Karen Nimrich: Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung
Rezensiert von Prof. Dr. Hiltrud Loeken, 09.05.2023

Karen Nimrich: Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung. GFK als Basis für bedürfnisorientierte Begleitung : Ein unverzichtbarer GFK Praxis-Ratgeber mit zahlreichen interaktiven Übungen + konkreten Anleitungen zur direkten Umsetzung im Arbei.
edition Riedenburg e.U.
(Salzburg) 2022.
172 Seiten.
ISBN 978-3-99082-107-7.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR,
CH: 42,90 sFr.
Reihe: Supplement.
Thema
Karen Nimrich befasst sich in ihrem Buch mit den Möglichkeiten, die die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung bietet. Nimrich versteht GFK (Gewaltfreie Kommunikation) nicht nur als Methode, sondern vor allen Dingen als Grundhaltung. Zugleich sieht sie sie als Basis für eine bedürfnisorientierte Begleitung von Menschen mit Behinderung. Ihr Buch ist als Praxisratgeber mit interaktiven Übungen und konkreten Anleitungen konzipiert.
Autorin
Karen Nimrich hat zunächst Lehramt studiert und anschließend eine Ausbildung als Heilerziehungspflegerin gemacht. Als Heilerziehungspflegerin arbeitet sie seit mehreren Jahren mit Menschen mit Behinderung, die sogenannte herausfordernde Verhaltensweisen zeigen und in ihren kommunikativen Möglichkeiten eingeschränkt sind. Sie ist außerdem als selbstständige Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation tätig.
Entstehungshintergrund
Wie die Autorin angibt, ist das Buch aus einer Facharbeit ihrer Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin entstanden. Die zahlreichen praktischen Beispiel stammen teilweise aus ihrer beruflichen Praxis in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderungen.
Aufbau
Das Buch geht auf gut 160 Seiten zunächst auf die Gewaltfreie Kommunikation ein und setzt sich ausführlich mit den vier Elementen Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten auseinander. Als theoretische Basis für den bedürfnisorientierten Ansatz folgt ein Überblick über die sozio-emotionale Entwicklung nach Margret Mahler, dabei folgt die Autorinden Ausführungen von Barbara Senckel. Anschließend werden die Chancen einer bedürfnisorientierten Sprache ausgelotet und das Vier-Ohren-Modell der GFK vorgestellt. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema Macht, bevor die Autorin auf gewaltfreie Kommunikation im Team eingeht und Gespräche mit Angehörigen thematisiert. Ein Resümee mit kritischen Fragen und Herausforderungen im Alltag runden das Buch ab.
Inhalt
Eingangs beschreibt die Autorin kompakt die Grundannahmen der GFK, wie sie von Marshall B. Rosenberg entworfen wurden und betont die Bedeutung der GFK als Haltung, die es zu entwickeln gilt. GFK kann dann genutzt werden, um ein größeres Verständnis für die Klientinnen zu bekommen und mit sich selbst und dem Gegenüber in Verbindung zu treten (vgl. S. 26).
Dazu ist es essenziell wichtig, zu differenzieren zwischen den vier Elementen Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Die vier Elemente werden von Nimrich genauer beschrieben und mit Beispielen aus dem Kontext der Arbeit mit behinderten Menschen anschaulich gemacht. Dabei werden weitere Unterscheidungen wie zwischen Beobachtung und Bewertung, Gefühle im Unterschied zu Gedanken, Bedürfnisse und Strategien sowie Bitten und Forderungen hervorgehoben. Zu allen einzelnen Punkten gibt es – wie auch in den folgenden Kapiteln – jeweils kurze Übungsaufgaben für die Lesenden.
Kernanliegen der Autorin ist, mithilfe der GFK einen bedürfnisorientieren Zugang zu ihren Klient*innen zu finden. Um dies theoretisch zu fundieren und Grundlagen für den Zugang zu Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung zu erhalten, greift sie auf das Modell der sozio-emotionalen Entwicklung nach Margret Mahler und in Nachfolge nach Senckel zurück. Neben der Annahme, dass bei Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen eine Diskrepanz zwischen kalendarischem Alter und kognitiver Entwicklung besteht, wird davon ausgegangen, dass ebenfalls eine Diskrepanz zur Phase der sozio-emotionalen Entwicklung besteht. Zum besseren Verständnis der Adressat*innen ist es hilfreich – so die Autorin –, dieses Stadium der sozio-emotionalen Entwicklung zu kennen. Dass diese Annahme auch kritisch gesehen werden kann (z.B. von Theunissen), ist der Autorin bewusst. Die Arbeit mit der GFK ist ihr zufolge nicht gebunden an die Bezugnahme auf die sozio-emotionale Entwicklung.
