Michael Maas (Hrsg.): Ehrenamtliche Vormundschaften
Rezensiert von Julius Daven, 06.02.2023
Michael Maas (Hrsg.): Ehrenamtliche Vormundschaften. Potenziale, Grenzen, Gestaltungsmöglichkeiten. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. 194 Seiten. ISBN 978-3-7799-7032-3. D: 26,00 EUR, A: 26,90 EUR.
Thema
Das Fachbuch thematisiert die Herausforderungen der ehrenamtlichen Einzelvormundschaft als vierte Säule möglicher Vormundschaftsformen in Deutschland. Diese erlangt neue und relevante Bedeutung aufgrund einer weiteren Stärkung der ehrenamtlichen Vormundschaft im Rahmen der im Januar 2023 in Kraft getretenen Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts. Es werden Potenziale und Grenzen der dem Gesetz nach vorrangigen ehrenamtlichen Vormundschaft gegenüber den weiteren Vormundschaftsformen (Amts-, Vereins-, Berufsvormundschaften) diskutiert und praxisrelevante Fragen des Vormundschaftswesens auf aktueller empirischer Grundlage beantwortet. Die LeserInnen erwartet zudem ein umfassender Einblick in Verläufe ehrenamtlicher Vormundschaften und deren professionelle Begleitung über kommunale Angebote.
AutorInnen
Michael Maas (geb. 1969) als Herausgeber leitet seit 2015 die Abteilung Jugendhilfe (Monheim für Kinder, Offene Ganztagsschule) im AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. in Essen. Er hat Erfahrung als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer und setzt sich für den Ausbau von ehrenamtlichen Vormundschaften im Kontext minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge ein. Weitere AutorInnen einzelner Kapitel sind 14 Master-Studierende der Sozialen Arbeit an der Universität Duisburg-Essen, die vom Sommersemester 2021 bis zum Wintersemester 2021/2022 die dem Buch zugrunde liegenden Forschungsarbeiten gemeinsam mit dem Herausgeber durchführten.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist u.a. auf Basis eines Modellprojekts des AWO Bezirksverbands Niederrhein entstanden. Das Modellprojekt hatte das Ziel, eine Vielfalt im Vormundschaftswesen zu etablieren und der damit verbundenen Chance gerecht zu werden, jedem Mündel den für ihn jeweils am besten passenden Vormund anzubieten. Bereits im Rahmen der Flüchtlingswelle 2015/2016 konnten so im Rahmen eines Umsetzungsprojekts ehrenamtliche Vormünder gewonnen, qualifiziert, vermittelt und begleitet werden. In Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen startete im April 2021 sodann ein aufbauendes Forschungsprojekt zur wissenschaftlichen Betrachtung spezifischer Potenziale und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaften. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit gemeinsam mit Studierenden sind Grundlage des Buches.
Aufbau und Inhalt
Das rund 200-seitige Fachbuch besteht aus insgesamt sieben Kapiteln mit jeweiligen Unterkapiteln. Es beginnt mit einer Danksagung und Vorbemerkungen und schließt mit einem Ausblick und Literaturhinweisen ab.
Das Vorwort mit der Überschrift „Danksagung und Vorbemerkungen“ gibt Auskunft über die Entstehungsgeschichte (Forschungsprojekt) und enthält wertschätzende Informationen über beteiligte AkteurInnen (Studierende, BeraterInnen, mitwirkende Institutionen).
Im ersten Kapitel „Ehrenamtliche Vormundschaften im Kontext des deutschen Vormundschaftswesens“ erhalten die LeserInnen grundlegende fachliche Informationen über den Inhalt und Auftrag der Vormundschaft. Es werden vier mögliche Formen der Vormundschaft vorgestellt. Nach einem historischen Rückblick erwartet die LeserInnen ein kurzer Einblick in das Modell der Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und eine Zusammenfassung der relevanten gesetzlichen Grundlagen. Sodann erfolgt ein Deep Dive in die fachliche Debatte von Chancen, Risiken, Wirkungen und Vorbehalten aus der Fachszene. Das Kapitel schließt ab mit einem Überblick sowohl über die Forschungslage der Vormundschaft im Allgemeinen als auch der ehrenamtlichen Vormundschaft im Besonderen und kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Fachgebiet zu den bislang wenig erforschten Gebieten der sozialen Arbeit gehört.
