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Agathe Israel, Cecilia Enriquez de Salamanca (Hrsg.): Wie eine Säuglingsbeobachtung beginnt

Rezensiert von Prof. Dr. Klaudia Winkler, 09.10.2024

Cover Agathe Israel, Cecilia Enriquez de Salamanca (Hrsg.): Wie eine Säuglingsbeobachtung beginnt ISBN 978-3-8379-3199-0

Agathe Israel, Cecilia Enriquez de Salamanca (Hrsg.): Wie eine Säuglingsbeobachtung beginnt. Bewusste und unbewusste Motive werdender Eltern. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2022. 98 Seiten. ISBN 978-3-8379-3199-0. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Reihe: Jahrbuch für teilnehmende Säuglings- und Kleinkindbeobachtung.

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Thema

Eine teilnehmende Beobachtung von Säuglingen während der ersten beiden Lebensjahre (nach Esther Bick) muss zu Beginn der Ausbildung zur*zum Analytischen Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeut*in am „Institut für Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie – Esther Bick – (IaKJP)“ durchgeführt werden. Sie zielt darauf ab, angehenden Psychotherapeut*innen tiefgreifende Einblicke in die psychische Entwicklung des Babys und die sich entwickelnden Eltern-Kind-Dynamiken zu vermitteln. Jede*r Ausbildungskandidat*in ist gefordert, eine Familie zu finden, die bereit ist, ihr Kind, während der ersten beiden Lebensjahre regelmäßig beobachten zu lassen, auch wenn das für die Familie mit keinem unmittelbaren Nutzen verbunden ist. Im vorliegenden 2. Band des Jahrbuchs für teilnehmende Säuglings- und Kleinkindbeobachtung (2022) steht daher – nicht zu Unrecht – die Frage im Mittelpunkt, was Eltern dazu bringt, bereits vor der Geburt ihres Kindes (!) die Zustimmung zur teilnehmenden Beobachtung zu erteilen. In weiteren Kapiteln werden psychodynamische Methoden zur Analyse der Gedächtnisprotokolle zu diesen Beobachtungen erläutert. Der Bericht über eine abgeschlossene Säuglingsbeobachtung gibt Einblicke in die Entwicklungsdynamik eines Säuglings/​Kleinkindes während der ersten beiden Lebensjahre, nimmt aber auch das Befinden der Mutter während der verschiedenen Entwicklungsphasen in den Blick.

Herausgeber:innen

Dr.med. Agathe Israel ist Fachärztin für psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie/​Neurologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychoanalytikerin für Erwachsene, Kinder- und Jugendliche (VAKJP), Lehranalytikerin (DGPT) und Supervisorin sowie Dozentin am Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie – Esther Bick in Berlin.

Cecilia Enrique de Salamanca ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse für Kinder und Jugendliche sowie Dozentin und Supervisorin am Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen – Psychotherapie – Esther Bick in Berlin.

Entstehungshintergrund

Das seit 2021 jährlich erscheinende Jahrbuch für teilnehmende Säuglings- und Kleinkindbeobachtung (2021, 2022, 2023) greift jeweils einen Aspekt der Methode „Teilnehmende Säuglingsbeobachtung nach Esther Bick“ auf.

Im ersten Band (2021) steht die Rolle der Ausbildungskandidat*innen als beobachtendes und beobachtetes Objekt im Mittelpunkt. Frühe emotionale Kommunikationsformen und Affekte im triadischen System der Familie werden reflektiert. Im dritten Band (2023) liegt der Fokus auf den Spuren, die Pränatalzeit und Geburtsverlauf in den ersten beiden Lebensjahren hinterlassen haben. Im, der Rezension zugrunde liegenden, zweiten Band (2022) stehen bewusste und unbewusste Motive von Eltern, die einer teilnehmenden Beobachtung ihres Kindes während der ersten beiden Lebensjahre durch eine*n Ausbildungskandidat*in zustimmen, sowie deren Erfassung im Vordergrund.

