Erika Güroff: Innere Bilder in der Verhaltenstherapie (Leben Lernen)
Rezensiert von Ulrike Ziemer, 16.08.2023

Erika Güroff: Innere Bilder in der Verhaltenstherapie (Leben Lernen). Die Macht der Vorstellungskraft nutzen.
Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2022.
224 Seiten.
ISBN 978-3-608-89275-8.
D: 28,00 EUR,
A: 28,80 EUR.
Reihe: Leben lernen - 336. .
Thema
Innere Bilder in der Verhaltenstherapie – Die Macht der Vorstellungskraft nutzen
Die Autorin erläutert vielfältige Möglichkeiten, um die Selbstheilungskräfte von KlientInnen durch innere Bilder zu aktivieren.
Autorin
Frau Erika Güroff ist Diplom – Psychologin. Sie arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapeutin, Lehrtherapeutin und Supervisorin und ist Dozentin bei der Arbeitsgemeinschaft zur Verhaltensmodifikation in München.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Buch umfasst 215 Seiten und ist in zwei Hauptkapitel aufgeteilt. Zusätzlich gibt es ein persönliches Vorwort, eine Einleitung, einen Ausblick, ein Verzeichnis der Geschichten und Metaphern und ein Literaturverzeichnis. In Kapitel 1 erläutert Frau Güroff den theoretischen Hintergrund ihrer Ausführungen. Kapitel 2 widmet sich dem praktischen Teil und stellt das umfangreichste Modul des Buches dar.
- Theoretischer Hintergrund
1.1 Beiträge aus der Hirnforschung
Die Hirnforschung ist sich mittlerweile sicher, dass die unterschiedlichsten Arten von Erfahrungen dazu beitragen, dass sich im Gehirn immer wieder neue neuronale Vernetzungen bilden und das bis ins hohe Alter. Innere Bilder tragen dazu bei, das Gehirn zu strukturieren und das Denken und Handeln zu beeinflussen. Bei realen Handlungen und inneren Bilder werden die gleichen Hirnareale angeregt und bereits angelegte Verschaltungsmuster aktiviert. Diese Tatsache kann therapeutisch genutzt werden, indem Repräsentanzen mit Hilfe innerer Bilder neu gestaltet werden.
1.2 Verortung im verhaltenstherapeutischen Rationale
Verhaltenstherapeutisch gesehen besteht eine Verbindung zwischen den Emotionen und dem Verhalten eines Menschen. Die Autorin bezieht sich in ihren Ausführungen überwiegend auf das verhaltenstherapeutische Modell des SORC – Schemas. Hierbei handelt es sich um das Modell einer horizontalen Verhaltensanalyse. Die Buchstaben SORC stehen für: S= Stimmulus, O= Organismus, R= Reaktion und C= Konsequenz. Innere Bilder sind hier nicht einbezogen. Erika Güroff ordnet in diesem Modell die Imagination folgen Aspekten zu.
a. O= Organismus. Hier sind alle in der Biographie des Menschen erworbenen Annahmen, Einstellungen und Strukturen. Diese umfassen auch die Emotionen und inneren Bilder des Menschen.
b. R= Reaktion. Die vier Aspekte der Reaktion umfassen die Gedanken (kognitiv), die Gefühle (emotional), die körperlichen Reaktionen (physiologisch) und das beobachtbare Verhalten (motorisch). Die Imagination könnte laut der Autorin einen fünften Aspekt abbilden oder der Ebene der Gedanken, der Kognition zugeordnet werden.
1.3 Der Gegenstand dieses Buches
Innere Vorgänge begleiten den Menschen auf visueller, sensitiver, akustischer und olfaktorischer Ebene. Innere Bilder aus echten Erinnerungen, konstruierten Erinnerungen, aus der Phantasie oder von Filmen begleiten Menschen und geben Impulse für Gefühle. Diese Vorgänge laufen in der Regel unbewusst ab. Innere Bilder sind hierbei immer sehr persönlich und unterscheiden sich von den Wahrnehmungen anderer Menschen. Die Autorin versucht mit ihrer Methode die inneren Bilder der Individuen, ins Bewusstsein zu holen und sie wertschätzend in der Therapie einzusetzen.
