Christoph M. Hausmann, Katharina van Bronswijk: Climate Emotions: Klimakrise und psychische Gesundheit
Rezensiert von Prof. Dr. Matthias Euteneuer, 31.07.2023

Christoph M. Hausmann, Katharina van Bronswijk: Climate Emotions: Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. ISBN 978-3-8379-3168-6.
Thema
Der Herausgeberband analysiert typische Gefühle, die sich im Umgang mit der Klimakrise ergeben. Dabei geht es nicht nur um psychische Belastungen, sondern auch um die Frage, welche klimapolitischen und klimaschützenden Handlungsweisen sich aus dem Umgang mit diesen Gefühlen ergeben können. Therapeutische Ansätze und Beratungsansätze, die zu einem individuell wie gesamtgesellschaftlich produktiven Umgang mit Klimagefühlen beitragen können, werden reflektiert und nach den gesundheitspolitischen Implikationen des Klimawandels im Kontext der Psychotherapie gefragt.
Herausgeber*innen
Katharina van Bronswijk ist Psychologische Psychotherapeutin und Sprecherin der Psychologists/​Psychotherapists for Future Deutschland. Sie publiziert und hält Vorträge zur Psychologie der Klimakrise und zur Bedeutung von Gefühlen im Umgang mit dieser.
Christoph M. Hausmann ist Psychologischer Psychotherapeut. Er publiziert, hält Vorträge und gestaltet Workshops zu Klimagefühlen sowie zur psychischen Gesundheit von Klimaktivist*innen. Bei den Psychologists/​Psychotherapists for Future Deutschland ist er in der Beratung von Aktivist*innen aktiv.
Aufbau und Inhalt
Menschen, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen, „erleben regelmäßig Hoffnungslosigkeit, Depression, Trauer, Wut, Angst, Scham, Schuldgefühle, Entfremdung – und massive Überforderung, sobald sie versuchen, ihre Handlungen diesen Erkenntnissen anzupassen“ (S. 14), so konstatieren die Herausgeber in der Einleitung des Bandes. Diese Gefühle, problematische wie produktive Umgangsweisen mit ihnen, sowie damit einhergehende Handlungstendenzen sollen im Vordergrund des Buchs stehen, der sich in vier Teile gliedert: 1. Grundlagen, 2. Klimagefühle, 3. Therapie und Prävention sowie 4. Gesellschaftliches
Ad. 1: Der mit ‚Grundlagen‘ überschriebene Teil ist recht heterogen aufgebaut. Er wird mit einer knappen Übersicht von Laura Jung über die zentralen physischen sowie psychischen Folgen der Klimakrise eröffnet. Sie akzentuiert, dass und warum die Klimakrise als eine akute Krise der globalen Gesundheit begriffen werden sollte. Sie plädiert dafür, im Sinne des Planetary Health Ansatz menschliche Gesundheit im Zusammenhang mit ökologischen Zuständen zu denken. Monika Krimmer vertieft dies im Anschluss, indem Sie das Doughnut-Modell von Raworth, psychoanalytische Konzepte der Mentalisierungsfähigkeit sowie kognitionswissenschaftliche Konzepte von Embodyment zu einem ‚bio-psycho-sozialen-Umwelt-Modell‘ der Psychischen Gesundheit zu verbinden sucht. Im Kern gehe es dabei darum, „fühlend und denkend als mentalisierende Wesen unsere Verbundenheit mit uns selbst, unseren Mitmenschen und der belebten und nicht belebten Welt“ (S. 39) anzuerkennen und Verantwortung für diese zu übernehmen.
