Erhard Doll: Rechtskunde für sozialpädagogische Berufe
Rezensiert von Dr. Kurt-Peter Merk, 12.06.2023

Erhard Doll: Rechtskunde für sozialpädagogische Berufe. Westermann Berufliche Bildung (Köln) 2021. 9. Auflage. 260 Seiten. ISBN 978-3-427-35804-6. D: 30,95 EUR, A: 31,90 EUR, CH: 39,00 sFr.
Thema
Wie der Titel – Rechtskunde – schon andeutet, erhebt das Werk den Anspruch, einen umfassenden Bestand an erforderlichen Rechtskenntnissen für die Zielgruppe der SozialpädagogInnen zu liefern.
Autor
Der Autor, Erhard Doll, ist Jurist und als Rechtsanwalt tätig. Es finden sich im Buch und auch in der Website des Verlags keine weiteren aussagekräftigen Informationen. Da das Buch aber nun schon in der vorliegenden 9. Auflage erscheint, ist das Werk etabliert.
Aufbau und Inhalt
Die Darstellung der Rechtskenntnisse ist in 5 Teile gegliedert. Der Abschnitt A dient der Heranführung der SozialpädagogInnen an die Rechtsordnung. Der Abschnitt B konzentriert sich auf Rechtsfragen, die im Rahmen der Kindertagesbetreuung auftreten. Abschnitt C thematisiert die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), ergänzt um die anderen Aufgaben, insbesondere die Inobhutnahme. Im Abschnitt D wird, anknüpfend an die schon im Abschnitt C beschriebene Jugendgerichtshilfe, das Strafrecht allgemein erklärt und das Jugendgerichtsverfahren beschrieben. Abschnitt E dient unter dem Titel „Erzieherinnen und Erzieher als Arbeitnehmer“ schließlich der Darstellung von arbeitsrechtlichen Grundlagen dieses Arbeitsbereiches. Die Untergliederung dieser fünf Abschnitte erfolgt durchgängig mit 22 jeweils weiter ausdifferenzierten Kapiteln.
Die Kapitel werden durch praktische Beispiele eingeleitet und mit passenden Zeichnungen versehen. Am Ende jedes Kapitels sind Fragen zu Übungszwecken angefügt und es wird auf die online verfügbaren Materialien verwiesen, die als Ergänzungen nützlich und gut geeignet sind.
Diskussion
Das Buch gibt die Rechtsfragen in den behandelten Bereichen nachvollziehbar und didaktisch effektiv wieder. In der Einführung finden sich allgemeine und grundlegende Erläuterungen zur Bedeutung des Rechts. Dabei werden Unschärfen in Kauf genommen. Zum Beispiel wird nicht klar, dass die Landesverfassungen als unter dem Bundesrecht stehend einzuordnen sind. Rechtsverordnungen werden nicht klar von Verordnungen der Europäischen Union abgegrenzt. Bei dem Punkt 1.4.1 „Europäische Gerichtsbarkeit“ ist die Differenzierung zwischen EuGH und EMRGH nicht gelungen.
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) wird in seiner Struktur und Bedeutung für sozialpädagogische Berufe gut erläutert. Die Verwendung von Beispielen erleichtert das Verständnis. Dies gilt insbesondere für die Leistungen der Jugendhilfe. Ausführlich erläutert wird auch das elterliche Sorgerecht.
Die Bearbeitung des Jugendstrafrechts geht allgemein vom Strafrecht aus, ist differenziert und gut verständlich. Die Jugendgerichtshilfe wird dargestellt.
Ergänzend werden die rechtlichen Verhältnisse in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Fragen des Betreuungsrechts bearbeitet.
Die Darstellung der Haftung bei Aufsichtspflichtverletzungen ist für Nichtjuristen schwer verständlich. Für die arbeitsrechtlichen Konsequenzen wird auf Abschnitt 23 verwiesen. Der Text endet aber mit Abschnitt 22.
Bei der Darstellung des KKG wird auf § 4 verzichtet und auf § 8a SGB VIII verwiesen. Das wird dem Anspruch des KKG nicht gerecht und verstellt den Blick auf die Durchbrechung der Schweigepflicht der Geheimnisträger gemäß § 203 StGB im Interesse des frühzeitig greifenden Kinderschutzes. Da sich das Werk nicht zuletzt an ErzieherInnen wendet, wäre hier auch eine Auseinandersetzung mit § 8b Abs. 1 SGB VIII als ergänzende Vorschrift zu § 4 KKG nützlich.
Um dem Anspruch der „Rechtskunde“ gerecht zu werden, wäre aber bei Kapitel 7 „Die Rechtsstellung von Kindern“ die Berücksichtigung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen wünschenswert, insbesondere der Vorrang des Kindeswohls in Art. 3 UN-KRK.
Die Darstellung des Textes ist didaktisch überzeugend, durch die farbliche und optische Gestaltung ist das Werk leicht zugänglich und gut lesbar. Das Buch verzichtet auf eine Einführung in die Kinderrechte und insbesondere in deren Recht auf Partizipation gerade im Bereich der Kindertagesbetreuung gemäß § 8b Abs. 2 SGB VIII und Art. 12 UN-KRK. Der schon vor dem Erscheinen geltende § 8 Abs. 1 SGB VIII wird angesprochen aber in seiner Bedeutung als Beteiligungsvorschrift nicht vertieft. Daher findet sich im Stichwortverzeichnis weder der Begriff „Beteiligung“ noch der Begriff „Partizipation“. Der weitgehende Verzicht auf eine Darstellung dieses Teils des Kinderrechtes erscheint defizitär.
Allerdings wurde der partizipative Teil der Kinderrechte erst nach Erscheinen des Textes durch eine Reform des SGB VIII deutlich gestärkt. Dabei geht es vorrangig um die Ausweitung der Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe im neuen § 1 Abs. 3 Ziffer 2 SGB VIII und um § 8 Abs. 4 SGB VIII. Auch die Ergänzung des § 1 Abs. 1 SGB VIII um den Begriff der „Selbstbestimmung“ sowie die Einführung der Möglichkeit der Selbstvertretung mit § 4a SGB VIII.
Fazit
Wegen der praktischen Bedeutung der Ausweitung der Aufgaben der Jugendhilfe über ihren bisherigen Bereich hinaus durch § 1 Abs. 3 Ziffer 2 SGB VIII erscheint der vorliegende Text im Hinblick auf die seit 2021 bestehende Rechtslage überarbeitungsbedürftig, um wieder aktuell zu sein.
Rezension von
Dr. Kurt-Peter Merk
Recht in der Sozialen Arbeit;
Recht der Europäischen Union;
Kinderrechte;
Generationengerechtigkeit
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Es gibt 1 Rezension von Kurt-Peter Merk.
Zitiervorschlag
Kurt-Peter Merk. Rezension vom 12.06.2023 zu:
Erhard Doll: Rechtskunde für sozialpädagogische Berufe. Westermann Berufliche Bildung
(Köln) 2021. 9. Auflage.
ISBN 978-3-427-35804-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29975.php, Datum des Zugriffs 23.09.2023.
Urheberrecht
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