2. Praktischer Teil
Ein Kerngedanke ist Frau Güroff besonders prägnant „Innere Bilder können auf vielfältige Weise im verhaltenstherapeutischen Procedere genutzt und bearbeitet werden. Die Arbeit mit ihnen hilft und unterstützt uns bei der Behandlung; sie ist nicht die Behandlung selbst.“
2.1 Die Integration von inneren Bildern in das therapeutische Gespräch
Imaginationen können eine Behandlung von Beginn an durch die Wahl einer bildhaften Sprache begleiten.
Beispiele aus unserer Sprache: …Welt wieder bunter… …zum Klingen kommen… …Haut wohler fühlen … oder das Rauschen des Meeres.
Behandlungsziele können mit Hilfe von Bildern leichter formuliert werden. Als Beispiel wird die Geschichte „Die Fee und das gelöste Problem“ vorgestellt. Erzählt wird von einer guten Fee, die durch Zaubern bewirken kann, dass das jeweilige Problem verschwindet, obwohl alles andere so ist, wie es immer war. Die Veränderung liegt in der Person, nicht im Umfeld. Die Menschen werden ermutigt, zu beschreiben, wie sie erkennen, dass ihr Problem gelöst ist. Die Autorin zeigt auf wie sie von Beginn der Therapie ihre PatientInnen mit Hilfe einer Sprache in Bildern, Allegorien, Symbolen und Metaphern einbinden und erreichen kann. Zu verdeutlichen das die Verhaltenstherapie auf dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit beruht, kann auf verschiedene Weise geschehen. Wird dieser Prozess mit einem Bild verdeutlicht, wie zum Beispiel dem Erklimmen eines Berggipfels, eröffnet sich die Möglichkeit den Therapieweg auszuschmücken. Beginnend mit der Vorbereitung, ähnlich wie bei einer großen Bergtour bis hin zur Erreichung des Gipfels, des Ziels. Das neu betrachten von Gefühlen wie Angst, Trauer, Ärger, Freude, Mut oder Selbstvertrauen hilft diese zu verstehen und anders anzunehmen. Viele Menschen möchten perfekt sein und beziehen dies auch auf die Lösung ihrer Probleme. Geschichten wie zum Beispiel „Der Vater mit dem Sohn und dem Esel“ können helfen, zu erkennen, dass man es nicht allen recht machen kann. Ebenso bietet die Autorin Geschichten für Menschen an die Schwierigkeiten haben zum Beispiel: Chancen zur Veränderung zu ergreifen, die Zielkonflikte verspüren, unter der Erwartung anderer leiden, sich mit anderen vergleichen, das Bedürfnis haben ganz schnell ans Ziel zu kommen, die die Erwartung haben von anderen besser wahrgenommen und behandelt zu werden oder die bei der Angst stehen bleiben und nicht weiterdenken können.
2.2 Die verändernde Arbeit mit Innenbildern
In diesem Teil des Buches werden viele Beispiele aufgezeigt in denen Imaginationen angepasst und umgewandelt werden, so wie sie auf die aktuelle Situation der KlientInnen passen. Visualisierungen können unterstützen, wenn es darum geht neue Blickwinkel auf positives Erleben, auf die Stärken und Ressourcen und die Kompetenzen. zu entdecken. Auch hier weist Frau Güroff wieder darauf hin, dass es sich bei der Arbeit mit Imaginationen um einen Baustein innerhalb einer Therapie handelt. In diesem Kapitel werden strukturiert durch Unterpunkte, Beispiele dargestellt. Angesprochen werden die Bereiche:
2.2.1 Positive Bilder induzieren
Im Rahmen eines therapeutischen Gesprächs kann dieses durch prägnante Fragen nach inneren Bildern und Abläufen bereichert und ergänzt werden. Zuzuordnen ist diese Therapieform, der Arbeit an zielführenden und hilfreichen Gedanken (Wilken 2019), der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT).