Vor dem Hintergrund der fachlichen Debatte beschäftigt sich das zweite Kapitel „Das Forschungsprojekt – methodisches Design“ mit Inhalten und Methoden des überregionalen Forschungsprojekts, also mit den konkreten individuellen und strukturellen Potenzialen und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaft im Diskurs und in Abgrenzung mit den drei anderen, beruflichen Formen der Vormundschaft. Nach Vorstellung der zentralen Forschungsfragen und struktureller Rahmenbedingungen nebst methodologischem Ansatz wird das methodische Vorgehen in den drei eng aufeinander bezogenen Forschungssträngen vorgestellt: qualitative Fallstudien zum Verlauf ehrenamtlicher Vormundschaften, quantitative (vergleichende) Online-Befragungen und qualitative Fallstudien zur kommunalen Struktur des Vormundschaftswesens. Das letzte Unterkapitel thematisiert sodann die methodischen Grenzen der vorliegenden Studie, so z.B. die Fokussierung auf bürgerschaftlich engagierte VormundInnen, fehlende ortsspezifische Auswertungen, Verzicht auf Mündel-Befragungen und mangelnde Repräsentativität der Forschungsergebnisse z.B. in Bezug auf die weitere Begleitung über die Volljährigkeit hinaus.
Das dritte Kapitel „Fallberichte über ehrenamtliche Vormundschaften“ gibt einen Einblick in sechs von 21 im Rahmen des Forschungsprojekts entstandenen qualitativen Fallstudien. Das Kapitel beginnt mit einer Einleitung und schließt mit einer Zusammenschau der sechs Fallbeispiele ab. Der Herausgeber beschreibt (im Rahmen der Einleitung) die ehrenamtliche Vormundschaft als Spezialfall einer Vormundschaft, dessen bürgerschaftliches Engagement ein relativ neues Phänomen mit wissenschaftlichem Interesse darstellt, welches in den letzten 10 bis 15 Jahren über Strukturen für eine systematische Gewinnung und Begleitung ehrenamtlicher VormundInnen entstanden ist. Und zwar vor dem Hintergrund eines Zustroms zahlreicher unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea und Guinea in den Jahren 2015/2016.
Die Fallbeispiele (reale Fallverläufe) betrachten zunächst die empirische Realität ehrenamtlicher Vormundschaften mit einem phänomenologischen und kasuistischen Blick. Sie verfolgen das Ziel, eine empirisch gesättigte und fundierte Betrachtung zu erreichen. Die Fallbeispiele selbst thematisieren die Verläufe von ehrenamtlichen Vormundschaften, beginnend bei der Anbahnung und Kontaktaufnahme, über Höhen und Tiefpunkte auf der Beziehungsebene zwischen Vormündern und Mündeln bis hin zur weiteren Entwicklung nach Beendigung der Volljährigkeit und weitere ehrenamtliche Begleitung über die Volljährigkeit hinaus, also das Ende bzw. den Fortbestand der Beziehungen. Das Kapitel schließt mit einer kritischen Zusammenfassung der Fallstudien ab, die als vorrangig ausgewählt wurden, um das weite Spektrum möglicher Voraussetzungen und Verläufe ehrenamtlicher Vormundschaften aufzuzeigen und kontrastierend anhand zum Beispiel folgender Aspekte zu vergleichen: Kontakt über die Volljährigkeit hinaus, familiäre Anbindung und Konfliktfähigkeit der Vormundschaftsverläufe. Der Herausgeber betont, dass es sich bei den Fallbeispielen um eine exemplarische Veranschaulichung und Nachvollziehbarkeit konkreter Vormundschaftsverläufe handelt.
