Elke Katharina Meyer, Stefanie Widmann: FlipchartArt
Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 28.02.2024
Elke Katharina Meyer, Stefanie Widmann: FlipchartArt. Ideen für Trainer, Moderatoren und Führungskräfte. Wiley-VCH Verlag (Weinheim) 2022. 5. Auflage. 210 Seiten. ISBN 978-3-527-35023-0. 29,90 EUR.
Einführung in das Thema
Das Visualisieren in der Präsentation, Moderation, Begleitung und Dokumentation von Lehr-, Lern-, Beratungs- und Entwicklungsprozessen ist seit vielen Jahren etabliert. Es gilt als mittlerweile nahezu zwingendes Medium in Lehre und Weiterbildung, Psychotherapie, Beratung und Coaching, wie auch in der Organisations-, Team- und Projektentwicklung. Dazu existiert ein kaum überschaubares Angebot an graphisch-visuellen Stilen, technisch, comicartig, reduziert oder elaboriert. Dazu gehören auch eine Vielzahl an Lehrbüchern (Ballstaedt 2011; Bühs 2013; Franck & Stary 2006; Haussmann 2014, S. 216; Rohde & Herling 2015), Bildkartenbände und Karteien zur Nutzung visuellen Vokabulars (Scholz & Haussmann 2012), Kurse und eine große Zahl professioneller Anbieter im «visual facilitating» und «graphic recording», die von einfacher Visualisierung bis zur visuellen Dokumentation grosser Konferenzen elaborierte Konzepte anbieten.
Die Digitalisierung fördert die Verbreitung visueller Techniken zusätzlich durch die ihr eigene Dominanz des Visuellen, dies mit Tutorial-Videos, Bildbeispielen auf Social Media und digitalen Zeichentools und ganzen Online-Communities, die sich dazu austauschen.
Gleichzeitig scheint angesichts der Veralltäglichung von Digitalität (Weinhardt 2021) in den letzten Jahren, besonders nach der COVID-19-Pandemie mit Online-Meetings und der intensiven Nutzung digitaler Tools eine Sehnsucht nach dem Analogen aufgekommen zu sein. In jedem Fall – Visualisierung ist ein Megatrend.
Hintergrund des Buches
Das Buch, 2006 in der ersten Auflage erschienen, ist eines der frühen Bücher zur Visualisierung auf dem deutschen Buchmarkt. Es nimmt unter vielen Workbooks zu Visualisierungen insofern eine Sonderstellung ein, als es sich spezifisch mit dem Flipchart-Format beschäftigt. 2023 erschien die fünfte Auflage des Buchs, das sich an Trainer, Berater, Coachs und Führungskräfte richtet, die Flipcharts schon nutzen oder mit Visualisierung auf dem Flipchart mehr Wirkung erzielen möchten.
Autorinnen
Elke Katharina Meyer, Trainerin und Beraterin im Bereich Personalentwicklung, ist Inhaberin eines Trainings- und Beratungsinstituts, das Seminare und Workshops im Bereich Führung, Selbstfürsorge und Arbeitstechniken im Beruf im anbietet und Unternehmen in Entwicklungsprozessen begleitet.
Stefanie Widmann ist Trainerin, Coach und Moderatorin in den Bereichen Kommunikation und Kooperation in Teams, Führungskräfte- und Konflikttraining.
Aufbau und Inhalt
Kapitel 1 gibt einen Einstieg mit einer kurzen Geschichte des Buchs und einer Übersicht über die Inhalte.
Kapitel 2 thematisiert den gewinnbringenden Einsatz von Flipcharts: Die Chancen und Grenzen der Visualisierung mit Flipcharts, die Abstimmung auf unterschiedliche Zielgruppen, Berufsbilder und deren Ansprüche sowie das Verhältnis von Flipchart und anderen Präsentationsmedien werden thematisiert und mit praktischen Tipps vermittelt.
Kapitel 3 gibt die ersten Schritte vor: Es instruiert zur Vorbereitung von Flipcharts mit günstigen Proportionen und Strukturen, zur Vorbereitung und Live-Entwicklung von Visualisierungen und stellt technische Aspekte wie Überschriften, Schriftstile und Fragen der Verständlichkeit vor.
Kapitel 4 zeigt auf, wie Bilder erschaffen werden. Der kreative Prozess, Lerninhalte in Bilder zu fassen, wird erläutert, zum schnellen Figurenzeichnen mit Beispielen und mehreren Varianten instruiert, dazu wird das Zeichnen von Bewegungen und Emotionen darrgestellt.
Kapitel 5 zeigt, wie Bilder verzaubern können: Es geht auf Farben und ihre Wirkung ein, thematisiert Schatten und Dreidimensionalität, Bildbeschriftungen und Kreativmaterialien wie Karten, Stoff, Wolle und Naturmaterialien auf Flipcharts.
Das lange Kapitel 6 gibt auf 53 Seiten thematische Anregungen und Praxisbeispiele zu einer grossen Palette von Themen, die einen Seminarverlauf abbilden. Vom Seminarstart (Begrüßung, Seminarziele, Agenda) über fachliche Inputs (Coaching, Führung, Konflikt, Kommunikation) zu Entscheidungen, Maßnahmen und Evaluation findet der Leser eine Vielzahl von Beispielen mit Erläuterungen und Tipps.
Kapitel 7 und 8 instruieren zum technischen Handling von Flipcharts durch die moderierende oder präsentierende Person während des Seminars oder Workshops. Dazu gibt es Tipps zur Technik, zur besten Position vorm Flipchart, zur Arbeitserleichterung, zum Umgang mit Fehlern in Flipcharts und Tücken von Flipcharts, zum Transport und der Lagerung bei Wiederverwendung.
