Thomas Beyer: Recht für die Soziale Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Eckart Riehle, 12.04.2023
Thomas Beyer: Recht für die Soziale Arbeit. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2022. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. 249 Seiten. ISBN 978-3-8487-7285-8. 24,00 EUR.
Thema der Publikation und Hintergrund
Der Band ist Teil einer Lehrbuchreihe für Studierende der Sozialen Arbeit an Hochschulen und Universitäten. Der Studienkurs will in verständlicher und praxisnaher Sprache in die zentralen Anwendungsfelder und Bezugswissenschaften der Sozialen Arbeit einführen und grundlegende Studieninhalte vermitteln.
Autor
Autor ist Thomas Beyer. Er ist Professor für Recht an der Universität Eichstett-Ingolstadt und war jahrelang Rechtsanwalt.
Aufbau
Das Buch ist neben einer Einleitung von 6 Seiten in 3 Themenbereiche eingeteilt.
- Grundlagen
- Rechtliche Rahmenbedingungen zentraler Handlungsfelder der Sozialen Arbeit
- Rechtsfragen der Verfahrenspraxis der Sozialen Arbeit 199- 232.
Dann schließt sich ein Literatur und ein Stichwortverzeichnis an.
Die Themen sind wiederum unterteilt in Kapitel und Unterkapitel.
- Thema 1 (Grundlagen) stellt Begriffe des Rechts, der verfassungsrechtlichen Grundlagen Sozialer Arbeit, des Systems Sozialer Sicherung und dessen Elemente, einschließlich der Finanzierung sozialwirtschaftlicher Organisationen, dar.
- Thema 2 gibt einen Überblick über 5 zentrale Handlungsfelder der Sozialen Arbeit: Die Kinder- und Jugendhilfe, die Frühpädagogik, die Altenhilfe, Grundsicherung und Sozialhilfe, Sozialberatung.
- Thema 3 behandelt die Verfahrenspraxis der Sozialen Arbeit, den Sozialdatenschutz, die Rechtsverfolgung und Rechtsdurchsetzung im Sozialrecht.
Mit dieser Aufzählung wird deutlich, dass das Buch versucht, das Versprechen der Einleitung einzulösen, als Kompendium für Studierende zu dienen, als Abriss und Lehrbuch über das System des Rechts mit dem Schwerpunkt auf dem Recht, welches die Alltagsarbeit der Sozialen Arbeit umfasst und auch steuert.
Ein solches Unterfangen, auf rund 200 Seiten, kann nur gelingen, wenn es sich als erste Orientierung auch in seiner Darstellung versteht, als Grundlage auf welcher der Sozialarbeiter und die Sozialarbeiterin immer weiter aufbauen kann. Ein Einführungsbuch, ist eben immer auch ein riskantes Unterfangen. Dessen ist sich der Autor bewusst, stellt er doch im Vorwort die Zielsetzung in den Vordergrund, eine praxisnahe und verständliche Heranführung von Studierende an soziale Grundfragen zu ermöglichen, und gibt deshalb auch dem Leser die Aufgabe, etwa den Grundlagenteil des Buches im Zusammenhang zu lesen und vollständig zu erarbeiten. Für ihn ist das Verstehen von Zusammenhängen wichtiger als eine auf Vollständigkeit zielende Darstellung von Praxisfragen.
Das Buch ist insgesamt auf dem rechtlichen Stand von Sommer 2022
Inhalte
Im Grundlagenteil führt der Autor in Grundbegriffe des Rechts ein, in die Unterscheidung von Privatrecht und Öffentlichem Recht, in die Rechtsquellen. Auf dieser Grundlage stellt er die verfassungsrechtlichen Grundlagen Sozialer Arbeit dar, das Sozialstaatsprinzip und die Grundrechtsordnung, um zwei wichtige Punkte zu erwähnen.
Dargestellt wird das System der Sozialen Sicherung, der Autor geht ein auf die Träger und Organisationen der Sozialen Arbeit, auf das Recht der Leistungserbringer, auf Rechts und Unternehmensformen in der Sozialen Arbeit und auf die Finanzierung sozialwirtschaftlicher Organisationen.