Im vierten Kapitel „Kommunale Ansätze zur Förderung der ehrenamtlichen Vormundschaft“ erhalten die LeserInnen ein Einblick in unterschiedliche bereits existierende kommunale Träger- und Vernetzungsstrukturen. Beispielhaft sei genannt: Gewinnung, Schulung, Vermittlung und Begleitung von ehrenamtlichen VormundInnen. Dies erfolgt nicht nur aus der Perspektive von Fachkräften in Jugendämtern, Familiengerichten oder Vereinen, die etablierte und zu etablierende Strukturen verantworten, sondern ebenso aus der Perspektive von ehrenamtlichen VormundInnen. Es wird differenziert zwischen Kommunen, die ehrenamtliche VormundInnen ausschließlich an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vermitteln und Kommunen, die ehrenamtliche Vormundschaften auch jungen Menschen ohne Fluchthintergrund anbieten.
Weiterhin wird beleuchtet, wie sich Kommunen auf Basis von Daten zur Verteilung der Vormundschaftsformen unterscheiden bzw. sich in Bezug auf die Gewinnung von ehrenamtlichen VormundInnen Schulung und Vermittlung sowie Begleitung von VormundInnen aufstellen bzw. sich hier organisieren. Nach einem Einblick in sich unterscheidende personelle, sachliche und finanzielle Ressourcen schließen die AutorInnen das Kapitel mit einer Zusammenfassung ab. Anschließend wird konstatiert, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie die These unterstreicht, dass das Modell ehrenamtlicher Vormundschaft als Sparmodell ungeeignet ist und insbesondere dann Erfolg hat, wenn kommunale AkteurInnen von entwicklungsförderlichen Potenzialen für die Mündel überzeugt sind und sich ermutigt fühlen, sich auch gegen Widerstände einem aussichtsreichen Modell zu öffnen.
Das fünfte Kapitel „Praxisrelevante Fragen der ehrenamtlichen Vormundschaft“ gibt einen Einblick in die Ergebnisse einer quantitativen Online-Befragung zum Vergleich von haupt- und ehrenamtlichen Vormundschaften mit dem Ziel, mittels einer vergleichenden Befragung Unterscheidungen im Selbst- und Rollenverständnis zu ermitteln sowie eine Beurteilung von Potenzialen und Grenzen des Modells der ehrenamtlichen Vormundschaft aus der jeweiligen Sicht zu erfahren, Arten und Häufigkeiten des Kontakts zum jeweiligen Mündel zu eruieren und die Fortsetzung des Kontakts auch über die Volljährigkeit hinaus zu ermitteln und zu bewerten. Hierzu stellen die AutorInnen zunächst die Stichprobe im Detail vor und gehen auf die Ergebnisse ihrer Befragungen ein. Die Befragungen konzentrierten sich z.B. auf eine Selbsteinschätzung zur vormundschaftlichen Tätigkeit, Assoziationen zum Begriff Vormundschaft und die Kontakthäufigkeit nebst -dauer vor und nach der Volljährigkeit des Mündels.
Weitere Ergebnisse der Befragungen werden vorgestellt: Motivationen der ehrenamtlichen VormundInnen (altruistische und/oder egoistische Motive) oder biografische Prägungen, Sichtweisen zur Patenschaft als Alternative zur ehrenamtlichen Vormundschaft, Eignung von ehrenamtlichen VormundInnen (Empathie, soziale Kompetenzen, weitere Eigenschaften und Ressourcen) und Kriterien der Eignung. Ein weiteres Unterkapitel thematisiert vormundschaftliche Beziehungen aus der Perspektive der Mündel: Umgangsformen, Ausgestaltung der Treffen, Vertrauen zum Vormund, Kenntnisse über persönliche Daten des Vormunds, Zugang und Nutzen der Kontaktdaten und die Leistungsbeurteilung des Vormunds. Das nächste Unterkapitel thematisiert die sich verändernden Rahmenbedingungen nach Volljährigkeit des Mündels und dessen Nachbetreuung sowie Beziehungsverläufe nach der Volljährigkeit und geht auf wichtige Fragestellungen ein: Regelungsbedarfe der jungen Volljährigen, Alternative AnsprechpartnerInnen, Selbstständigkeit und charakterliche Eigenschaften des Mündels, Beziehungsqualität und Bedarf und Interessen der VormundInnen. Vier idealtypische Beziehungsmuster werden skizziert, die nach Erreichen der Volljährigkeit des Mündels sichtbar werden können: Typ I: abgebrochene Beziehung; Typ II absehbar auslaufende Beziehung; Typ III patenschaftliche Beziehung; Typ IV: freundschaftliche-familiäre Beziehung
Im sechsten Kapitel „Resumee – Potenziale und Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaft“ fasst der Herausgeber die wichtigsten Erkenntnisse aus den im Buch erörterten empirischen Befunden im Hinblick auf Potenziale und Grenzen ehrenamtlicher Vormundschaften zusammen. Zu den Potenzialen werden erhöhte zeitliche Ressourcen beschrieben, Potenziale aus der Begleitung über die Volljährigkeit hinaus und die Chancen aus der persönlicheren Bindung mit Wirkungen auf Einrichtungen und Institutionen. Zu den Grenzen der ehrenamtlichen Vormundschaft werden strukturelle Grenzen beschrieben und auch mögliche Grenzen im Hinblick auf die Bedarfe der Mündel.
