Marcel Globisch, Thorsten Hillmann (Hrsg.): Handbuch der Kinder- und Jugendhospizarbeit
Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 06.03.2025

Marcel Globisch, Thorsten Hillmann (Hrsg.): Handbuch der Kinder- und Jugendhospizarbeit. Grundlagen und Praxis ambulant - stationär - Bildung. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG (Esslingen) 2022. 748 Seiten. ISBN 978-3-946527-46-6. D: 69,99 EUR, A: 72,00 EUR.
Thema
Die Kinder- und Jugendhospizarbeit hat sich seit ihrer Begründung Anfang der 1990-er Jahre stetig weiterentwickelt und ist zu einer wichtigen Säule des Unterstützungssystems für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensverkürzender Erkrankung sowie ihrer An- und Zugehörigen geworden. Ausgehend von den individuellen Bedürfnissen der Familien und ihrem Erfahrungswissen als Expert*innen in eigener Sache, getragen von dem Engagement und Fachwissen der haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden, bietet die Kinder- und Jugendhospizarbeit heute ein vielfältiges Angebot der Begleitung, Beratung und Unterstützung.
Das vorliegende Handbuch der Kinder- und Jugendhospizarbeit ist Etappenziel und Meilenstein zugleich. Es vereint als Standardwerk das Erfahrungswissen von betroffenen Familien sowie das Fachwissen von Expert*innen. Mit Beschreibung der Grundlagen sowie der Praxis der Kinder- und Jugendhospizarbeit anhand ihrer drei wesentlichen Handlungsfelder – Ambulant – Stationär – Bildung – gewährt das Handbuch – aus verschiedenen Perspektiven – einen ersten sowie einmaligen Überblick der Vergangenheit und Gegenwart der Kinder- und Jugendhospizarbeit in Deutschland. Überdies werden Perspektiven und Themen aufgezeigt, die für eine erfolgreiche Zukunft gemeinsam zu gestalten sind.
Autor
Die Herausgeber sind Marcel Globisch, er ist Soziologe und seit über 20 Jahren beruflich mit den Themen Sterben, Tod und Trauer beschäftig sowie Thorsten Hillmann, der Leiter der Deutschen Kinderhospizakademie im DKHV ist.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in drei Teile von A, B und C mit jeweils bis zu zehn Unterkapiteln unterschiedlicher Länge untergliedert und enthält drei Vorworte unterschiedlicher Länge von differenzierten Autoren.
Die Ausführungen beginnen mit der „Einführung in die Grundlagen, Prinzipien und Begriffe der Kinder- und Jugendhospizarbeit“ und mit einem ersten Kapitel über „Kinder- und Jugendhospizarbeit in Deutschland“. Zunächst wird in die schwierigen Anfänge der Kinder- und Jugendhospizarbeit eingeführt. 1997 wurde das erste Kinderhospiz eröffnet und bis zum heutigen Zeitpunkt sind es 192. Ein Kinderhospiz ist eine Herberge für Bedürftige auf einer Reise irgendwohin. Wer mitgehen wolle, sollte wissen, dass wir über den ganzen Weg ab der Diagnose füreinander da sind und ein langjähriges Miteinander gewünscht ist. Danach werden bundesweite Organisationen der Hospiz- und Palliativarbeit in Deutschland vorgestellt mit ihren spezifischen Zielen und Anliegen, und es erfolgt eine Einführung in die pädiatrische Palliativversorgung. Primär gehe es bei Der Palliativmedizin um Kinder, Jugendlichen und junge Erwachsene, nicht um eine Sterbebegleitung, sondern um eine Lebensbegleitung. Es bestehe die Chance, alle medizinischen und pflegerischen Maßnahmen am aktuellen Leid der Patienten und der möglichen Leid-Linderung auszurichten und nicht am Ziel einer möglichen Heilung. Ziel sollte es immer sein, für das Hier und Jetzt des Kindes da Leid zu reduzieren und nicht zusätzliches Leid durch invasive Therapien zu verursachen. Jedes Kind soll ungeachtet der finanziellen Möglichkeiten seiner Familie gleichen Zugang zu pädiarischen Palliativversorgung haben.
