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Bianca Broda, Dieter Käufer (Hrsg.): Diagnose Demenz im jüngeren Lebensalter

Rezensiert von Hendrik Ortloff, 15.03.2023

Cover Bianca Broda, Dieter Käufer (Hrsg.): Diagnose Demenz im jüngeren Lebensalter ISBN 978-3-497-03107-8

Bianca Broda, Dieter Käufer (Hrsg.): Diagnose Demenz im jüngeren Lebensalter Praxisbuch für die Beratung und Betreuung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2022. 147 Seiten. ISBN 978-3-497-03107-8. 24,90 EUR.

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Thema

Dem Titel entsprechend befasst sich das Buch mit demenziellen Erkrankungen im jüngeren Lebensalter und fokussiert sich somit auf die ca. 25.000 Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland, die das 65te Lebensjahr vor Diagnosestellung noch nicht erreicht haben. Die Ausgangssituation von jungen Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, kann sich aufgrund unterschiedlicher Rollenverpflichtungen von dem oder der Betroffenen im höheren Lebensalter unterscheiden. Das Buch gibt hierzu einen Einblick in unterschiedliche Lebenssituationen, welche in der Literatur bislang weniger Aufmerksamkeit erhalten haben.

Herausgeber:innen

Bianca Broda hat Sozialpädagogik/​-management studiert und war als Geschäftsführerin der Alzheimer Gesellschaft München tätig. Derzeit ist sie als Fachbereichsleiterin der Einrichtungen und Eingliederungshilfe beim AWO Regionalverband Brandenburg Süd e.V. beschäftigt.

Dieter Käufer ist diplomierter Sozialpädagoge und war langjährig als Leiter des AWO-Demenz-Zentrums Wolfratshausen, als Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Alzheimergesellschaften Bayern und als Referent tätig.

Entstehungshintergrund

Jüngere Menschen, welche die Diagnose Demenz erhalten, sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Die Ungewissheit über die Auswirkungen auf das Familien- und Berufsleben, die Lebensqualität und Zukunftsplanung etc. können eine Belastung darstellen, die eine individuelle Beratung sowie adäquate Lösungsideen erfordern. Dabei erleben Betroffene, Angehörige und Berater häufig die Grenzen von (sozialen) Infrastrukturen. Die Herausgeber und Autoren verfolgen das Ziel, die Situation von Menschen, die bereits in jungen Jahren an Demenz erkrankt sind zu beschreiben, besser zu verstehen und Hilfsangebote aufzuzeigen.

Aufbau

Das Buch ist thematisch aufgeteilt und beinhaltet zunächst die Erkrankung im jüngeren Lebensalter als Überblick und spezifischer die frontotemporale Demenz mit einer Fokussierung auf Testverfahren und Sport als Risikofaktor. Darauf aufbauend werden Aspekte der Beratung in Bezug auf den Umgang mit der Erkrankung als Familie und Paar beschrieben. Mögliche Betreuungs- und Wohnformen für junge Menschen mit Demenz im häuslichen und stationären Setting werden ebenfalls thematisiert. Zum Schluss werden die Vorsorgeplanung und die Sterbebegleitung anhand des Advance-Care-Planning als Beratungskonzept dargestellt.

Inhalte

Die Diagnose Demenz kann insbesondere für Erkrankte vor dem 65ten Lebensjahr einen großen Einfluss auf das persönliche Rollenempfinden haben und sich auf die Gestaltung des Berufslebens, auf Freundschaften und die diversen Konstellationen des Familienlebens auswirken. Betroffene in jüngeren Lebensjahren können sich als Partner, Elternteil und Kind gleichzeitig erleben. Dabei müssen diese sozialen Rollen zwischen Autonomie und Fürsorge neu definiert werden, denn eine Demenz verändert diese bisherigen Rollen und somit auch Erwartungshaltungen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten.

