Bernd Schorb, Anja Bensinger-Stolze et al. (Hrsg.): Umrisse einer Pädagogik des 21
Rezensiert von Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix, 14.12.2022
Bernd Schorb, Anja Bensinger-Stolze, Fred Schell, Birgita Dusse, Wolfgang Antritter (Hrsg.): Umrisse einer Pädagogik des 21. Jahrhunderts im Kontext der Digitalisierung. kopaed verlagsgmbh (München) 2022. 208 Seiten. ISBN 978-3-96848-075-6. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR.
Thema
Der Sammelband fasst die Beiträge des GEW-Bundesforums „Bildung in der digitalen Welt“ zusammen.
Entstehungshintergrund und Autor:innen
Laut Herausgeber:innen soll mit dem Werk ein differenzierter Blick auf den Begriff Medienkompetenz und Medienbildung für Fachkräfte aller Bildungsbereiche eröffnet werden und diesen Argumente für eine zeitgemäße Pädagogik liefern. Außerdem, so der Hintergrund, sind Medienkompetenzen für die GEW zentraler Baustein der Demokratiebildung. Diese nimmt neben Individuen auch gesellschaftliche Akteur:innen und Strukturen in den Blick, wie im Vorwort erklärt wird.
Die Autor:innen des Sammelbandes sind beruflich überwiegend den Bereichen Schule und Hochschule verwurzelt.
Aufbau
Das Buch ist nach einem Vorwort, das einen Überblick über Entstehungshintergrund und die Inhalte gibt, in drei zentrale Themen untergliedert:
- Primat des Pädagogischen und Digitalisierung der Lernprozesse
- Lehren und Lernen im Kontext Digitalisierung
- Praxis von Bildung im Kontext der Digitalisierung
Inhalt
1. Primat des Pädagogischen und Digitalisierung der Lernprozesse
Im ersten Beitrag setzt sich der Autor Horst Niesyto mit „Digitalem Kapitalismus und kritischer Medienpädagogik“ auseinander. Er zeigt zunächst auf, inwiefern kapitalistische Strukturprinzipien mit den Strukturprinzipien der Digitalisierung Hand in Hand gehen bzw. einander ergänzen. Anschließend legt er die daraus entstandenen bildungsbezogenen Herausforderungen dar. Als besonders problematisch beurteilt er den zunehmenden Einfluss von wirtschaftsnahen Stiftungen und Plattformen im Bildungswesen und legt dieses Problem dar, indem er die unterschiedlichen Kompetenzziele aufzeigt und sich gegen das Konzept der „digitalen Bildung“ ausspricht, da dies generalistische Bildungskonzepte unberücksichtigt lasse. Stattdessen macht sich Niesyto für die Stärkung einer Medienpädagogik als kritische Medien- und Gesellschaftsanalyse, als subjektorientierte Handlungswissenschaft und als pädagogisches Arbeitsfeld stark.
„Souveräne gesellschaftliche Subjekte – Ziel der Medienpädagogik“ lautet der Beitrag von Bernd Schorb und Fred Schell. Sie zeigen zunächst die Berührungspunkte von Digitalisierung und Schule auf (inkl. eines historischen Exkurses) und legen dar, warum Digitalisierung ihrer Ansicht nach eine notwendige Aufgabe für die Pädagogik darstellt. Als Zwischenfazit halten sie fest, dass künstliche Intelligenzen durchaus geeignet seien, reproduzierbares und abfragbares Grundwissen zu vermitteln. Wenn dies gegeben sei, könne man sich als Lehrende:r auf die reformpädagogischen Anliegen – die Schüler:innen durch handlungsorientiertes Lernen zu politischen Souveränen auszubilden – konzentrieren. Medienkompetenz auf Seiten der Pädagog:innen sehen sie dafür als unbedingt notwendig an, um diese durch gezielte didaktische und produktive Einbindung von Medien in den Unterricht, an die Schüler:innen weitergeben zu können.
2. Lehren und Lernen im Kontext der Digitalisierung
Thomas Hickfang behandelt in seinem theoretischen Beitrag „Didaktik des Lernens mit digitalen Medien“ verschiedene Herausforderungen der Digitalität für schulisches Lernen. Er beschreibt Lernen im Kontext Digitalität als einen expansiven Transformationsprozess (in Anlehnung an Engeström 2011), der Widersprüche aufdeckt und zur Weiterentwicklung nutzt. Den theoretischen Hintergrund für seine Überlegungen stellt das Aneignungskonzept dar.
