Kornelia Schlaaf-Kirschner, Ulrike Schiefer: Qualität in Ganztag und Hort - Das Praxishandbuch
Rezensiert von Dr. Thomas Markert, 08.02.2023

Kornelia Schlaaf-Kirschner, Ulrike Schiefer: Qualität in Ganztag und Hort - Das Praxishandbuch.
Verlag an der Ruhr GmbH
(Mülheim an der Ruhr) 2022.
120 Seiten.
ISBN 978-3-8346-6042-8.
D: 23,99 EUR,
A: 24,70 EUR,
CH: 30,00 sFr.
Reihe: Gut durch den (Ganz-)Tag. .
Thema
Der Titel des Buches nimmt zwei Begriffe auf: Ganztag und Hort. Während der „Hort“ in Deutschland relativ einheitlich auf eine sozialpädagogische Einrichtung der Jugendhilfe für Grundschulkinder verweist, ist der Begriff „Ganztag“ nur regional, insbesondere in NRW, eine präzise Bezeichnung für ein außerunterrichtliches pädagogisches Angebot für Kinder im Grundschulalter. Der vorgelegte Band „Qualität in Ganztag und Hort“ der Reihe „Gut durch den (Ganz-)Tag“ versteht sich entsprechend als Sammlung von konkreten Praxishilfen für außerunterrichtliche pädagogische Angebote, die halbtags-schulische Angebote zeitlich und pädagogisch zu einem „Ganztag“ ergänzen.
AutorInnen
Kornelia Schlaaf-Kirschner ist Diplom-Sozialpädagogin mit Zusatzqualifikationen in Klientenzentrierter Gesprächsführung und Systemischer Supervision und laut ihrer Homepage seit Mitte der 1980er als selbstständige Supervisorin und Fortbildnerin tätig. Ulrike Schiefer ist Kindheitspädagogin und in Dormhagen als Fachberaterin im „Offenen Ganztag“ tätig.
Entstehungshintergrund
Im Kontext der inzwischen beschlossenen Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder ab dem Schuljahr 2026/27 rückt die Umsetzung eines solchen Ganztagsangebotes wieder mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Anders als bei der Einführung der Ganztagsschule Anfang der 2000er ist der Diskurs diesmal nicht nur von einem quantitativem Ausbauwillen geprägt, sondern dieser Kapazitätsausbau sollte möglichst in passender Qualität erfolgen (vgl. Wrase 2021, S. 30 ff.). Vor diesem Hintergrund scheint das vorliegende Werk genau zum richtigen Zeitpunkt zu erscheinen, um langfristig die bestehende Angebotsstruktur qualitativ zu stärken und die Qualitätsanstrengungen beim Ausbau des Angebots zu unterstützen. Zugleich nimmt sich das „Praxishandbuch“ vor, für die regional sehr heterogene Landschaft aus „Offener Ganztagsschule […], Offene[m] Ganztag […], Hort oder Tagesheim“ (S. 5) unabhängig dieser konkreten Organisationsform Impulse für die Qualitätsentwicklung zu setzen.
Inhalt
In den einführenden Gedanken wird die Perspektive des Buches ausgeführt. Neben den mit dem Ausbau des Angebotes einhergehenden „neuen Möglichkeiten“ stehen die Mitarbeitenden aber auch vor „höheren Anforderungen“ (S. 5). Fragen der Zeitnutzung, der inhaltlichen Gestaltung, der Organisation, Erwartungen von Eltern und Lehrkräften, verfügbaren Ressourcen und Stressbelastung stellen sich. Für deren Bewältigung will das Praxisbuch ein Leitfaden sein, um den „Lebens- und Lernraum der Kinder gemeinsam zu gestalten, dass sie sich wohlfühlen und entfalten können“ (S. 6).
Gegliedert ist das „Qualitätshandbuch“ in „fünf Bereiche“ (S. 6), die jeweils eigene Abschnitte bilden:
- Äußere Rahmenbedingungen
- Konzept
- Kooperation
- Personal
- Professionelle Beobachtung
Die Abschnitte sind als inhaltliche Ausführungen gestaltet, die mit ganzseitigen „Impulsfragen“, Plakaten und Kopiervorlagen konkrete Handlungsanregungen für die Praxis geben.
