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Gudrun Wansing, Markus Schäfers et al. (Hrsg.): Teilhabeforschung – Konturen eines neuen Forschungsfeldes

Rezensiert von Tamara Glasl, 08.12.2022

Cover Gudrun Wansing, Markus Schäfers et al. (Hrsg.): Teilhabeforschung – Konturen eines neuen Forschungsfeldes ISBN 978-3-658-38304-6

Gudrun Wansing, Markus Schäfers, Swantje Köbsell (Hrsg.): Teilhabeforschung – Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Springer (Berlin) 2022. 546 Seiten. ISBN 978-3-658-38304-6. D: 39,99 EUR, A: 43,99 EUR, CH: 47,14 sFr.
Reihe: Beiträge zur Teilhabeforschung.

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Thema

Der Sammelband „Teilhabeforschung – Konturen eines neuen Forschungsfeldes“ stellt unterschiedliche Facetten des noch jungen Forschungsfeldes der Teilnaheforschung vor. Dieses Forschungsfeld widmet sich den Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. In Anlehnung an die Lebenswelten liegt ein thematischer Fokus auf gleichberechtigter Teilhabe und Inklusion. Ebenso erfolgen kritische Auseinandersetzungen mit Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzung. Die einzelnen Beiträge reichen von Grundlagen bis hin zu spezialisierten Vertiefungen und von theoretischen bis hin zu empirischen Aufsätzen. Somit bedient sich der Sammelband einem breiten Spektrum an Aufsätzen zum Themenfeld der Teilhabeforschung.

Entstehungshintergrund

Der Sammelband entspringt der Buchreihe „Beiträge zur Teilhabeforschung“ und strebt eine Weiterentwicklung und Profilierungen des Forschungsfeldes an. Dieses Publikationsforum bietet Platz für unterschiedlichste Themenschwerpunkt und steht auch Qualifikationsarbeiten, wie Promotionen und Habilitationen offen gegenüber um diesen Raum zu bieten.

Die Inhalte des Sammelbands „Teilhabeforschung – Konturen eines neuen Forschungsfeldes“ basieren auf Beiträgen des 1. Kongress der Teilhabeforschung, der im September 2019 stattfand. Initiiert wurde dieser vom Aktionsbündnis Teilhabeforschung und der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Kongressbeiträge werden im Buch durch zusätzliche Beiträge ergänzt. Finanzielle Unterstützung erfuhr sowohl die Publikation, als auch der Kongress vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Aufbau

Der Sammelband beginnt mit einem Vorwort. Hier erhalten die Leser*innen zu Beginn einige Hintergrundinformationen zur Finanzierung, zu den beteiligten Organisationen, dem zugrundeliegenden Kongress und den Zielen des Sammelbandes.

Inhaltlich beginnt das Buch mit einem einleitenden Beitrag der drei Herausgeber, Gudrun Wansing, Markus Schäfers und Swantje Köbsell. Es folgen Beiträge verschiedenster Autor*innen zu einer Vielzahl verschiedenster Themenschwerpunkte, die sich im Feld der Teilhabeforschung befinden. Gegliedert werden die Beiträge in 6 Themenbereiche -

  1. „Zum Teilhabebegriff“
  2. „Exemplarische theoretische Zugänge zur Teilhabeforschung“
  3. „Methodologische und methodische Aspekte der Teilhabeforschung“
  4. „Partizipative Teilhabeforschung – Fragestellungen und Beispiele“
  5. „Exemplarische Themen und Projekte der Teilhabeforschung – Familie, Kommune, Sozialraum“
  6. „Exemplarische Themen und Projekte der Teilhabeforschung – Unterstützungssysteme“

Inhalt

Teilhabeforschung – ein neues Forschungsfeld profiliert sich“ von Gudrun Wansing, Markus Schäfers und Swantje Köbsell

Auf das Vorwort folgt ein erstes einleitendes Kapitel der Herausgeber*innen. Die Autor*innen erläutern die Entstehung und die Relevanz des Forschungsfeldes an unterschiedlichen wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Impulsen. Im Fall der Teilhabeforschung lag die Gewichtung zu Beginn der Debatten vor allem auf nichtwissenschaftlichen Impulsen, so waren es „vor allem sozialpolitische und sozialrechtliche Entwicklungen, welche dem Teilhabebegriff zur Konjunktur verholfen haben“ (S. 2). Neben politischen und menschenrechtlichen Entwicklungen, beeinflussten auch die Aktivitäten von Fachpraxis und Wissenschaft die Veränderungen. Durch diese Bemühungen entstanden erste Forschungen im Bereich von Teilhabe. Das Buch zielt nun darauf ab, „Teilhabe das notwendige wissenschaftliche Fundament zu geben“ (S. 5), so die Herausgeber*innen. Es folgen Erläuterungen zu den einzelnen thematischen Schwerpunkten, des Buches. Die Autor*innen zielen keinen Falls auf die komplette Beleuchtung des Themenfeldes ab, vielmehr streben sie nach der Aufdeckung offener Fragen im Forschungsgebiet.