Inhaltlicher Schwerpunkt des Buches ist die Veränderung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Gestaltung intakter sozialer Netzwerke. Das Buch befasst sich mit der Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den frontotemporalen Demenzen als Erkrankungsform, die in dieser Altersspanne häufig vorkommen und u.a. durch Veränderungen des Wesens und des Verhaltens geprägt sind. Diese Veränderungen können bereits zu Beginn der Erkrankung die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen verunsichern und Alltagssituationen erschweren. Das Leben mit kognitiven Einschränkungen bringt verschiedene Bedürfnisse, Wünsche als auch Unterstützungsbedarfe mit sich. Dazu werden auch das Arbeitsleben und die Psychotherapie für junge Menschen mit Demenz betrachtet. Ausgehend von der Fragestellung, welche Lösungen, Strategien und Maßnahmen die Betroffenen in ihren Rollen als selbstbestimmte Bürger, Partner, Elternteile, Familienangehörige, Freunde oder Berufstätige für sich selbst und mit ihrem Umfeld finden können, veranschaulicht das Buch die Notwendigkeit einer intakten Infrastruktur. Diese sollte neben den öffentlichen Verkehrsmitteln etc. auch zwischenmenschlichen Aspekte zwischen Fürsorge und Autonomie beinhalten. Es sind zahlreiche Fallbeispiele beschrieben, die anhand allgemeiner Problemdarstellungen die Individualität des Beratungsprozesses betonen. Der Fokus auf die zwischenmenschliche Fürsorge, Autonomie und Person-zentrierung stellt einen sehr wichtigen Aspekt in der Beratung und Betreuung dar, der insbesondere unerfahrenen Personen noch bewusstwerden muss. Die hierfür aufgeführten Fallbeispiele beschreiben einen idealtypischen Verlauf. Offen bleibt in Zeiten von Fachkräftemangel etc. jedoch, von welchen Fachkräften die Umsetzung der Beratung und Betreuung im Detail geleistet werden soll.

Diskussion

Auch wenn sich das Buch einem relevanten Thema widmet, handelt es sich eher um ein Praxisbuch für Laien und Angehörige und weniger für Fachleute. Zu kritisieren ist der beschriebene Umgang mit den neuropsychologischen Testverfahren, die sich anhand der dargestellten Zahlenwerte etc. auf die Alzheimer-Demenz stützen und sich nur begrenzt auf eine frontotemporale Demenz beziehen. Entgegen der Aussage, „Bereits das einfache Zeichnen einer Uhr lässt eine Diagnose einer demenziellen Erkrankung zu“ (S. 33), handelt es sich bei allen Demenzformen um einen multidimensionalen Diagnoseprozess. Bei Verdacht auf eine Demenz sollte entsprechend der S3-Leitlinien Demenzen eine Quantifizierung der kognitiven Leistungseinbußen erfolgen. Dabei sollte beachtet werden, dass diese Kurztests mangels Sensitivität eine vollständige neuropsychologische Diagnostik anderer kognitiver Domänen nicht ersetzen und zur Differenzialdiagnostik nicht geeignet sind (vgl. Bartsch und von Arnim, 2019, S. 91/92). Ein vertiefter Bezug zu den typischen Verhaltens- und Wesensveränderungen frontotemporaler Demenzen etc. wäre wünschenswert gewesen. Die Beratung und Betreuung von Menschen mit Demenz im jüngeren Lebensalter benötigt mehr als die vorhandenen Fachinformationen, um diese komplexen Themenfelder abzubilden.

Fazit

Das Praxisbuch verdeutlicht Aspekte der Lebensgestaltung von Menschen, die bereits vor dem 65ten Lebensjahr an Demenz erkrankt sind und ihren Angehörigen. Inhaltlich werden die frontotemporale Demenz als häufigste Demenzform in jungen Lebensjahren, Beratungsangebote mit Bezug auf Familien und Paare, Betreuungs- und Wohnformen als auch die Vorsorgeplanungen fokussiert. Anhand zahlreicher Beispiele wird praxisnah veranschaulicht, wie wichtig die Person-zentrierung durch einen Fokus auf die Autonomie und Fürsorge während der Beratung und Betreuung ist.

Literaturverzeichnis

Bartsch, T. und von Arnim, C. (2019): Kognitive Einschränkungen und Demenzen In: W. Maetzler, R. Dodel und A.H. Jacobs (Hrsg.), Neurogeriatrie, ICF-basierte Diagnose und Behandlung, Springer Nature Verlag, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57358-7

Rezension von
Hendrik Ortloff
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität Witten/Herdecke Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) Juniorprofessur für Innovative und Digitale Lehr- und Lernformen in der Multiprofessionellen Gesundheitsversorgung
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Es gibt 1 Rezension von Hendrik Ortloff.

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Zitiervorschlag
Hendrik Ortloff. Rezension vom 15.03.2023 zu: Bianca Broda, Dieter Käufer (Hrsg.): Diagnose Demenz im jüngeren Lebensalter Praxisbuch für die Beratung und Betreuung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2022. ISBN 978-3-497-03107-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30040.php, Datum des Zugriffs 28.03.2023.


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