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Hans Karl Peterlini, Jasmin Donlic (Hrsg.): Jahrbuch Migration und Gesellschaft

Rezensiert von Dr. Monika Pfaller-Rott, 28.03.2023

Cover Hans Karl Peterlini, Jasmin Donlic (Hrsg.): Jahrbuch Migration und Gesellschaft ISBN 978-3-8376-5937-5

Hans Karl Peterlini, Jasmin Donlic (Hrsg.): Jahrbuch Migration und Gesellschaft 2021/2022. Schwerpunkt »Familie«. transcript (Bielefeld) 2022. ISBN 978-3-8376-5937-5.

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Thema

Die vorliegende Publikation fokussiert in diesem Jahrbuch Migration und Gesellschaft den Schwerpunkt Familie. Detailliert wird im Kontext der Migration auf die Themenfelder Familienbildung, junge Frauen, Unaccompanied Minors, dem Einfluss der Medien, „Tied“ wives and „leading“ husbands, Umgangsweisen mit Rassismus, Kinderschutz und Behinderung eingegangen.

Mit deutsch- und englischsprachigen Beiträgen.

HerausgeberInnen und Entstehungshintergrund

Das Jahrbuch Migration und Gesellschaft mit dem aktuellen Schwerpunkt Familie folgt den Jahrbüchern mit dem Fokus auf »Beyond Borders« (2020/21), »Digitale Medien« (2019/20),

HerausgeberInnen:

Peterlini, Hans Karl, Professur für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Interkulturelle Bildung in Klagenfurt ist seit 2020 Inhaber des UNESCO Chair „Global Citizenship Education – Culture of Diversity and Peace“. Er fokussiert in seiner Forschung u.a. ethnische und sprachliche Diversität in nationalstaatlichen Kontexten und inklusive Prozesse in von Migration geprägten Gesellschaften.

Donlic, Jasmin ist in Klagenfurt Assistenzprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft und diversitätsbewusste Bildung am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Er fokussiert in seiner Forschung u.a. inter- und transkulturelle Bildung im Kontext von Migration und Inklusion, Mehrsprachigkeit an Schulen und jugendliche Identitätsbildung in regionalen transnationalen Räumen.

AutorInnenen der Beiträge neben den HerausgeberInnen:

Badawia, Tarek: Lehrstuhlinhaber für Islamische-Religiöse-Studien an der FAU Erlangen-Nürnberg; Boos-Nünning, Ursula: Prof. em. Dr., Professur für Migrationspädagogik an der Universität Duisburg-Essen; Fenicia, Tatjana: Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Trier; Hill, Miriam: Dr. phil.; Dipl.-Päd., rassismuskritische Bildungs- und Beratungsarbeit; de Paz Martínez, Laura: Diplom-Soziologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz; Proyer, Michelle: Dr., TT Professur für Inklusive Pädagogik am Zentrum für Lehrer*innenbildung und Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien; Reisenauer, Eveline: Dr., wissenschaftliche Referentin Fachgruppe „Familienpolitik und Familienförderung“ am Deutschen Jugendinstitut e.V.; Schmitt, Caroline: Dr. phil. Dipl. Päd., Professorin für Migrations- und Inklusionsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt; Subasi Singh, Seyda: Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswisssenschaft der Universität Wien; Uygun-Altunbaş, Ayşe: Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik an der FAU Erlangen-Nürnberg.

Aufbau und Inhalt

Die Ausgabe 2021/2022 des Jahrbuchs Migration und Gesellschaft mit dem Schwerpunktthema „Familie“ wendet das Prisma der Erzählung immer wieder neu. Migration als Grunderfahrung der Menschheit fordert etablierte Ordnungen heraus und schafft transnationale Räume jenseits nationaler Hegemonien. Migration macht Ungleichheit und Prekarität lokal und global sichtbar. Untersuchungsgegenstände der Migrationsforschung sind Bedingungen für das Zusammenleben sowie die Gestaltung des Lebens miteinander zwischen Ethnisierung und Pluralisierung, Diskriminierung und Ermächtigung, Teilhabe und Teilung.

