Christian Schwarzloos: Soziale Netzwerkbeziehungen in der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Familien
Rezensiert von Lukas Fellmann, 17.10.2023

Christian Schwarzloos: Soziale Netzwerkbeziehungen in der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Familien. Eine Untersuchung am Beispiel der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 342 Seiten. ISBN 978-3-7799-7200-6. D: 48,00 EUR, A: 49,40 EUR.
Thema
Bei der vorliegenden Monografie handelt es sich um die Dissertationsschrift von Christian Schwarzloos, welche von der Technischen Universität Dresden (Fakultät Erziehungswissenschaften) im Jahr 2022 angenommen wurde. Diese Arbeit zeigt mittels empirischer Forschungsergebnisse auf, welche Relevanz soziale Netzwerkbeziehungen in der Praxis der Sozialpädagogischen Familienhilfe einnehmen. Dabei geht es insbesondere um die Bedeutung der informellen Netzwerkbeziehungen in Familien.
Autor:in oder Herausgeber:in
Dr. Christian Schwarzloos, Wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut (DJI). Forschungsthemen: Relationale Sozialarbeit, soziale Netzwerkbeziehungen, aufsuchende Familienhilfe, Familienrat und Strafvollzug.
Aufbau und Inhalt
Das Buch „Soziale Netzwerkbeziehungen in der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Familien“ ist eingeteilt in die historischen Entwicklungslinien aufsuchender Hilfen für Familien (Teil I), die Grundlagen der Sozialpädagogischen Familienhilfe (Teil II) und der empirischen Studie (Teil III). Diese drei Teile bestehen jeweils aus mehreren Kapiteln.
Kapitel 1 widmet sich der Entstehung des Kernfamilienideals, welches gemäß dem Autor das normative Leitbild in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) darstellt. Hierfür deckt der Autor einen geschichtlichen Zeitraum vom Spätmittelalter bis zum Beginn der Moderne und dem Deutschen Kaiserreich ab und greift vertiefend die theoriegeschichtlichen Klassiker von Johann H. Pestalozzi und Johann H. Wichern auf. Im geschichtlichen Abriss legt der Autor zudem dar, wie sich die Ursprünge der SPFH auf Aktivitäten der privaten Wohltätigkeit der bürgerlichen Frauenbewegung zurückführen lassen.
Im zweiten Kapitel werden zentrale Entwicklungslinien im Kontext des Wohlfahrtsstaats dargestellt, welche die SPFH maßgebend geprägt haben. Einerseits wird dargelegt, wie die in der Weimarer Republik entstandenen rechtlichen Grundlagen die Entwicklung eines kernfamilialen Blicks in der SPFH beeinflussten. Andererseits zeigt der Autor, wie sich die konzeptionellen Ansätze aus den Arbeiten von Mary E. Richmond, Alice Salomon und Marie Baum in der SPFH wiederfinden.
Im dritten und letzten Kapitel des ersten Teils des Buches (Teil I) zeichnet der Autor die Entstehung und Entwicklung der SPFH nach, wobei er zwischen der Pionierphase (Ende der 1960er Jahre in der BRD) und der jüngeren Geschichte der SPFH unterscheidet. Er greift an vielen Stellen die Frage nach dem Zusammenhang von Familienleitbildern und der Perspektive auf soziale Netzwerkbeziehungen auf. Auf diese Weise nimmt er immer wieder Bezug auf das eigentliche Kernthema seines Buches.
Im zweiten Teil des Buches (Teil II) beschäftigt sich der Autor mit der Alltags- und Lebensweltorientierung (Kap. 4) sowie mit den maßgebenden Rahmenbedingungen und Handlungsansätzen der SPFH (Kap. 5). In Kapitel 4 wird die Alltags- und Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch nicht nur detailliert dargestellt, sondern auch hinsichtlich ihrer Relevanz bezüglich sozialer Netzwerkbeziehungen aus verschiedenen theoretischen Perspektiven reflektiert. Dieses Kapitel beinhaltet zudem einen ausführlichen Exkurs zur sozialen Netzwerk- und Unterstützungsforschung. Darin werden zentrale Funktionen und Merkmale von sozialen Netzwerken benannt und diskutiert. Im Kapitel zu den Rahmenbedingungen der SPFH werden einerseits die gesetzlichen Grundlagen und Strukturen der Leistungserbringung (d.h. Organisation, Finanzierung und Ausstattung) dargelegt. Andererseits zeigt der Autor auf, was die SPFH in ihrer praktischen Ausgestaltung charakterisiert und welche Arbeitsmethoden und -verfahren zum Einsatz kommen. Bei Letzterem werden die netzwerkbezogenen Anteile von gängigen Arbeitsmethoden detailliert herausgearbeitet. Zudem geht der Autor auf dedizierte Methoden netzwerkorientierten Arbeitens ein.
