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Christoph Schiebel: Rechtspopulistische Verschwörungs­theorien

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. Jochen Fuchs, 11.01.2024

Cover Christoph Schiebel: Rechtspopulistische Verschwörungs­theorien ISBN 978-3-7344-1535-7

Christoph Schiebel: Rechtspopulistische Verschwörungstheorien in demokratischen Verfassungsstaaten Europas. Eine vergleichende Analyse der AfD, der Schweizerischen Volkspartei, der Freiheitlichen Partei Österreichs und des Front National. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2022. 356 Seiten. ISBN 978-3-7344-1535-7. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR.
Reihe: Wochenschau Wissenschaft.

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Thema

Der Autor hat sich die Aufgabe gestellt, zu untersuchen, inwieweit die vier von ihm im Untertitel seines Buches genannten Parteien, die von ihm zur als „rechtspopulistisch und -radikal“ beschriebenen „Parteienfamilie“ (S. 35) gehörig eingestuft werden, in ihren Programmen Verschwörungstheorien (bzw. Elemente davon) integriert haben.

Autor

Schiebel hat nach eigenen Angaben an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt „im Bereich der Vergleichenden Politikwissenschaft“ – mithin also an der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät – studiert und promoviert. Sein Doktorvater war der Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaften Klaus Stüwe, der nicht nur Vizepräsident der Katholischen Universität ist, sondern u.a. auch Berater der Deutschen Bischofskonferenz, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Vertrauensdozent der Konrad-Adenauer-Stiftung ist.

Eine Liste seiner Publikationen kann bei der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) eingesehen werden. 2018 hat Schiebel bei der Self-Publishing-Plattform BoD (Books on Demand) GmbH mit Sitz in Norderstedt ein Werk mit dem Titel „Rechtsextremistische Tendenzen bei der Alternative für Deutschland – Eine inhaltsanalytische Untersuchung von Redebeiträgen der AfD-Fraktionen zu Regierungserklärungen in den Landtagen von Thüringen und Sachsen“ veröffentlicht und 2019 folgte im 1. Heft des halbjährlich erscheinenden Soziologiemagazin des Barbara Budrich Verlags ein elf Seiten umfassender Beitrag mit dem Titel „Populist_innen (nicht) verstehen – sozialwissenschaftliche Ursachenforschung im Vergleich – Eine Sammelrezension über die aktuellen Publikationen von Wilhelm Heitmeyer, Philip Manow und Roger Eatwell und Matthew J. Goodwin“.

Im November 2023 referierte er dann in Ludwigsburg am Deutsch-Französischen Institut, welches zu Beginn des Kalten Krieges von Fritz Schenk, dem langjährigen Mitarbeiter von Gerhard Löwenthal und dessen „ZDF-Magazins“ (bundesdeutsches Pendant zu Karl-Eduard von Schnitzlers „Schwarzen Kanal“ im Fernsehen der DDR), mitbegründet worden war – geleitet wurde und dessen Aktivitäten während seiner Existenz in aller Regel nur von der Lokalpresse wie der Ludwigsburger Kreiszeitung gewürdigt wurde und wird [1] – über Verschwörungstheorien in den Verlautbarungen rechtspopulistischer Parteien in Deutschland und Frankreich. Bei seinem Vortrag kam er zu dem Schluss, dass angesichts „eine(r) gesteigerte(n) Akzeptanz von Verschwörungstheorien und Rechtspopulismus“ in der BRD und Frankreich „es wichtig (sei), dass alle miteinander im Gespräch bleiben und sich austauschen“ [2].

Entstehungshintergrund

Der Autor war Stipendiat der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) und erarbeite seine Dissertation, die die Grundlage für sein im WOCHENSCHAU Verlag 2022 erschienenes Werk mit dem Titel „Rechtspopulistische Verschwörungstheorien in demokratischen Verfassungsstaaten – Eine vergleichende Analyse der Alternative für Deutschland, der Schweizerischen Volkspartei, der Freiheitlichen Partei Österreichs und des Front National“ bildete, im Rahmen des Promotionskollegs „Demokratie, Parteien und Medien in Europa“ der HSS.

Im Vorwort dankt er nicht nur seinem Doktorvater Klaus Stüwe und seinen Mitstipendiaten, sondern auch Prof. Dr. Eckhard Jesse, Frau Isabel Küfer, Prof. Dr. Tom Mannewitz, Prof. Hans Peter Niedermayer und Frau Dr. Isabelle-Christine Panreck.

