Dietrun Lübeck: Psychologie für die Arbeit mit Erwachsenen mit psychischen Problemen
Rezensiert von Prof. Dr. rer. nat. Annette van Randenborgh, 14.07.2023
Dietrun Lübeck: Psychologie für die Arbeit mit Erwachsenen mit psychischen Problemen.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
198 Seiten.
ISBN 978-3-7799-6166-6.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR.
Reihe: Psychologie für soziale Berufe. .
Thema
In allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit und anderer helfenden Professionen finden sich Adressatinnen und Adressaten mit psychischen Problemen. Fachkräfte möchten diesen Menschen häufig auf vielerlei Weise helfen – unter anderem auch dabei, dass psychische Probleme nicht aggravieren, im Idealfall sogar gelindert oder behoben werden. Das Buch von Dietrun Lübeck stellt Ansätze der Psychologie zusammen, die zum einen bei den Lesenden zu einem besseren Verständnis der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Probleme führen. Weiterhin gibt das Buch einen Überblick über die Versorgungslandschaft psychisch erkrankter Menschen in Deutschland und stellt ausgewählte Methoden und Ansätze der konkreten Hilfe für Menschen mit psychischen Problemen vor.
Autorin und Entstehungshintergrund
Dietrun Lübeck ist Professorin für Psychologie an der Evangelischen Hochschule Berlin. Als Lehr- und Forschungsschwerpunkte benennt sie psychosoziale Online-Beratung, systemische Beratung/​Supervision, Spiritualität, sowie psychische & psychosoziale Grundbedürfnisse in der Beratung. Sie ist Studiengangsleiterin des Masterstudiengangs „Beratung in der Sozialen Arbeit“. Das vorliegende Buch verfasste sie für die Reihe „Psychologie für Soziale Berufe“ des Beltz Verlags. Ebenfalls in diesem Verlag erschien von ihr im Jahr 2020 der Band „Psychologie für die Soziale Arbeit“.
Aufbau und Inhalt
Kapitel 1 führt einige Grundlagen zur Bearbeitung von psychischen und sozialen Problemen aus. Die Autorin macht anschaulich die Verwobenheit von psychischen, körperlichen und sozialen Faktoren deutlich und erläutert, wie psychologische Theorien und empirische Befunde aus der Psychologie das praktische Handeln anleiten können.
Kapitel 2 enthält eine Auswahl psychologischer Themen, die für die praktische Arbeit mit Menschen mit psychischen Problemen in der Tat sehr hilfreich sein können: Ein Schema für die Verhaltens- und Erlebensanalyse (4+1-Modell), Positive Psychologie, psychische Grundbedürfnisse sowie ausgewählte Erkenntnisse der interkulturellen Psychologie. Das Kapitel schließt mit interessanten Reflexionsfragen.
Kapitel 3 ist mit der Frage „Was ist ein psychisches Problem“ betitelt. Einige Fallbeispiele führen die Lesenden hier zu Beginn in die Reflexion: Was empfinde ich als normal, abweichend oder sogar problematisch? Die Lesenden werden weiterhin eingeladen, ihre Vorstellung von einem psychischen Problem in der Auseinandersetzung mit verwandten Begriffen, z.B. psychischer Störung, psychischer Krise, sozialem Problem, zu schärfen.
Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Genese von psychischen Problemen und geht dabei sehr ambitioniert vor: Den Lesenden wird sowohl die tiefenpsychologische, die lerntheoretische, die kognitive, die humanistische und die systemische Perspektive nahe gebracht. Als übergeordnetem Rahmenmodell bleibt die Autorin dem Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodell treu.
In Kapitel 5 geht es um die Diagnostik von psychischen Problemen, wobei hier im Grunde nur die Diagnostik psychischer Störungen, nicht jedoch anderen Formen von psychischen Problemen, betrachtet wird. Weiterhin finden sich Ausführungen zum psychopathologischen Befund (der im vorliegenden Buch aus Kritik an der Benennung nur „psychischer Befund“ genannt wird) und eine kurze Darstellung vieler psychischer Störungen. Die Ausführungen holen Lesende ab, die bislang wenig Berührungspunkte mit Psychopathologie gehabt haben.
Kapitel 6 fokussiert dann auf die praktische Arbeit mit Menschen mit psychischen Problemen. Hilfreich für diese vielschichtige Aufgabe sind die im Buch enthaltenen Systematiken, die teilweise von anderen Autor*innen und teilweise von Dietrun Lübeck selber entwickelt wurden. Die Unterscheidung zwischen den Hilfeformen Anleitung, Begleitung, Beratung und Therapie systematisiert das Feld. In dem Kapitel findet sich auch eine informative Zusammenfassung der Versorgungslandschaft für psychisch erkrankte Menschen. Insgesamt nimmt das Kapitel eher das Klientel mit dauerhaften und intensiven psychischen Problemen in den Blick als solche mit kürzeren Krisen oder mittelgradigen bzw. leichten psychischen Problemen.