Zur Bedeutung von Unterstützter Kommunikation für die Teilhabeforschung im Kontext der Befragung junger Erwachsener mit komplexen Kommunikationsbeeinträchtigungen – Erkenntnisse zur Interviewmethodik am Beispiel einer Fallstudie“ von Tanja Freifrau Schenck zu Schweinsberg

Der Beitrag von Tanja Freifrau Schenck zu Schweinsberg konzentriert sich auf Unterstützte Kommunikation als zentraler methodischer Zugang für Befragungen bei Menschen mit komplexen Kommunikationsbeeinträchtigungen. Die zugrundeliegende Fallstudie untersuchte an Hand von fünf jungen Erwachsenen Förderfaktoren und Barrieren für Kommunikation und Teilhabe an Bildungsprozesse im Übergang zwischen Schule und Beruf. Zusätzlich wurden zwei weitere Fälle, ein Fall jüngeren und ein Fall älteren Jahrgangs, mitberücksichtigt. Der Beitrag stellt die Erkenntnisse zur methodischen Vorgehensweise bei der Befragung von nicht bzw. kaum lautsprachlich kommunizierenden Personen vor (vgl. S. 247–248).

Zunächst stellt die Autorin die Grundlagen Unterstützer Kommunikation vor. Hier geht sie auf die unterschiedlichen Möglichkeiten ein und stellt die Personengruppe vor, die von Unterstützung bei der Kommunikation profitiert. Dabei geht sie auf unterschiedliche Kommunikationskompetenzen ein und unterteilt den Personenkreis in vier Gruppen. Anschließend stellt die Autorin eine Möglichkeit vor, bei der Personen abhängig von dem Ziel das verfolgt wird eingeteilt werden. Es ergeben sich hierbei drei verschiedene Gruppen: UK als Ausdrucksmittel, UK als Hilfe für den Spracherwerb und UK als Ersatzsprache. Die theoretische Besprechung des Themas schließt Tanja Freifrau Schenck zu Schweinsberg mit einer Beschreibung von aktuellen Entwicklungen ab.

Anschließend widmet sie sich der Beschreibung ihrer im Rahmen einer Promotion durchgeführten Fallstudie und stellt zunächst ihr Forschungsdesign vor. Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den gewonnenen Erkenntnissen im Hinblick auf Interviewmethodik. Die Autorin zieht als Fazit, dass der Einsatz von Unterstützer Kommunikation in Forschung eine Herausforderung für alle beteiligten Personen darstellt und ein gewisses Maß an Kreativität und Umdenken erfordert. Trotz des Mehraufwands stellt die Methode einen großen Gewinn für Teilhabeforschung dar.

Einwilligung von Menschen mit geistiger Behinderung als Befähigungsprozess – Konsequenzen für die Teilhabeforschung“ von Julia Heusner, Anna Roemer und Sabine Schäper

Das Kapitel beschäftigt sich mit zwei unterschiedlichen Fragestellungen. Zum einen widmet es sich der Einwilligung im Bereich der Forschung mit Menschen mit geistiger Behinderung und zum anderen stehen lebensverkürzt erkrankte Kinder und Jugendliche im Fokus der Betrachtung.

Zunächst lösen die Autor*innen das Thema aus seiner meist juristisch ummantelten Hülle und stellen es in den Kontext von Selbstbestimmung und Emanzipation. So führt eine Einwilligungserklärung, in dessen Prozess lediglich gesetzliche Betreuer*innen, nicht aber die betroffenen Menschen selbst, einbezogen werden, zu Fremdbestimmung und widerspricht der UN-BRK (vgl. S. 322). Im Folgenden stellen die Autor*innen den Grundgedanken von Einwilligungen in der Forschung dar: den Schutz vor Missbrauch von Menschen zu Forschungszwecken. Vor diesem Hintergrund stellt der Text die Komplexität dieses Prozesses dar und geht auf geeignete Schritte ein. Forscher*innen befinden sich hierbei stets im Konflikt: auf der einen Seite sollen und wollen sie an ein konstruiertes Anforderungsniveau für die Beurteilung von Einwilligungsfähigkeit anknüpfen und auf der anderen Seite steht der Wunsch, Forschungsteilnehmer*innen eine informierte und freiwillige Teilnahme mit nötiger Aufklärung nicht vorzuenthalten. Lösung schafft ein Umdenken, nachdem „Einwilligung (…) kein einseitiger Akt des Zustimmens oder Ablehnens, sondern ein dialogisches Geschehen“ (S. 330) darstellt.

