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Charlotte Darga, Dorothea Dapper: Tierisch systemisch

Rezensiert von Prof. Dr. Josefine Heusinger, 06.06.2023

Cover Charlotte Darga, Dorothea Dapper: Tierisch systemisch ISBN 978-3-497-03141-2

Charlotte Darga, Dorothea Dapper: Tierisch systemisch. Lösungs- und Ressourcenorientierung in der tiergestützten Intervention. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2022. 160 Seiten. ISBN 978-3-497-03141-2. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Reihe: mensch & tier .

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Thema

Die Autorinnen verknüpfen zwei bewährte und in sich wiederum vielfältige Wege, um in der Sozialen Arbeit (und Familientherapie) mit Adressat:innen zu arbeiten: Systemische Beratung/​Familientherapie und tiergestützte Interventionen. Dazu geben sie einen knappen, sehr verständlichen Überblick über die Grundlagen systemischer Ansätze und zeigen die Potenziale tiergestützter Interventionen in der Kommunikation, in der Familientherapie und in der Pädagogik anhand zahlreicher, nachvollziehbar reflektierter Fallbeispiele auf. Die notwendigen Voraussetzungen auf Seiten der Fachkräfte wie der Tiere und der Settings finden ebenso differenziert Beachtung wie die Grenzen, die beachtet werden müssen. Beispiele und Fokus liegen auf der Arbeit mit Kindern und Familien.

Autorinnen

Charlotte Darga ist Diplom-Pädagogin mit Zusatzausbildungen als systemische Beraterin, Kinder- und Jugendlichentherapeutin sowie Supervisorin und ist Fachkraft für tiergestützte Interventionen (ISAAT). Sie bietet u.a. Supervision für Fachkräfte für tiergestützte Interventionen (TGI), Trainings für Hundehalter:innen.

Dorothea Dapper ist Dipl.-Sozialarbeiterin, Fachkraft für tiergestützte Interventionen und für systemische Familientherapie. Sie ist Gründungsmitglied und Leitung des Instituts für systemische und tiergestützte Therapie (istt) und Tiertrainerin.

Entstehungshintergrund

Die Autorinnen verfügen beide über eine fundierte systemische Ausbildung und bringen viele praktische Erfahrungen in der Anwendung von TGI mit ganz unterschiedlichen Tieren, darunter Schnecken, Hühnern, Schafen ein.

Aufbau

Das Buch ist neben Einführung und Ausblick in sechs Kapitel gegliedert. Die beiden zentralen Kapitel führen einerseits in die (theoretischen) Grundlagen des systemischen Ansatzes, andererseits in systemische Methoden, insbesondere Fragetechniken ein, die dann hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten von Tieren konkretisiert werden. Daran schließen sich Kapitel zur tiergestützten systemischen Pädagogik und zur tiergestützten systemischen Familientherapie an. Die Bedeutung der Reflektion wird am Ende in einem eigenen Kapitel betont. Fallbeispiele und theoretische Exkurse ergänzen den Haupttext.

Das online-Material besteht aus Vorlagen für Lob- und Fragekärtchen.

Inhalt

In der Einführung erläutern die Autorinnen ihre Motivation und betonen, dass es ihnen um die durchaus voraussetzungsvolle Verbindung von systemischen Ansätzen und tiergestützten Interventionen (TGI) geht. Ihr fachlicher Anspruch kommt zum Ausdruck, wenn sie schreiben: „Allein die Anwesenheit eines Hundes während eines Beratungsgesprächs oder die systemische Therapiesitzung auf dem Bauernhof … macht die Arbeit noch lange nicht zu einer tiergestützten Intervention“ (S. 9), vielmehr ist der gezielte Einsatz nötig, der zudem klug systemisch reflektiert sein will. Als weitere Vorbedingung ist an dieser Stelle wie auch später an geeigneter Stelle mehrfach der achtsame Umgang mit den beteiligten Tieren benannt, „denn nur zufriedene, artgerecht lebende Tiere“ (S. 8) können zu einer gelingenden TGI beitragen.

Zum Einstieg werden die „Systiere“ vorgestellt (Kapitel 2), indem anhand der Anfangsbuchstaben dieses Wortes einige grundlegende Regeln vorgestellt werden. Die speziellen Potenziale verschiedener Tiere für TGI (tiergestützte Interventionen) – bspw. Hühner als Experten für sich selbst, Schafe als achtsame Fluchttiere – runden dieses Kapitel ab.