Im Kapitel zu den Chancen einer bedürfnisorientierten Sprache verdeutlicht die Autorin anhand vieler Beispiele bedürfnisorientiertes Arbeiten, das auf Verständnis und Empathie ausgerichtet ist. Neben der Bezugnahme auf mögliche Bedürfnisse der Adressat*innen sind die Sensibilisierung für die eigenen Bedürfnisse und der bewusste Umgang mit diesen von Bedeutung. Hinrich spricht in diesem Zusammenhang von „Selbstempathie als Form der Selbstfürsorge“ (S. 87).
Eine genauere Bestimmung von Empathie nimmt die Autorin im folgenden Kapitel vor, indem sie das Vier-Ohren-Modell der GFK vorstellt, welches sich vom Vier-Ohren-Modell Schulz von Thuns unterscheidet. Erläutert wird die Bedeutung der „Schuldohren innen und außen“ sowie der „Verständnisohren innen und außen“ (S. 110/11).
Anschließend rückt der Umgang mit Macht in den Fokus. Mit Bezugnahme auf Rosenberg unterscheidet die Autorin zwischen beschützender und bestrafender Macht und beschreibt „Macht mit“ im Kontrast zu „Macht über“. Auch in diesem Kapitel illustriert sie das mögliche Vorgehen mit vielen Beispielen und stellt zahlreiche Anregungen zur Reflexion bereit.
Nachdem es bislang um den Umgang mit Klient*innen ging, lotet die Autorin im folgenden Kapitel die Möglichkeiten der Gewaltfreien Kommunikation im Team aus. Sie hält deren Einsatz auf jeden Fall für eine Bereicherung, selbst wenn nur ein Teammitglied sich damit auseinandersetzt. Besonders hervorgehoben wird von ihr die Begegnung auf Bedürfnis-Ebene, die besonders in multiprofessionellen Teams bedeutsam ist. Weitere, die Teamarbeit befördernde Elemente sind: sich aufrichtig mitzuteilen und Störungen anzusprechen (vgl. S. 141), konkrete Bitten für eine klare Kommunikation zu formulieren (S. 143), Eigenverantwortung zu übernehmen, der Umgang mit Vorwürfen und Kritik und das Ausdrücken von Wertschätzung und Selbstfürsorge. Es zeigt sich also auch hier das Wechselspiel von bewusstem und reflektierten Umgang mit eigenen Bedürfnissen und Anliegen sowie die Wahrnehmung dieser bei den Kolleg*innen.
Es folgen kurze Ausführungen zum Nutzen der GFK in Gesprächen mit Angehörigen, um vor allen Dingen Vertrauen aufzubauen
In ihrem Resümee geht die Autorin auf den häufig der GFK entgegengebrachten Einwurf „Haben sich denn ab jetzt alle lieb?“ (S. 154) ein und formuliert abschließend zentrale Thesen zur GFK.
Das letzte Kapitel ist den möglichen Herausforderungen im Alltag gewidmet. Dabei werden auch einschränkende Rahmenbedingungen genannt und notwendige Bedingungen herausgestellt.
Diskussion
Karen Nimrich stellt in ihrem Buch die Gewaltfreie Kommunikation mit ihren theoretischen Grundlagen vor. Ihr Hauptanliegen ist es indes, einen Praxisratgeber für den Arbeitsbereich der Behindertenhilfe vorzulegen. Das Buch ist mit seinen vielen Grafiken sehr anschaulich gestaltet und bietet konkrete Anleitungen für interaktive Übungen und die Reflexion. Es eignet sich daher sowohl für die Selbstreflexion als auch die Fortbildung oder Teamreflexion.
Fazit
Karen Nimrich zeigt in ihrem Buch Möglichkeiten auf, Gewaltfreie Kommunikation in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung einzusetzen. Dabei versteht sie Gewaltfreie Kommunikation nicht nur als Methode, sondern vor allen Dingen als Grundhaltung, die die Basis für eine bedürfnisorientierte Begleitung von Menschen mit Behinderung darstellt. Hierzu stellt sie praktische Anwendungsbeispiele vor.
Rezension von
Prof. Dr. Hiltrud Loeken
Evangelische Hochschule Freiburg
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Es gibt 12 Rezensionen von Hiltrud Loeken.
Zitiervorschlag
Hiltrud Loeken. Rezension vom 09.05.2023 zu:
Karen Nimrich: Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung. GFK als Basis für bedürfnisorientierte Begleitung : Ein unverzichtbarer GFK Praxis-Ratgeber mit zahlreichen interaktiven Übungen + konkreten Anleitungen zur direkten Umsetzung im Arbei. edition Riedenburg e.U.
(Salzburg) 2022.
ISBN 978-3-99082-107-7.
Reihe: Supplement.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29957.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.
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