Stephanie Witt-Loers: Hallo, ich lebe noch!
Rezensiert von Alexandra Günther, 02.06.2023

Stephanie Witt-Loers: Hallo, ich lebe noch! Trauernde Geschwister begleiten. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2022. 250 Seiten. ISBN 978-3-525-40530-7. D: 23,00 EUR, A: 24,00 EUR.
Thema
Wenn ein Kind stirbt, trauern nicht nur die Eltern, sondern auch die Geschwister. Jedes Familienmitglied muss einen eigenen Weg finden, um mit dem Verlust leben zu lernen. Geschwisterkinder haben dabei andere Bedürfnisse und Herausforderungen als ihre Eltern. Um sie zu stärken und zu unterstützen, benötigt es spezielles Wissen und geeignete Methoden in der Trauerbegleitung.
Autorin
Stephanie Witt-Loers ist Trauerbegleiterin, Kinder- und Familientrauerbegleiterin, Heilpraktikerin, Psychotherapeutin, Dozentin, Buchautorin. Seit 2008 leitet sie das Institut Dellanima in Bergisch Gladbach. In ihrer Praxis bietet sie Einzel- und Gruppentrauerbegleitung für Menschen jeden Alters an.
Aufbau
Das Fachbuch ist folgendermaßen aufgebaut:
- Grundsätzliches zum System Familie
- Trauer und Verlust im Leben von Geschwistern
- Geschwistertrauer im Familienkontext
- Geschwistertrauer: Aspekte und Rollen
- Weitere Facetten des Geschwisterverlusts
- Plötzlicher Tod eines Geschwisters
- Lebensverkürzende Erkrankung und Tod
- Tabuisierte und stigmatisierende Todesarten
- Jung gestorbene Geschwister
- Trauernde Geschwister und ihr soziales Umfeld
- Familienorientierte Begleitung
- Ressourcenorientiert arbeiten
- Exkurs: Deutscher Kinderhospizverein
- Hinweise und Adressen
- Literatur
Inhalt
Das erste Kapitel bietet einen Einstieg ins Thema und macht deutlich, warum Geschwister in der Trauerbegleitung speziell wahrgenommen werden müssen. Verlusterfahrungen und Trauer in der Familie erleben Geschwisterkinder anders als die Eltern und brauchen passende Begleitung. Stephanie Witt-Loers zeigt das Spektrum an Trauererfahrungen von Kindern und Jugendlichen nach dem Tod eines Geschwisterkindes.
Weitere Grundlagen werden im zweiten Kapitel vorgestellt. Die Autorin erläutert u.a. den Wandel von Trauertheorien und Traueraufgaben. Des Weiteren zeigt sie zum Beispiel, welche Ressourcen und Schutzfaktoren den Trauerprozess von Geschwisterkindern unterstützen. Außerdem weist sie auf Schwierigkeiten hin, die im Trauerprozess auftreten können und wann weitere, externe Hilfen notwendig werden.
Die Familie als Ort der Geschwistertrauer nimmt das dritte Kapitel in den Blick. Dabei wird auf verschiedene Situationen wie zum Beispiel die Nachricht des Todes oder Gestaltung der Bestattung eingegangen. Witt-Loers zeigt Begleitungsmöglichkeiten, wie u.a. die Einführung von Familienritualen und einer eigenen Erinnerungskultur, um einen Umgang mit dem Verlust in der Familie zu entwickeln. In Exkursen veranschaulicht die Autorin durch Erfahrungsberichte von Geschwisterkindern die Bedeutung von Kommunikation, externer Unterstützung und innerfamiliärer Probleme.
Das vierte Kapitel untersucht im Anschluss daran das Familiensystem. Dabei geht die Autorin zum Beispiel auf Konzepte zu Rollenbildern in der Familie ein. Sie stellt u.a. Veränderungen vor, wie die neue Geschwisterkonstellation nach dem Tod eines Kindes. Auch frühere Konflikte zwischen den Geschwistern gilt es beispielsweise in der Trauerbegleitung zu berücksichtigen.
Wenn Familien getrennt leben, ergeben sich wiederum andere Herausforderungen. Im fünften Kapitel beleuchtet Witt-Loers diese, wie zum Beispiel die Trauer um Halbgeschwister.
Die Erfahrungen von Familien, deren Kind plötzlich verstirbt, werden im sechsten Kapitel veranschaulicht. In einem Interview schildert ein Geschwisterkind seine persönlichen Erlebnisse, Gefühle und Wahrnehmungen.
Eine unheilbare, lebensbeendende Erkrankung eines Kindes beeinflusst das Familiensystem schon vor dem Tod, wie im siebten Kapitel erläutert wird. In Exkursen zeigt Witt-Loers wie Abschied, Tod und Trauer dabei von Geschwisterkindern erlebt werden. Zum Verlust gehört u.a. schon der damit verbundene Wegfall des bisherigen Familienalltags.
