Schleswig-Holstein wurde von September 2020 bis Dezember 2021 untersucht, was pädagogische Fachkräfte konkret tun, um demokratische Partizipation umzusetzen. Zu den wichtigsten Erfahrungen zählt, dass Kinder durch pädagogisches Handeln ungleich behandelt werden müssen, um allen Inklusion in demokratischer Partizipation zu ermöglichen.

Dies gilt insbesondere für die respektvolle Gestaltung von Interaktionen und für die Berücksichtigung der emotionalen Aspekte von Demokratie. Letzteres kann durch unterschiedliche Unterstützungen wie zum Beispiel Handpuppen, Bilder und Filme geschehen. Wichtig ist hier auch die Hilfe bei der Regulierung der Gefühle, indem deren Ausdrucksform sozialverträglich gestaltet wird.

Relationale Partizipation-Angemessenheit als Reflexionsfolie für die „gelebte Praxis“ (Julia Höke & Katrin Velten)

Höke und Velten berufen sich in ihrer Analyse der pädagogischen Erwachsenen-Kind-Interaktion auf empirische Untersuchungen, die belegt haben, dass diese in starkem Maße durch den Status als Kind bzw. Erwachsene*r bestimmt sind. Ein zentrales Merkmal dieser Interaktion ist die hierarchische Struktur: „Kind handelt – Erwachsener bewertet“ (284). Die damit verbundene Deutungsmacht der Erwachsenen (Absicherung, Kontrolle, Lob) muss kritisch reflektiert werden. Im Interesse der Kinderrechte muss diese Machtposition begründungspflichtig sein.

Beteiligung von Kindern im Kita-Alltag: theoretische Überlegungen und empirische Erkenntnisse aus der BiKA-Studie zu Partizipation in Krippen (Frauke Hildebrandt & Bianka Pergande)

Das Kinderrecht auf Beteiligung gilt von Geburt an. Deswegen haben Kinder das Recht auf altersangemessene Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und Meinungen auch in Krippen. Da sie dies kaum selbst einfordern können, ist es ein wichtiger Indikator für Partizipation, wie die Signale der Kinder ernst und wahrgenommen werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Unterstützung des kindlichen Strebens nach Selbstregulation.

Fachkräfte haben hier auch die Aufgabe, soziale und räumlich-materielle Voraussetzungen zu schaffen, die bei Kindern Selbstwirksamkeitserfahrungen erzeugen.

In der von der Fachhochschule Potsdam 2018–2020 durchgeführten BiKA-Studie (Beteiligung von Kindern im Kita-Alltag) fanden Untersuchungen in 13 Bundesländern statt. Ein wichtiges Ergebnis war, dass in den beobachteten Schlüsselsituationen Spielen, (Mittag-) Essen und dialogische Buchbetrachtung die Partizipationsmöglichkeiten sehr unterschiedlich waren. In der Gestaltung der Essenssituation hatten die Kinder sehr viel weniger Autonomie und Selbstwirksamkeit als beim Spielen und der Buchbetrachtung. Bei letzterer wurden die Kinder häufig zum Weiterdenken angeregt. Bevorzugt wurden hierbei jedoch diejenigen Kinder, die sich besser sprachlich artikulieren konnten.

Wichtig für die Partizipation der Kinder ist auch der Betreuungsschlüssel: je weniger Kinder von den Fachkräften betreut werden, desto mehr kann auf die kindlichen Impulse (zum Beispiel Kontaktaufnahmen oder Fragen) reagiert werden.

