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Ramona C. M. Hummel: Wie schmerzhafte Erfahrungen Biografien prägen

Rezensiert von Dr. Olga Frik, 03.04.2024

Cover Ramona C. M. Hummel: Wie schmerzhafte Erfahrungen Biografien prägen ISBN 978-3-86321-628-3

Ramona C. M. Hummel: Wie schmerzhafte Erfahrungen Biografien prägen. Eine Studie zur Verletzlichkeit in der Behindertenhilfe. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2022. 276 Seiten. ISBN 978-3-86321-628-3. D: 40,00 EUR, A: 41,20 EUR, CH: 48,70 sFr.
Die Reihe "Ethik - Pflege - Politik" - Band 5.

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Allgemeine Charakterisierung des Buches

Die Autorin geht in ihrer Arbeit der Frage nach, welche Erfahrungsgeschichten Menschen im Kontext der Behindertenhilfe zum Phänomen Schmerz mit Blick auf die Begleitung am Lebensende erzählen. Im Fokus stehen biografische Geschichten, die Menschen aus dem Feld der Behindertenhilfe auf die Frage nach schmerzhaften Erfahrungen erzählt haben.

Von welchen prägenden Erfahrungen berichten Menschen, die mit Verletzlichkeit und Schmerz konfrontiert sind? Besonders in der Behindertenhilfe sind dies wiederkehrende Phänomene. Fünf Frauen aus diesem Bereich ließen Ramona C. M. Hummel an ihren persönlichen Schmerzerfahrungen teilhaben.

Mithilfe der Narrative-Inquiry-Methode macht die Autorin Erlebnisse sichtbar, kristallisiert zentrale Themen im Kontext individueller Lebenserfahrungen heraus und ordnet sie in den pflegewissenschaftlichen Diskurs ein. Dabei wird deutlich, wie qualitative und achtsame Begegnungen in der Behindertenhilfe gelingen können.

Es sind die Beziehungen, die den Zusammenhang von Schmerz, Behinderung und Gefühlen, u.a. von Angst und Wut, erklären. Das ist die zentrale Erkenntnis der Untersuchung von Ramona Hummel mittels der Methode der Narrative Inquiry. Die in Beziehungsgeschichten verpackten Schmerzerfahrungen im Lebenslauf von Menschen, die mit Behinderungen leben, und die damit verbundene Vulnerabilität eröffnet ein neues Forschungsfeld, nämlich tiefgehende Erkenntnisse über die Verletzungen derjenigen zu gewinnen, deren Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt sind.

Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Phänomen Schmerz mit Blick auf die Begleitung am Lebensende. Ramona Hummel hat die Methode der Narrative Inquiry (NI) wissenschaftlich kompetent und kunstvoll, im Sinne hochrangiger qualitativer Forschung, zur Anwendung gebracht. Mittels der Methode tauchen Leser:innen in biografische Geschichten ein. Sie basieren auf zahlreichen Gesprächen und letztlich dem In-Beziehung-Treten mit fünf Frauen aus der Behindertenhilfe. Ein zentraler Bestandteil der Narrative Inquiry ist es, in Beziehung zu treten. Und sobald ich mich dafür entscheide, bedeutet dies auch, eine Verpflichtung einzugehen, mit dieser Beziehung umzugehen, auch nach dem Abschluss einer Narrative Inquiry (vgl. S. 261).

Die Leitfragen für die biografische Untersuchung lauten: „Welche Rolle spielt Schmerz, spielen die schmerzhaften Erfahrungen in ihrem Leben? Welche Rolle spielen die mit Schmerzerfahrungen erlebten Geschichten in der palliativen Begleitung von Menschen, die mit Behinderung leben?“

Autorin

Ramona C. M. Hummel hat an der pflegewissenschaftlichen Fakultät der Vinzenz Pallotti University (vormals PTHV) promoviert. Sie ist Heilerziehungspflegerin, Diplom-Pflegewirtin und hat einen Masterabschluss in Pflege (Advanced Practice Nursing). Mit über fünfzehnjähriger Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Behindertenhilfe arbeitet sie aktuell als Ausbildungsleiterin für Heilerziehungspflege und Sozialpädagogik an einer Fachschule für Sozialwesen.

Aufbau und Inhalte

Die vorliegende Studie greift zentrale Aspekte auf, die für eine qualifizierte Betrachtung des Phänomens Schmerz mit Blick auf die Begleitung am Lebensende von Bedeutung sind. Das Buch gliedert sich in die folgenden sechs Abschnitte:

  • Kapitel 1 „Begegnungskontext – How to read this Narrative Inquiry“
  • Kapitel 2 „Narrative Beginnings – Begegnungsbeginn“;
  • Kapitel 3 „Narrative Inquiry – Begegnung mit einer Haltung“;
  • Kapitel 4 „Gelebte Perspektiven – erzählte Perspektivwechsel“;
  • Kapitel 5 „Narrative Threads“;
  • Kapitel 6 „Erzählen wir uns unsere Geschichten“;

Im Kapitel 1 („Begegnungskontext – How to read this Narrative Inquiry“) gibt die Autorin eine Einführung in die Thematik und einen Ausblick auf Inhalte und Aufbau ihrer Arbeit. In diesem Einleitungskapitel wird die Untersuchungsperspektive der Studie erläutert und in die Forschungslandschaft eingeordnet.