Grundlage von allem ist die Annahme, dass in jedem Menschen ein Ich vorhanden ist, das unzerstörbar und mit der Fähigkeit der Selbsterhaltung und der Mitmenschlichkeit ausgerüstet ist. Auch wenn Menschen viele Selbstzweifel haben, spüren sie, dass sie in ihrem Inneren „einen solchen Kern besitzen“. Aufgabe der Therapeutin ist es mit Hilfe von inneren Bildern diesen Kern, dieses „Ichwesen“ sichtbar zu machen.
2.2.2 Aktive Veränderung maladaptiver Phantasieinhalte
Dieser Bereich betrachtet die verschiedenen Möglichkeiten „der korrigierenden Einflussnahme auf maladaptive Bilder“. Die KVT spricht hier von Techniken zur zielführenden Gedankenveränderung. Ein Element in diesem Abschnitt ist die geführte Imagination. Die Autorin weist ausdrücklich darauf hin, dass es hier um eine Methode geht, die nicht bei allen PatientInnen angewandt werden kann. Entscheidend ist, dass vorher über die Inhalte, die Bilder, gesprochen werden sollte. Weitere Methoden, die in den Bereich der aktiven Veränderung von Phantasieinhalten gehören sind zum Beispiel:
- Reparatur/Veränderung eines Bildes
Bilder und gedachte Situation können verändert werden, indem zum Beispiel neue Personen und/oder Gegenstände hinzugefügt werden. Die TherapeutIn begleitet diesen Prozess durch Fragen, die daraufhin zielen, wer oder was helfend eingreifen könnte.
- Arbeit mit Erinnerungen
Erinnerungen an Bilder, in denen es uns nicht gut ging, wir vielleicht verletzt oder abgelehnt wurden können sich wie festgelegt und nicht veränderbar anfühlen. Allerdings sind diese Innenbilder ein Konstrukt des Gehirns, das überschreibbar ist. So entsteht die Möglichkeit, Gefühle zu bestimmten Erfahrungen zu verändern.
- Akzeptierende Betrachtung der inneren Bilder
Diese Technik hat ihre Grundlage zum einen in der achtsamkeitsbasierten Therapie und zum anderen in der Technik des Zu-Ende-Denkens aus der kognitiven Verhaltenstherapie.
Am Ende des Buches finden die LeserInnen ein Verzeichnis der Geschichten und Metaphern.
Diskussion
Der Theorieteil des Buches beschränkt sich auf grundsätzliche Kernpunkte, die bei der Arbeit mit inneren Bildern zu berücksichtigen sind. Da davon auszugehen ist, dass Menschen die therapeutisch mit Imaginationen arbeiten, psychotherapeutisch ausgebildet sind und somit über ausreichend Hintergrundwissen verfügen, ist dies sinnvoll. Der Kontext wird nachvollziehbar dargestellt und der Fokus des Werkes liegt eindeutig bei den konkreten, praktischen Hinweisen und Beispielen. Die Erkenntnis der Hirnforschung, dass neue neuronale Verknüpfungen nicht nur durch konkrete Handlungen, sondern auch durch inneres Erleben entstehen, ermöglicht es, dass sich das Gehirn immer wieder neu strukturieren kann. Dies geschieht unabhängig von den körperlichen Fähigkeiten eines Menschen. Dies ist eine entscheidende Sichtweise, die die Auseinandersetzung mit inneren Vorgängen stärkt.
