Harald Pühl, Klaus Obermeyer: Die innere und äußere Triade
Rezensiert von Farina Eggert, 11.12.2024
Harald Pühl, Klaus Obermeyer: Die innere und äußere Triade. Beratungshaltung im Spiegel der persönlichen Biografie.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2022.
121 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3210-2.
D: 18,90 EUR,
A: 19,50 EUR.
Reihe: Therapie & Beratung.
Thema
„Die innere und äußere Triade: Beratungshaltung im Spiegel der persönlichen Biografie“ von Harald Pühl behandelt die Reflexion und Anwendung der Triangulierung in der Beratung. Dabei geht es darum, wie triadische (dreiecksförmige) Beziehungen – sowohl in der inneren, persönlichen Erfahrung als auch in äußeren Beratungskontexten – genutzt werden können, um Beratung wirkungsvoller und entwicklungsorientierter zu gestalten.
Autor
Harald Pühl ist freiberuflich als Coach, Mediator und Supervisor tätig. Darüber hinaus lehrt er an verschiedenen deutschen sowie österreichischen Hochschulen und leitet das Institut „Triangel für Supervision, Organisationsberatung und Mediation“ in Berlin und Hamburg.
Entstehungshintergrund
Harald Pühl verfasste das Buch mit dem Ziel, die Bedeutung triadischer Beziehungen in Beratungssystemen zu beleuchten. Bereits seit den 1980er Jahren beschäftigt ihn dieses Thema, aber erst durch die intensive Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biografie ist ihm die Umfänglichkeit und Relevanz der Triangulation für die professionelle Praxis deutlich geworden. Das entstandene Buch kann als Ganzes gelesen oder auch nur in Form der Theorieanteile bearbeitet werden. Die biografischen Anmerkungen regen (lediglich) zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema an.
Aufbau
Das Buch ist in mehrere Kapitel unterteilt, die sowohl theoretische als auch biografische Aspekte der Triangulierung in Beratungskontexten behandeln. Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis ist auf der Website der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) verfügbar.
Der Aufbau zeigt, dass das Buch eine Mischung aus theoretischen Konzepten und persönlichen Erfahrungen bietet, um die Bedeutung der Triangulierung in Beratungskontexten zu beleuchten.
Inhalt
Da sich Biografien in der Regel schlecht bewerten und diskutieren lassen, konzentriert sich die nachfolgende Inhaltsdarstellung auf die Theorieaspekte des Titels.
Pühl führt in der Einleitung in das Thema ein und erläutert die Bedeutung triadischer Beziehungen in Beratungssystemen. Er betont die Notwendigkeit, in Dreiecksbeziehungen zu denken und zu handeln, um Entwicklungen in Organisationen zu fördern.
In dem Kapitel „Die Dreiheit in der Einheit“ führt der Autor in die Bedeutung der Zahl „3“ ein, die er kulturell tief verankert betrachtet und sowohl in der Religion (Dreieinigkeit) als auch Psychologie verortet.
Im Kapitel „Dreiecksgeschichten nehmen irgendwo ihren Anfang“ teilt der Autor persönliche Erfahrungen und Geschichten, die den Ursprung von Dreiecksbeziehungen in seinem Leben und deren Auswirkungen auf seine Beratungshaltung beleuchten. Er beschreibt dabei nicht nur Geschichten, die er mit seinen zwei Freunden, seinen Eltern oder Großeltern erlebt hat, sondern geht auch über in die Psychologie und zeigt Verbindungen seiner Geschichte zum Strukturmodell von Freud auf – bei dem es stets um Dreieinigkeit von Es, Ich und Über-Ich geht. Weiter führt er nachfolgend den Ödipuskomplex und das vorhergegangene Konzept zum „Das Ich und das Es“ aus.
In Pühls Arbeit „Angst in Gruppen und Institutionen“ (Pühl 2017) versucht er nachzuweisen, dass diese Ödipustheorie aus psychologischer Sicht nicht länger haltbar ist. Er begründet es mit dem Zeitpunkt des Erscheinens der Theorie, nämlich zurzeit größerer kultureller und sozialer Umwälzungen. Man müsse eher davon ausgehen, dass die Menschheit erst durch die Entwicklung gruppenbezogener Fähigkeiten überlebensfähig war. Lange Zeit erhielten die Menschen über ein Clan-Ich und ein Clan-Gewissen eine gruppenbezogene Orientierung und Steuerung. Erst mit der Sesshaftigkeit zum Ende der Umwälzungsprozesse differenzierten die Menschen in ihren Gemeinschaftsstrukturen zunehmend (S. 22 ff.).