Einleitend wird in deutscher und englischer Sprache die Komplexität der Zusammenhänge, die gelebte Vielfalt von Flucht und Familie, angerissen und dabei eine wissenschaftstheoretische Einordnung der gelebten Vielfalt beschrieben. Es folgt eine Diskussion über die Etikettierung von Menschen mit Migrationshintergrund. Der Fokus der Publikation ist es, „(…) nicht den Migrationshintergrund zu problematisieren, sondern Aspekte von Familienforschung in der Migrationsgesellschaft herauszuarbeiten“ (S. 10). Folgende Beiträge vertiefen wie einzelne Mosaiksteine Migrationsforschung als Gesellschaftsforschung.

Der erste Beitrag von Eveline Reisenauer zu Erziehungsförderung in Migrationsfamilien. Perspektiven einer migrationssensiblen Familienbildung thematisiert im Themenkomplex migrationsbewusste Familienbildung die Elternschaft in Familien mit Migrationshintergrund. Dies erfolgt mit Blick auf das Forschungsprojekt DIWAN (Diversität und Wandel der Erziehung in Migrantenfamilien) – anhand folgender Schwerpunkte: Wandel seit den 1980ern, migrationsbedingte Vielfalt und Familienbildung aus der Perspektive von Müttern mit Migrationserfahrung. 

Im nächsten Kapitel fokussiert Ursula Boos-Nünning Zwischen Stereotypisierungen und Lebenswirklichkeit. Junge Frauen mit Migrationshintergrund in der Familie anhand von drei Themenbereichen die in der Öffentlichkeit sowie in der Wissenschaft kontrovers wahrgenommenen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten. (1) Beeinflussung der Bildungsvorstellungen von jungen Frauen durch die Migrationsfamilie, (2) Vermittlung von benachteiligten Geschlechterrollen und (3) geschlechtsspezifische Erziehungsmuster in Familien.

Im darauffolgenden englischsprachigen Kapitel Transnational Family Work in Refugee Migration. Social Work with Unaccompanied Minors and their Physically Absent Parents werden von Caroline Schmitt basierend auf das sensibilisierende Konzept des „doing and displaying family“ anhand von Fallstudien die Wahrnehmung von Pädagog*innen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Bezug auf unbegleitete Minderjährige und deren pädagogische Familienarbeit über nationalstaatliche Grenzen hinweg (Stichwort transnationale Familienarbeit) betrachtet.

Im Kapitel 5 werden von Badawia und Uygun-Altunbaş die Begegnung mit der Religion in Medien. Empirisch-qualitative Erkundungen zum Einfluss der Medien auf muslimische Religiosität in Familie und Jugend behandelt. Die Religiosität muslimischer Jugendliche im Kontext der Medien und Familie betrachten die Autoren in Bezug auf den postmigrantischen Wandel in Deutschland, insbesondere den Einfluss der Medien auf die Ausgestaltung muslimischer Religiosität mit Bezug zu explorativen Studien „Religiöse Bildung im digitalen Zeitalter“. Der lebensweltorientierte Religionsentwurf nimmt einen ganzheitlichen Bezug auf die drei Dimensionen der Religion: Glaube – Ritus – Ethik.

Im nächsten Abschnitt erfolgen in englischer Sprache von Fenicia Gedanken zu „Tied“ wives and „leading“ husbands: (Late) repatriate couples and the negotiation about return from Germany to Western Siberia. Dabei geht es um Rückkehrverhandlungen der (Spät)Aussiedler-Ehepaare, die von Deutschland nach Westsibirien zurückkehren möchten, wobei Ehemänner als Rückkehrinitiatoren zu sehen sind. Bei dieser qualitativen Studie werden Ehefrauen als „tied returnee“ und Ehemänner als „leading returnee“ bei Verhandlungen zur Remigration gesehen. Demzufolge leistet dieses Kapitel einen relevanten Beitrag zur Gestaltung der ehelichen Geschlechterverhältnisse im Entscheidungsprozess im Kontext der Remigration.