Der Bezug auf verhaltenstherapeutische Theorien, im Besonderen auf das „SORC Modell“ wird im Theorieteil erläutert. Interessant ist hier besonders die Erweiterung der Autorin durch ihre Annahme, dass die inneren Bilder besonders die Bereiche der Biografie und der Gedanken/der Kognition berühren. Der wertschätzende Umgang mit den PatientInnen ist der Leitfaden von Frau Güroff. Ihr Anliegen ist es mit Hilfe der Imagination das Unbewusste im Menschen zu wecken und zu entdecken. Sie nutzt innere Bilder bereits bei ihrem ersten Gespräch und unterstützt hiermit das Entdecken von Therapiezielen.
Die Vielfalt der therapeutischen Möglichkeiten mit inneren Bildern neue Horizonte zu eröffnen ist beeindruckend und hilfreich. Frau Güroff gelingt es, mit ihren Ausführungen Begeisterung für die Macht der Vorstellungskraft zu wecken. Fachlich fundiert führt sie die Leserinnen durch die Wunderwelt des Menschen. Zwei Aspekte tauchen hierbei immer wieder auf und machen deutlich, wie wesentlich diese Annahmen sind. Die Autorin ist der Überzeugung, dass in jedem Menschen ein tiefes, unzerstörbares Ich wohnt. Ein Ich, das zwar den Kern des Menschseins abbildet, zu dem aber viele Menschen den Zugang verloren haben. Mit Hilfe der inneren Bilder kann es gelingen dem verschütteten Ich auf die Spur zu kommen und es neu zu entdecken. Menschen sind sehr verschieden, das ist unumstritten. Damit es jedoch möglich ist, sie mit Hilfe von Imaginationen zu erreichen, müssen diese auf den jeweiligen Menschen passen. Das bedeutet, dass TherapeutInnen über eine große Vielfalt von Möglichkeiten verfügen müssen, um ihre PatentInnen in ihrem Kern zu erreichen. Nicht jedes Bild, jede Geschichte passt zu jedem Menschen. Der Autorin gelingt es, mit ihrem Werk hier zu sensibilisieren und ausreichend Ideen anzubieten. Der andere Aspekt bezieht sich auf die Verantwortung der TherapeutInnen gegenüber ihren PatientInnen. Frau Güroff weist mehrfach darauf hin, dass die Arbeit mit inneren Bildern innerhalb der Verhaltenstherapie bei der Behandlung unterstützt und diese bereichert, dass sie aber nicht selbst die Behandlung darstellt.
Die zahlreichen Praxisbeispiele zeigen auf wie einzelne Methoden anzuwenden sind, welche Risiken auftreten können und welche Veränderungen möglich sind. Frau Erika Güroff geht immer behutsam und wertschätzend vor und zeigt eine achtsame, wohlwollende Haltung allen Menschen und ihren Gefühlen und inneren Vorstellungen gegenüber.
Das Buch beinhaltet einen großen Praxisschatz mit Bildern, Geschichten und Therapiebeispielen. Es bietet Orientierung beim Einsatz von inneren Bildern und macht neugierig bei sich selbst und bei anderen Menschen Vorstellungen und Geschichten zu entdecken. Ein Buch, das zum ständigen Begleiter und zum Nachschlagwerk werden kann.
Fazit
Die Nutzung von inneren Bildern in der Verhaltenstherapie bietet die Möglichkeit, die Kraft der Vorstellungskraft zu nutzen, um neue Möglichkeiten zu spüren. Menschen werden innerhalb einer Therapie begleitet ihren oft unbewussten, individuellen inneren Kern, ihr Ich zu erleben und zu entdecken.
Rezension von
Ulrike Ziemer
Dipl. Heilpädagogin (FH)
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Zitiervorschlag
Ulrike Ziemer. Rezension vom 16.08.2023 zu:
Erika Güroff: Innere Bilder in der Verhaltenstherapie (Leben Lernen). Die Macht der Vorstellungskraft nutzen. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2022.
ISBN 978-3-608-89275-8.
Reihe: Leben lernen - 336. .
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29807.php, Datum des Zugriffs 30.09.2023.
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