Während sich der Dank an Eckhard Jesse (einer der ‚Väter‘ der Extremismustheorie und Mitglied einer aus ihm, Uwe Backes und Rainer Zittelmann bestehenden Troika, die den „Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Extremismus und Demokratie“ gegründet und weder der Neuen Rechten noch diversen Verfassungsschutzämtern allzu fern stehend) noch vom Inhalt seines Werkes nachvollziehbar erscheint, erschließt sich der Dank an die anderen erst auf den zweiten Blick. Weder Küfer noch der Honorarprofessor Niedermayer sind im Katalog der DNB als Autoren gelistet – beide sind dafür aber Mitarbeiter der HSS, letzterer war sogar jahrzehntelang deren Leiter. Auch Panreck und Mannewitz verfügen über einen zu Schiebel passenden ‚Stallgeruch‘. Sie haben nicht nur zusammen publiziert, sondern sind auch beide zu FH-Professoren avanciert – Mannewitz als Inhaber der Professur für politischen Extremismus und Ideengeschichte an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im Fachbereich Nachrichtendienste am Zentrum für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung (ZNAF) in Berlin und Panreck an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Mannewitz ist zudem auch noch Co-Leiter des Promotionskollegs „Demokratie, Parteien und Medien in Europa“ der HSS. [3]

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Nach der Einleitung (S. 13 ff.) folgt das Kapitel „Populismus, Rechtsradikalismus und Verschwörungstheorien“ (S. 38 ff.), die folgenden Kapitel sind dem „Forschungsdesign“ (S. 123 ff.), der „Programmanalyse“ (S. 162 ff.) und dem „Vergleich“ (S. 299 ff.) gewidmet. Im 6. Kapitel (S. 326 ff.) findet sich das „Fazit“ und im letzten Kapitel (S. 330 ff.) das „Quellen- und Literaturverzeichnis“.

Schiebel stuft das 2. Kapitel als theoretisches Kapitel (S. 38) ein. Zunächst listet er auf, was seit dem Ende des 19. Jahrhunderts schon alles als Populismus bezeichnet worden ist um sich dann für das Populismuskonzept von Cas Mudde auszusprechen [4] und dieses ausführlich zu referieren (S. 76 ff.).

Im Anschluss daran referiert er, ausgehend von der Feststellung, dass Karl Popper der „Begründer der akademischen Debatte um Verschwörungstheorien“ (S. 87) gewesen sei, diverse Definitionsansätze und Konzepte.

Im Kapitel „Forschungsdesign“ begründet er, warum Parteiprogramme die Basis für seine Untersuchung darstellen („Diese Studie stellt eine Dissertation in der Vergleichenden Politikwissenschaft dar, weshalb der Parteienvergleich integraler Bestandteil ihrer politikwissenschaftlichen Analyse ist.“ S, 125).

Als Ergebnis des Vergleichs kommt er zu dem Ergebnis, dass die Rolle von Verschwörungstheorien bei der AfD am meisten ins Gewicht fällt, während der Front National gar keine Verschwörungstheorien „entlang der relevanten Kennzeichen“ verwendet und SVP und FPÖ dazwischen anzusiedeln sind (S. 326). Er schließt mit folgender Feststellung: „Verschwörungstheorien und Populismus bleiben als Bestandteile politischer Kommunikation dynamische Narrative, welche die freiheitliche Demokratie herausfordern.“ (S. 329)

Diskussion

Der Autor konstatiert auf S. 20 seiner Arbeit, dass es zwar an Literatur sowohl zu (Rechts-)Populismus wie auch zu Verschwörungstheorien nicht mangele, eine umfassende Untersuchung der derzeitigen Wechselwirkung zwischen (Rechts-)Populismus und Verschwörungstheorien nicht existieren würde. Auf diesem Hintergrund versucht er mit seiner Arbeit folgende drei Leitfragen zu beantworten:

  1. „Wie lassen sich Verschwörungstheorien in der (sic!) Programmen populistischer rechtsradikaler Parteien erfassen?
  2. Welche Rolle spielen sie in deren Programmen?
  3. Wie sind diese Verschwörungstheorien zu kontextualisieren?“ (S. 25)

Insofern möchte er anhand der Parteiprogramme der vier oben genannten Parteien die Hypothese überprüfen, ob die populistische radikale Rechte in ihrem Narrativ nachhaltig und betont auf Verschwörungstheorien setzt. (S. 25 f)

Dem Autor ist ein gewisser Fleiß nicht abzusprechen, seine Literaturliste, die allerdings nicht frei von Rechtschreibfehlern ist, erstreckt sich über 25 Seiten, sodass er um die 500 Titel in ihr unterbringen kann.

Was ihm allerdings nicht überzeugend gelingt, ist die Vermittlung der Relevanz dieser Fragestellung. Das gilt auch für die Frage, warum er sich ausgerechnet die AfD, die SVP, die FPÖ und den FN für seine Untersuchung ausgesucht hat.

