Gotthard Fermor, Thorsten Knauth et al. (Hrsg.): Dialog und Transformation
Rezensiert von Dr. Sungsoo Hong, 27.07.2023
Gotthard Fermor, Thorsten Knauth, Rainer Möller, Andreas Obermann (Hrsg.): Dialog und Transformation. Pluralistische Religionspädagogik im Diskurs.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2022.
534 Seiten.
ISBN 978-3-8309-4336-5.
39,90 EUR.
Reihe: Glaube – Wertebildung – Interreligiosität - 21.
Thema
Unsere Gesellschaft ist durch einen „doppelten Pluralismus“ (Peter Berger) gekennzeichnet, der sowohl eine wachsende religiöse Vielfalt als auch das gleichzeitige Nebeneinander säkularer und religiöser Aspekte umfasst. In dieser pluralistischen Gesellschaft stellt sich die Aufgabe, Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen zu einem demokratischen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu befähigen. Dies ist nicht nur eine gesellschaftspolitische Anforderung, sondern auch eine wichtige Bildungsfrage, die auch religiöse Bildung betrifft. Um diesen veränderten gesellschaftlichen Bedingungen sowie den neuen Anforderungen gerecht zu werden, wurde in jüngster Zeit der Ansatz einer pluralistischen Religionspädagogik konzipiert, mit dem sich der vorliegende Sammelband intensiv auseinandersetzt.
Herausgeber
Dr. Gotthard Fermor ist Professor für Kirchliche Bildungsarbeit an der Evangelischen Hochschule R-W-L in Bochum und zugleich Dozent für Gemeindepädagogik am Pädagogisch-Theologischen Institut der EKiR in Wuppertal. Dr. Thorsten Knauth ist Professor für Religionspädagogik/​Didaktik der Evangelischen Religion an der Universität Hamburg. Dr. Rainer Möller arbeitete von 2011 bis 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Comenius Institution im Arbeitsbereich Religionspädagogik, Religionsunterricht und Lehrerbildung. Dr. Andreas Obermann ist stellvertretender Direktor des Bonner evangelischen Institut für berufsorientierte Religionspädagogik.
Mit ihnen haben insgesamt 30 Autor*innen aus Religionspädagogik, Theologie und Erziehungswissenschaft an diesem Sammelband mitgewirkt, darunter auch Vertreter*innen nicht-abrahamitischer Religionen, nichtreligiöser Weltanschauungen sowie internationale Diskursteilnehmer*innen.
Entstehungshintergrund
Eine interreligiöse Projektgruppe, die vom Bonner Evangelischen Institut für berufsorientierte Religionspädagogik (bibor) und dem Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) initiiert wurde, hat in einem fortlaufenden Arbeits- und Diskussionsprozesse die Grundlagen einer pluralistischen Religionspädagogik erarbeitet und ihre Ergebnisse im Jahr 2020 in einem Diskussionspapier mit dem Titel „Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Religionspädagogik“ veröffentlicht. Der Ansatz einer pluralistischen Religionspädagogik ist bewusst prozessorientiert und ergebnisoffen angelegt. Der vorliegende Sammelband widmet sich einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Diskussionspapier.
Aufbau
Der umfangreiche Band enthält insgesamt 31 Einzelbeiträge, die sich aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven kritisch mit dem Ansatz einer pluralistischen Religionspädagogik auseinandersetzen. Sie gliedern sich in folgende sechs Kapitel:
- Vorwort
- Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Religionspädagogik – eine Einführung
- Das Diskussionspapier Dialog und Transformation aus religionstheologischer Perspektive
- Das Diskussionspapier Dialog und Transformation und religionspädagogische Diskurse
- Das Diskussionspapier Dialog und Transformation und Organisationsformen des Religionsunterrichts
- Das Diskussionspapier Dialog und Transformation – Gestaltungskontexte und Aufgaben
- Zentrale Gesichtspunkte der Weiterentwicklung der pluralistischen Religionspädagogik – Perspektiven
Inhalt
Im ersten Kapitel werden die Grundlagen einer pluralistischen Religionspädagogik zusammen mit ihrem Entstehungskontext ausführlich erläutert. Anschließend wird das Diskussionspapier vom Jahr 2020 vorgestellt, das als Diskussionsgrundlage für die folgenden Beiträge des Sammelbandes dient. Eine pluralistische Religionspädagogik versteht sich demnach als ein Ansatz, um den gesellschaftlichen Pluralisierungsprozessen theologisch und religionspädagogisch gerecht zu werden und zugleich die vorhandene religiöse und weltanschauliche Vielfalt in religiöse Bildungsprozesse einzubeziehen. Zentral sind hierbei die Begriffe Dialog und Transformation. Dialog wird als ein zentraler Modus der Beziehungsgestaltung und Kooperation angesehen, der letztlich zu einer Transformation, d.h. zu einer Neugestaltung des Verhältnisses des Subjekts zu sich selbst, zu anderen und zur Welt führen soll. Die theologisch-anthropologische Grundlage, die durch inklusive Zugänge eine gemeinsame Mitte bildet und damit einen gemeinsamen Dialog ermöglicht, ist die „Tiefentheologie“, die die fundamentalen Grundfragen aller Menschen anspricht.
Das zweite Kapitel enthält religionstheologische Auseinandersetzungen mit dem Ansatz einer pluralistischen Religionspädagogik, die von Vertreter:innen verschiedener Religionen vorgenommen werden. Dazu gehören jüdische, islamische, buddhistische, hinduistische, bahaistische und christliche Positionen, die generell für einen offenen interreligiösen Dialog und für gegenseitige Anerkennung plädieren und diese religionstheologisch begründen, gleichzeitig jedoch auch kritische Stellungsnahmen entfalten. Zudem wird der amerikanische Mönch Thomas Merton (1915-1968) als Vordenker des interreligiösen Dialogs vorgestellt, wodurch historische und internationale Bezüge hergestellt werden.
