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Ulrich Kastner, Veronika Schraut et al.: Handbuch Demenz

Rezensiert von Heike Kautz, 08.02.2023

Cover Ulrich Kastner, Veronika Schraut et al.: Handbuch Demenz ISBN 978-3-437-28004-7

Ulrich Kastner, Veronika Schraut, Rita Löbach: Handbuch Demenz. Fachwissen für Pflege und Betreuung. Urban & Fischer in Elsevier (München, Jena) 2022. 5. Auflage. 256 Seiten. ISBN 978-3-437-28004-7. D: 33,00 EUR, A: 34,00 EUR, CH: 45,00 sFr.

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Thema

Durch die steigende Zahl betagter und hochbetagter Menschen, und eine häufig damit verbundene Demenz, ist es notwendig, in die Welt der Demenz einzutauchen, um diese zu verstehen und eine individuelle Pflege und Betreuung zu gewährleisten. Verschiedene Demenzformen sind durch Diagnostik und Therapie zu differenzieren. Pflege und Pflegeprozesse sind darauf ausgerichtet das Personsein der Betroffenen zu stärken. Ein multiprofessionelles Netzwerk gilt es aufzubauen, welches wirkungsorientiert für die Person mit Demenz agiert. Es ist zwingend die Unterstützung und Sorge für Angehörige mit in den Blick zu nehmen und diese Personen als Ressource zu betrachten. Vielfältige Kompetenzen sind gefordert, sodass im professionellen Kontext neben einer sehr hohen Fachlichkeit auch soziale, kommunikative sowie persönliche Eignung für die Pflegeanforderungen von Personen mit einer Demenz gerecht zu werden. Selbstsorge ist für alle Pflegenden und Betreuenden konstitutiv.

Herausgeber:innen

Dr. Ulrich Kastner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Gerontopsychiatrie.

Prof. Dr. Veronika Schraut ist Professorin für Geriatrische Pflege- und Rehabilitationswissenschaften und Inhaberin der Firma Pflegeconsult.

Rita Löbach hat Psychatrische Pflege (B.A.) studiert und ist als Expertin in einem Gerontopsychiatrischen Zentrum tätig. Nebenberuflich arbeitet sie als Dozentin und Autorin.

Entstehungshintergrund

Die Entwicklung zur 5. Auflage erfolgte, um inhaltlich von der Problemorientierung des Krankheitsbildes den Blick auf Lösungsorientierung mit dem Ansatz des Verstehens und Stärkung der Betroffenen zu legen. Ergänzende Pflegemodelle und Illustrationen unterstützen dieses ebenso wie die Veränderung der Sprache. Folglich wurden stärker Aspekte der Validation® und das Gelingen des Beziehungsaufbau in der Pflegeprozessgestaltung betrachtet. Gleichzeitig soll dieses Buch auch mit dem eingeführten Pflegeberufegesetz, der Generalistik und hochschulischer Pflegeausbildung kompatibel und für alle pflegerischen Qualifikationsstufen sowie Interessierte verständlich sein.

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit einer Vorstellung der 5. und 1. Auflage, den Autor:innen-Kurzportraits, einem Abbildungsnachweis sowie einem QR-Code, um evtl. Fehler zu melden. Die Autor:innen fokussieren medizinische und pflegerische Schwerpunkte vornehmlich mit entsprechender Profession. Ein Register und themenrelevante Literaturempfehlungen schließen das Buch ab.

Das kompakte Handbuch Demenz hebt auf insgesamt 247 Seiten und 13 Kapiteln das Wesentliche des vielschichtigen Syndroms Demenz hervor. Über Historie, differenzierten Symptomen und Verläufen werden die unterschiedlichen Demenzformen sowie Diagnostik und Therapie vorgestellt. Pflegemodelle, der Pflegeprozess und die Organisation der Pflege sind das Herzstück des sehr informativen Buches. Grafiken und Abbildungen verdeutlichen einzelne Themen. Juristische Fragen runden die Thematik ab. Durch Struktur und Querverweise in den Kapiteln ist das Buch ein gutes Nachschlagewerk.

In Kapitel 1 von Kastner & Schraut (S. 1–7) zeigt der historische Blick, dass schon 25 v.Chr. der Begriff „demens“ geprägt wurde. Erst seit dem 20. Jh. verstehen Medizin und Pflege das Phänomen des Demenzsyndroms besser. Unterschiedliche Hypothesen zur Entstehung, Diagnostik und Therapie werden diskutiert, wobei die Alzheimer-Demenz „klinisch wissenschaftlich“ (S. 2) akzeptiert ist. Demenz und Depressionen sind die signifikantesten psychischen Erkrankungen bei den ab 60-Jährigen in Deutschland. Studien weisen deutlich darauf hin, dass Pflegeeinrichtungen mit fast ausschließlich psychiatrischen Krankheitsphänomenen bei betagten und hochbetagten Personen vor enormen fachlichen und sozio-ökonomischen Herausforderungen gestellt sind.

