Maria Rave-Schwank: Aufbruch in der Psychiatrie
Rezensiert von Prof. Dr. med. Hanns Rüdiger Röttgers, 22.10.2023
Maria Rave-Schwank: Aufbruch in der Psychiatrie. Erinnerungen 1960-2020.
Psychiatrie Verlag GmbH
(Köln) 2022.
154 Seiten.
ISBN 978-3-96605-197-2.
D: 20,00 EUR,
A: 20,60 EUR.
Reihe: In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783966051965.
Thema
Das Werk ist ein persönlicher Blick auf die Psychiatriereform in der Bundesrepublik – in diesem Fall aus Sicht einer der wesentlichen Akteurinnen.
Autorin
Maria Rave-Schwank, war erste Ärztliche Direktorin eines deutschen psychiatrischen Krankenhauses und gehört zur Pioniergeneration der Psychiatriereform in der Bundesrepublik.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich nach der Einleitung und dem persönlichen Statement „Warum Psychiatrie?“ locker in Oberabschnitte wie „Strukturveränderungen“, „Exkurs internationale Psychiatrie“, aber auch „Die Arbeitstherapie“. Darunter finden sich unterschiedlich lange Einzelkapitel, die etwa beeindruckende „Sternstunden“ in gelungenen Begegnungen mit schwer psychisch kranken Menschen, Schilderungen bestimmter Episoden der Psychiatriereform, etwa der erstmaligen Überwindung der starren Trennung ambulant/​stationär durch die Vorläufer der heutigen Institutsambulanzen, Erfahrungen von Auslandsreisen, aber auch organisationsbezogene Schilderungen aus der Gesellschaft für Soziale Psychiatrie oder Ausbildungsinstitutionen beinhalten.
Die sehr heterogenen Kapitel lassen sich thematisch, theoretisch nicht auf einen Nenner bringen: Allen gemeinsam ist aber eine tiefe Humanität, ein authentisches Zugewandtsein gegenüber einer Gruppe von kranken und vulnerablen Menschen, die im nationalsozialistischen Deutschland brutal, menschenverachtend, mörderisch, danach weiterhin kalt-ausgrenzend und verwaltend betrachtet und behandelt wurde. Die Autorin richtet den Blick aber auch auf die Professionellen. Ein besonderes Augenmerk gilt der Qualifikation und Einbindung der Pflegekräfte; die Belastung der in einem für alle (vor allem vor der Reform) in der Psychiatrie Tätigen illustriert sie bewegend auch mit der Eröffnung, dass drei ihrer Kolleginnen sich bereits kurz nach der Facharztausbildung das Leben genommen haben.
Diskussion
Das Buch ist mit einem Porträt der Autorin aus der aktiven Berufszeit auf dem Titelblatt und einem aktuellen Bild auf Seite 4 sehr persönlich gehalten – die in den Bildern deutlich werdende Zeitspanne umspannt symbolisch die beschriebenen Jahrzehnte. Der mit 152 Seiten in recht großem Satz schmale Band enthält einen Anhang mit wertvoller fachlichen, vor allem sozialpsychiatrischer Literaturhinweisen.
Besonders hilfreich ist eine Gegenüberstellung zentraler Ereignisse der Psychiatriereform und der damit eng verknüpften Biographie von Maria Rave-Schwank in Form einer Zeitleiste.
Das Buch bietet in Form einer „Geschichtensammlung“, kurzer, meist persönlich gehaltener Episoden einen Eindruck über viele Facetten der Psychiatriereform. Die Lektüre setzt keine Fachlichkeit voraus, eine Kontextualisierung der einzelnen Episoden in die dadurch illustrierte Reformbewegung zur Humanisierung der Psychiatrie wird aber sicher Insidern eher und einfacher gelingen. Wenn man wie der Rezensent schon Jahrzehnte der psychiatrischen Versorgung miterlebt hat, erkennt man vieles wieder, das Parallelen in der eigenen Erfahrung hat.
Fazit
Gerade der jüngeren Generation von Pflegekräften, Medizinern, sozialen und pädagogischen Fachkräften im Versorgungssystem für psychisch Erkrankte sei das Buch ausdrücklich empfohlen: Vor dem Hintergrund der Verdienste der Reformbewegung, für die die Autorin des Buches prototypisch steht, lassen sich die enormen Fortschritte, die erreicht wurden, angemessen und in Demut vor dem großen Einsatz der damaligen Akteure würdigen, aber auch die heute diskutierten Fragestellungen besser einordnen.
Rezension von
Prof. Dr. med. Hanns Rüdiger Röttgers
Politikwissenschaftler (M.A.) und Mediziner (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Öffentliches Gesundheitswesen, Umweltmedizin), Lehrgebiet Gesundheitswissenschaft und Sozialmedizin, Leiter des Masterstudiengangs Therapie, Förderung, Betreuung (Clinical Casework) – Psychosoziale Hilfen für gesundheitlich gefährdete, erkrankte und behinderte Menschen, Fachbereich Sozialwesen, Fachhochschule Münster.
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Es gibt 11 Rezensionen von Hanns Rüdiger Röttgers.
Zitiervorschlag
Hanns Rüdiger Röttgers. Rezension vom 22.10.2023 zu:
Maria Rave-Schwank: Aufbruch in der Psychiatrie. Erinnerungen 1960-2020. Psychiatrie Verlag GmbH
(Köln) 2022.
ISBN 978-3-96605-197-2.
Reihe: In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783966051965.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29852.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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