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Hans Zulliger (Hrsg.): Das magische Denken des Kindes

Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam, 23.03.2023

Cover Hans Zulliger (Hrsg.): Das magische Denken des Kindes ISBN 978-3-8379-3197-6

Hans Zulliger (Hrsg.): Das magische Denken des Kindes. Beiträge zur Psychoanalytischen Pädagogik und Kinderpsychotherapie. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. 304 Seiten. ISBN 978-3-8379-3197-6. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.
Reihe: Psychoanalytische Pädagogik.

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Thema

Dieses Buch ist eine Sammlung von 16 Texten von Hans Zulliger, die von Reinhard Fatke herausgegeben und in einem Editionsbericht von ihm kommentiert werden. Diese Texte umfassen u.a. grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Pädagogik, eine biographische Beschreibung Zulligers Weg in die Kinderpsychotherapie, verschiedene Fallbeschreibungen sowie Abhandlungen zu kindlichen Ängsten und der kindlichen Gewissensbildung. Umrahmt werden diese Texte von Reinhard Fatkes Einführung in Zulligers Werk und seinem nachgeordneten Editionsbericht, in dem die Texte nochmal im Einzelnen kommentiert werden.

Autor und Entstehungshintergrund

Hans Zulliger, so schreibt es Reinhard Fatke in seiner Einführung, zählte im 20. Jahrhundert zu den meist gelesenen deutschsprachigen Kinderpsychotherapeuten. Trotz seiner Bekanntheit arbeitete er zeitlebens als Volksschullehrer in einem kleinen Schweizer Dorf in der Nähe von Bern. Er fiel laut Fatke zum einen durch seine unpolitische Haltung sowie auch durch sein mangelndes Interesse eine eigene therapeutische Schule zu begründen auf und wird auch wohl heute deshalb weniger rezipiert als andere bedeutende Vertreter und Vertreterinnen der psychoanalytischen Pädagogik wie z.B. Fritz Redl oder August Aichhorn. Reinhard Fatke, der die Texte ausgewählt, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen hat, ist emeritierter Professor für Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Sozialpädagogik an der Universität Zürich.

Aufbau

Das Buch umfasst insgesamt 16 Texte von Hans Zulliger, die von einer Einführung und einem Editionsbericht von Reinhard Fatke gerahmt werden und die – so ist es in dem abschließenden Editionsbericht beschrieben – „in der Regel den Veröffentlichungen zu Lebzeiten Zulligers bzw. den Typoskripten aus dem Nachlass“ (293) folgend wiedergegeben werden. Der erste Text nennt sich „Mein Curriculum Vitae“, es folgen Texte zur „Psychoanalyse und Kinderpsychotherapie“ (4), „Das produktive Kinderspiel in der psychotherapeutischen Praxis“ (7), „Der Abenteurer-Schundroman“(11), „die Angst des Kindes“ (14) und schließt mit einem Text „Über eine Lücke in der psychoanalytischen Pädagogik“ (16).

Inhalt

In der Einführung zu den Texten Zulligers beschreibt Reinhard Fatke, dass Hans Zulliger aus zwei Gründen der Entwicklung der Kinderpsychotherapie besondere Dienste erwies. Zum einen entwickelte er einen eigenständigen Ansatz, der sich als „deutungsfreie Kinderpsychotherapie“ bezeichnen lässt und zum anderen machte er durch seine besondere Art der anschaulichen und plastischen Falldarstellungen „die Psychoanalyse für die Pädagogik fruchtbar“ (7).

Dadurch, dass Zulliger sein Leben lang als Volksschullehrer tätig war, konnte er sehr konkret ausführen, inwiefern ein Lehrer ein psychoanalytisches Verständnis nutzen konnte um pädagogisch wirksam zu agieren: „Er muss die Schüler vor eine gemeinsame Not stellen, an der er auch selber teilnimmt, der er unterworfen ist und die er, zusammen mit den Kindern zu bewältigen sucht“ (54).