Das achte Kapitel befasst sich mit dem Tod durch Suizid oder durch eine Gewalttat. Dies geht mit Fragen nach sozialer Schuld, Scham oder Sprachlosigkeit einher. Die Autorin erläutert, welche Folgen das für den Trauerprozesses und die Trauerbegleitung hat. Mit den Schilderungen einer Mutter, eines Geschwisterkindes und einer Kriminalhauptkommissarin werden die speziellen Schwierigkeiten deutlich.
Wie es den Trauerprozess beeinflusst, wenn ein Geschwisterkind sehr jung oder ungeboren stirbt, untersucht das neunte Kapitel. Witt-Loers stellt dar, wie Kinder im Kleinkindalter und nachgeborene Geschwister im Umgang mit dem Verlust entwicklungsgerecht unterstützt und begleitet werden können. Die Autorin vermittelt u.a. altersentsprechende Kreativangebote.
Das Thema trauernde Geschwister und soziales Umfeld behandelt das zehnte Kapitel. Der Tod des Geschwisterkindes verändert u.a. die Situation in der Kita oder Schule. Die Reaktionen dort können sowohl stärkend sein, als auch den Trauerprozess verkomplizieren. Die Autorin zeigt Wege auf, wie damit in der Trauerbegleitung umgegangen werden kann.
Die familienorientierte, institutionelle Trauerbegleitung wird im elften Kapitel am Beispiel der Arbeit des Bundesverbandes verwaister Eltern und trauernder Geschwister in Deutschland e.V. vorgestellt. Außerdem zeigt die Autorin das Angebot der Nachsorgeklinik Tannheim mit ihrer Reha für verwaiste Familien.
Im zwölften Kapitel erläutert Witt-Loers ausführlich das ressourcenorientierte Arbeiten in der Trauerbegleitung. Sie vermittelt eine Vielzahl an Hilfen und Tipps, auch für die weitere Entwicklung der trauernden Kinder oder Jugendlichen. Dabei stellt sie u.a. Impulsfragen zur Gesprächsführung vor. Das Ziel ist, einen passenden Umgang mit der einschneidenden Verlusterfahrung im Leben zu finden.
Welchen Einfluss der Tod eines Geschwisterkindes auf das weitere Leben haben kann, nimmt das dreizehnte Kapitel in den Blick. Die Autorin zeigt das Angebot des Deutschen Kinderhospizvereins zur Selbsthilfe erwachsener, verwaister Geschwister.
Das vierzehnte Kapitel vermittelt abschließend Internetadressen für Hilfs- und Beratungsangebote für trauernde Kinder, Jugendliche und Eltern und zwei Adresshinweise sowie Kooperationsmöglichkeiten für Trauerbegleiter.
Das letzte und fünfzehnte Kapitel führt die Literatur zum Thema auf.
Diskussion
Während viele Veröffentlichungen zum Thema Trauer den Schwerpunkt auf die Trauerarbeit mit den Eltern oder der gesamten Familie legen, geht das vorliegende Buch von Stephanie Witt-Loers speziell auf die Trauerbegleitung von Geschwisterkindern ein. Kinder und Jugendliche trauern auf ihre eigene Weise um das Geschwisterkind. Der Verlust hat für ihr Leben andere Folgen als für das ihrer Eltern.
Die Autorin vermittelt eine achtsame, kultursensible Trauerbegleitung. Dabei werden auch die Besonderheiten und Schwierigkeiten wahrgenommen. Witt-Loers zeigt das ganze Spektrum von Aspekten auf, die den Trauerprozess beeinflussen können. Sie ermutigt dazu, die Kinder und Jugendlichen darin zu unterstützten, ihren eigenen Trauerweg zu gehen.
Fazit
Das Fachbuch von Stephanie Witt-Loers bietet für alle Fachkräfte und ehrenamtliche TrauerbegleiterInnen, egal ob erfahren oder neu, eine hilfreiche Arbeitsgrundlage. Es vermittelt Hintergrundwissen, Erfahrungsberichte, Fachmeinungen, Tipps und Methoden für eine professionelle Trauerbegleitung, die die besonderen Bedürfnisse von Geschwisterkindern berücksichtigt.
Rezension von
Alexandra Günther
Sozialpädagogin und Ethikerin
Mailformular
Es gibt 45 Rezensionen von Alexandra Günther.
Zitiervorschlag
Alexandra Günther. Rezension vom 02.06.2023 zu:
Stephanie Witt-Loers: Hallo, ich lebe noch! Trauernde Geschwister begleiten. Vandenhoeck & Ruprecht
(Göttingen) 2022.
ISBN 978-3-525-40530-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29955.php, Datum des Zugriffs 25.09.2023.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.