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Juliane Sagebiel, Sabine Pankofer: Soziale Arbeit und Machttheorien

Rezensiert von Anna-Lena Mädge, 30.06.2023

Cover Juliane Sagebiel, Sabine Pankofer: Soziale Arbeit und Machttheorien ISBN 978-3-7841-3150-4

Juliane Sagebiel, Sabine Pankofer: Soziale Arbeit und Machttheorien. Reflexionen und Handlungsansätze. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. 2., überarbeitete Auflage. 336 Seiten. ISBN 978-3-7841-3150-4. 29,90 EUR.

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Thema

Täglich sind Sozialarbeiter:innen und andere in sozialen Berufsfeldern tätige Praktiker:innen wie auch Adressat:innen Sozialer Arbeit in verschiedenster Weise in Machtprozesse eingebunden. Die Auseinandersetzung mit Machttheorien ermöglicht es diese Prozesse wahrzunehmen wie auch sie aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu erfassen. Die gesellschaftliche Bedeutung von Macht und ihrer Wirkung auf Adressat:innen wird ebenso thematisiert wie die Machtquellen Sozialer Arbeit. Hierdurch wird es Fachkräften möglich, ein Bewusstsein für die eigene Wirkmächtigkeit zu entwickeln und Möglichkeiten der Einflussnahme innerhalb von Machtprozessen zu entdecken.

Autorinnen

Prof.in Dr. phil. Juliane Beate Sagebiel lehrte vor ihrer Emeritierung Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München.

Prof.in Dr. Sabine Pankofer lehrt Psychologie in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München. Begleitend ist sie als Supervisorin und Coach sowie in Ausbildungsangeboten in diesen Bereichen tätig.

Entstehungshintergrund

Vor sieben Jahren erschien die erste Auflage „Soziale Arbeit und Machttheorien“ in welcher bereits zu einer Auseinandersetzung mit Macht in der Sozialen Arbeit angeregt wurde, da trotz hoher Bedeutung für die Praxis wenig professionsbezogene Diskurse zu diesem Thema geführt wurden. Die Neuauflage greift diesen Hintergrund weiterhin auf, bezieht sich aber ebenso auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, denen inhaltlich mehr Raum zugesprochen wurde, da sich negative Auswirkungen von Machtprozessen innerhalb sozial benachteiligter Gesellschaftsgruppen in besonderer Härte bemerkbar machen. 

Aufbau

Das Buch unterteilt sich in sechs Kapitel, welche zunächst zu einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Macht für die praktische Soziale Arbeit anregen. Dem folgt die Darstellung relevanter Machttheorien um diese anschließend im Rahmen von Machtanalysen auf verschiedenen Ebenen mit der Sozialen Arbeit in Bezug zu setzen. Das abschließende Kapitel regt dazu an, die gewonnenen Kenntnisse in der Praxis zu nutzen. Gerahmt werden die Hauptkapitel von Vorbemerkungen zur aktuellen Auflage, dem ursprünglichen Vorwort, einem Glossar sowie Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen.

Inhalt

Die einleitenden Kapitel, bestehend aus Vorbemerkungen und Vorwort, verdeutlichen, dass die Auseinandersetzung mit Macht, Machtprozessen und Machtsituationen für die Soziale Arbeit von besonderer Bedeutung ist, um die eigene Wirkmächtigkeit wahrzunehmen sowie zu nutzen. Da Macht per se oftmals negativ konnotiert ist, kommt es dazu, dass diese Auseinandersetzung oftmals vermieden wird.

Die erste Annäherung an das Thema Macht in der Sozialen Arbeit und der Beginn einer kritischen Auseinandersetzung findet im ersten Kapitel innerhalb eines fiktiven Gerichtsprozesses „Soziale Arbeit hat nicht viel Macht – oder?“ statt. Dabei muss sich die Soziale Arbeit dem Anklagevorwurf stellen, ihr Verhältnis zur Macht einseitig auszulegen, wie auch zu ignorieren. Wechselnd tauschen Macht, Soziale Arbeit, Verteidiger und Staatsanwalt Argumente aus, welche vielfach durch Quellen belegt werden. Diesem Diskurs folgt eine Gebrauchsanweisung für die weitere Nutzung des Buches, in welcher die Ziele der Autorinnen sowie der Aufbau näher erläutert werden.

Das umfangreiche zweite Kapitel thematisiert Machttheoretische Konzepte und ihren Nutzen für die Soziale Arbeit. Zunächst werden allgemeine Machttheorien (Hannah Arendt, Karl Marx und Niklas Luhmann und weitere) thematisiert, um nachfolgend auf Machttheorien innerhalb der Sozialen Arbeit einzugehen (u.a. Silvia Staub-Bernasconi, Saul Alinsky). Die einzelnen Theoriedarstellungen beginnen mit einer Kurzbiografie der Theoretiker:innen und beinhalten Abbildungen der entsprechenden Personen. Aufbauend auf Hintergründen zur Entstehungsgeschichte wird die Theorie zunächst dargestellt, abschließend kritisch gewürdigt und mit Literaturempfehlungen für eine vertiefende Auseinandersetzung beendet. Im Abschluss des Kapitels werden alle vorgestellten Theorien tabellarisch in einer zusammenfassenden Übersicht dargestellt, welche das enthaltene Beschreibungswissen, Erklärungswissen, Bewertungswissen und Handlungswissen kurzfasst.