Das zweite Kapitel widmet sich der „Familie“. Familie ist ein höchst wandelbares und historisch kontingentes soziokulturelles Konstrukt, welches auf der Basis der je gegebenen Geschlechter- und Generationsverhältnisse in seinen konkreten Ausprägungen besteht. Infolge von Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen haben sich die kulturellen wie strukturellen Bedingungen von Familie und damit auch ihre konkreten alltagsweltlichen Realitäten radikal verändert und vervielfältigt. In diesem Kapitel kommen die verschiedenen Personengruppen direkt zu Wort, um an konkreten Aussagen due mehrdimensionalen Schwierigkeiten einer Familie mit einem kranken Kind nachweisen zu können. Viele der betroffenen Eltern erinnern sich genau an den Tag, an dem sie die Diagnose ihres Kindes erhalten haben. An dem Tag, der alles verändert. Aus Sicht des systemischen Ansatzes lässt sich das System Familie als Mobile betrachten. In diesem System symbolisiert jeder einzelne bewegliche Teil ein Familienmitglied, das jedoch als Ganzes zusammenhängt. Ein familiäres Gleichgewicht kann somit immer wieder sehr schnell aus den Fugen geraten und mit dem Tod des Kindes ein Gefühl entstehen, dass das Kind vom Mobile abgeschnitten ist und das Mobile unvollkommen und beschädigt ist. Soziale Ungleichheit wird durch eine lebensverkürzende Erkrankung verstärkt, d.h. Familien in schwierigem Umfeld sind mit ihren geringen finanziellen Ressourcen schlechter gestellt als andere. Ein krankes Mädchen meint, dass sie viele nicht begrüßen, nicht mit ihr sprechen, sondern alle reden über mich. Nach dem Tod des Geschwisterkindes ist es empfehlenswert, Geschwistern die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit den Eltern zu erinnern und zu trauern, sie in das familiäre Trauergeschehen mit einzubinden.
Mit „Was Kinder- und Jugendhospizarbeit ausmacht: Zentrale Begrifflichkeiten“ ist Kapitel drei überschrieben. Hospizarbeit sei nichts anderes als die praktische Umsetzung des Grundgesetzes. Haltung ist ein innerer Kompass, wie ich jedem einzelnen Menschen begegne und mit ihm umgehe. In der Kinderhospizarbeit bezeichnet der Begriff Subjekt den Menschen Ich muss dem jungen Menschen als Subjekt begegnen, also nicht als etwas, mit dem etwas gemacht wird, sondern als einen Menschen, der sein Leben und seine Welt selbst gestaltet und der mit den Begleitenden auf Augenhöhe kommuniziert. Als Bedürfnisse werden Ansprüche und Wünsche von Individuen verstanden, die im engen Zusammenhang mit persönlichen Motiven und von biografischen, sozialen und kulturellen Erfahrungen geprägt sind. Der Begriff Begleiten steht für eine soziale Beziehung und impliziert Bewegung: ein Gemeinsam-unterwegs-sein, ein Mitgehen.
Im Mittelpunkt der Ausführungen von Kapitel vier stehen „Grundlagen, Aufgaben und Themenfelder der Kinder- und Jugendhospizarbeit“. In diesem Kapitel werden bestimmte Zeiträume betrachtet: Diagnosestellung und Trauer im Leben mit dem Kind, Trauer in der Zeit des Sterbens und das Leben mit der Trauer nach dem Versterben des Kindes. Trauer ist eine gesunde, menschliche Empfindung, sie umfasst individuelle Gefühle, Reaktionen und Verhaltensweisen, um mit schmerzhaften Verlusten und Trennungen umzugehen. Trauernde sind mit zwei Arten von Stressoren konfrontiert: verlustbezogene und wiederherstellungsbezogene Stressoren. Viele der Trauerfacetten, wie sie aus der Zeit nach dem Tod beschrieben werden, tauchen bereits ab der Diagnose auf. Trauer beginnt mit der Realisierung der Konsequenzen, die die Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung mit sich bringt. Viele berichten von ihren Gefühlen, wie sie mit der Trauer umgehen: „Wie integriere ich die Trauer in mein Leben? Trauer ist eine positive Kraft, sie ist schmerzhaft, aber auch heilsam. Die Trauer darf einen guten Platz in meinem Leben haben“ (S. 239).
Im fünften Kapitel wird das „Hauptamt und Ehrenamt“ thematisiert. Der folgende Beitrag gibt eine Einführung in die Führung und Teamentwicklung in sozialen Organisationen. Teamentwicklung wird dann erfolgreich betrachtet, wenn ein Zusammenhalt unter den Teammitgliedern entsteht, der eine gute Zusammenarbeit mit Blick auf die Ziele der Organisation ermöglicht. Es ist Aufgabe einer Führungskraft, Leitgedanken mit den Mitarbeitern zu entwickeln, die helfen, das tägliche Handeln an gemeinsamen Vorstellungen auszurichten. Teamidentität bedeutet, Prozesse und Reflexionszeiten regelmäßig zu berücksichtigen und schon bei der Akquise und Einarbeitung mitzudenken. So stehen in sozialen Organisationen die Sachziele vor den Formalzielen (Rendite und Gewinn). Es sind vor allem die unzähligen ehrenamtlichen Mitarbeiter, die neben den hauptamtlichen Beschäftigten das Rückgrat der gesamten Hospizarbeit bilden. Um Minimalziele der Kostendeckung für die Angebote der Kinder- und Jugendhospizarbeit zu erreichen, bleiben Ausgaben wie z.B. für Trauer immer auch von Spenden abhängig. Deshalb sind Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit besonders wichtig.