Im siebten Kapitel „Empfehlungen zur Förderung der ehrenamtlichen Vormundschaft auf kommunaler Ebene“ betont der Herausgeber den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, mit der Vormundschaftsreform die ehrenamtliche Vormundschaft zu fördern und bestätigt auf Grundlage der Ergebnisse der vorliegenden Studie die Vorzugswürdigkeit der ehrenamtlichen Vormundschaft und formuliert Empfehlungen für die Praxis in Bezug auf den Umgang mit erwartbaren Widerständen von Fachkräften in Familiengerichten, Jugendämtern und Vereinen, die nicht direkt nach der gesetzlich fundierten Stärkung der ehrenamtlichen Vormundschaft zum 01.01.2023 bereit sind, althergebrachte Routinen und Verfahrungsabläufe der vormundschaftlichen Bestellung kritisch zu hinterfragen und Neues zu wagen. Zur Sicherstellung einer hohen Kontinuität und Professionalität der Ehrenamtsarbeit wird die Freistellung von Fachkräften als wichtige Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg zur Etablierung der vierten Säule (ehrenamtliche Vormundschaft) im Vormundschaftswesens betont. Als weitere Voraussetzung skizziert der Herausgeber die Notwendigkeit der Vernetzung aller AkteurInnen und empfiehlt Maßnahmen zur Gewinnung und Auswahl von ehrenamtlichen VormundInnen (Auswahlverfahren, Eignungskriterien: Persönliche Eigenschaften, Fähigkeit und Bereitschaft, Neues zu lernen und die Beratung Dritter in Anspruch zu nehmen, Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Dritten) und geht auf diese im Detail ein. Als letzte Voraussetzung werden notwendige Schulungen nebst Einführungs-Qualifizierung und eine laufende Begleitung und Beratung ehrenamtlicher VormundInnen auf drei Ebenen beschrieben.
Das Werk schließt mit einem Ausblick auf Grundlage der zum 01.01.2023 in Kraft getretenen, „großen Vormundschafsreform“. Hier bittet der Herausgeber die professionellen Fachkräfte in der Sozialen Arbeit um eine offene Haltung, die sich vorrangig am Wohl des Mündels orientiert. Auf dieser Grundlage können die spezifischen Potenziale der ehrenamtlichen Vormundschaft voll ausgeschöpft werden, ohne deren Grenzen zu verkennen. Neben einer offenen und konstruktiven Haltung auf Seiten der Fachkräfte geht der Herausgeber noch auf vier Handlungsfelder für einen nachhaltigen Erfolg der ehrenamtlichen Vormundschaft ein: 1. Mehr Aufmerksamkeit für die (ehrenamtliche) Vormundschaft 2. Verlässliche Daten zur Verteilung der Vormundschaftsformen 3. Mehr Forschung zur (ehrenamtlichen) Vormundschaft 4. Andere Finanzierungsgrundlagen
Diskussion
Im Kapitel „Praxisrelevante Fragen der ehrenamtlichen Vormundschaft“ wird eine ergänzende (ehrenamtliche) Patenschaft als Alternative zur ehrenamtlichen Vormundschaft thematisiert, mit dem Ergebnis (aus der Online-Befragung), dass einige Amts- und Vereinsvormünder sich trotz gesetzlich gewollter Förderung der ehrenamtlichen Vormundschaft gegen das Modell aussprechen und für eine Patenschaft plädieren. Begründet wird dies mit mangelnder Erfahrung und mangelnder Professionalität zur Führung von qualitativ hochwertigen Vormundschaften. Hier werden ganz offensichtlich die in der sozialen Fachszene gefürchtete Deprofessionalisierung der sozialen Arbeit bzw. Substitutionsängste für ehrenamtliche Ämter sichtbar. Die Patenschaft hingegen wird als weniger kritisch erachtet.