Der Grundlageteilt entwirft damit eine Landkarte des -ich nenne das- rechtlichen Hintergrunds der Sozialen Arbeit, der in jeden konkreten Einzelfall Sozialer Arbeit hineinspielen kann, mal mehr mal weniger, da sich der konkrete Fall vielfach nur auf Nebenstraßen bewegt, aber diese Einführung baut auf der offensichtlichen Überzeugung auf, dass kein Fall sozialer Arbeit in rechtlicher Hinsicht verstanden werden kann, werden nicht seine sozial- und verfassungsrechtlichen Implikationen bedacht und expliziert.
Wie alle folgenden Teilen, wird der erste Teil durch insgesamt viele Abbildungen visualisiert und unterstützt, insgesamt 32, sowie durch Fragen zur Wiederholung, einschließlich damit verbundener Antworten. Der Leser hat damit, wie üblicherweise in angelsächsischen Lehrbüchern eine gute Möglichkeit, zu überprüfen, was und wie er den jeweiligen Inhalt verstanden hat.
Diese Darstellungsweise zieht sich durch alle Themen des Buches. So auch durch die Darstellungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zentraler Handlungsfelder sozialer Arbeit, wobei bei ich hier nur exemplarisch auf zwei, die Kinder- und Jugendhilfe, und den Teil „Rechtsverfolgung und Rechtsdurchsetzung im Sozialrecht“ eingehe. Ich wähle diese zwei Themen aus, da sie mir von besonderer Bedeutung für die Praxis der Sozialarbeit erscheinen und damit auch in besonderem Maße von Bedeutung um die Studierenden an die Praxis der Sozialarbeit heranzuführen. Es soll so dem Versprechen gerecht werden, das im Vorwort folgendermaßen formuliert wird, „Studierenden der Sozialen Arbeit als Kompendium zu dienen, aber auch erste Schritte in den Beruf zu begleiten“.
Das Handlungsfeld der Kinder und Jugendhilfe wird auf dem aktuellen rechtlichen Stand verhandelt, d.h. einschließlich des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes.
Auf die viel diskutierte Frage nach der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe über Erzieherische Hilfen wird auf S. 115 eingegangen, die h.M. -was dies ist wird auf S. 16 in der Einleitung erläutert-, fasst der Autor wie folgt zusammen: „Gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar ist, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung vorliegen, dagegen nicht oder nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sei die Entscheidung über die im Einzefall konkret zu gewährende Hilfe zur Erziehung. Das wird damit begründet, dass diese Entscheidung das Ergebnis eines kollegialen Gespräches nach § 36 in der Hilfeplanung ist“.
Unter Eignung der ausgewählten Hilfe zur Erziehung versteht der Autor deren Eigenschaft zur Beseitigung des ermittelten Erziehungsdefizits, als Voraussetzung eines Anspruches nach § 27, unter der Notwendigkeit die Entscheidung, welche am wenigsten stark auf die Belange des oder der Betroffenen einwirkt, vieleicht könnte man auch sagen, die Hilfe welche hinreichend ist, um den ermittelten Hilfebedarf zu decken.
Der Autor verweist auch auf den Gestaltungsspielraum bei den erzieherischen Hilfen über § 27 Abs. 2.
Erörtert wird weiterhin die Frage der Notwendigkeit eines förmlichen Antrags der Personensorgeberechtigten, für die Einleitung eines Verfahrens der Hze. Entsprechend einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 112.98), wird zutreffend vermerkt, dass es dazu keine gesetzliche Regelung gibt, da aber die Hze grundsätzlich nicht gegen den Willen des/der Personensorgeberechtigten erbracht werden darf sei deren/​dessen eindeutige Willensbekundung, wie man hinzufügen muss in der Regel, erforderlich (118).