Im Rahmen seiner vergleichenden Untersuchung widmet er sich den in den Parteiprogrammen angesprochenen Thematiken. Zu fragen ist, ob das eine taugliche Methode angesichts des Umstands ist, dass die Parteiprogramme sehr unterschiedlich lang sind bzw. beim FN überhaupt nicht vorhanden sind. So umfasst nach seinen Angaben (S. 136 ff.) das AfD-Programm 27.896 Wörter auf 190 Seiten, das Programm der SVP 25.104 Wörter auf 100 Seiten und das Programm der FPÖ 3.750 Wörter auf 17 Seiten. Da der FP über kein Parteiprogramm verfügt, nimmt er stattdessen das Präsidentschaftswahlprogramm mit 5.784 Wörter auf 24 Seiten. Nicht klar ist, warum der Verfasser nicht einfach die Anzahl der Zeichen als Basis nimmt. Aus der Information, dass die SVP für das Unterbringen von 25.000 Wörter nur 100 Seiten braucht, während die AfD für nur knapp 3.000 Wörter mehr 90 Seiten mehr braucht, lässt sich ja nicht viel mehr schließen, als dass die SVP anscheinend ressourcenschonender ihr Programm auf Papier zu bringen in der Lage ist. (Nicht auszuschließen ist natürlich auch, dass die AfD beim Druck an lesefähigkeitsbeschränkte Senioren gedacht hat.)

Dann sucht er in Kapitel 4 „Verschwörungstheorien anhand von Textelementen im Grundsatzprogramm (sic!) der Parteien ausfindig“ zu machen.

Betrachten wir dazu das Thema „Bargeldabschaffung“. Hier zitiert der Verfasser auf insgesamt knapp drei Seiten – wäre er ein Journalist, so würde ihm sicherlich Zeilenschinderei unterstellt werden – die entsprechenden Programmpunkte wörtlich und kommt zu dem Ergebnis, dass die Bargeldabschaffung beim Programm der AfD als einen „Vorgang dar<stellt>, der als Ereignisverschwörungstheorie nur unter Berücksichtigung der systemischen und Superkomponenten zu verstehen ist.“ Diesen Befund ‚erhärtet‘ er dadurch, dass er in der Fußnote 796 auf „Passim: ebd., S. 151 f.“ verweist. Dies ist nicht nachzuvollziehen, da ja auf S. 151 f. des AfD-Programms sein Befund ja nicht geteilt wird. Beim Programm der SVP fehlen nach Auffassung von Schiebel wesentliche Merkmale von Verschwörungstheorien (S. 273) und beim Programm der FPÖ nimmt er zwar „Elemente der Überwachungsverschwörungstheorien“ wahr, verneint aber, dass die Bargeldabschaffung als Verschwörungstheorie kommuniziert wird (S. 278). Da sich der FN auch in seinem Präsidentschaftswahlprogramm nicht mit dem Thema beschäftigt, kann Schiebel auch keine Analyse liefern. (Insgesamt kommt er auf S. 298 seines Werkes – nachdem er seine wohl niemanden überraschende Erkenntnis kommuniziert hat, dass das Präsidentschaftswahlprogramm des FN „auf die Spitzenkandidatin zugeschnitten“ war – allerdings zum Schluss, dass der FN „nicht auf Verschwörungstheorien zurückgreift“, sodass unterstellt werden darf, dass das Thema Bargeldabschaffung beim FN auch für den Fall, dass es überhaupt erwähnt worden wäre, nicht mit Verschwörungstheorien verwoben worden wäre.)

Fazit

Der Verfasser hat sein Werk in einem ihm wohlgesinnten Umfeld erarbeitet. Das von ihm wohl primär angestrebte Ziel wurde mit der Verleihung des Doktortitels erreicht. Das Werk des Autors schließt mit den Worten: „Verschwörungstheorien und Populismus bleiben als Bestandteile politischer Kommunikation dynamische Narrative, welche die freiheitliche Demokratie herausfordern.“ Da muss man ihm nicht widersprechen, aber das Buch muss man deshalb auch nicht lesen.


[1] Vgl. https://www.dfi.de/ueber-uns/​geschichte/​die-geschichte-des-dfi-im-spiegel-der-presse (Zugriff 23.12.2023)

[2] https://www.dfi.de/veranstaltungen/​aktuell/​einzelansicht/​rechtspopulistische-verschwoerungstheorien-in-demokratischen-verfassungsstaaten (Zugriff 23.12.2023)

[3] Einem fast identischen Personenkreis wird übrigens von Alexander Akel gedankt, vgl. https://www.nomos-shop.de/shopfiles/​leseprobe_978-3-8487-8012-9_leseprobe.pdf (Zugriff 23.12.2023)

[4] Inwieweit bei dieser Entscheidung der Umstand eine Rolle spielte, dass Mudde im familiären Umfeld einschlägige Erfahrungen aufzuweisen hat, wird leider nicht ausgeführt. Tim Mudde war ja Sänger der Band „Brigade M“, wobei M für Anton Adriaan Mussert steht, der der Vorsitzender des holländischen NSB – mithin in den Augen der deutschen Faschisten Führer des niederländischen Volkes – war und als solcher im Mai 1946 als Hochverräter hingerichtet wurde.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. Jochen Fuchs
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ISSN 2190-9245