Dieses Verständnis von Einwilligung wird an zwei Beispielen verdeutlicht: einmal thematisieren die Autor*innen „wie junge Menschen in ihr Recht auf persönliche Entscheidungsfindung, auch im Hinblick auf ihr eigenes Sterben, eingebunden sein können“ (S. 332) und zum anderen besprechen sie wie Forschende mit der Spannung zwischen umfassender Information der Teilnehmer*innen und dem Schutz vor Überforderung umgehen können (vgl. S. 336). An Hand der beiden Beispiele werden anschließend Empfehlungen für Einwilligungsprozesse diskutiert.

Teilhabe und Assistenz – Zur Bedeutsamkeit der Assistenzbeziehung für die Teilhabe an der Assistenz von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung“ von Deborah Luise Lutz

Der letzte Beitrag des Sammelbandes beschäftigt sich mit der Teilhabe am Assistenzprozess für Menschen mit geistiger Behinderung. Die Autorin bezieht dabei ethnographische Daten zum relationalen Erleben von Assistenzbeziehungen in Australien und Deutschland mit ein (vgl. S. 527).

Die Autorin beschreibt Teilhabe, im Kontext des Beitrages, als Möglichkeit der Partizipation am Assistenzprozess. Diese Einbeziehung des Menschen mit Beeinträchtigung bezieht sich auf den gesamten Prozess der Assistenz, also von der Planung, über die Organisation bis hin zur Durchführung und verschafft betroffenen Personen somit Macht und Kontrolle über den gesamten Prozess (vgl. 528).

Zu Beginn des Beitrags wird das Forschungsdesign kurz umrissen und man lernet die Forschungsteilnehmer*innen, Assistenznehmer*innen und Assistent*innen, und deren Situationen kennen. An Hand der beachteten Situation, bzw. der wiedergebenden Antworten, analysiert die Autorin im Folgenden das Verhältnis von Teilhabe und Assistenz. Hierbei geht die Autorin zunächst auf die Kommunikation und den Austausch innerhalb der Paare ein und bezieht später auch den Aspekt der Machtverteilung mit ein.

Diskussion

Der Sammelband ist sehr umfassend und die Beträge widmen sich unterschiedlichsten Themen, die in 6 Bereiche inhaltlich gegliedert werden. Die Abfolge der Beiträge ist schlüssig und die Unterteilung in mehrere Themenbereiche schafft eine angenehme Struktur, gerade in Hinblick auf die Komplexität und Größe des Forschungsfeldes. Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung, dies erleichtert das Lesen und den Umgang mit den Texten ungemein.

Der Sammelband bzw. die gesamte Buchreihe richten sich an Wissenschaftler*innen aus dem Forschungsbereich der Teilhabeforschung. Es benötigt daher schon ein hohes Maß an Forschungsinteresse. Für einige Praktiker*innen könnte es unter Umständen trotzdem eine spannende Lektüre darstellen. Gerade dann, wenn die Fachkräfte oder einzelne Klient*innen der Einrichtung selbst in Forschungsprozesse involviert sind. Selbstverständlich ist die Lektüre auch für Studierende eine gute Empfehlung

Das Vorwort verrät, dass die Beiträge einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. In welcher Form diese Qualitätskontrolle verläuft wird dem*der Leser*in nicht näher beschrieben. Ein Blick hinter die Kulissen wäre für manche Interessierten sicherlich spannend.

Alles in allem lässt sich sagen, dass dieser Sammelband sehr lesenswert ist und es zu hoffen bleibt, dass viele Menschen dieses so wichtige Thema aktiv vorantreiben wollen und werden.

Fazit

Der Sammelband ist eine wirklich gute Investition für alle Forscher*innen, die sich für das Feld der Teilhabeforschung interessieren. Die Buchreihe „Beiträge zur Teilhabeforschung“ stellt eine gute Möglichkeit für diejenigen da, die ihre Ergebnisse publizieren wollen. Mit der Vielzahl an Themen, die die verschiedenen Autor*innen in ihren Beiträgen diskutieren, deckt der Sammelband eine Fülle an aktuellen Entwicklungen ab. Die Herausgeber*innen streben die Weiterentwicklung und Profilierungen des Forschungsfeldes an und mit dieser Buchreihe haben sie mit Sicherheit einen großen Beitrag dazu geleistet.

Rezension von
Tamara Glasl
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Es gibt 9 Rezensionen von Tamara Glasl.

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ISSN 2190-9245