Kapitel sechs ist der „Qualitätssicherung und Wissenschaft“ vorbehalten. Kinder- und jugendhospizliche Qualität ist der Wert oder die Güte professionellen und ehrenamtlichen Handels bzw. einer Organisation im Sinne ihrer Zweckbestimmung auf der Basis anerkannter fachlicher Normen, evidenzbasierten Wissens und eines humanen Wertesystems. Folglich weisen die Angebote die beste Qualität auf, die den Bedürfnissen der begleiteten Familie in höchstem Maße entsprechen.
Es folgt Teil zwei mit der Überschrift „Kinder- und Jugendhospizarbeit in der Praxis“ unter dem Schwerpunkt A „Ambulante Kinder- und Jugendhospizarbeit“. Es ist ein sehr langes Kapitel, das sich von Seite 378 bis zur Seite 573 erstreckt und die Teile A1 bis A11 in den Blick nimmt. Der Kernauftrag des Kinder- und Jugendhospizdienstes ist die Information, psychosoziale Beratung und Begleitung von Familien, in denen Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzender oder lebensbedrohlicher Erkrankung leben. Sie begleiten sie beim Abschied, wenn deren Eltern bzw. Ab- und Zugehörige erkrankt oder verstorben sind. Die Familie entscheidet dabei jederzeit selbst, ob und wann eine Unterstützung eines ambulanten Dienstes benötigt wird. Die Stärkung von Ressourcen zur Selbsthilfe gehört als handlungsleitendes Ziel dazu. Danach werden Familienbegleitungen mit Fallvignetten in die Betrachtungen einbezogen. Es geht des Weiteren um Konzeptionen ambulanter Kinder- und Jugendhospizarbeit und um deren Finanzierung. Es geht um die räumliche Ausstattung, um Netzwerkarbeit und vieles anderes mehr.
Teil B befasst sich mit der „Stationäre Kinder- und Jugendhospizarbeit“. Die palliative Pflege wirkt als Entlastungspflege für die gesamte Familie. Mehrfach im Jahr bis zu vier Wochen insgesamt können Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Erkrankung mit ihren Eltern und Geschwistern in das Kinder- und Jugendhospiz kommen, um wieder für die nächste Zeit Kraft schöpfen zu können. Im stationären Kinderhospiz werden für das erkrankte Kind palliativ-pflegerische, palliativ-medizinische, therapeutische und psychosoziale Versorgung sowie Sterbe- und Trauerbegleitung ganztägig oder nur tagsüber bzw. nachts erbracht. Es fehlten aber Hospiz-Angebote für die in der Regel schwerstkranken Menschen vom 27. bis etwa zum 45. Lebensjahr. Es folgen Erfahrungsberichte aus der Praxis.
Teil C „Bildungsarbeit in der Kinder- und Jugendhospizarbeit“ umfasst sechs Kapitel. In diesem Kapitel werden die unterschiedlichen Zielgruppen sowie die verschiedenen Angebotsformen dargestellt. Es können drei Gruppen unterschieden werden. Junge Menschen mit lebensverkürzenden Erkrankungen, ihre Eltern und Geschwister, An- und Zugehörige und unterstützende Personen, insbesondere ehrenamtliche Mitarbeiter, hauptamtlich Beschäftigte sowie an der Arbeit Interessierte. Es werden Seminare veranstaltet, die in der Regel einen klar strukturierten Ablauf haben, Begegnungsformate, die einen offenen Rahmen haben, der situativ gefüllt werden kann, und ein drittes Angebot sind Fachtagungen.
Diskussion
Die vorliegende Publikation beleuchtet ein in der wissenschaftlichen Literatur bisher wenig beachtetes Thema: das des Kinder- und Jugendhospizes. Es ist ein sehr umfangreiches Werk, das sich über 706 Seiten erstreckt. Bei dieser Fülle überrascht es nicht, dass auch einzelne Redundanzen zu verzeichnen sind. Es arbeitet akribisch alle Spezifika und Besonderheiten des Kinderhospizes heraus und verzichtet weitgehend auf eine akademische Sprache.
Fazit
Die Publikation ist für alle empfehlenswert, die sich über die Problematik einer lebensverkürzenden Erkrankung von Kindern und Jugendlichen informieren wollen. Der Sprachstil ist leicht verständlich und informiert über alle Facetten, die bei einer solchen Diagnose auftreten können.
Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische
Sozialforschung und Gerontologie
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