Die vorgestellten theoretischen Konzepte werden im nachfolgenden Kapitel neu aufbereitet, um aufzuzeigen, wie durch sie Machtprozesse in der Sozialen Arbeit analysiert werden können. Hierfür werden drei verschiedene Analyse-Systematiken vorgestellt, deren Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten anhand eines kurzen Praxisbeispiels thematisiert werden. Tabellen und Abbildungen unterstützen das Verständnis von Einbindung und Bedeutung der Machttheorien für die Analyse.

Wie Machtanalyse konkret aussehen kann, wird im vierten Kapitel dargestellt. Hier wird die Analyse anhand der bereits vorgestellten Ebenen Subjekt, Beziehung/​Interaktion, Organisation und Gesellschaft konkret auf Fallbeispiele angewendet. Zu Beginn veranschaulicht eine Tabelle, welche Arten von Macht die verschiedenen Ebenen beinhalten können. Es folgt die Anwendung auf drei Fallbeispiele: zunächst auf der Subjektebene mit einem Fallbeispiel aus der Begleitung einer Person mit Suchtproblematik, nachfolgend die Teamebene, bei der die Neubesetzung einer Leitungsposition betrachtet wird und abschließend die sozialpolitische Strukturebene anhand einer Auseinandersetzung mit einem Entscheid des Bundessozialgerichts.

Sozialarbeiterische und gesellschaftliche Bühnen der Macht werden im komplett neu aufgelegten vorletzten Kapitel thematisiert. Einbezogen werden hierin die fünf Bühnen der Macht: Akademisierung der Sozialen Arbeit, Generationenkampf, Geschlechterverhältnisse, Digitalisierung und Wirkungen der Corona-Pandemie. Diese Themenbereiche werden mit den in den vorherigen Kapiteln näher diskutierten Ebenen verwoben, ihre Auswirkungen für involvierte Personengruppen beschrieben und ihr Bezug zu verschiedenen Formen von Macht diskutiert.

Das abschließende Kapitel „Nur Mut zur Macht!“ ruft dazu auf, sich den mit Macht verbundenen Konflikten zu stellen, die damit verbundenen Spannungen taktisch klug zu nutzen, um dort, wo es sich lohnt, in den Widerstand zu gehen. Nur durch ein Verlassen der Komfortzone kann Soziale Arbeit ihrem Anspruch, einen aktiven Beitrag zur Veränderung bestehender Verhältnisse beizutragen, gerecht werden.

Diskussion

Wie bereits die erste Auflage beinhaltet die aktualisierte Neuauflage eine einführende und zugleich umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema Macht in der Sozialen Arbeit. Die einleitenden Worte verdeutlichen den Entstehungshintergrund und damit verbunden die Bedeutung der Auseinandersetzung mit Macht für Wissenschaft und Profession der Sozialen Arbeit. Die Autorinnen verdeutlichen dabei einfühlsam bestehende Hemmnisse, besonders durch eine negative Konnotation von Macht, welche zu einer geringen Auseinandersetzung mit Machtthematiken führen kann. Das zunächst leicht salopp wirkende, aber vorwiegend auflockernd und fachlich fundiert gestaltete erste Kapitel macht in seiner Form des dialogischen fiktiven Gerichtsprozess daher viel Sinn. Leichtgängig zu lesen, zieht es Leser:innen in die Diskussion über die Rolle und die Aufgaben der Sozialen Arbeit hinein, bis sich diese nahezu unbemerkt mitten in der Diskussion befinden, da die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Diskussion zur eigenen Positionierung einlädt und beiträgt.

Stellt Soziale Arbeit und Machttheorien die erste Auseinandersetzung mit der Thematik dar, ist sehr gut vorstellbar, dass das erste Kapitel den Wunsch weckt, die eigene Haltung in Diskussionen vertreten zu können, was die Auseinandersetzung mit den nachfolgend dargestellten Machttheorien reizvoll machen kann. Und hierin liegt schon ein kleines Kunststück: ein Interesse an der Auseinandersetzung mit zumeist als trocken verorteten Theorien zu wecken. Die Aufbereitung der Machttheorien im zweiten Kapitel ist sowohl einladend wie auch umfassend gestaltet. Bilder der Theoretiker:innen sowie Kurzbiografien lassen es „menscheln“ und geben Raum für eine historische Einbettung. Die Theorien selbst werden verständlich dargestellt und von übersichtlichen Visualisierungen begleitet. Durch die kritische Würdigung, welche zum Abschluss jeder Theorie verfasst wurde, erhalten Diskussionspunkte und Kritiken einen respektvollen Raum, welcher eine umfassende Auseinandersetzung anregt, für die Literaturhinweise zur Verfügung gestellt werden. Basierend und immer Bezug nehmend auf die dargestellten Machttheorien beinhalten die beiden nachfolgenden Kapitel verschiedene Ebenen der praktischen Nutzung. Es werden zunächst Möglichkeiten zur Durchführung von Machtanalysen aufgezeigt, wobei immer wieder verdeutlicht wird, dass die Auswahl und Einbindung der genutzten Theorien für die Machtanalyse beispielhaft ist, weshalb durchaus Spielraum für darüber hinausgehende, veränderte Anwendungen besteht.