Einer bestimmten psychischen Belastung, die in Folge von Klimakathastrophen zunehmen wird, wendet sich Christoph Nikendei zu. Er thematisiert Traumafolgestörungen sowie ihre Prävalenz und Therapie im Kontext von Naturkatastrophen. Wiederum ganz andere Grundlagen bieten Jonas Rees & Pia Lamberti, die sozialpsychologische Erklärungen für den Glauben an Verschwörungstheorien darlegen und u.a. mit Daten der Mitte-Studie (Zick/Küpper 2021) plausibilisieren, dass Klimawandelleugnung als eine Ausformung verschwörungstheoretischer Erzählungen zu verstehen ist. Sie prognostizieren ein Erstarken und eine zunehmende rechtspopulistische Nutzung dieser Erzählungen in zukünftigen klimapolitischen Debatten. Das Kapitel schließt mit einem Fallbeispiel aus der aktivistischen Beratungsarbeit der Psychologists for Future (Christoph M. Hausmann & ‚Caro‘), an die sich eine als Aufzählung organisierte Darstellung verschiedenster Facetten von Beratungsthemen anschließt, die im Kontext Klimawandel und Klimaaktivismus stehen.
Ad 2: Klimakummer (Panu Pihkala), Klimaangst (Stephan Heinzel), Schuld/​Scham (Christoph Hausmann u.a.), Wut/Zorn (Susanne Nicolai), Erschöpfung/​Burnout (Kathrin Macha & Georg Adelmann) sowie ‚positive‘ Emotionen in der Klimakrise (Katharina van Bronswijk u.a.) sind Fokus der Teilkapitel des zweiten Teils. Dieses ‚Herzstück‘ des Bandes wirkt dadurch sehr integriert, dass die Kapitel einem recht ähnlichen Vorgehen folgen: Das spezifische emotionale Spektrum wird zum einen generell aus psychologischer und sozialpsychologischer Sicht dargestellt und die damit verbundenen grundlegenden Handlungstendenzen skizziert. Dies verbindet Fragen des gesunden aber auch belastenden Erlebens der Emotionen und wird, soweit vorhanden, in den Kontext des Forschungsstands zum Zusammenhang mit der Klimakrise und Klimaaktivismus gestellt. Es geht z.B. um Prävalenzen der Emotionen, Belastungen und einen produktiven Umgang von Aktivist*innen mit ihren Emotionen, darum welchen Beitrag diese Emotionen zu einer Handlungsaktivierung im Sinne von Klimaschutzverhalten zeigen können sowie ob und ggf. wie sie im Rahmen von Klimakommunikation angesprochen werden sollten. Weitere Themen sind immer wieder die Betonung der Normalität vieler Emotionen angesichts des Ausmaßes der Klimakrise sowie daraus folgend Fragen nach einem nicht-pathologisierenden Umgang im Rahmen von Psychotherapie und Beratung, der vor allem auch eine Auseinandersetzung von Psychotherapeut*innen und Berater*innen mit ihren eigenen Klimagefühlen voraussetze.
Ad 3: Der Teil des Bandes zu Therapie und Prävention ist wiederum durch heterogenere Beiträge geprägt. Drei Beiträge skizzieren recht konkret spezifische Präventions- und Therapieansätze: Nathali Klingen & Philipp Schiebler stellen ganz konkrete therapeutische Vorgehensweisen zu einem besseren Umgang mit den psychischen Herausforderungen der Klimakrise auf einer individuellen Ebene da, die auf der verhaltenstherapeutischen Akzeptanz- und Commitment-Therapie beruhen. Anna Georgi u.a. plausibilisieren auf der Basis einer Falldarstellung, wie mit verschiedenen systemischen Ansätzen therapeutisch mit Klimagefühlen gearbeitet werden könnte, verweisen aber auch deutlich auf Dilemmata und Grenzen einer systemtherapeutisch ansetzenden Arbeit mit individuellen Klimagefühlen, die gesamtsystemische Verursachungszusammenhänge und Lösungsnotwendigkeiten aus dem Auge verlieren könne. Hierzu passt das von Felix Peter & Pia Niessen dargelegte Resilienzkonzept, das explizit auf gesellschaftliche und individuelle, adaptive und transformative Veränderungsprozesse abzielt. Grundlegender und etwas weniger konkret argumentiert Claudia Menzel dass Naturerfahrungen eine wichtige Bedeutung für das psychische Wohlbefinden haben, ökologisches Handeln fördern, aber zugleich in der Klimakrise gefährdet sind. Sie thematisiert (stadt-)räumliche sowie individuelle Handlungsstrategien zur Erhaltung und Rückgewinnung von Naturerfahrungen. Dagmar Petermann befasst sich dagegen mit den Gefühlen von Kindern und Jugendlichen in der Klimakrise, sowie entwicklungspsychologisch begründeten Hinweisen für Eltern und Fachpersonal. Recht grundlegend-philosophisch fragt Vera Kattermann wiederum nach der Möglichkeit von Hoffnung im Angesicht der Klimakatastrophe und plädiert für eine ‚radikale Hoffnung‘, die Realitäten nicht verleugnet oder beschönigt, aber gleichwohl an einem kreativen Umgang mit der Bedrohung fest hält. Der Abschnitt schließt mit einem Trialog von Timo Luthmann, Christoph M. Hausmann & Malte Klar über nachhaltigen Aktivismus.
