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Georg Theunissen: Empowerment

Rezensiert von Tamara Glasl, 29.11.2022

Cover Georg Theunissen: Empowerment ISBN 978-3-7841-3532-8

Georg Theunissen: Empowerment. Wegweiser für Inklusion und Teilhabe behinderter Menschen. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. 4., aktualisierte Auflage. 334 Seiten. ISBN 978-3-7841-3532-8. 35,00 EUR.
Reihe: Inklusion.

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Thema

Das Buch „Empowerment. Wegweiser für Inklusion und Teilhabe behinderter Menschen“ bietet eine Einführung in die Theorie und Praxis des Empowerment-Konzepts. Der Autor Prof. Dr. Georg Theunissen geht in seinem Buch auf unterschiedlichste heilpädagogische und sozialarbeiterische Bereiche ein und deckt so mit seinem Buch von der Elternarbeit bis zur Erwachsenenbildung unterschiedlichste Lebensaspekte ab. Zielgruppe des Buchs sind insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten und komplexen Beeinträchtigungen. Diese stehen als Experten und Expertinnen in eigener Sache im Mittelpunkt der Betrachtung. Neben den aktuellen gesetzlich-politischen Entwicklungen betrachtet Theunissen auch immer die historischen Hintergründe und kommt so zu dem Schluss, „dass die Aktualität von Empowerment ungebrochen ist“ (S. 9).

Autor

Prof. Dr. Georg Theunissen ist Dipl.-Pädagoge, Heil- und Sonderpädagoge. Im Studium legte er den Schwerpunkt auf heilpädagogische Kunsterziehung/​Kunsttherapie und Verhaltensauffälligkeiten. Diese Bereiche finden sich auch in aktuellen Publikationen immer wieder als thematische Schwerpunkte. Er gilt als Experte für Autismus und herausfordernde Verhaltensweisen. Seit 2019 ist Georg Theunissen im Ruhestand und blickt auf über 600 Fachbeiträge und ca. 70 Fachbücher zurück.

Entstehungshintergrund

Die ursprüngliche Fassung des Buchs stammt aus dem Jahr 1995 und wurde unter dem Titel „Empowerment und Heilpädagogik. Ein Lehrbuch“ veröffentlicht. Die aktuelle Version des Buches erschien in 4. Auflage. Das Empowerment-Konzept begleitete Theunissen über fast 30 Jahre. In Deutschland erfuhr das Thema gerade im Hinblick auf die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und dem neuen Bundesteilhabegesetz neuen Auftrieb.

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit einem Vorwort zur 4. Auflage und einer sehr ausführlichen Einführung, in der Theunissen Hintergrundwissen zum vorliegenden Buch schafft. Hier thematisiert er unteranderem die Referenzgruppe, die historische Entwicklung der Heilpädagogik und Sozialen Arbeit, Inklusion und Teilhabe. Es folgen sieben inhaltliche Kapitel. Am Schluss des Buches gibt Theunissen Tipps für weiterführende Literatur. Ein Sachwortregister auf den letzten Seiten erlaubt dem Leser gezieltes inhaltliches Suchen.

Im ersten Kapitel, Empowerment – Ein Wegweiser für die Heilpädagogik und Behindertenhilfe, thematisiert Theunissen die unterschiedlichen Facetten von Empowerment. Dabei stellt er die historische Entwicklung des Ansatzes vor und beschreibt das zugrundeliegende Menschenbild. Auf die theoretische Betrachtung folgen konkrete Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Hier stellt er verschiedene Modelle zur professionellen Haltung bzw. zu professionellem Handeln vor. Zur Mitte des ersten Kapitels hin beleuchtet Theunissen die partizipative Dienstleistungskultur auf vier verschiedenen Ebenen:

  1. der subjektzentrierten,
  2. der gruppenbezogenen,
  3. der institutionellen und
  4. der sozialpolitischen und gesellschaftlichen Ebene.

Die zweite Hälfte des ersten Kapitels befasst sich mit drei Empowerment-Bewegungen, dem Independent Living Movement, dem Self-Advocacy Movement und People First und dem Autism Rights Movement.