Inhalt

Im ersten Kapitel „Vom Wollen und Brauchen. Bewusste und unbewusste Motive zu Beginn einer Säuglingsbeobachtung“ referiert Cecilia Enriquez de Salamanca eigene Untersuchungsergebnisse zur Frage, was Eltern motivieren könnte, einer teilnehmenden Beobachtung während der ersten beiden Lebensjahre ihres Babys zuzustimmen (S. 15 ff), von der sie nicht unmittelbar profitieren, da die Beobachter*innen, die in diesem Setting einer abstinenten Haltung verpflichtet sind, weder Beratung anbieten noch Fragen der Eltern zur Entwicklung des Kindes beantworten können. Um dieser Frage nachzugehen, wurden zunächst zehn Gedächtnisprotokolle einer ersten Begegnung zwischen den werdenden Eltern und der potentiellen Beobachter*in mittels hermeneutischer Textanalyse, szenischem Verstehen sowie auf Basis der psychoanalytischen Objekt -Beziehungstheorie ausgewertet. Es zeigte sich, dass Eltern, die sich von den Beobachter*innen Unterstützung im Alltag, sei es als Therapeuten*innen, Berater*innen oder Kontrollpersonen wünschten, meist keine Zustimmung zur regelmäßigen Beobachtung ihrer Kinder gaben. Dieser Wunsch nach Beratung, Kontrolle und Unterstützung bei alltäglichen Fragen wird als Hinweis auf besondere Ängstlichkeit und Unsicherheit gedeutet. Zustimmung zur teilnehmenden Beobachtung kommt – so die Autorin – vorrangig von Eltern, die offen für einen Wandel ihrer inneren und äußeren Realität nach der Geburt des Babys sind, die offen dafür sind neue Fähigkeiten zu erproben und kennen zu lernen (S. 42). Konkret: Eltern, die der Beobachtung zustimmen, ahnen, dass es eine/einen andere*n relevante*n Andere*n gibt, der*die „brauchbar für sie ist, sie in ihrer Transformation in die Elternschaft zu begleiten“ (S. 44); sie können, so die Autorin, als „ich-stark“ (S. 11) bezeichnet werden.

In Kapitel zwei Szenisches Verstehen der Erstbegegnung stellt Rose Ahlheim – auch sie ist als analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am IaKJPEsther Bick tätig – mit dem szenischen Verstehen eine Methode der Textanalyse vor, die ergänzend zur hermeneutischen Textanalyse der Gedächtnisprotokolle eingesetzt werden kann. Die psychoanalytische Szene als gemeinsam gestaltete Interaktion zwischen Analytiker*in und Analysand*in wird wahrgenommen und auf ihre Bedeutung hin befragt. Rose Ahlheim arbeitet an den Gedächtnisprotokollen, sie berücksichtigt auch szenische Mitteilungen, die außeranalytisch erhoben wurden, Ausschnitte aus den Gedächtnisprotokollen der Beobachter*in werden mittels dieser Methode analysiert.

Im dritten Kapitel „Lilly- eine Säuglingsbeobachtung. Die Beobachterin als erwünschte und bekämpfte Dritte“ stellt Nina Maschke die zwei Jahre dauernde Säuglingsbeobachtung vor, mit der sie ihre Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am IaKJPEsther Bick abgeschlossen hat. Anhand von Auszügen aus Gedächtnisprotokollen und Ergebnissen der Diskussionen in der Supervisionsgruppe stellt sie ihr eigenes Handeln als Beobachter*in zu Beginn der Ausbildung sowie die Dynamik in Lillys Familie dar. Während des zweijährigen Beobachtungszeitraums stehen die körperliche und psychische Reifung von Lilly, aber auch die Herausforderungen, die diese Elternschaft – Lilly ist das zweitgeborene Kind – für ihre Eltern bedeutet, im Mittelpunkt. Die Gedächtnisprotokolle und deren Analysen in der Supervisionsgruppe geben nicht nur Einblick in die individuelle Entwicklungsgeschichte von Lilly, sondern auch in innere Prozesse und Dynamiken von Lillys Mutter.