Der dritte Teil des Buches (Teil III) widmet sich der empirischen Studie. Hierfür legt der Autor zuerst den Stand der Forschung (Kap. 6) zur SPFH dar (inkl. statischer Kennzahlen zur SPFH in Deutschland) und präsentiert ausgewählte Befunde im Hinblick auf soziale Netzwerkbeziehungen in der SPFH. Der Autor fasst dabei die wichtigsten Studien zu Netzwerken in der SPFH nachvollziehbar zusammen. In Kap. 7 wird die Anlage der Studie und das methodische Vorgehen dargelegt. In der vorliegenden qualitativen Studie wurden acht Familienhelfer:innen interviewt und anschließend nach der dokumentarischen Methode ausgewertet. Der Autor umreißt das Thema seiner Untersuchung mit den folgenden Worten: „Untersucht werden soll, welche Relevanz soziale Netzwerkbeziehungen in der Handlungspraxis der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Familien am Beispiel der SPFH einnehmen“ (S. 16). In Kap. 8 Typenbildung werden schließlich die empirischen Ergebnisse der Studie präsentiert. In Anlehnung an die dokumentarische Methode werden auf der Grundlage der Interviews die folgenden drei Typen der Bezugnahme auf soziale Netzwerkbeziehungen in der SPFH gebildet: „Protegieren als verantwortbarer Umgang mit Limitationen“, „Arrangieren von gängigen Standards“ und „Engagieren für eine konstruktive Koalition“. Die drei Typen werden vertieft hinsichtlich der drei Vergleichsebenen „Konstruktion des Settings“, „Gestaltung der Arbeitsbeziehungen“ und „Bezugnahme auf soziale Netzwerkbeziehungen“ dargestellt und mit Zitaten aus den Interviews veranschaulicht. Im letzten Kapitel (9) fasst der Autor die Ergebnisse der Studie zusammen und diskutiert die Ergebnisse.
Diskussion
Das Buch von Christian Schwarzloos demonstriert eindrücklich, dass soziale Netzwerkbeziehungen eine unerlässliche Komponente in der SPFH und anderen Hilfen zur Erziehung sind. Familienhelfer:innen müssen sich, ob bewusst oder unbewusst, mit häufig komplexen sozialen Netzwerkbeziehungen auseinandersetzen und Prozesse der Veränderung in diesen Beziehungsmustern anregen. Die Ergebnisse seiner Studie zeigen somit auf, wie komplex und anspruchsvoll die SPFH in ihrer Umsetzung ist.
Eine netzwerkorientierte Perspektive in der SPFH betont darüber hinaus die strukturellen Abhängigkeiten von Familien (siehe auch Elias 1971; Widmer 2010). Somit leistet dieses Buch einen wichtigen Beitrag zu den sozialen Kontexten, in denen die SPFH operiert und legt den Fokus konsequent auf Netzwerke, anstatt auf Individuen. In der Methodenliteratur zur SPFH wird die Netzwerkarbeit als wichtiger Handlungsansatz benannt, welcher auf theoretischer Ebene mittlerweile gut ausgearbeitet ist (vgl. Fischer/Kosellek 2019). Die vorliegende Studie liefert diesbezüglich wichtige Befunde, um diesen Handlungsansatz empirisch besser zu verstehen.
Neben den empirischen Ergebnissen beinhaltet das Buch vielfältige historische und gegenwartsbezogene Grundlagen zur SPFH, welche sehr sorgfältig vom Autor aufgearbeitet wurden. Dazu gehören unter anderem die Entstehung des Kernfamilienideals, die Entwicklung von familienbezogenen Hilfekonzepten sowie die Entstehung der SPFH und ihre konzeptionellen und methodischen Grundlagen. Besonders hervorzuheben ist, dass der Autor auch im ersten und zweiten Teil des Buches an vielen Stellen Bezüge zu sozialen Netzwerkbeziehungen herstellt. Damit macht er nochmals deutlich, wie vielfältig soziale Netzwerkbeziehungen in den praktischen und wissenschaftlichen Diskursen zur SPFH (häufig auch implizit) mitgedacht werden.
Fazit
Sozialarbeitende in der aufsuchenden Arbeit mit Familien sind in ihrer Praxis unweigerlich komplexen Netzwerkbeziehungen in Familien ausgesetzt. Diese empirische Forschungsarbeit zeigt auf, wie Sozialarbeitende auf diese Beziehungsmuster eingehen und nach welchen Orientierungen sie die Arbeitsbeziehungen gestalten. Damit reagiert dieses Buch auf eine bedeutende Forschungslücke im Kontext der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Familien.
Literatur
Elias, N. (1971). Was ist Soziologie? Grundfragen der Soziologie. Beltz Juventa (Weinheim und Basel).
Fischer, J., Kosellek, T. (Hrsg.) (2019). Netzwerke und Soziale Arbeit. Theorien, Methoden, Anwendungen. 2. Auflage. Beltz Juventa (Weinheim und Basel).
Widmer, E. (2010). Family Configurations. A Structural Approach to Family Diversity. Ashgate Publishing (London).
Rezension von
Lukas Fellmann
M.A. Soziale Arbeit;
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Zitiervorschlag
Lukas Fellmann. Rezension vom 17.10.2023 zu:
Christian Schwarzloos: Soziale Netzwerkbeziehungen in der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Familien. Eine Untersuchung am Beispiel der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
ISBN 978-3-7799-7200-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30077.php, Datum des Zugriffs 11.12.2023.
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