Ad 4: Im Abschnitt ‚Gesellschaftliches‘ schließt der Band mit berufspolitischen Fragen. So beleuchtet Sabine Maur berufsethische und berufspolitische Handlungsspielräume von Psychotherapeuth*innen, ihren Verbänden und Kammern. Dabei verweist Sie auf ethisch-rechtliche Grenzen des Engagements (z.B. Abstinenzgebot, gesundheitspolitische Fokussierung der Kammern), sieht aber im Vergleich mit amerikanischen Verbänden und Kammern gleichwohl deutlich ungenutzte Handlungsspielräume in Deutschland. Zwei weitere Beiträge argumentieren insbesondere für die Notwendigkeit einer besseren psychotherapeutischen Versorgungssituation in der Klimakrise: Johanna Thünker tut dies mit Blick auf die psychotherapeutische Bedarfsplanung und Ole Thomsen legt im Interview mit Katharina van Bronswijk dar, dass die überwiegend ehrenamtlich organisierte Psychosoziale Notfallversorgung an ihre Leistungsgrenzen kommt und stärker hauptamtlich organisiert werden müsste – was wiederum deutlich stabilere Finanzierungsgrundlagen voraussetze, als gegenwärtig vorhanden seien.
Diskussion
Für das Feld der Psychotherapie/​Psychologie bietet ‚Climate Emotions‘ vor allem einen gelungenen Überblick über den (internationalen) Stand der Forschung zu Klimagefühlen und macht ihre gesellschaftliche wie individuelle Bedeutung im Umgang mit der Klimakrise deutlich. Auf der Ebene von Therapie und Präventionsansätzen liefert der Band wichtige Startpunkte einer in den meisten therapeutischen Schulen im deutschsprachigen Raum offenbar erst in Ansätzen geführten Debatte. Hier werden auch wichtige Spannungsfelder herausgearbeitet etwa zwischen individueller Beratung und gesellschaftlicher Verantwortung aber auch dazwischen, individuelle Belastungen im Rahmen der Klimakrise nicht zu übersehen, gleichsam aber auch nicht zu pathologisieren. Wirklich grundlegende theoretische Ansätze einer Psychologie oder Psychotherapie der Klimakrise sind offenbar noch ein Desiderat, zu dem der erste Teil des Buches mögliche Bausteine versammelt. Ebenso begrenzen sich die Perspektiven des Bandes im Abschnitt ‚gesellschaftliches‘ auf berufspolitisches – breiter angelegte sozial- und gesellschaftspolitische Perspektiven wären hier spannend gewesen, würden aber eine stärker Interdisziplinäre Herangehensweise an das Thema voraussetzen.
Dass die Beiträge des Bandes überwiegend aus dem Spektrum niedergelassener Psychotherapeut*innen gestaltet wurden ist dabei sicherlich auch eine Stärke – hat aber den Preis, dass das eigentlich interdisziplinäre Thema von Emotionen nicht aus pädagogischer, soziologischer (z.B. Neckel/​Hasenfratz 2021) oder sozialpolitischer Sicht reflektiert wird. Die (sicherlich wenigen) Arbeiten zu diesem Thema mit Blick auf die Klimakrise zusammenzutragen, wäre ein spannendes, aber eben etwas anders gelagertes Vorhaben.