„Medienkompetenzen der ‚Lernenden‘? Orientierungsleistungen zur Bewältigung differenter und wechselnder Lebenshorizonte“ lautet der Beitrag von Anja Hartung-Griemberg und Wolfgang Reißmann. In dem Beitrag wird kein Medienkompetenzkatalog generiert, sondern vielmehr drei sogenannte Querschnittfähigkeiten (die biografische Zusammenhangsbildung, die Fähigkeit zur schöpferischen Auseinandersetzung und die Fähigkeit zur solidarischen Mitgestaltung) entwickelt. Bevor sie diese jedoch entwickeln gehen Autorin und Autor zunächst davon aus, dass Medienumwelten fragil sind und dass eine Orientierung(-sleistung) zentral für Handeln und Denken von Subjekten ist und führen diese Gedanken ausführlich aus.
Mandy Schiefner-Rohs beschreibt in ihrem Beitrag mit dem Titel „(Medien-)Pädagogik im 21. Jahrhundert – (Medien-)Pädagogische Kompetenzen von Lehrenden“ nicht nur formale Bildungssettings, sondern auch non-formale Kontexte, wie die Soziale Arbeit und die frühkindliche Bildung. Sie legt ausführlich dar, warum medienpädagogische Kompetenzen alle pädagogischen Praktiken durchziehen und elementar wichtiger Teil der Professionalisierungsdiskurse sein sollten.
3. Praxis von Bildung im Kontext der Digitalisierung
„Einleitung: Digitalisierung im Bildungswesen“ von Anja Bensinger-Stolze und Birgita Dusse: Die beiden Autorinnen stellen mit ihrer Einleitung einen Rahmen für die nachfolgenden Beiträge aus der Praxis dar. Insofern skizzieren sie drei Herausforderungen (soziale Spaltung, mangelnde Ressourcen und die Förderung einer demokratischen Gesellschaft durch die Digitalisierung) mit denen sich die Pädagog:innen bzw. deren Organisationen auseinandersetzen müssen. Zu jeder der drei genannten Herausforderungen wird die Position der GEW dargelegt.
Günther Anfang zeigt in seinem Beitrag „Krippe, Kindergarten und Hort“ zunächst die Relevanz von Medienbildung und medien(-pädagogischer) Kompetenz in diesem Handlungsfeld auf und artikuliert aktuelle Herausforderungen. Daraufhin stellt er ein medienpädagogisches Projekt vor und leitet daraus zahlreiche Vorteile für alle direkt und indirekt Beteiligten ab. Der Beitrag schließt mit Forderungen, die sich vornehmlich an die bildungspolitischen Akteur:innen richten.
„Primarstufe“ lautet der Beitrag von Alexandra Ritter und Michael Ritter. Anhand einer Vergleichsstudie von illustrierten (Vor-)Lesebüchern mit entsprechenden sogenannten Bilderbuch-Apps legen sie die positiven Effekte letzterer für die Schüler:innen dar. Nach einem kurzen Teil zur KMK-Strategie und einer kritischen Diskussion werden abschließend Baustellen aus Sicht der GEW benannt.
Im Beitrag „Allgemeinbildende Schulen der Sekundarstufen I und II“ kritisieren die Autor:innen Sebastian Freudenberger, Anne Kilian und Heribert Schmitt die KMK-Strategie als sozial ungerecht, zeigen entsprechende Beispiele aus der schulischen Alltagspraxis auf und formulieren Änderungsvorschläge in Form von zahlreichen Fragen.
Meike Grams und Olaf Korek werfen einen Blick auf die „Schulsozialarbeit“ im Kontext der Digitalisierung. Zunächst zeigen die beiden auf, welche Strukturen Kinder und Jugendliche benötigen, um sich zu mündigen Erwachsenen entwickeln zu können. Anschließend werden Probleme mit digitalen Medien im Kontext Schule benannt und eine Haltung der Schulsozialarbeit zur Schule als inklusivem Lernort proklamiert. Nach der Auflistung zahlreicher Praxisbeispiele werden die Forderungen der GEW zusammengefasst.
Horst Niesyto beschreibt in seinem Beitrag die Situation der Medienbildung in der „Hochschule“. Zentral sind in seinem Beitrag die jeweils kurz dargelegten bisherigen Bemühungen und Programme, wie ‚KBoM‘, ‚Medienpädagogisches Manifest‘, ‚Bildung in der digitalen Welt‘, ‚Grundbildung Medien für alle pädagogischen Fachkräfte‘ und ‚Ludwigsburger Erklärung‘, die er auch teilweise kritisch betrachtet. Als Praxisbeispiel führt er die Grundbildung Medien an der PH Ludwigsburg an.