In Anlehnung an den Ödipuskomplex beschreibt Pühl die Möglichkeit von Ersatzpartnerschaften. Er greift die Forschung von Thea Bauriedl auf, die die Dreiecksbeziehung von Mutter, Vater und Kind analysierte und herausstellte, dass wir immer als sogenannte Dritte geboren werden. Die Beziehung bestehe demnach stets aus zwei Teilen, dem ein drittes Teil hinzugefügt wird. Das führt zu dynamischen Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen des Systems. Damit einhergehend sei immer die Angst des jeweiligen Dritten vor Verlust und Ausstoßung. Pühl beschreibt dieses Phänomen als „triadische Grundangst“ (Pühl 1998), die im Unterbewusstsein verankert sei und sich durch frühe und verlässliche „Zwei-gegen-eins“-Beziehungen entwickelt habe.
Diese triadischen Beziehungen finden sich jedoch nicht nur in Familien wieder, sondern auch in Organisationen, Unternehmen oder im Kontext von Berater:in, Klient:in und Auftraggeber:in. Ebenso jedoch auch im Beratungskontext: So können zwei Parteien im Beratenden den verbündeten Partner suchen/​finden, um mit ihm/ihr zu versuchen, eine Allianz zu bilden.
Auf der anderen Seite besteht auch bei Berater:innen eine Angst vor Ausstoßung als Drittes Glied in dem System. Das hätte unter anderem auch ökonomische Auswirkungen, wie beispielsweise die Auflösung des Beratungsvertrags.
In „Schöne neue Welt – im Maxwald“ beschreibt Pühl eine prägende Phase seines Lebens im Maxwald, die rein biografischer Natur ist und auf die Zerrissenheit in einem triadischen System hindeutet.
Pühl analysiert im Kapitel „Zur organisationalen Triangulierung“ die Anwendung des Triadenkonzepts innerhalb von Organisationen und wie es die Dynamik und Entwicklung beeinflusst. Er beschreibt hier das Phänomen der „triangulären Übertragungsmuster“, wenn beispielsweise zerstrittene Teams zur Supervision kommen. Der hier „Dritte“ kann dann der/die Supervisor:in sein, der/die hilft, die Beziehung maßgeblich zu verbessern. Wichtig sei hier, sich die eigene biografische Erfahrung mit Triangulation zu vergegenwärtigen, da sie den professionellen Beratungsprozess maßgeblich beeinflussen kann.
Dass die Schule als prägende Organisationserfahrung verstanden wird, erörtert Pühl im gleichnamigen Kapitel. Er reflektiert dabei über seine Schulzeit und zeigt auf, wie der Eintritt in diese Institution als Organisationen Dreiecksbeziehungen formen und prägen. Er versucht hier den Übergang zum Eintritt eine:r Berater:in in Organisationen zu vollziehen und geht später auf die Pendelbewegung zwischen eigener und fremder Kultur nach Ottmeyer (1987) ein. Der Vergleich einer Beratung zur Ethnopsychoanalyse falle ihm dabei leicht, denn das Fremde einer Organisation zu verstehen, heiße ebenso auch, das Fremde der eigenen Person zu verstehen: „Man sollte sich der eigenen sozialen Herkunft, der eigenen Perspektivität und des eigenen gesellschaftlichen Status bewusst sein, um seine Gegenübertragungsreaktionen für die Diagnostik und Intervention in fremden Organisationskulturen nutzen zu können“ (S. 45) („Gegenübertragung“ nach Freud 1912). Dazu gehöre laut Pühl auch der Umgang mit Angst. Mit Beispielen aus beruflicher Erfahrung zeigt er Möglichkeiten zur Reflexion oder auch offenen Ansprache dieser Angst im jeweiligen Kontext auf.
Im Kapitel „Der/Die Berater:in als Teil einer organisationalen Dreiecksbeziehung“ wird die Rolle des/der Berater:in innerhalb von Dreiecksbeziehungen in Organisationen diskutiert, einschließlich der Herausforderungen und Chancen, die sich daraus ergeben. So vermutet er beispielsweise, dass es zur professionellen Kompetenz der/des Berater:in gehört, sich seinen/​ihren versteckten und offenen Aufträgen und Positionen bewusst zu sein. Dabei sei es unabhängig, um welche Form der Beratung es sich handele, denn es läge in der Natur der Sache, dass der/die Berater:in stets in den Genuss eines Koalitions- und Verbindungsangebots gerate.