Das dritte Kapitel befasst sich eingehend mit dem Diskussionspapier aus theologischer und religionspädagogischer Perspektive. Zunächst wird der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen sich aus dem Ansatz einer pluralistischen Religionspädagogik für die jüdische, islamische und christliche Religionspädagogik ergeben können. Darüber hinaus werden bedeutsame theologische und religionspädagogische Konzepte, wie Komparative Theologie, Feministische Theologie, Inklusive Religionspädagogik der Vielfalt, in die Diskussion einbezogen.
Im vierten und fünften Kapitel werden die praktischen Implikationen und Anforderungen des Diskussionspapiers diskutiert, die sich jeweils auf Organisationsstrukturen und die Gestaltung des Religionsunterrichts beziehen können. Konkret werden hierbei praktische Erfahrungen mit dialogischem Lernen aus den verschiedenen Schulprojekten vorgestellt, die weiterhin in die Diskussion einfließen sollen. Des Weiteren werden Unterrichtsmaterialien für eine pluralistische Religionspädagogik diskutiert und darüber hinaus potenzielle Konsequenzen für zukünftige Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erörtert.
Im letzten Kapitel werden zentrale Gesichtspunkte aus den vorangegangenen Diskussionen zur Weiterentwicklung einer pluralistischen Religionspädagogik herausgearbeitet und zur weiteren Diskussion angeregt. Um es kurz zusammenzufassen: Zunächst ist es wichtig, zwischen Differenz- und Dialoghermeneutik zu unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Akzente setzen. Zudem kann die kontinuierliche Einbeziehung nicht-abrahamitischer Religionen und säkularer Standpunkte einen wertvollen Beitrag zu Weiterentwicklung leisten. Darüber hinaus sollten politisch-gesellschaftliche und auch gesellschaftlich-ökonomische Kontexte noch stärker in Betracht gezogen werden.
Diskussion
Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis eines langjährigen und breit angelegten Diskussionsprozesses um eine pluralistische Religionspädagogik. Mit seiner Perspektivenvielfalt bietet er einen wichtigen Anhaltpunkt für die weitere Diskussion. Der Band umfasst nicht nur christliche – evangelische und katholische – Perspektiven, sondern auch verschiedene religionstheologische Positionen sowie säkulare und religionskritische Standpunkte, was in der Diskussion um eine pluralistische Religionspädagogik durchaus zu erwarten ist. Eine weitere Bereicherung des Bandes kann darin gesehen werden, dass viele aktuell relevante gesellschaftstheoretische Ansätze wie der doppelte Pluralismus (Peter L. Berger), die postmigrantische Gesellschaft (Naika Foroutan) und die normativen Paradoxien der kapitalistischen Gesellschaft (Axel Horneth) aufgenommen werden. Dadurch wird eine Einordnung der religionspädagogischen Diskussion in aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Zusammenhänge ermöglicht und eine engere Verbindung zwischen religionspädagogischer und sozialwissenschaftlicher Diskussion hergestellt.
Neben den erwähnten Stärken sind einige Punkte zu nennen, die einer weiteren Ergänzung bedürfen. Offen bleibt eine theologische und religionspädagogische Weiterführung bzw. Vertiefung der wichtigen Bestandteile einer pluralistischen Religionspädagogik, wie z.B. „Tiefentheologie“. Diese wird im Band aufgrund ihrer Unschärfe und Abstraktheit vielfach kritisiert, jedoch nicht theologisch weitergeführt. Insgesamt wäre eine inhaltliche Weiterführung des Diskussionspapiers wünschenswert. Es hätten auch bildungstheoretische Perspektiven noch stärker einbezogen werden könnten, etwa durch Bezugnahme auf die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse von Hans-Christoph Koller. Wie bereits im Band angemerkt, finden sich nur wenige Rückbezüge auf religionspädagogische Überlegungen zur Pluralisierung, die insbesondere seit den 1990er Jahren intensiv diskutiert wurden.
Fazit
Der vorliegende Sammelband entfaltet eine bereite kritische Diskussion über den Ansatz einer pluralistischen Religionspädagogik, die im Diskussionspapier 2020 grundlegend skizzierte. Hierbei geht es nicht darum, ein bestimmtes Modell des Religionsunterrichts festzulegen oder den Grundansatz einer pluralistischen Religionspädagogik zu affirmieren, sondern vielmehr darum, die Diskussionsprozesse und die jeweiligen Argumentationen offen zu legen und damit die Leser*innen zur aktiven Teilnahme an diesen ergebnisoffenen Prozessen einzuladen. Für alle, die sich an dieser Diskussion beteiligen möchten, ist die Lektüre dieses Bandes empfehlenswert, da es eine kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven und Positionierungen ermöglicht.
Rezension von
Dr. Sungsoo Hong
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungszentrum für Religion und Bildung (FZRB), Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Es gibt 3 Rezensionen von Sungsoo Hong.
Zitiervorschlag
Sungsoo Hong. Rezension vom 27.07.2023 zu:
Gotthard Fermor, Thorsten Knauth, Rainer Möller, Andreas Obermann (Hrsg.): Dialog und Transformation. Pluralistische Religionspädagogik im Diskurs. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2022.
ISBN 978-3-8309-4336-5.
Reihe: Glaube – Wertebildung – Interreligiosität - 21.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29860.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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