Im Abschnitt Äußere Rahmenbedingungen wird zunächst zu einer – leider nicht mehr zeitgemäßen, da von einer top-down-Sicht geprägten – Sozialraumanalyse angeregt. Anschließend werden räumlich-gestalterische Aspekte der zur Verfügung stehenden Räume thematisiert.
Im Folgenden, mit ca. 45 Seiten umfangreichsten Abschnitt zum Thema Konzept finden sich zunächst Hinweise zur Konzepterstellung, gefolgt von zahlreichen ganzseitig gestalteten Impulsfragen zur konkreten Konzeptentwicklung. Diese dienen zur Reflexion von Bedingungen, aktuellem Stand und Zielen. Dies sei hier einmal am Thema „Kinderrechte, Kinderschutz und Partizipation“ gezeigt. Unter Bezugnahme auf die UN-Kinderrechtskonvention werden Fragen zu Recht auf Bildung, Gleichberechtigung der Kinder, Kinderschutz, Kindeswohlgefährdung referiert. Praktisch wird es dann, wenn gefragt wird: „Gibt es ein Beschwerdemanagement für die Schüler*innen? Wie ist dies gestaltet?“ und „Können die Schüler*innen mitentscheiden? Gibt es ein Kinderparlament?“ (S. 56). Wie diese konkreten Beteiligungsformen aussehen bzw. wie diese gestaltet werden können, wird allerdings nicht ausgeführt.
Im Themenbereich Kooperation wird zunächst allgemein, dann auf die spezifische Situation in NRW fokussiert in Aspekte und Regelungen zur Zusammenarbeit eingeführt. Hier finden sich dann grundsätzliche Ausführungen dazu, dass es auf unterschiedlichen Ebenen von institutioneller Seite festgelegte Qualitätsstandards gibt bzw. geben kann. Genannt werden hier die Ebenen „Gruppe/Team“, „Kinder/Eltern“, „Träger“, „Kommune/Bezirk“, „Bund/Land“ (S. 65). Ergänzt werden die Ausführungen mit Hinweisen zur Zusammenarbeit mit Vereinen, Schulsozialarbeit, Schule, Schulträger, Schülerschaft etc. sowie einer Kopiervorlage zur Schweigepflichtsentbindung.
Im Abschnitt Personal wird einleitend thematisiert, dass die „pädagogische Haltung“ die zentrale Frage in den Mittelpunkt stellen soll: „Was brauchen Kinder?“ (S. 76). Dies wird dann wieder unter Bezugnahme auf die UN-Kinderrechte ausdekliniert. Unterkapitel zur „persönlichen Haltung“ und „Fort- und Weiterbildung“, „Supervision und Coaching“, „Resilienz im Team“ und „organisatorischen Aufgaben“, wie „Sicherheit und Hygiene“, schließen sich an. Abgeschlossen wird das Kapitel von zahlreichen Kopiervorlagen, angefangen bei Abholerlaubnis bis hin zu einem Bogen zur Vorbereitung eines Mitarbeitendengesprächs.
Der letzte inhaltliche Abschnitt zur Professionelle Beobachtung ist geprägt vom Abdruck zweier Beobachtungsbögen: „Übergang von Kita in die Grundschule“, „Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule“. Abgefragt werden dabei bekannte Kompetenzbereiche, wobei dann jeweils für das Kind – im letztgenannten Bogen sind es dann „Schülerin/Schüler“ – „ja; ab und zu; nein“ angekreuzt werden kann. Bspw. kann so dokumentiert werden „Die Schülerin/der Schüler kann einen Vortrag über ein Thema halten.“ (S. 113). Aufgefordert wird des Weiteren, Beobachtungen von Kindern in sogenannten „Kindzentrierten Fallbesprechungen“ im Team zu besprechen. Auch hierfür wird ein Auswertungsbogen als Kopiervorlage mitgeliefert.