Zulliger wirbt in seinen Texten für eine gütige und verstehende Pädagogik, die davon getragen ist, den entwicklungsbedingt eigenen Ausdrucksformen von Bedürfnissen Raum zu geben und trotzdem Leistungen abzufordern. Der Ansatz der deutungsfreien Spieltherapie, der auch in den verschiedenen Fallbeispielen von Zulliger selbst sehr prägnant und eindrücklich beschrieben wird, besteht vor allem darin, dass er sich aktiv in das Spiel der Kinder einbinden ließ und sich zudem auf deren besondere Art des magischen Denkens einließ, was weder Anna Freud noch Melanie Klein auf diese Weise taten: „Wer Kinderpsychotherapie betreiben will, hat besonders nötig, das Auffassen, die Denkweise, die ‚Sprache‘ der Kinder zu verstehen, denn sonst kommt er nie ganz nahe an die Kleinen heran“ (109), schreibt Zulliger in seinem sechsten Text „Das magische Denken des Kindes als theoretische Begründung der deutungsfreien Spielanalyse“.

Interessante Überlegungen finden sich in Zulligers Darstellungen von „Spaziergeh-Behandlungen“ mit Jugendlichen, bei denen Zulliger seine sehr aktive und zugehende Haltung in Bezug auf die Jugendlichen beschreibt, die in der Unterstützung von deren Selbstwirksamkeitserleben durchaus modern wirken. In seinen Ausführungen zum Abenteuer-Schundroman macht Zulliger deutlich, dass dieses zu seiner Zeit geächtete Medium – vergleichbar vielleicht mit der heute verbreiteten Ablehnung von sog. „Ballerspielen“ – durchaus eine Funktion haben und der Bewältigung bestimmter Ängste dienen könne und somit ihm ein damals viel diskutiertes Verbot als nicht unbedingt sinnvoll erschien.

Unterschiedliche Formen der Bewältigung kindlicher Ängste werden auch in dem Text „Die Angst des Kindes“ dargestellt, wobei auch hier deutlich wird, dass Zulliger sehr stark die kindliche Perspektive einnimmt und so die Bedrohlichkeit und die Schwere kindlicher Ängste eindrücklich geschildert werden.

In dem letzten Text „Über eine Lücke in der psychoanalytischen Pädagogik“ arbeitet sich Zulliger gleichsam an den Limitationen dieses Ansatzes ab und hebt hervor, dass viele erzieherische Interaktionen nicht in einem Einzel-, sondern in einem Gruppensetting stattfänden und somit eine größere Aufmerksamkeit auf das Verständnis gruppendynamischer Prozesse gelegt werden müsse.

Diskussion

Die von Reinhard Fatke herausgegebene und kommentierte Sammlung von Texten des heute vergleichsweise wenig rezipierten bedeutenden Kinderpsychotherapeuten und psychoanalytischen Pädagogen Hans Zulliger gibt einen sehr interessanten Einblick in dessen tiefes und auch sehr kindgerechtes Verständnis von den besonderen entwicklungsbedingten Eigenheiten kindlichen Denkens. Die Falldarstellungen lesen sich einerseits sehr anschaulich, andererseits sind sie in einem für heutige Verhältnisse sehr altbackenen und betulichen Stil verfasst, an den man sich als Leser:in durchaus gewöhnen muss. Wenn diese Leseadaptation gelungen ist, lesen sich viele Texte ausgesprochen unterhaltsam und lehrreich. 

Fazit

Insgesamt handelt es sich nicht nur um ein historisch sehr interessantes Fachbuch, sondern auch um eines, dass für Menschen und Fachkräfte, die in pädagogischen und psychosozialen Kontexten mit Kindern arbeiten, wertvolle fachliche Einsichten in die Mechanismen kindlichen Denkens und Handelns bereithält.

Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam
Professorin für Psychologie, Beratung, Psychotherapie an der Hochschule Neubrandenburg, E-Mail braeutigam@hs-nb.de; Homepage: http://www.hs-nb.de/ppages/braeutigam/
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Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Bräutigam.

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Zitiervorschlag
Barbara Bräutigam. Rezension vom 23.03.2023 zu: Hans Zulliger (Hrsg.): Das magische Denken des Kindes. Beiträge zur Psychoanalytischen Pädagogik und Kinderpsychotherapie. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. ISBN 978-3-8379-3197-6. Reihe: Psychoanalytische Pädagogik. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30087.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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