In Kapitel 2 erklärt Kastner (S. 9–38) verschiedene Formen der Demenz sowie ihre unterschiedlichen Symptome und Verläufe kurz und prägnant sowie differentialdiagnostische Erklärungsmodelle. Gezielte bedürfnisorientierte (therapeutische) Maßnahmen und Vernetzung werden hervorgehoben, „übermäßige Bevormundung“ (S. 14) kann zu einem inneren Rückzug und Depressionen bei Betroffenen führen. Menschen mit einer Demenz fallen unter die Deklaration von Palliative Care. Lebensqualität steht beim Betroffenen und den Angehörigen im Vordergrund, was die Komplexität der Demenz widerspiegelt. Auf spezielle Schmerz-Assessments und die medikamentöse Schmerzbehandlung wird eingegangen.

In Kapitel 3 geht Kastner (S. 39–54) auf primäre und sekundäre Demenzformen ein. Abgebildete Fotos, Grafiken sowie Tabellen fokussieren die Demenz vom Alzheimer-Typ und den Vergleich zur vaskulären Demenz mit möglichen Ursachen und Veränderungsprozessen eindrücklich. Auch bei den sekundären Demenzformen (z.B. Stoffwechselerkrankungen) wird durch eine übersichtliche Abbildung Wert darauf gelegt, dass die Leserschaft einen schnellen und kompakten Überblick erhält.

In Kapitel 4 visualisiert Kastner (S. 55–74) an Beispielen und Assessment-Instrumenten, wie wichtig Ergebnisse verschiedener Verfahren eines multiprofessionellen Teams sind, um eine Demenz zu diagnostizieren oder auch andere Erkrankungen abzugrenzen. Durch Kommunikationsschwierigkeiten ist die Beurteilung von Schmerzen bei Menschen mit Demenz hauptsächlich auf Fremdbeurteilungsverfahren zur gezielten Therapie ausgerichtet. Die Erhebung körperlicher Störungen sind besonders im Fortschreiten der Erkrankung wichtig, um Pflegeaufwand und Unterstützungsmöglichkeiten adäquat anzupassen.

In Kapitel 5 beleuchten Kastner & Schraut (S. 75–97) erneut therapeutische Möglichkeiten der vielfältigen Symptome des Demenzsyndroms und konzentrieren sich darauf, dass Betroffene sowie Angehörige und das pflegerische Umfeld Unterstützung und Entlastung durch entsprechende Maßnahmen erfahren. Medikamentöse, nicht medikamentöse sowie komplementäre Maßnahmen werden neben juristische Fragen ausgeführt. Der Fokus liegt dabei auf einer sich stets ändernder individueller Bedürfnisorientierung und Stärkung der Person und nicht auf Anpassung der Person an das System.

In Kapitel 6 berichten Löbach & Schraut (S. 99–206) über sich zunehmend einstellende Veränderungen, den Ursachen sowie differente pflegerische Interventionsmöglichkeiten. Dabei gilt es in die „individuelle Erlebenswelt“ (S. 101) dieser Personen mit Demenz einzutauchen und durch entsprechende Verhaltensweisen und Kompetenzen eine vertrauensvolle und entspannte Atmosphäre und Beziehung zu gestalten sowie Autonomie und Selbstständigkeit zu fördern.

Die Autorinnen heben die Voraussetzungen und Aufgabenprofile der professionellen Pflege sowie die Signifikanz der Vorbehaltsaufgaben der Pflege des § 4 Pflegeberufegesetz hervor. Gleichzeitig werden mögliche und z.T. akademische Weiterqualifizierungsangebote vorgestellt, um adäquate pflegerische und betreuerische Haltungs- und Handlungsmaßnahmen für Menschen mit Demenz zu erlernen. Betreuungsassistent:innen, Ehrenamtliche und Angehörige sind wichtige Bausteine im System der Pflege von Menschen mit Demenz. Spezielle Pflegemodelle für Menschen mit Demenz werden vorgestellt.

In Kapitel 7 werden von Löbach & Schraut (S. 143–155) das Modell der fördernde Prozesspflege von Monika Krohwinkel mit 14 ABEDL® (S. 143 ff) sowie das „Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation“ (S. 152 ff) mit der strukturierten Informationssammlung SIS® für die Langzeitpflege ausgeleuchtet.

In Kapitel 8 wird von Löbach & Schraut (S. 157–192) der zu gestaltende Pflegeprozess als Kernaufgabe der Profession Pflege für Personen mit Demenz ausführlich beschrieben und um den Punkt NANDA-Pflegediagnosen erweitert. Beispiele des Pflegeassessments für die ABEDL®-Struktur als auch für SIS® werden durch Fallbeispiele verdeutlicht. Häufige Pflegediagnosen nach NANDA für Personen mit Demenz sind zusätzlich tabellarisch für SIS® hinterlegt und exemplarisch ausbuchstabiert. Für mögliche durchzuführende Pflegeinterventionen wird die Pflegeinterventionsklassifikation mit entsprechenden Handlungsoptionen für die Praxis einbezogen. Beispielhafte Modelle sind aufgeführt. Signifikant ist die Validation® als wertschätzende und verständnisvolle Kommunikationsmethode.