Das Buch schließt mit einer Doppelseite zu Quellen und Medientipps.
Diskussion
Das vorliegende „Praxisbuch“ ist vom Bemühen gekennzeichnet, den (heraus-)geforderten Mitarbeitenden in pädagogischen Angeboten für Grundschulkinder, die mit Erwartungen von Eltern, Schule, Lehrkräften, Kindern konfrontiert sind, Hilfsmittel zur Bewältigung und Gestaltung des Arbeitsalltags an die Hand zu geben. Das Vorhaben, breit und institutionsübergreifend Qualität in schulergänzenden pädagogischen Angeboten ausdeklinieren und hier Praxis orientieren zu wollen, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn die regionale Heterogenität der Organisation dieser Angebote schafft diverse zeitliche und institutionelle Modelle, bei denen dann das konkrete Angebot schulisch, eine Kita oder ein schwer zuordenbares Arrangement ist und differente Funktionen/Ziele hat. Der Ausweg, sich dennoch mit Qualitätsbereichen, die im wissenschaftlichen Diskurs thematisiert werden, auseinanderzusetzen und die praxisbezogenen Ausführungen konkret daran anzukoppeln, wird in diesem Buch an keiner Stelle explizit gewählt. Vielmehr scheinen die Ausführungen nahezu ausschließlich erfahrungsbasiert. Insbesondere warum die ausgewählten „Themen“ nun Qualitätsbereiche sind, erscheint beliebig und subjektiv. Die Partizipation von Kindern als zentraler Qualitätsbereich von pädagogischen außerschulischen Angeboten für Grundschulkinder bleibt so unbeachtet. Eine punktuelle Thematisierung der Partizipation von Kindern ist kein Äquivalent! Insgesamt erscheint die Qualität von entsprechenden Angeboten primär aus Erwachsenensicht beobachtet und bewertet zu werden. Dass Grundschulkinder „Große Kinder“ (Enderlein 2013) sind und umfangreich bei der Erkundung der Qualität des von ihnen genutzten Angebotes einbezogen werden und Partner*innen bei der Gestaltung sein können, hat bspw. die Studie zum „Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter“ (Walther/Nentwig-Gesemann/Fried 2021) überzeugend gezeigt. Hier wurden kindbezogene Qualitätsbereiche rekonstruiert.
Auch in der Gestaltung erweist sich das anscheinend nur als Paperback erscheinende „Praxishandbuch“ zeitlich seltsam entkoppelt. Es wird mit Kopiervorlagen statt einem virtuellen Downloadbereich gearbeitet, was bedeutet, dass die u.U. anregenden Vorlagen nach einem Scan erst von einer Grafik in ein gestaltbares Dokument umgewandelt werden müssen, bevor sie an die eigenen Anforderungen angepasst werden können.
Fazit
Das Praxisbuch löst unzweifelhaft ein Ansinnen ein: Es bietet für Mitarbeitende der Praxis zahllose Anregungen, um über die Gestaltung des außerunterrichtlichen pädagogischen Angebots zu reflektieren. Dafür und für die Anfertigung von Formularen, die den Alltag erleichtern, bietet es zahlreiche Vorlagen. Dass die zielorientierte Gestaltung von Qualität damit gelingt, muss aufgrund der fehlenden Rahmung und des Makels, die Partizipation von Kindern eher beiläufig zu thematisieren, bezweifelt werden.
Quellenangaben
Enderlein, Oggi (2013): Große Kinder. 7. Aufl. München: DTV.
Walther, Bastian/Nentwig-Gesemann, Iris/Fried, Florian (2021): Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter. Eine Rekonstruktion von Qualitätsbereichen und -dimensionen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Wrase, Michael (2021): Der Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung zwischen Bildungs- und Jugendhilferecht. In: Gunther Graßhoff/Markus Sauerwein (Hrsg.): Rechtsanspruch auf Ganztag. Weinheim; Basel: Beltz Juventa, S. 22-39.
Rezension von
Dr. Thomas Markert
Hochschule Neubrandenburg, Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung
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