Die Grundlagen des systemischen Ansatzes sind unter Einbeziehung wichtiger Theoretiker und mit zahlreichen Visualisierungen verständlich erklärt. Exkurse zu weiterführenden Aspekten, bspw. zur Formulierung von Zielen im Rahmen der Auftragsklärung (S. 25) oder zur Du-Evidenz (S. 30) ergänzen den Haupttext. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Verbindung systemischer und tiergestützter Interventionen im Abschnitt 3.1 als schlüssig. In den folgenden Unterkapiteln wird die systemische Haltung und Herangehensweisen in der Umsetzung von TGI unter verschiedenen Aspekten (Joining, Ressourcenorientierung, Aufdecken von Mustern, Konstruktivismus und Interaktion) konkretisiert.

Wie sich systemische Methoden, vor allem Fragetechniken, aber auch Aufstellungsarbeit oder die Arbeit mit dem inneren Team, in der TGI ganz konkret einsetzen lassen, wird, wiederum mit zahlreichen Bildern und Beispielen, im Kapitel 4 erörtert.

Im fünften Kapitel sind die Potenziale von TGI in der tiergestützten Pädagogik aufgezeigt. Im Mittelpunkt systemischer Pädagogik steht die gezielte und kombinierte Aktivierung sensorischer, motorischer, sozio-emotionaler und kognitiver Ressourcen, mit denen Entwicklung/​Lernen gefördert werden und die einseitig kognitiv orientierten Lernprozessen gegenübergestellt werden. Entlang entwicklungspsychologischer Erkenntnisse wird im Kapitel 5.1 gezeigt, welche Aspekte der sozio-emotionalen Entwicklung in welchen Altersstufen durch gezielte TGI unterstützt werden können. Dazu wird das Informationsverarbeitungsmodell nach Dodge et al. eingeführt, das einem Reiz-Reaktions-Schema folgend Wahrnehmung, Interpretation, Suche nach Handlungsmöglichkeiten, Entscheidung und Handeln unterscheidet (S. 118). Wie sich die Lust am Spielen mit TGI kombinieren und für Lernprozesse nutzen lässt, ist im Kapitel 5.2 zu lesen.

TGI kann auch die systemische Familientherapie bereichern – vorausgesetzt, qualifizierte Fachkräfte setzen diese ein, wie gleich zu Beginn des Kapitels zur tiergestützten systemischen Familientherapie (Kapitel 6) betont wird. Diese zielt auf Perspektivwechsel und Reflektionsprozesse, zu denen Tiere auf unterschiedliche Weise beitragen können. Dafür muss das Setting bewusst gestaltet und an die Dynamik der therapeutischen Prozesse angepasst werden. Dies zeigen die Beispiele von Interventionsmöglichkeiten bei auffälligem Sozial- oder Bindungsverhalten oder in der Trauerarbeit.

Die Bedeutung der Reflektion betonen die Autor*innen im gleichnamigen letzten Kapitel. Hier machen sie (noch einmal) deutlich, wie entscheidend die Reflektion für den systemisch beratenden, pädagogischen und therapeutischen Prozess ist, und zwar für alle Beteiligten einschließlich der Fachkräfte. Sie muss deshalb besonders trainiert und auch im Sinne der Selbstreflektion geübt werden.

Diskussion

Das Buch ist im Stil eines Lehrbuches verständlich verfasst und eignet sich deshalb sehr für den Einstieg in fachlich fundierte TGI. Mit ihrer konsequenten Orientierung an systemischen Herangehensweisen belegen die Autorinnen sehr überzeugend die Notwendigkeit einer soliden fachlichen Basis für wirksame TGI und heben sich damit wohltuend von laienhaften Vorstellungen ab, dass allein die Begegnung mit Tieren auf metaphysische Weise Wunder bewirken könne. Dadurch ist das Buch wertvoll für alle Freund:innen tiergestützter Arbeit, die nach einem theoriebasierten fachlichen Ansatz suchen, der einen überzeugenden Ausgangspunkt für professionelle TGI darstellt. Für an TGI interessierte systemisch qualifizierte Fachkräfte bietet das Buch wiederum eine Fülle an konkreten Tipps und Ideen für die Zusammenarbeit mit Tieren.

Fazit

Ein lesenswertes Fachbuch, das sowohl für systemisch qualifizierte oder interessierte Fachkräfte der Sozialen Arbeit und Therapeut*innen als auch für Neugierige auf tiergestützte Interventionen viele grundlegende Informationen und praxisbezogene Tipps bereithält.

Rezension von
Prof. Dr. Josefine Heusinger
Krankenschwester, Diplom Soziologin, Professorin für Grundlagen und Handlungstheorien Sozialer Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal, Vorstandsmitglied im Institut für Gerontologische Forschung e. V., Berlin
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Es gibt 7 Rezensionen von Josefine Heusinger.

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Zitiervorschlag
Josefine Heusinger. Rezension vom 06.06.2023 zu: Charlotte Darga, Dorothea Dapper: Tierisch systemisch. Lösungs- und Ressourcenorientierung in der tiergestützten Intervention. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2022. ISBN 978-3-497-03141-2. Reihe: mensch & tier . In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30136.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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