Bei Organisationen unterscheide Pühl nochmals in offene und innere Triaden. Die äußere Triade zeichnet sich durch den sogenannten Dreieckskontakt aus, der beispielsweise bei einer Team-Supervision aus Team, Berater:in und Leitung bestehe (S. 54). Die Beziehung in diesem Dreieck besteht zur Leitung und zum Team. Dass die Beziehung zur Leitung hierbei häufiger vernachlässigt werde, sieht er in der triadischen Grundangst der/des Berater:in begründet. Wenn jedoch die Leitung in die Organisationsmatrix nicht einbezogen werde, verändere sich diese zu einer Gruppenmatrix. „Wo keine Resonanz stattfindet und die Mitarbeiter:innen emotional verhungern, verhungern ihre Führungskräfte ebenso“ (S. 55). Eine Supervision ohne Leitung kann demnach eher als Teambuilding verstanden werden – oder als Resonanzhafen. Ihr Auftanken oder auch die Möglichkeit zur Veränderung erfährt hier ihre Begrenztheit.
Nachfolgend thematisiert Pühl anhand kleiner Beispiele die Ängste und Widerstände, die mit der Arbeit in triadischen Beziehungen verbunden sein können, und bietet Strategien zu deren Überwindung.
So erörtert er beispielsweise die Relevanz der Arbeitsaufgaben, die ebenso auch als Drittes verstanden werden. Häufig, so Pühl, handele es sich bei Teamkonflikten um Beziehungskonflikte, die das Dritte (hier: Den Arbeitsbezug) verloren haben. Hier müsste schlussfolgernd der/die Berater:in den Kontext wieder miteinbeziehen. Wichtig sei dies nicht zuletzt auch deshalb, da das Dritte in solchen Konstellationen auch die Arbeitsaufgabe beinhalte und diese direkt mit dem Auftrag verknüpft sei. Das könne auch darin münden, die Konfliktparteien auf ihre jeweiligen Rollen im System hinzuweisen.
Pühl erörtert in „Über die Kunst des Loslassens“ die Bedeutung des Loslassens in Beratungsprozessen und wie es zur Förderung von Entwicklung und Veränderung beiträgt. Er bezieht sich dabei auf die „Theorie U“ (Otto Scharmer 2015), welche auf der Idee fußt, dass „Zukunft erst dann sinnvoll gestaltet werden kann, wenn wir,Denken, Herz und Willen öffnen‘“ (S. 75). Mit der Veränderung müsse demnach auch ein Loslassen alter Muster verbunden sein. Eine Veränderung sei nur mit einer sogenannten Gegenwärtigkeit (Presencing) möglich. Bezogen auf das Beratungshandeln bedeutet dies: „Halten wir dem Druck unseres Klientels nach schnellen Lösungen nicht liebevoll stand, entgeht uns der Schatz einer tieferen Erkenntnis“ (S. 75).
In Bewegungslust in Präsenz betont der Autor die Wichtigkeit von Präsenz und Flexibilität in der Beratung, um Bewegungsfreiheit und Kreativität zu ermöglichen. Mit der Präsenz meint Pühl vor allem den Kontakt zu sich selbst und zum Kunden. Bezogen auf Beratungssituationen kann sich dies darin zeigen, dass der einmal eingeschlagene Weg mit den Klient:innen nicht verlassen wird, obwohl Indizien vermehrt darauf hindeuten, neue Wege zu begehen. Es ist also in einem Muster festgefahren und entzieht sich jeglicher Flexibilität. Der Verlust von Präsenz und Flexibilität führt nicht nur zum Scheitern der Beratung, sondern auch zur Entwertung der eigenen Arbeit.
Pühl untersucht im Kapitel „Scham und das »Auge des Dorfes«“ die Rolle von Scham und sozialer Beobachtung in persönlichen und professionellen Kontexten und deren möglichen Einfluss auf die Beratung. Er stellt dabei heraus, dass Scham ein wichtiger Bestandteil einer wirksamen Beratung ist. Berater:innen haben hierbei die Rolle der „Schammanager:innen“, indem sie eine Sprache wählen, die Anerkennung und Fehlerfreundlichkeit vermittele.