Trotzdem bietet der Band auf mindestens zwei Ebenen wichtige und bereichernde Beiträge zu einer (über das berufliche Handlungsfeld von Psychotherapeut*innen hinausreichenden) sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Klimakrise:
I. Der Band lenkt den Blick darauf, wie wichtig die Analyse emotionaler Reaktionen für ein sozialwissenschaftliches Verstehen klimawandelbezogener Handlungs- und Verhaltensweisen ist. Dies ist nicht nur für die im Band explizit adressierten Psychotherapeut*innen und Klimaaktivist*innen relevant, sondern auch für viele weitere Berufsgruppen aus dem Bildungs- und Sozial- und Gesundheitswesen grundlegend – zu denken wäre hier etwa an Lehrer*innen, (Sozial)Pädagog*innen in verschiedensten Handlungsfeldern, Erzieher*innen oder (Allgemein)Mediziner. Auch Eltern werden zusehends mit klimawandelbezogenen Emotionen und Fragen konfrontiert, werden allerdings diesbezüglich bislang nur wenig angesprochen – auch im vorliegenden Band.
II. Über die meisten Beiträge hinweg macht der Band deutlich, dass im Umgang mit der Klimakrise individuelle und gesellschaftliche Ebene zusammengedacht werden müssen. Indem an vielen Stellen ein gesellschaftlich-politischer Blick und ein entsprechendes Engagement von Psychotherapeutinnen eingefordert wird, werden implizit auch Herausforderungen für die oben genannten Berufsgruppen deutlich: Trotz aller Arbeit am und mit dem Individuum müssen in Klimafragen alleinige Responsibilisierungen des Individuums vermieden werden und gesellschaftspolitische Veränderungen eingefordert werden. Hier bleiben die meisten Sozial-, Bildungs- und gesundheitsbezogenen Berufe sowie ihre Verbände in Deutschland meiner Einschätzung nach noch weit hinter dem Möglichen zurück. Vergleichsweise wenig wird bislang auch reflektiert, welche Bedeutung Institutionen der Meso-Ebene (Arbeitsorganisationen und Unternehmen, lokalen Vergemeinschaftungen und Vereinen aber besonders auch Familien) zukommen könnte.
Fazit
Insgesamt können in dem vorgelegten Band nicht nur für Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen sondern alle im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich tätigen Menschen Anregungen für einen beruflichen und persönlichen Umgang mit dem Klimathema finden. Auch für Aktivisti*innen sind viele Beiträge lesenswert und mit Blick auf Klimakommunikation, Bewegungsstrategien aber auch Selbstfürsorge und Nachhaltigkeit des eigenen Engagements anregungsreich. Insgesamt spricht dies für die sehr gelungene Gestaltung des Herausgeberbandes, den ich beruflich betroffenen wie privat interessierten Menschen zur Lektüre empfehlen kann.
Erwähnte Literatur
Neckel, S., & Hasenfratz, M. (2021). Climate emotions and emotional climates: The emotional map of ecological crises and the blind spots on our sociological landscapes. Social Science Information, 60(2), 253–271. https://doi.org/10.1177/0539018421996264
Zick, A. & Küpper, B. (2021) Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21 Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung v. Franziska Schröter. J.H.W. Dietz Nachf.: Bonn 2021. Verfügbar über: https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/​gegen-rechtsextremismus/​mitte-studie-2021
Rezension von
Prof. Dr. Matthias Euteneuer
Professor für Theorie und Methoden Sozialer Arbeit an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf.
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Zitiervorschlag
Matthias Euteneuer. Rezension vom 31.07.2023 zu:
Christoph M. Hausmann, Katharina van Bronswijk: Climate Emotions: Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2022.
ISBN 978-3-8379-3168-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29905.php, Datum des Zugriffs 04.12.2023.
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