Im Kapitel 2 („Narrative Beginnings – Begegnungsbeginn“) wird der Forschungsstand aufgearbeitet. Hier werden die theoretischen Ausgangs- und Anknüpfungspunkte erläutert.

Die Autorin stellt die Autorin folgende Fragen:

  • Wie erleben Menschen mit Behinderung Schmerz? Schmerz, den sie nicht immer selbst erzählen können?
  • Welche Erfahrungen erzählen Menschen, die andere Menschen begleiten?
  • Wie wird Schmerz von Menschen im Kontext der Behindertenhilfe erlebt?
  • Was lässt sich daraus für die palliative Begleitung von älteren Menschen mit geistiger Behinderung auf dem letzten Lebensweg ableiten?

Ramona Hummel erzählt in diesem Kapitel einige Geschichte aus ihrem Leben, insbesondere geht es um ihre Uroma und Lukas.

Sie gibt einen Einblick in die Literatur, die für sie im gesamten Prozess leitend war. In der hier erwähnten Literatur werden Herausforderungen sichtbar, die nicht zuletzt Auswirkungen darauf haben können, die Verletzlichkeiten im Verlauf eines Lebens am Ende eines Lebens überhaupt wahrzunehmen.

Im Fokus des Kapitels 3 („Narrative Inquiry – Begegnung mit einer Haltung“) stehen neben der methodologischen Verortung die sogenannten Touchstones sowie in der Narrative Inquiry unerlässliche Prinzipien. Dabei sind diese Prinzipien mehr als Orientierungsrahmen denn als Prinzipien ethischen Ursprungs zu verstehen. Es wird auf das methodologische Fundament der Arbeit und auf das methodische Vorgehen eingegangen. Auf welchem methodologischen Fundament wird die Narrative Inquiry aufgebaut und mit welchen Menschen steht sie methodologisch in enger Verbindung?

Im Kapitel 4(„Gelebte Perspektiven – erzählte Perspektivwechsel“) werden die sogenannten Narrative Accounts erzählt. Dies sind Geschichten, die im Austausch mit Marie, Laura, Anna, Irene und Lieselotte auf Basis der transkribierten Gespräche sowie der Einträge und Notizen der Autorin im Forschungstagebuch entstanden sind. In diesem Fall sind dies Lebensausschnitte der Frauen, die sich bereit erklärten, der Autorin ihre Geschichten zu erzählen.

Die im vorherigen Kapitel erzählten Geschichten, die Narrative Accounts, ließen Threads sichtbar werden, die in diesem Kapitel 5 („Narrative Threads“) folgen. Diese zeigten sich in spirituellen Erfahrungsräumen als Fundament im Umgang mit Schmerz; als lebensgeschichtliche Erfahrung und im Spannungsfeld der Begegnungen.

Im Kapitel 6 („Erzählen wir uns unsere Geschichten“) interpretiert Hummel die Gesamtergebnisse der empirischen Befunde ihrer Studie. 

Das Fazit der Autorin lautet: „Erfahrungen können nur dann sichtbar werden und uns etwas erzählen, wenn wir Einladungen aussprechen und Einladungen annehmen [Hospitalität], sich gegenseitig die nötige Aufmerksamkeit und Zeit zu schenken, die solche Begegnungen kosten und dadurch so tiefe Einblicke schenken können.“

Diskussion

Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit wurde von der Frage geleitet, welche Erfahrungsgeschichten Menschen im Kontext der Behindertenhilfe zum Phänomen Schmerz mit Blick auf die Begleitung am Lebensende erzählen. Die Geschichten lassen deutlich erkennen, dass das Leben durch Schmerz begleitet wird bis zu seinem Ende. Damit hat Ramona Hummel im Feld Palliative Care die Schmerzerfahrungen aus der Perspektive der Sorge/Care in den Fokus gerückt.

Ramona Hummel hat sich einem bisher kaum zugänglichen Thema gewidmet und konnte aufgrund einer kenntnisreichen und kreativen Anwendung der Methode der NI dem Schmerzempfinden von Menschen, die mit Behinderungen leben, in ihren jeweiligen Lebensläufen auf den Grund gehen.

Das Buch eignet sich für MitarbeiterInnen von den mit Palliative Care befassten Institutionen, sowie für Studierende und Lehrende der Studiengänge aus dem Bereich empirische Sozialforschung.

Fazit

Es handelt sich um ein gelungenes und sehr zu empfehlendes Buch, die gesammelten Erkenntnisse machen es zu einer aufschlussreichen und lohnenswerten Lektüre.

Rezension von
Dr. Olga Frik
Finanzuniversität, Omsk, Russische Föderation. Ehemalige Lehrbeauftragte und Gastwissenschaftlerin an der Leibniz-Universität Hannover
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Es gibt 46 Rezensionen von Olga Frik.

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ISSN 2190-9245