Das zweite Kapitel, Wissenschaft und Praxis, beschäftigt sich mit der Heilpädagogik als Berufspraxis und Fachwissenschaft und geht dabei auch auf seine Bezugsdisziplinen ein. Theunissen stellt die verschiedenen Einflüsse dar und geht dabei auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, sowieso die historische Weiterentwicklung ein. In diesem Kapitel werden verschiedene Strategien von Forscher*innen diskutiert und im Hinblick auf Gütekriterien kritisch beleuchtet. Am Ende des Kapitels stellt Theunissen ein Forschungsprojekt als Beispiel für Wissenschaft in der Heilpädagogik vor und prüft dieses auf Basis des Erhebungsbogens einer disziplinären Matrix auf seine Wissenschaftlichkeit.

Es folgt ein Kapitel zur Arbeit mit Eltern und Familien. Hier beschreibt Theunissen zunächst zwei Modelle zur Arbeit mit Angehörigen, die in der Praxis aktuell weit verbreitet sind und deckt deren Schwachstellen auf. Anschließend stellt er Möglichkeiten zur Umsetzung des Empowerment-Ansatzes für die Arbeit mit Eltern vor. Er stellt Kriterien für gewinnbringende Zusammenarbeit zwischen Familien und Fachkräften vor und erläutert deren praktische Umsetzung anschließend an Hand zweier Fallbeispiele. Hier geht Theunissen auf die verschiedenen Arten von Stärken und Kompetenzen ein. Der letzte Teil des Kapitels widmet sich dem Empowerment Family Model. Hier stellt er zunächst die Leitprinzipien und zwölf Prüfsteine für ein funktionsfähiges Familiensystem vor. Abschließend beleuchtet er die professionelle Arbeit mit Familien auf vier verschiedenen Ebenen:

  1. der subjektzentrierten,
  2. der lebensweltlichen (Mikro-) Ebene,
  3. der Gruppenebene und
  4. der strukturellen und sozialpolitischen Ebene.

Das vierte Kapitel, Schule und Unterricht, beginnt Theunissen mit Bemerkungen zu Entwicklungen im schulischen Bereich in den USA. Er stellt zunächst die Vorteile für Schüler mit Behinderung und deren Eltern vor und geht anschließend auf Gefahren und Risiken ein. Anschließend geht der Text, anknüpfend an das letzte Kapitel, auf das Mitspracherecht von Eltern im US-amerikanischen Schulsystem ein. Hier stellt er elf Schritte für Eltern vor. Diese enthalten neben den Rechten zur Mitsprache der Eltern auch Pflichten und Aufgaben, die betroffene Eltern übernehmen sollten. In einem kritischen Resümee bezieht er die Erkenntnisse auf die aktuelle schulische Situation in Deutschland. Theunissen diskutiert, wie das Empowerment-Konzept auch im deutschen Schulsystem umgesetzt werden kann und zieht anschließend Konsequenzen für den Unterricht. Dabei gibt er dem Leser oder der Leserin neun Leitprinzipien zur Hand. An Hand ressourcenorientierter und sozialorientierter Unterrichtsarrangements bringt Theunissen konkrete Beispiele zur Umsetzung des Empowerment-Ansatzes. Es folgenden zwei Projektbeispiele an denen er konkrete Maßnahmen im schulischen Kontext veranschaulicht. Das Kapitel endet mit zwei kritischen Anregungen an das System der Schule an sich. Dieses Kapitel enthält zudem einen Anhang mit zwei Tabellen, auf deren Basis man Empowerment-Fähigkeiten abfragen, einordnen und dokumentieren kann.

Im fünften Kapitel, Teilhabe am Arbeitsleben, geht Theunissen in seinen einleitenden Bemerkungen auf das Ungleichgewicht, zum einen den sozialpolitischen Wunsch nach Inklusion in allen Lebensbereichen und auf der anderen Seite den wirtschaftlichen Interessen nach. Theunissen stellt im Folgenden verschiedene Arbeitsmodell vor. Hier geht er sowohl auf Möglichkeiten am ersten Arbeitsmarkt ein, also auch auf Modelle, die außerhalb stattfinden. Im Laufe des Kapitels stellt er neben dem Konzept der unterstützten Beschäftigung die damit einhergehenden Integrationsfachdienste vor. Theunissen geht beim Thema der Werkstätten für Menschen mit Behinderung detailliert auf deren Finanzierungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Spannung ein. Hier stehen sich der Wunsch starke Mitarbeitende mit Beeinträchtigung an den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln und dem Zwang durch starke Mitarbeitende wirtschaftlich agieren zu können gegenüber.