Das Unterkapitel Rechtsverfolgung durch Rechtsdurchsetzung im Sozialrecht (Schaubilder 50 – 53) stellt die Möglichkeiten und Voraussetzungen der außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen im Sozialrecht dar,
Kritisch anmerken könnte man hier einzig, dass das gerichtliche Eilverfahren, der vorläufige Rechtsschutz, der in diesem Rechtsgebiet ein bedeutende Rolle spielt nur als Stichwort unter Angabe der einschlägigen Paragrafen des SSG und der VwGO auf S. 231 erwähnt wird. Dies obwohl dem gerichtlichen Eilverfahren im Sozialrecht, insbesondere im sozialarbeiterisch relevanten Bereich der Existenzsicherung eine erheblich praktische Bedeutung zukommt.
Diskussion:
Es erstaunt, dass die Diskussion um die Eingliederungshilfe des SGB VIII in § 35 a nicht weiter erörtert wird, z.B. mit einem Hinweis auf die große Lösung, welche die Eingliederungshilfe für alle behinderte im Recht der Kinder und Jugendhilfe vorsieht, und welche im Kinder und Jugendhilfestärkungsgesetz als inklusive Lösung zeitlich gedehnt dargestellt wird. Erwähnt wird § 35 a lediglich in den Abbildungen 33 und 34.
Nicht angesprochen wird auch die Dolmetscherrolle der Sozialarbeit. Strauch, (Methodenlehre des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens Verlag Karl Alber, S. 230) bemerkt zu Recht, dass die Betroffenen zum Objekt eines Diskurses werden, hat der Richter die Pflicht, zweisprachig zu verhandeln. Aber das gilt nicht erst vor Gericht, zieht sich vielmehr durch die gesamte sozialarbeiterische Praxis.
Dieses Problem der Dolmetscherrolle der Sozialarbeit, der Zweisprachig-, genauer Drittsprachigkeit, zwischen Alltagssprache der Klienten, sozialpädagogischer und juristischer Sprache, taucht in dem Einführungsbuch nicht auf, obschon es nach Ansicht des Rezensenten ein wesentliches Problem der Sozialarbeit darstellt. Sozialarbeiter sprechen anders als Juristen, bekam ich in Lehrveranstaltungen ab und an zu hören.
Im Endergebnis kann man sagen, gerade die Vollständigkeit des Buches ist ein Problem. Es wird gleichsam aufaddiert, Punkt um Punkt, welche Rechtkenntnisse für den Sozialarbeiter/die Sozialarbeiterin von Bedeutung sein können oder fallbezogen sind, aber mit der Vollständigkeit geht einher, dass angesichts der vertikalen Breite die Tiefe der Rechtskenntnisse teilweise vergleichbar ist mit der Tiefe eines Suppentellers. Das ist aber der unhintergehbare Preis der Vollständigkeit.
Dem Buch kann man damit bescheinigen, dass es die Funktion eines Kompendiums erfüllt, ein grober aber zugleich vollständiger horizontaler Überblick über die Welt des Rechts in der Sozialarbeit. Die vertikale Tiefe erfüllt dieses Kompendium, insofern das Recht in der Sozialarbeit auf seine verfassungsrechtlichen Grundlagen gestützt wird, also das Recht auf sich selbst.
Fazit
Es ist weniger der Lesegenuss, welcher den Studierenden mit diesem Buch zur Lektüre anhält als das Wissen, dass ein Überblick über das Recht als Hintergrundwissen notwendig ist, Recht in der Sozialarbeit zu bewältigen. Das Werk ist gut lesbar verfasst und für Studierende der Sozialen Arbeit damit ein nützlicher Wegweiser durch die Rolle und Bedeutung des Rechts für die Sozialarbeit.
Rezension von
Prof. Dr. Eckart Riehle
em. Professor für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Fachhochschule Erfurt. Rechtsanwalt, Karlsruhe
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Zitiervorschlag
Eckart Riehle. Rezension vom 12.04.2023 zu:
Thomas Beyer: Recht für die Soziale Arbeit. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2022. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-8487-7285-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30001.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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