Beide Modelle, d.h. sowohl die ehrenamtliche Vormundschaft wie auch die ehrenamtliche Patenschaft bzw. Wegbegleitung (www.ehrenamtliche-wegbegleitung.de) können jedoch als wesentliche, notwendige und gewollte (siehe Gesetzgeber in Bezug auf die ehrenamtliche Vormundschaft) Ergänzungen in der sozialen Arbeit betrachtet werden. Beide Modelle bedingen jedoch eine Vielzahl an Voraussetzungen, die in Bezug auf die ehrenamtliche Vormundschaft in diesem Buch thematisiert werden und auch für die ehrenamtliche Wegbegleitung Anwendung finden können, wenngleich für die ehrenamtliche Wegbegleitung noch weitere Qualifizierungen erforderlich werden. Es ist gut, dass sich hier bereits viele Menschen für beide Formen des ehrenamtlichen Engagements interessieren. Ohne einen sorgfältigen Auswahlprozess, Qualifizierung/​Schulung und Begleitung geht es allerdings nicht. Beide Modelle (ehrenamtliche Vormundschaft und ehrenamtliche Wegbegleitung) sind in Bezug auf das Qualifikations- und Ausbildungsprofil anspruchsvoll und über ein ehrenamtliches Engagement von engagierten Menschen leistbar. Dies scheint in der sozialen „Szene“ noch nicht ausreichend bekannt zu sein. Obwohl bekannt ist, dass einige ehrenamtliche VormundInnen die jungen Menschen auch über die Volljährigkeit hinaus begleiten und dies einer gesonderten Form der „ehrenamtlichen Wegbegleitung“ gleichkommt, dürfen wir beide Formen nicht grundsätzlich und unachtsam vermischen. Vielmehr ist die Vermischung dem Umstand geschuldet, dass wir Versorgungs „Lösungen“ durch einen erhöhten Versorgungs „Bedarf“ (alleine bedingt durch Sprachbarrieren) für die vielen zugereisten minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge benötigen.
Das vom Gesetzgeber geförderte Modell der ehrenamtlichen Vormundschaft lässt sich sicher dann gut realisieren bzw. ist für die jungen Flüchtlinge dann gut, wenn die ehrenamtlichen VormundInnen mehr Zeit investieren und sich nach Beendigung der Vormundschaft weiter engagieren. Aus der Careleaver-Szene wissen wir, dass junge Menschen von der weiteren Unterstützung erwachsener Bezugspersonen nach Auszug aus den stationären Einrichtungen (z.B. Wohngruppen) profitieren können und dies auch möchten. Grundsätzlich empfiehlt sich eine Trennung von ehrenamtlicher Vormundschaft und ehrenamtlicher Wegbegleitung, wenngleich wir im professionellen Setting (erzieherische Hilfen und rechtliche Vertretung) beide Rollen benötigen, um großen „Macht-Dimensionen oder -abhängigkeiten“ im Kontext von greifenden Schutzkonzepten möglichst keinen Spielraum zu geben. Hier möchte ich überleiten auf die Notwendigkeit von umfassenden Schutzkonzepten, und dies nicht nur bei der Akquise von EhrenamtlerInnen im Rahmen des Auswahlprozesses, z.B. über die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses, sondern im Rahmen einer laufenden Überwachung. Aber auch auf der Seite der Begleiteten benötigen wir ein Begleitungs-, Betreuungs- und sicherlich auch Partizipationsmodell.