Das Kapitel 7 präsentiert dann ausgewählte Ansätze für die Arbeit mit Menschen mit psychischen Problemen. Konkret kommen (i) psychosoziale Beratung, (ii) Krisenintervention und (iii) Psychotherapie zur Sprache. Besonders hilfreich erscheint ein weiterer Abschnitt dieses Kapitels, in dem „Unterstützung bei ausgewählten psychischen Problemen“ vorgestellt werden. Die Ausführungen beschränken sich nicht auf ein konkretes Arbeitsfeld oder ein konkretes Hilfeformat. Vielmehr geht die Autorin von psychischen Symptomen und Syndromen aus. Sie stellt hilfreiche Verhaltensweisen bei beispielsweise Ängsten, Stimmungsproblemen und Wahn dar, die auf diverse Arbeitsfelder anwendbar sind. Die Ausführungen werden mit gebührender Zurückhaltung vorgenommen, um nicht „pauschale Ratschläge“ zu verteilen und um an die nötige Adaptation an den Einzelfall zu erinnern.
Im abschießenden Kapitel 8 nimmt die Autorin die Helferinnen und Helfer selber – und damit die potentiellen Leserinnen und Leser dieses Bandes – in den Blick. Schon in den vorherigen Kapiteln wird deutlich, dass Helfer*innengesundheit der Autorin ein wichtiges Anliegen ist. Sie regt hier an, dass einige der bereits dargestellten Inhalte des Buches für die eigene Selbstfürsorge angewandt werden können und gibt Anregungen darüber hinaus.
Diskussion
Im Buch findet sich eine gelungene Auswahl an psychologischen Theorien im Zusammenhang mit psychischen Problemen. Allerdings werden die Themen innerhalb der jeweiligen Kapitel nur sehr kurz dargestellt und so bleibt an dieser Stelle der Anwendungsnutzen der knappen Darstellung etwas fraglich. Interessierte Leser und Leserinnen finden jedoch zu den meisten Themen jeweils aktuelle Literaturverweise für eine Vertiefung.
Häufig lädt die Autorin zur Selbstreflexion der Lesenden ein, was einen spannenden Auftakt oder eine gelungene Abrundung von Kapiteln darstellt. Dieser Zugang wird auch beim zentralen Begriff „psychisches Problem“ genutzt. Allerdings ersetzt die Reflexion der Lesenden an dieser Stelle die Erarbeitung einer Arbeitsdefinition. Die Klarheit, die eine Arbeitsdefinition herstellt, wäre auch ein hohes Gut für die Orientierung der Leser*innen gewesen.
Am meisten Anregung finden Leserinnen und Leser für die Arbeit mit psychisch kranken Menschen. Andere Formen psychischer Probleme – Menschen in Krisen und mit subklinischen Problemzuständen – kommen etwas kurz. Es ist vorstellbar, dass Leser*innen, die sich gerade für die letzte der genannten Gruppen interessieren (Menschen mit leichten oder mittelgradigen psychischen Problemen), am wenigsten vom vorliegenden Buch profitieren. Das ist insofern schade, da es für die anderen Gruppen (psychische erkrankte Menschen und Menschen in Krisen) bereits viel Literatur gibt.
Ein Merkmal des Buches, das nicht so sehr auf die Autorin selber zurückfällt, sind zahlreiche Druckfehler, die hoffentlich ab der zweiten Auflage des Buches behoben werden. In Kombination mit der Tatsache, dass die Autorin häufig lange Sätze bildet, erschweren die Druckfehler leider das Lesen.
Fazit
Dietrun Lübeck stellt in ihrem Buch ausgewählte Theorien der Psychologie zusammen, die das Verständnis für die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Problemen fördern. Die Autorin nimmt verschiedene Formen von psychischen Problemen in den Blick, Menschen mit psychischen Erkrankungen stehen aber im Vordergrund. Lesende werden übersichtlich informiert, wie psychisch Erkrankten in Deutschland geholfen wird. Wünschenswert wäre ein noch höheres Maß an Anregung für die praktische Arbeit von unterschiedlichen helfenden Berufsgruppen gewesen.
Rezension von
Prof. Dr. rer. nat. Annette van Randenborgh
Psychologische Psychotherapeutin
Fachhochschule Münster
Fachbereich 10, Sozialwesen
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Es gibt 1 Rezension von Annette van Randenborgh.
Zitiervorschlag
Annette van Randenborgh. Rezension vom 14.07.2023 zu:
Dietrun Lübeck: Psychologie für die Arbeit mit Erwachsenen mit psychischen Problemen. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
ISBN 978-3-7799-6166-6.
Reihe: Psychologie für soziale Berufe. .
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30061.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.
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