Im folgenden Text beschreibt Hill Family Matters. Umgangsweisen mit Rassismus und transnationale Familienpraxen und nimmt dabei auch familiäre Trennungen sowie Rassismuserfahrungen in den Blick. Ausgehend von der subjektorientierten Perspektive zweier österreichischer Familien, die dabei intergenerational über diese Thematik sprechen, werden Optionen für eine diversitätsbewusste Familien- und Migrationsforschung diskutiert.

Im darauffolgenden Kapitel geht Laura de Paz Martínez ausführlich auf die Thematik Kinderschutz in der Migrationsgesellschaft. Empirische Befunde zum institutionellen Handeln der Jugendämter im Kontext von Migrationein. Die zum Schutz von Kindern beauftragten Vertreter von Institutionen sind zunehmend an einer sog. migrationssensiblen Arbeit in Bezug auf den Kinderschutz interessiert, insbesondere mit Fokus auf sog. problematische Rollenbilder, Erziehungsstile und Formen der Vergesellschaftung. Sehr fundiert werden aufgrundlage der Datenbasis aus dem Erhebungsjahr 2020 Folgerungen für migrationssensibles Handeln im Kinderschutz diskutiert, um einen konkreten Erkenntnisgewinn zu erlangen aber nicht ohne auch auf die Gefahr der Kulturalisierung hinzuweisen.

Den Abschluss der Publikation bildet Proyer und Subasi Singh: Behinderung und (forced) migration in Österreich. Ausgewählte Perspektiven auf die Rolle von Familien im Kontext von Bildungsentscheidungen entlang einer komplexen Intersektion. Bei der Betrachtung der Intersektion Behinderung, Migration und Flucht/(forced) migration wird die Zuteilung zu den einzelnen Schultypen und somit der Benachteiligung von Gruppen in Österreich durch die Unterrepräsentation in bestimmten Schulformen deutlich. Folglich werden die Interessenslagen und der Zugang zu Informationen sowie die Herausforderungen rund um die Bildungsentscheidungen dargestellt.

Auf eine allgemeine Zusammenfassung/ein Fazit etc. verzichtet diese Publikation, allerdings wird dies durch wertvolle Conclusions in den einzelnen Kapiteln ersetzt.

Diskussion

Diese Publikation auf einem fachlich angemessen hohen Niveau zeigt die Komplexität der ausgewählten Fragestellungen auf und wehrt sich gegen jegliche simplifizierte Forschung und Stereotypisierungen, wie beispielsweise Differenzlinien zwischen Bevölkerungsgruppen. Es erfolgt eine gelungene Vernetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Praxistransfer. So dient beispielsweise ein Verständnis für unterschiedliche Kulturen der Erziehung als Basis, um tiefergehende Einsichten über Motive von Eltern zu verstehen, was andererseits einer Bereitschaft zur Verhaltensänderung dient.

Einzelne Mosaiksteine der heterogenen Situationen von Migranten(-familien) werden fokussiert; nicht selten entstehen mehr Fragen als Antworten am Ende, was beispielsweise die Kapitelüberschrift „offenes Fazit“ (S. 87) zeigt. Es werden auf professionelle Art und Weise auf zahlreiche Desiderate hingewiesen, aber Wert auf folgendes gelegt: „Es gibt keine konkrete Antwort auf diese reflexive Frage, die in diesem Beitrag bearbeitet werden kann.“ (S. 74) 

Der Titel Jahrbuch ist gerechtfertigt aufgrund einer fundierten Darstellung (anhand zahlreicher relevanter Studien) und Diskussion der einzelnen Themenkomplexe. Interessant ist ferner, dass die Publikationen nicht versuchen, ein richtig und ein falsch zu stellen, sondern auch zwei gegensätzliche Meinungen sachlich adäquat nebeneinanderstehen lassen.