In dem Kapitel „Kulturschock – der zweite“ reflektiert der Autor anhand seiner biografischen Erfahrungen über kulturelle Anpassungsprozesse und deren Auswirkungen auf die persönliche Identität und Beratungshaltung.
Das Kapitel „Heimatsuche“ bildet das versöhnliche Ende des Buches und die Abrundung der biografischen Schilderungen.
Im Nachwort von Klaus Obermeyer werden zusätzliche Perspektiven und Reflexionen zum Thema des Buches und der Biografie Pühls aufgezeigt. Er fasst treffend zusammen: In dem Buch „geht es weniger um Exaktheit als um atmosphärisches Eintauchen in Szenen, deren Zeug:innen wir werden.“ (S. 118).
Diskussion
In seinem Werk untersucht Pühl die Bedeutung triadischer Beziehungen in Beratungssystemen. Er betont, wie wichtig es ist, in Dreiecksbeziehungen zu denken und zu handeln, ohne sich in Bündnisse zu verstricken, da solche Bündnisse oft die Entwicklung in Organisationen behindern. Durch Präsenz in der Beratung und den Mut, die Position des Dritten einzunehmen, können Räume für Entfaltung geschaffen und Fortschritte ermöglicht werden.
Pühl verbindet dabei seine persönliche Biografie mit der Theorie und Praxis der inneren und äußeren Triangulierung. Er zeigt auf, dass das Verstehen eigener Erfahrungen von Ausschluss und Einbindung den Weg zur Triangulierung eröffnet und somit zu Bewegungsfreiheit und Leidenschaft in der Beratung führt. Hinsichtlich der theoretischen Konzepte bezieht er sich auf Pühl selbst sowie auch auf Harmut Rosa, Michael Buchholz, Sigmund Freud u.v.m.
Damit zeigt er eine breite Spannweite unterschiedlicher Ansätze, Theorien und methodischen Konzepte auf, die von den evolutionären Umbrüchen Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute reichen. Er ist dabei nicht verlegen, alte Konzepte zu hinterfragen oder auch ggf. mithilfe seiner Erkenntnisse zu optimieren – und stets dabei im Blick bleibt das professionelle Beratungshandeln.
Das Buch möchte Beratern und Berater:innen helfen, ihre Rolle besser zu verstehen, ihre Beratungskompetenzen zu erweitern und systemische Dynamiken zu erkennen. Es verknüpft theoretische Modelle mit der Praxis, um nachhaltige Veränderungsprozesse zu unterstützen – sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene.
Wenngleich es manchmal schwerfällt, zwischen biografischen (spannenden) Ausflügen wieder den Bogen zur Theorie zu spannen, so bleibt das Buch gerade aufgrund dieser kleinen Ausflüge lebendig und abwechslungsreich. Es verdeutlicht zudem, dass beraterisches Handeln untrennbar mit der eigenen Biografie verbunden ist. Zweifelsfrei sollte es nicht als Handbuch verstanden und gelesen werden; vielmehr ist es eine persönliche und biografische Reise zusammen mit Pühl zu seiner Beratungshaltung. Mit seiner klaren Verbindung zwischen innerer Reflexion und äußerer Beratungspraxis gibt das Werk wertvolle Impulse für Berater:innen, Coaches und Führungskräfte, die eine systemische Perspektive einnehmen möchten.
Fazit
Mit einer gelungenen Verknüpfung von Theorie, Praxis und persönlichen Erfahrungen bietet das Buch einen inspirierenden Leitfaden für Berater:innen, die nachhaltige Veränderungen durch eine bewusste Beratungshaltung ermöglichen wollen. Es richtet sich dabei an alle, die ihre professionelle Rolle im systemischen Kontext besser verstehen und erweitern möchten.
Rezension von
Farina Eggert
Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (B.A; M.A), Systemische Beraterin (DGSF), Promovendin an der FSU Jena
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Es gibt 9 Rezensionen von Farina Eggert.
Zitiervorschlag
Farina Eggert. Rezension vom 11.12.2024 zu:
Harald Pühl, Klaus Obermeyer: Die innere und äußere Triade. Beratungshaltung im Spiegel der persönlichen Biografie. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2022.
ISBN 978-3-8379-3210-2.
Reihe: Therapie & Beratung.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30086.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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