Rituale in der Kita zwischen Inklusion in demokratische Partizipation und pädagogischer Überformung (Teresa Lehmann)

Die Verfasserin hat die Wirkung von Ritualen unter anderem durch Beobachtungen in einer zweisprachigen (Deutsch und Englisch) Kita analysiert. Zentrale Fragestellung ist, wie Rituale im Kita-Alltag inklusive demokratische Partizipation fördern oder verstellen. Eine wichtige Frage für Lehmann war, inwiefern die Vollversammlung als Ritual es vermag, die Ordnung innerhalb der Einrichtung zu mehr Egalität zwischen Kindern und Erwachsenen und zwischen verschiedenen Kindern zu verändern.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Art der Durchführung durch die Dauer der Veranstaltung und durch mangelhaftes Eingehen auf die Bedürfnisse der Kinder nicht ausreichend zur Förderung inklusiver Partizipation beiträgt. Insbesondere muss dafür Sorge getragen werden, dass auch diejenigen Kinder, die die Mehrheitssprache noch nicht ausreichend beherrschen, ihre Anliegen einbringen können.

Inklusion von Kindern in demokratische Strukturen in der Kita-reflektiert an einer Fallgeschichte (Benedikt Sturzenhecker)

In seinem abschließenden Beitrag reflektiert der Mitherausgeber Sturzenhecker die Frage, inwieweit Kinder aktiv zur Weiterentwicklung demokratischer Strukturen und Handlungsmöglichkeiten beitragen können. Die entscheidende Frage ist, ob sie die demokratischen Möglichkeiten über vorhandene Strukturen nur passiv wahrnehmen oder diese selbstständig umgestalten können. Einleitend stellt er fest, dass Demokratie nur in der revolutionären Anfangsphase aktiv gestaltet wurde, später aber zu einer Kategorie der Herrschaftslegitimation umgewandelt wurde.

Demokratie kann man sowohl als „Regierungsform“ und auch als „Lebensform“ verstehen. Letztere wird vorwiegend durch basisdemokratische Diskussionen und Verfahren bestimmt, die auch in Kitas eine wichtige Rolle spielen können.

Am Beispiel einer Fallgeschichte, in welcher ein Mädchen, das neu in einer Kita aufgenommen wurde, einen Beschluss für ein Karnevalslied verändert hat, zeigt er auf, dass Kinder nicht nur die vorgegebene Ordnung hinnehmen, sondern als demokratische Subjekte und Akteure Mitverantwortung übernehmen und eigene Ansprüche durchsetzen.

Diskussion

Es wurden zahlreiche strukturelle Bedingungen und pädagogische Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, um gleichberechtigte Partizipation zu erreichen. Zu den strukturellen Bedingungen zählt die Frage, ob eine durch neoliberale Politik geschaffene unsolidarische und individualistische Gesellschaft überhaupt für Inklusion geeignet ist. Hier ist es notwendig, nicht nur auf pädagogischer, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene Alternativen zu entwickeln. Auf beiden Ebenen muss die mit klassizistischer Heterogenität verbundene Benachteiligung und Unterordnung bekämpft werden.

Für Kinder im Kita-Alter kann diese Benachteiligung durch mangelnde Berücksichtigung von unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen zustande kommen. Die vorgeschlagenen Alternativen wie Gebärdensprache können hier Abhilfe schaffen.

Auch Machtabbau von pädagogischen Fachkräften durch intensives Eingehen auf die Bedürfnisse der Kinder durch stärkere Förderung ihrer Selbstverwirklichungstendenzen kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Fazit

Der Band gibt sowohl auf theoretischer Ebene als auch für pädagogische Handlungsmöglichkeiten zur Umsetzung von gleichberechtigter demokratischer Partizipation zahlreiche Anregungen für Reflexion und konkrete pädagogische Arbeit und kann deswegen als Lektüre empfohlen werden.

Rezension von
Prof. i.R. Manfred Baberg
Hochschule Emden/Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Arbeitsgebiete u.a. Behindertenarbeit und Integrationspädagogik in den Studiengängen Soziale Arbeit/Sozialpädagogik und Integrative Frühpädagogik
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Zitiervorschlag
Manfred Baberg. Rezension vom 02.02.2024 zu: Raingard Knauer, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Demokratische Partizipation und Inklusion in Kindertageseinrichtungen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. ISBN 978-3-7799-7090-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29780.php, Datum des Zugriffs 11.11.2024.


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