Zusammenfassend handelt es sich bei dem sehr übersichtlich dargestellten Jahrbuch um eine prägnante Darstellung von fachlichen Themen in aller Kürze (zwischen 13 und 41 Seiten), wie es von einem Fachbuch zu erwarten ist. Die kritisch-reflexive und differenzsensible Perspektive auf Migration und Kultur erfolgt empirisch fundiert und eingebettet in bekannte Studien, ebenso wertvoll ist der Transfer in die Praxis. Diese beiden Zielsetzungen werden nicht als konkurrierend konzipiert, sondern als idealerweise miteinander einhergehend.

Die Internationalität dieser Publikation zeigt sich nicht nur durch die Themenstellungen und zum Teil auch englischsprachigen Texte (Einleitung und zwei Weitere), sondern auch durch die Autoren aus unterschiedlichen deutschsprachigen Ländern. Die Heterogenität an AutorInnen mit und ohne Migrationshintergrund zeigt sich sowohl durch deren wissenschaftliche als auch praxisorientierte Erfahrungen durch Anwendungsforschung.

Die vorliegende Publikation fokussiert wissenschaftsbasiert ausgewählte Aspekte und ist somit ein gewinnbringender Beitrag sowohl für in der Wissenschaft tätige MigrationsforscherInnen (aufgrund von aktuellen Forschungsergebnissen ein interessantes Werk), als auch für Studierende/​EinsteigerInnen zu migrationsspezifischen Fragestellungen (aufgrund der beispielsweise detaillierten kritischen Auseinandersetzung mit Terminologien Fußnoten) sowie sämtlichen PraktikerInnen, die mit dem Thema Migration in Kontakt treten (z.B. wird im Thema Kinderschutz die Gefährdungseinschätzung einführend erklärt, bevor gesichertes/​empirisches Wissen zu Migration im Kontext von Kinderschutz Kindeswohlgefährdung fokussiert wird).

Fazit

Anhand forschungsbasierter Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Mosaiksteinen im Themenkomplex „Familien“ und Migration in einer Gesellschaft erfolgt eine umfassende Darstellung ausgewählter globaler Inhalte und somit eine Diversität an Aspekten mit umfassenden Reflexionen. Auf der Basis von migrationsspezifischem Wissen/​Kenntnissen über Theoriediskussionen werden auf Erfahrungsebene der reflexive Umgang mit diesem Wissen, d.h. die Selbstwahrnehmung der Fachkräfte und Familien mit der „natio-ethno-kulturellen (Mehrfach-) Zugehörigkeit“ (Mecheril, 2004) verbunden. Dies erfolgt nicht ohne die Perspektive als „Migrationssensibilität im Horizont einer umfassenden und kritisch-reflexiven Differenzsensibilität“ (Pöter und Wazlawik, 2016, S. 130) zu vernachlässigen.

Literatur

Mecheril, Paul (2004): Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim und Basel: Belz

Pöter, Jan; Wazlawik, Martin (2016): Kinderschutz und Migration. Perspektiven für eine differenzsensible Praxis. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis. 61. Jg., S. 130–133

Rezension von
Dr. Monika Pfaller-Rott
Akad. ORin, Dipl. Sozialpäd., Dipl., Pädagogik, Dipl. Management, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
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Es gibt 8 Rezensionen von Monika Pfaller-Rott.

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Zitiervorschlag
Monika Pfaller-Rott. Rezension vom 28.03.2023 zu: Hans Karl Peterlini, Jasmin Donlic (Hrsg.): Jahrbuch Migration und Gesellschaft 2021/2022. Schwerpunkt »Familie«. transcript (Bielefeld) 2022. ISBN 978-3-8376-5937-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30020.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.


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