Für den Pflegeprozess förderliche positive Interventionen nach Tom Kitwood werden ergänzt als auch das Konzept der Basalen Stimulation®. Zur Kontrolle der Pflegequalität wird Dementia Care Mapping (DCM) als geeignetes Beobachtungsinstrument vorgestellt, welches das Wohlbefinden der Betroffenen erfasst.

In Kapitel 9 veranschaulichen die Autorinnen Löbach & Schraut (S. 193–206) wie ein Pflegeprozess mit Pflegediagnosen (PD) bei Menschen mit Demenz aussehen könnte. Fallbeispiele sind die Grundlage, die im Pflegeassessment SIS® dokumentiert werden. Mögliche PDn werden zur Prozessgestaltung definiert, detailliert ausbuchstabiert und übersichtlich illustriert.

In Kapitel 10 hebt Kastner (S. 207–218) die stadiengerechte Versorgung im Lebensraum bzw. Wohnraum hervor. Ambulante, teilstationäre sowie spezielle Wohnformen werden angesprochen und es wird dargelegt, welche Vor- bzw. Nachteile diese Konzepte bieten. Auch wird ein Blick ins europäische Ausland und in die USA vorgenommen. Der Fokus liegt dort auf einem hohen Personalschlüssel mit Kompetenzen in der Versorgung von Menschen mit Demenz, wobei die Umsorgung nicht nur vom Pflegepersonal übernommen wird. Zur individuellen Pflege und Begleitung werden auch technische Hilfsmittel sowie Assistenzsysteme im Pflegenetzwerk erklärt.

In Kapitel 11 greift Kastner (S. 219–228) die wichtigsten juristischen Fragen, ihre Bedeutung und Konsequenzen auf. Beachtung findet das Pflegestärkungsgesetz II, das neue Begutachtungssystem (NBA) sowie der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff mit entsprechenden Pflegegraden.

In Kapitel 12 werden von Kastner (S. 229–239) die unterschiedlichen Organisationsformen der Pflege im stationären sowie ambulanten Kontext dargestellt. Krankenhäuser müssen auf die steigende Zahl von Menschen mit Demenz konzeptionell reagieren. Ausgeführt wird, dass qualifiziertes Personal mit multiplen Kompetenzen zwingend sei, architektonische Veränderungen sowie rechtliche und medikamentöse Herausforderungen sind zu bewältigen.

Das Kapitel 13 von Kastner (S. 237–247) ist den im Begleitungs- und Pflegeprozess sehr wichtigen Angehörigen gewidmet. Dort werden nicht nur die Herausforderungen für Angehörigen in den Fokus gestellt, sondern auch wie sie in einem Netzwerk aufgefangen werden können. Angehörige sollten in Selbsthilfegruppen sowie spezialisierten Angeboten Unterstützung und Entlastung suchen.

Diskussion

Die 5. Auflage erzielt die an sich selbst gestellten Anforderungen. Das Herzstück des Buches, die Handlungen und insbesondere die benötigte Haltung in der Pflege von Personen mit Demenz, werden sehr deutlich dargelegt. Besonders hilfreich sind multiple Fallbeispiele und Möglichkeiten der Dokumentation sowie Fotos, Grafiken und Tabellen. Symptome und Behandlungen werden in den Kapiteln aufbauend immer ausführlicher besprochen. Dabei kommt es entsprechend zu Wiederholungen, welche für manchen Lesenden vorteilhaft sein können. Grundsätzlich ist dieses Buch nicht nur für Professionell Pflegende, sondern auch für alle Interessierten geeignet.

Es ist zu erkennen, wie hoch die Anforderungen an Pflegende sowie Betreuende und damit benötigten Kompetenzen sind. Dass Altenhilfeeinrichtungen vornehmliche eine gerontopsychiatrische und hospizlich-palliative Ausrichtung beinhalten, wird bisher nicht von Sozialgesetzgebern würdigend anerkannt, obwohl Reformen schon Positives bewirkt haben.

Fazit

Das vorliegende Werk lässt sich als schnelles, kompaktes Übersichts- bzw. Nachschlagewerk bezeichnen. Es ist sehr empfehlenswert, um in kurzer Zeit einen nachdrücklichen Eindruck zur Komplexität des Demenzsyndroms zu erhalten. Die Wichtigkeit multipler Kompetenzen der Pflege(fach)personen bilden im gesamten Buch eine rote Linie, um das Personsein der Betroffenen zu stärken und ihre Erlebniswelt zu verstehen.

Rezension von
Heike Kautz
M.Sc.N., Pflegewissenschaftlerin, Lehrpersonal am Bildungs- und Forschungsinstitut des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein in Koblenz
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Es gibt 1 Rezension von Heike Kautz.

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Zitiervorschlag
Heike Kautz. Rezension vom 08.02.2023 zu: Ulrich Kastner, Veronika Schraut, Rita Löbach: Handbuch Demenz. Fachwissen für Pflege und Betreuung. Urban & Fischer in Elsevier (München, Jena) 2022. 5. Auflage. ISBN 978-3-437-28004-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29981.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.


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