Das sechste Kapitel, Bildung im Erwachsenenalter und Alter, beschäftigt sich mit dem Recht auf lebenslanges Lernen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Das Verständnis von Bildung setzt hier bereits am Aufzeigen unterschiedlicher Möglichkeiten an. Theunissen versteht unter dem Begriff der Bildung im Erwachsenenalter sowohl die Angebote, die auf Lern- und Wissensvermittlung abzielen, als auch die, die sich der selbstbestimmten Selbstbildung widmen. Einen Schwerpunkt setzt er dabei auf die Didaktik und auf die Notwendigkeit, Bildungsangebote so zu gestalten, dass sie für Menschen mit Beeinträchtigungen nutzbar sind. Hierfür stellt Theunissen unterschiedliche Methoden vor. Den Leser*innen werden acht konkrete Schritte zur Entwicklung, Durchführung und Evaluation geeigneter Bildungsangebote zur Verfügung gestellt. Am Ende des Kapitels werden Möglichkeiten einer selbstorganisierten Bildung thematisiert.

Das letzte Kapitel widmet sich dem Wohnen und Leben in der Gemeinde. Das Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung zur historischen Entwicklung zu Unterbringungen für Menschen mit Beeinträchtigung und deren zugrundeliegendes Verständnis. Es folgen Ausführungen zur Sicht derer, die betroffen waren und noch immer sind. Im Zusammenhang mit Deinstitutionalisierung zeigt Theunissen Möglichkeiten von kleineren Wohngemeinschaften und selbstbestimmten Wohnmöglichkeiten auf. Hierbei geht er auf Risiken und problematische Entwicklungen ein und zeigt so die Notwendigkeit wohlüberlegter Maßnahmen und Angebote auf. Seinen Fokus legt Theunissen im Hinblick auf Wohnen auch auf die Gesellschaft und damit auch die Verantwortung jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin um eine soziale Gemeinde zu schaffen, an der jeder Teilhaben kann. Hierbei geht er auf Konzepte des Supported Living ein. Dabei widmet sich das Kapitel den Besonderheiten bei älteren Menschen und Menschen am Ende des Lebens.

Diskussion

Theunissen vermittelt in seinem Buch sowohl Erklärungs- als auch Handlungswissen und schafft somit nicht nur Verständnis für die Hintergründe, sondern bietet auch konkrete Lösungen für Probleme und Schwierigkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Umfeld. Das Buch bietet eine Sammlung an allgemeingültigen Anleitungen, Konzepten und Methoden, die abhängig von individuellen Faktoren der Person, für so gut wie jeden Anwendung finden können. Theunissen räumt mit seiner ausführlichen Betrachtung von Empowerment-Bewegungen Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen viel Platz ein – ganz im Sinne der Partizipation.

Das Buch spricht grundsätzlich nicht nur eine spezifische Zielgruppe an. Die Inhalte können auf jede Art von Behinderung angewandt bzw. angepasst werden. Damit ist es für alle Fachkräfte im Feld der Heilpädagogik und Behindertenhilfe interessant und gewinnbringend. Aufgrund der Vielzahl an Lebensbereichen wie zum Beispiel, Eltern-/​Angehörigenarbeit, Schule, Arbeit, Bildung und Wohnen, die Theunissen in seinem Buch anspricht, eignet es sich nicht nur zielgruppen- sondern auch bereichsübergreifend für Praktiker und Praktikerinnen.

Lediglich die Freizeit wird nicht explizit behandelt, wenn es auch in den einzelnen Kapiteln immer wieder Überschneidungen mit dem Thema gibt. Doch auch hier lassen sich sicherlich die vorgestellten Konzepte, Leitprinzipien und Handlungsanleitungen adaptieren und so sollten auch Fachkräfte, die sich dem Lebensbereich der Freizeit widmen vom Buch profitieren. Ein selbstständiges Kapitel zu Freizeitangeboten wäre die Krönung dieses ohnehin sehr empfehlenswerten Buches.

Fazit

Das Buch „Empowerment. Wegweiser für Inklusion und Teilhabe behinderter Menschen“ von Prof. Dr. Georg Theunissen bietet eine sehr umfangreiche Einführung in die Theorie und die praktische Umsetzung des Empowerment-Konzepts. Die vielen direkt anwendbaren Handlungsempfehlungen der vorgestellten Konzepte bieten für Praktiker*innen einen großen Mehrwert. Durch die Verwendung von Fallbeispielen eignet sich das Buch auch für die theoretische Ausbildung von Auszubildenden oder Studierenden in der Heilpädagogik und in angrenzenden Disziplinen.

Rezension von
Tamara Glasl
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Es gibt 9 Rezensionen von Tamara Glasl.

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ISSN 2190-9245