In Kapitel fünf „Die Besonderheit der Beobachtungsgruppen“ greift Agathe Israel die Besonderheiten der Infant Observation (IO)-Arbeitsgruppe als beobachtungsbegleitende Supervisionsgruppe auf. Supervisionsgruppen lernen aus Erfahrung, sie durchleben eine gemeinsame Entwicklung, die Gruppe fungiert als Container für das Beobachtungsmaterial und die damit verbundenen Fühl- und Denkvorgänge (S. 12). Ihr Lernprozess erfolgt mittels protokollierter Beobachtungen, die der*die Beobachter*in der Gruppe vorstellt, entlang der Entwicklung des Babys. In der Gruppe wirken psychodynamische Prozesse, diese nehmen auf die Entwicklung der Gruppe als Ganzes Einfluss. Der*die Leiter*in unterstützt die Gruppe, sorgt dafür, dass diese alle Aspekte und Fantasien integrieren und formulieren kann. Unbewusste emotionale Prozesse prägen die Arbeit der IO-Gruppen, die Beziehung der Gruppe zum*zur Leiter*in und die emotionale Gruppenmentalität.

Diskussion

Rezensiert wird Teil 2 des aktuell drei-bändigen Jahrbuchs für teilnehmende Säuglingsbeobachtung nach Esther Bick, eine Aufsatzsammlung, die jährlich unterschiedliche Aspekte der Arbeit am Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie – Esther Bick, Berlin, in den Mittelpunkt stellt. Die von Esther Bick (Kinderanalytikerin, 1902–1983) entwickelte teilnehmende Säuglingsbeobachtung soll über diese Veröffentlichungen einer breiteren – nicht unbedingt fachlich einschlägigen – Leser*innenschaft zugänglich gemacht werden. Das Hauptthema des vorliegenden Bandes des Jahrbuchs – die Frage nach bewussten und unbewussten Motiven werdender Eltern einer Säuglingsbeobachtung zuzustimmen – wird allerdings nur in den Beiträgen von Cecilia Enriquez de Salamanca und Rose Ahlheim aufgegriffen. Die Motivlagen der Eltern bleiben etwas im Ungefähren; unbeantwortet bleibt die Frage, nach welchen Kriterien die Auswahl der zehn in die Auswertung einbezogenen Gesprächsprotokolle erfolgte und inwiefern diese als aussagekräftig und typisch für die angesprochene Zielgruppe gelten können. Ergänzt werden diese Beiträge durch die Vorstellung einer Säuglingsbeobachtung, durchgeführt von einer Absolventin des Instituts. Abschließend geht Agathe Israel in ihrem Beitrag auf Besonderheiten der Beobachtungsgruppen ein und richtet sich hier vorrangig an aktive bzw. künftige Gruppenleiter*innen dieser Arbeitsgruppen. Die Herausgeber*innen und Autor*innen setzen Kenntnisse psychodynamischer Therapieansätze und Arbeitsweisen bei der*dem Leser*in voraus. Daher ist der Nutzen, den dieses Jahrbuch für alle, die nicht unmittelbar analytisch/​psychodynamisch arbeiten, stark eingeschränkt bzw. nicht vorhanden. Als Zielgruppe kommen daher lediglich (aktive oder zukünftige) Ausbildungskandidaten*innen in Frage, die sich in der Ausbildung zu*r Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in in einem psychodynamischen Verfahren befinden.

Fazit

Im zweiten Band des Jahrbuches für teilnehmende Säuglings- und Kleinkindbeobachtung steht die Frage nach der elterlichen Motivation, eine Beobachtung des eigenen Säuglings über den Zeitraum von zwei Jahren zu gestatten, im Mittelpunkt. Hintergründe dieses psychodynamischen Ansatzes und der verwendeten Methode werden nicht erläutert, Begriffe werden nicht eingeführt bzw. als geklärt vorausgesetzt. Als Zielgruppe kommen daher lediglich (aktive oder zukünftige) Ausbildungskandidaten*innen in Frage, die sich in der Ausbildung zu*r Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in in einem psychodynamischen Verfahren befinden.

Rezension von
Prof. Dr. Klaudia Winkler
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Fakultät für Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften, Lehrgebiete Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie
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Es gibt 23 Rezensionen von Klaudia Winkler.

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ISSN 2190-9245