Marie Fröhlich, Ronja Schütz et al. (Hrsg.): Politiken der Reproduktion
Rezensiert von Dr. med. Judith Zimmermann, 11.08.2023

Marie Fröhlich, Ronja Schütz, Katharina Wolf (Hrsg.): Politiken der Reproduktion. Umkämpfte Forschungsperspektiven und Praxisfelder.
transcript
(Bielefeld) 2022.
318 Seiten.
ISBN 978-3-8376-5272-7.
D: 30,00 EUR,
A: 30,00 EUR,
CH: 36,80 sFr.
Reihe: Gender Studies.
Thema
Das Buch „Politiken der Reproduktion“ fasst verschiedene wissenschaftliche Beiträge von Nachwuchsforschern zum Thema Reproduktion und Politik in einem Sammelband zusammen.
Entstehungshintergrund
Der Text ging aus einer Arbeitstagung „Politiken der Reproduktion“ hervor, die im November 2019 in Schloss Rauischholzhausen stattfand. Veranstaltet wurde die Tagung vom PRiNa, dem interdisziplinären Nachwuchsforscherinnennetzwerks Politiken der Reproduktion, das am Gießener Graduiertenzentrum angesiedelt ist.
Aufbau
Nach einem Vorwort und einer Annäherung an das Thema durch die Herausgeberinnen folgen drei Beiträge unter der Überschrift „Regulierung von Reproduktion in Recht und Arbeitsmarkt“. Danach folgen unter der Überschrift „Ambivalente Begriffe und politische Schauplätze“ drei Beiträge zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik, dem Parental Status als intersektionale Identitäts- und Analysekategorie und den Kindesbedürfnissen als Argumente in Politiken der Reproduktion. Der dann nachfolgende Abschnitt „Strukturelle Ungleichheiten – individuelle Kämpfe“ fasst Beiträge zu Reproduktion und Asylrecht, die Erfahrungen von Frauenpaaren mit Kinderwunsch, einen Beitrag zur diskursiven Herstellung von Normalität im Natalitätsfeld und einen Beitrag zu reproduktiver Gerechtigkeit zusammen. Im vorletzten Abschnitt geht es um „Best practice“. Hier folgen Texte zum Thema Schwangerschaftsabbruch, der Entscheidungsfindung im Rahmen von Pränataldiagnostik und der Schwangerschaftskonfliktberatung sowie zur Sexualberatung im Wochenbett. Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit Geschlechternormen und Sorgearbeit.
Inhalt
In dem Buch „Politiken der Reproduktion“ werden Fragen nach den wissenschaftlichen, politischen, und ethischen Rahmenbedingungen professionellen Handelns rund um Schwangerschaft, Geburt und Familie behandelt. Themen wie Verhütung, Beziehungen, Schwangerschaft, Kinderwunschbehandlungen, Menstruation, Geburt und Kindererziehung werden zwar meist als private Themen gerahmt, sind aber eingebettet in breite gesellschaftspolitische und technologische Entwicklungen. „Politiken“ verweist dabei auf vielfältige Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens, also nicht nur Bevölkerungspolitik und Gesetzgebung sondern auch Normen und Standards, individuelle Praktiken und öffentliche Diskurse.
Theresa Anna Richarz gibt in ihrem Beitrag einen rechtswissenschaftlichen Überblick über verschiedene Gesetze, die unterschiedliche Bereiche von Reproduktion in Deutschland regulieren.
Lisa Yashodhara Haller beschreibt aus kapitalismuskritischer Perspektive wie der Staat menschliche Reproduktion, Pflege und Erziehung reguliert.
Janina Glaser erörtert aus marxistischer Perspektive die Frage nach der Bezahlung von beruflicher und privater Care-Arbeit.
Kirsten Achtelik reflektiert den aktuellen Diskurs um den Schwangerschaftsabbruch aus ableistischer, queerer und feministischer Perspektive.
Birte Christ diskutiert, ob parental status als intersektionale Kategorie etabliert werden sollte.
Katharina Wolf beleuchtet das Thema „Kindeswohl“ und wie dieser Begriff von verschiedenen Akteuren zur Stützung der eigenen Argumente instrumentalisiert wird.
Marie Fröhlich betrachtet auskulturanthropologischer Sicht die Situation geflüchteter Familien und arbeitet heraus, welche Geflüchteten als Familie betrachtet werden und welche nicht.
Mirjam Peters arbeitet in einer quantitativen Studie heraus ob alle Schwangeren in Deutschland eine gleichwertige Versorgung erhalten.
Miriam Hecht untersucht die Situation lesbischer Paare mit Kinderwunsch.
Alina Rörig interviewt drei Frauen, die sich für eine Geburt abseits der üblichen Normen entschieden haben.
Alicia Baier beleuchtet persönliche Haltungen von GynäkologInnen und Medizinstudierenden zum Thema Schwangerschaftsabbruch.
Taleo Stüwe wirft einen kritischen Blick auf die ärztliche Beratung zum Thema Pränataldiagnostik.
Franka Stroh untersucht die Haltung von BeraterInnen im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung.
Clara Eidt beschreibt die Perspektive von Hebammen auf Sexualität nach einer Geburt.
Juliane Lang und Marie Reusch diskutieren die ideologische Vereinnahmung von Weiblichkeits- und Mutterschaftsbildern durch autoritäre und rechtsextreme Gruppierungen.
Alicia Schlenders analysiert die Fragilität und Verbindlichkeit von Co-Elternschaften vor der Referenzfolie der heteronormativen Kleinfamilie.
Louisa Lorenz beleuchtet die Ungleichheit in Partnerschaften bei der Schwangerschaftsverhütung am Beispiel der symptothermalen Methode.
Diskussion
Das Buch „Politiken der Reproduktion“ lebt insbesondere von der großen Vielfalt der angeschnittenen Themen sowie den sehr unterschiedlichen Herangehensweisen der Autor:innen. Neben sehr theoretischen Arbeiten stehen auch solche, die sehr praxisnah sind. Arbeiten mit hohem wissenschaftlichem Anspruch wechseln sich mit weniger elaborierten Beiträgen ab. Die AutorInnen zeigen heterogene Haltungen mit Blick auf die Analysen von Ermächtigungspotenzialen, Fragen der Selbstbestimmung und deren Grenzen. Auch die vertretenen wissenschaftlichen Disziplinen sind sehr vielfältig, es gibt u.a. juristische, medizinische, soziologische, kulturanthropologische und hebammenwissenschaftliche Beiträge. Dadurch wird ein sehr weiter Bogen zum Thema gespannt und viele Aspekte des sehr umfangreichen Grundthemas abgedeckt. Das Buch ist daher auch sehr gut als Einführung in das Thema Politik und Reproduktion zu lesen und sowohl für Studierende und Wissenschaftler:innen als auch für praktisch Tätige zu empfehlen.
Fazit
Politiken der Reproduktion ist ein sehr gut gelungener Sammelband zu Fragen nach den wissenschaftlichen, politischen, und ethischen Rahmenbedingungen professionellen Handelns rund um Schwangerschaft, Geburt und Familie.
Rezension von
Dr. med. Judith Zimmermann
Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin, Systemische Therapeutin, Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch (BKiD)
Website
Mailformular
Es gibt 9 Rezensionen von Judith Zimmermann.