„Berufliche Erstausbildung und Weiterbildung“ ist das Thema im Beitrag von Annelie Strack. Nachdem sie den Bildungsauftrag der berufsbildenden Schulen ausgeführt hat schildert sie die aktuelle Digitalsituation in der Berufsaus- und Weiterbildung. Unter Rückbezug auf die KMK-Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘ und die Standardberufsbildpositionen formuliert sie zunächst notwendige Kompetenzen auf Seiten von Pädagog:innen und abschließend Handlungsbedarfe.
In seinem Beitrag „Erwachsenenbildung“ kritisiert Fred Schell sowohl die KMK-Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘ als auch das ‚Positionspapier zur Initiative digitale Weiterbildung‘ der KMK im Hinblick auf die bisherigen Fortschritte in der Erwachsenenbildung. Er identifiziert in beiden Papieren zahlreiche Defizite und schließt seinen Beitrag mit einer Forderungsliste.
Bernd Schorb setzt sich in seinem Beitrag „Ältere Menschen und Medien“ dafür ein, die Perspektive von älteren, alten und hochbetagten Menschen auf die Digitalisierung einzunehmen. Nach einem anschaulichen, einleitenden Beispiel beschreibt er die drei Perspektiven: Leben ohne Medien, Leben mit Medien und Leben gegen Medien. Er appelliert durchgängig dafür, den älteren Menschen nicht das Gefühl zu geben abgehängt zu sein, sondern ihnen stattdessen Bildungsgelegenheiten anzubieten.
Der „Ausblick – es bleibt viel zu tun“ von Wolfgang Antritter und Joscha Falck schließt diesen Sammelband ab. Die beiden Autoren fassen die zahlreichen Herausforderungen für Bildung im Kontext der Digitalisierung zusammen und zeigen nahezu ebenso zahlreiche Lösungsansätze und Perspektiven auf, u.a. OER (Open Educational Resources). Zentral ist das Unterkapitel mit dem Titel ‚Was erwartet Lehrende?‘ das ebenfalls Herausforderungen und Lösungsansätze aus dieser spezifischen Perspektive heraus darlegt und dem die Perspektive der Organisation(-sentwicklung) mit gleichem Aufbau folgt.
Diskussion
Zunächst am augenfälligsten ist, dass – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – die theoretischen Beiträge die außerschulische nonformale Bildung, wenn überhaupt, eher stiefmütterlich behandeln. Der Fokus des Sammelbandes liegt deutlich auf der schulischen, curricular (an-)greifbaren Bildung.
Dementsprechend präsent und äußert redundant sind auch die in sehr vielen Beiträgen immer wieder ausgeführte KMK-Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘ und die bildungspolitischen Forderungen der GEW. Letzteres ist mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Sammelbandes und die Autor:innenhinweise wenig überraschend, denn die meisten der Autor:innen sind GEW-Mitglieder. Dennoch wäre es deutlich lesefreundlicher gewesen, hätte man von redaktioneller Seite diesbezüglich etwas gesteuert.
Die Praxisbeiträge im dritten Teil des Sammelbandes unterscheiden sich untereinander auffällig in ihrer Qualität und Strukturiertheit sowie im Schreibstil und Informationsgehalt. Hinsichtlich der einleitenden Theoriebeiträge in den ersten beiden Teilen des Sammelbandes fällt lediglich auf, dass der zweite Beitrag historisch „sehr weit ausholt“ und sich insofern gut als erster Beitrag geeignet hätte.
Fazit
Wer sich für einen aktuellen Überblick über den Diskurs zu den bildungspolitischen Bemühungen und zur gewerkschaftlichen Positionierung im Hinblick auf Digitalisierung verschaffen möchte, ist mit diesem Sammelband gut beraten. Im Fokus, dies sollte man bedenken, steht jedoch die curriculare/​formale Bildung.
Rezension von
Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix
ist Dipl.-Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH) und Medienwissenschaftlerin (M.A.) und als Professorin für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Digitalität und Digitalisierung der Sozialen Arbeit, Natur- und Erlebnispädagogik sowie die Kinder- und Jugendarbeit.
Website
Mailformular
https://orcid.org/0000-0001-9211-7748
Es gibt 21 Rezensionen von Daniela Cornelia Stix.
Zitiervorschlag
Daniela Cornelia Stix. Rezension vom 14.12.2022 zu:
Bernd Schorb, Anja Bensinger-Stolze, Fred Schell, Birgita Dusse, Wolfgang Antritter (Hrsg.): Umrisse einer Pädagogik des 21. Jahrhunderts im Kontext der Digitalisierung. kopaed verlagsgmbh
(München) 2022.
ISBN 978-3-96848-075-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29828.php, Datum des Zugriffs 14.09.2024.
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