Bei der Umsetzung der ehrenamtlichen Wegbegleitung wäre zu diskutieren, ob kommunale Infrastrukturen (Beratung, Ausbildung, Begleitung, Betreuung), wie sie schon heute bei der ehrenamtlichen Vormundschaft Anwendung finden und in diesem Buch beschrieben werden, genutzt werden können.
Die AutorInnen bestätigen auf Grundlage ihrer Forschungsergebnisse die vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz begründete Vorzugswürdigkeit der ehrenamtlichen Vormundschaft durch einen höheren zeitlichen Einsatz des nicht beruflich tätigen Vormunds sowie der Begleitung des Mündels über die Schwelle der Volljährigkeit hinaus. Das Buch bietet einen hervorragenden, realistischen und recht umfassenden Einblick in das vom Gesetzgeber geförderte Modell der ehrenamtlichen Vormundschaft mit Potenzialen, Grenzen und Gestaltungsmöglichkeiten und deren aktuellen heterogenen Umsetzung in den Kommunen auf Grundlage einer empirischen Erhebung. So werden in einigen Kommunen (z.B. Köln) ehrenamtliche VormundInnen bisher nur für die Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge systematisch gewonnen, geschult und begleitet, während in anderen Kommunen (z.B. Bochum, Frankfurt oder Kreis Euskirchen) ehrenamtliche VormundInnen aber auch für junge Menschen ohne Fluchthintergrund geschult und vermittelt werden.
In Bezug auf die Akzeptanz des Modells in der Fachwelt und in der überregionalen Umsetzung auf best practice-Grundlage bereits erfolgreich etablierter kommunaler Modelle gibt es noch viel Ausbaupotenzial.
Wenn die ehrenamtliche Vormundschaft über ein gemeinsam getragenes Anforderungs- und Qualifikationsprofil (einvernehmliche Rollenklärung & konstruktive Zusammenarbeit) zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen etabliert wird, sollten sich kritische Stimmen aus der Fachwelt zur Umsetzung des vom Gesetzgeber mit der zum 01.01.2023 in Kraft getretenen „große Vormundschaftsreform“ dezimieren. So mag ich mich dem Ausblick des Herausgebers anschließen und die Rezension mit einem Zitat abschließen (S. 188): „Anstatt sich aus einem gekränkten Berufsethos heraus einer Ausbreitung der ehrenamtlichen Vormundschaft pauschal entgegenzustellen, darf von Professionellen durchaus eine Haltung erwartet werden, welche sich vorrangig am Wohl des Mündels orientiert und auf deren Grundlage die spezifischen Potenziale der ehrenamtlichen Vormundschaft voll ausgeschöpft werden können, ohne deren Grenzen zu verkennen. Wie in anderen Feldern der Sozialen Arbeit auch, kann das Neben- oder gar Gegeneinander Haupt- und Ehrenamtlicher so zu einem konstruktiven Miteinander werden.“
Fazit
Das Modell der ehrenamtlichen Vormundschaft als vierte Säule möglicher Vormundschaftsformen bedient das wachsende Interesse in der Bevölkerung an wichtigen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Das vorliegende Werk richtet sich daher nicht nur an hauptberufliche Akteur:innen in der sozialen „Szene“ sondern ebenso an interessierte Menschen, die sich in verantwortungsvollen ehrenamtlichen Tätigkeiten einsetzen wollen und bereit sind, sich hierfür qualifizieren und begleiten zu lassen. Das Buch liefert hier einen umfassenden und wertvollen Einblick.
Rezension von
Julius Daven
Vorstandsvorsitzender EWD e.V. – Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland für Kinder, Jugendliche und Careleaver
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Zitiervorschlag
Julius Daven. Rezension vom 06.02.2023 zu:
Michael Maas (Hrsg.): Ehrenamtliche Vormundschaften. Potenziale, Grenzen, Gestaltungsmöglichkeiten. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2023.
ISBN 978-3-7799-7032-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30012.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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