Kapitel 9 hilft, die Power der FlipchartArt auch digital zu nutzen. Es stellt eine minimale Ausstattung zur Visualisierung in Online-Meetings vor und deutet einige Software-Optionen an. Weiter gibt es Anleitung zur Visualisierung auf digitalen Präsentationen, sei es auf Concept-Boards oder in Präsentationssoftware wie Prezi, Apple Keynote oder MS PowerPoint. Den Schluss bilden Überlegungen zur Aktivierung von Teilnehmern im Online-Meeting.
Kapitel 10 wird mit einer kleinen Symbolgalerie gefüllt, an die sich eine Stichwortliste von ca. 180 Beispielen, ein Bildnachweis und ein kommentiertes Literaturverzeichnis anschließt.
Diskussion
Das Buch zeigt sehr praxisnah, wie Flipcharts in Seminaren hilfreich eingesetzt werden können, es geht dabei methodisch und sehr praxisnah mit vielen Tipps aus der reichen Erfahrung der beiden Autorinnen vor. Die Bildsprache ist vielfältig gehalten, was die Entwicklung eines eigenen Visualisierungsstils erleichtert, sie bleibt aber dabei, auch weil viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Stilen Graphiken dazu geliefert haben, arg inkonsistent. Die Entwicklung einer konsistenten Art der Visualisierung bleibt dem Leser, der Leserin überlassen. Persönlich gefällt mir der Visualisierungsstil im Buch nur in Teilen, das Diktum aller Bücher zur Visualisierung, man brauche kein Künstler, keine Künstlerin zu sein, führt im Buch dazu, dass manches doch sehr handgestrickt aussieht. Die viele Übung, die routiniertes und ansprechendes Zeichnen erfordert («zeichne jeden Tag, damit es flüssig wird») und die Entwicklung eines persönlichen Bildvokabulars, zu der viele Workbooks zur Visualisierung auffordern, wird im Buch wenig hervorgehoben und tendenziell unterschätzt.
Das Kapitel zur digitalen Visualisierung in Online-Meetings hat mich nicht überzeugt. Die Anregungen zu Hard- und Software sind marginal, mit der Maus zu zeichnen sollte niemand je versuchen und einige vorgestellte Tools scheinen mir wenig geeignet. Die technischen Hinweise sind zu kurzschlüssig, um im digitalen Visualisieren ernsthaft kompetent zu werden. Es macht den Eindruck, dass die Autorinnen ihre Erfahrungen in der analogen Seminarwelt vereinfacht und digitaler Besonderheiten und Tücken wenig bewusst auf die Online-Seminarwelt übertragen haben. Nach der Lektüre des Kapitels wird man noch sehr viel Arbeit, Recherche, Exploration und Übung vor sich haben, bis digitale Visualisierungen ansprechend und professionell aussehen und auch im herausfordernden Prozess virtueller Präsenzveranstaltungen erfolgreich sind und gelingen.
Die Autorinnen legen ein praxisnahes Buch zum Visualisieren mit Flipchart vor, dass reiche Anregungen und praxisnahe Tipps enthalten. Die Bildsprache ist vielfältig und heterogen, regt zu einem eigenen Stil an, wirkt aber in Teilen handgestrickt und je nach Kundschaft oder Unternehmenskontext nicht immer hinreichend professionell. Das Buch ist (das ist ja seine Besonderheit) doch eher enggeführt auf das Flipchart-Format. Dies wäre unschwer auf größere Visualisierungsformate wie Pinnwände oder kleinere Formate für Coaching- und Beratungsgespräche wie DIN A3-Sheets erweiterbar. Das Kapitel zur digitalen Visualisierung wurde in der fünften Auflage offenbar neu aufgenommen. Es ist nach meiner Auffassung noch wenig gelungen, es schafft nur unzureichende Grundlagen, um in den anspruchsvollen Online-Meetings mit Visualisierung erfolgreich zu sein.
Fazit
Für Professionals im Trainings- und Seminarbereich, die sich neu mit Visualisierung befassen und sich gern in der analogen Welt des Flipcharts bewegen, gibt das Buch viele praktische Tipps und Anregungen und ist zu empfehlen.
Literatur
Ballstaedt, S.-P. (2011). Visualisieren: über den richtigen Einsatz von Bildern. Stuttgart: Utb.
Bühs, R. (2013). Zeichnen, Visualisieren, Strukturieren: grafischer Werkzeugkasten für Pinnwand, Flipchart & Co. Weinheim: Beltz.
Franck, N. & Stary, J. (2006). Gekonnt visualisieren: Medien wirksam einsetzen. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
Haussmann, M. (2014). UZMO – Denken mit dem Stift. München: Redline.
Rohde, M. & Herling, C. (2015). Das Sketchnote Arbeitsbuch: fortgeschrittene Techniken zum Erstellen visueller Notizen. Heidelberg: mitp.
Scholz, H. & Haussmann, M. (2012). Bikablo 1: das Trainerwörterbuch der Bildsprache. Eichenzell: Neuland.
Weinhardt, M. (2021). Sozialpädagogische Digitalität und Doing Digitality: Zu den digitalen Sachen selbst. URL: https://marcweinhardt.de/sozialpaedagogische-digitalitaet-und-doing-digitality-zu-den-digitalen-sachen-selbst/. Zugriffsdatum:
Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
Website
Mailformular
Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Widulle.
Zitiervorschlag
Wolfgang Widulle. Rezension vom 28.02.2024 zu:
Elke Katharina Meyer, Stefanie Widmann: FlipchartArt. Ideen für Trainer, Moderatoren und Führungskräfte. Wiley-VCH Verlag
(Weinheim) 2022. 5. Auflage.
ISBN 978-3-527-35023-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30056.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.