Im vierten Kapitel findet zunächst die erste beispielhafte Verknüpfung von Theorie und Praxis statt, durch welche verdeutlicht wird, wie Machtprozesse identifiziert werden und wo Ansatzpunkte für eine Analyse liegen können. Die dargestellten Fallbeispiele sind durchgängig praxisrelevant und daher spannend für Praktiker:innen deren tägliches Handeln sich in den Beispielen widerspiegelt. Ebenso stellen die gesellschaftlichen Machtebenen für die Soziale Arbeit besonders bedeutende Felder dar. Aufgemerkt habe ich lediglich als im vierten Kapitel auf S. 271 erwähnt wird, dass die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen von, oftmals illegal beschäftigten, Leiharbeitern im Rahmen der Pandemie 2019 bekannt wurden. Hier sei beispielhaft auf einen Artikel der Zeit aus dem Jahr 2014 verwiesen, in dem Anne Kunze die Arbeitsbedingungen einer „Geisterarmee aus Osteuropa“ schildert.

Trotz der damals breiten medialen Aufmerksamkeit und politischer Stellungnahmen scheint sich an diesen Arbeitsverhältnissen wenig verändert zu haben, wie die erneute Aufmerksamkeit im Rahmen der Pandemie verdeutlicht. Umso wichtiger erscheint vor diesem Hintergrund die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und den begleitenden Prozessen, um nachhaltige Ansätze für Einflussnahme und Veränderungspotenziale erkennen zu können. Wie eine Machtanalyse zur Entwicklung solcher Handlungsansätze beitragen kann, wird im fünften Kapitel vorstellbarer. Es beinhaltet die detaillierte Anwendung der vorgestellten Analysemethoden, bestehend aus tiefer gehenden Argumentationen, welche auf die Analyseebenen verweisen. Durch elegante Überleitungen gelingt es hier alle Themenbereiche (Akademisierung der Sozialen Arbeit, Generationenkampf, Geschlechterverhältnisse, Digitalisierung und Wirkungen der Corona-Pandemie) miteinander zu verflechten, wodurch deutlich wird, wie umfassend Machtebenen aufeinander einwirken.

Das letzte Kapitel ruft dazu auf, streitbar zu sein, Prozesse aktiv mitzugestalten und bestehende Handlungsspielräume zu nutzen. Dann kann Soziale Arbeit, welche von allen thematisierten Bereichen beeinflusst wird, wirkmächtig(er) werden, indem sie Handlungsspielräume nutzt und Veränderungsprozesse aktiv gestaltet. Das hier vorgestellte Werk zeigt hierfür Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Handlungsansätze auf. 

Fazit

Methodisch ansprechend gestaltet ermöglicht die Auseinandersetzung mit Machttheorien in der Sozialen Arbeit die Reflexion des professionellen Handelns, indem es für die Wahrnehmung von Machtprozessen sensibilisiert und deutlich macht, welche Wirkung diese auf die involvierten Akteur:innen haben. Die Auseinandersetzung mit den verschiedene Ebenen dieser Prozesse ermöglicht Rückschlüsse darauf, wann Praktiker:innen der Sozialen Arbeit (auch gegenüber Adressat:innen der Sozialen Arbeit) machtvoll handeln und ermutigt dazu, diese Macht verantwortungsvoll zu nutzen. Deutlich wird, dass Machtprozesse wahrzunehmen und zu nutzen zu einer Handlungs- und Wirkfähigkeit Sozialer Arbeit beiträgt. Ein lesenswertes Buch, das die Soziale Arbeit und Menschen in sozialen Arbeitsfeldern dazu anregt, Gesellschaft aktiv mitzugestalten.

Quelle

Kunze, Anne (2014): Die Schlachtordnung. https://www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutung-arbeiter?utm_referrer=https%3A%2F%2Fduckduckgo.com%2F

Rezension von
Anna-Lena Mädge
M. A. Soz.Päd./Soz.Arb.
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Es gibt 23 Rezensionen von Anna-Lena Mädge.

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Zitiervorschlag
Anna-Lena Mädge. Rezension vom 30.06.2023 zu: Juliane Sagebiel, Sabine Pankofer: Soziale Arbeit und Machttheorien. Reflexionen und Handlungsansätze. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. 2., überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-7841-3150-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30128.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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