Uwe Bettig (Hrsg.): Praxiswissen Pflegebudget im Krankenhaus
Rezensiert von Prof. Dr. Olaf Scupin, 08.06.2023
Uwe Bettig (Hrsg.): Praxiswissen Pflegebudget im Krankenhaus.
medhochzwei Verlag GmbH
(Heidelberg) 2022.
219 Seiten.
ISBN 978-3-86216-802-6.
D: 69,99 EUR,
A: 72,00 EUR.
Reihe: Gesundheitswesen in der Praxis.
Thema und Entstehung des Buches
Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Buches gehen davon aus, dass die Betriebswirtschaft eine Teilfunktion des Pflegemanagements ist. Die Pflegedienstleitung bzw. die Pflegedirektion wird quasi als Nebenökonom betrachtet. Im Grunde verfügt ein Krankenhaus aber über professionell qualifizierte Betriebswirtinnen und Betriebswirte. Meist verfügen die Geschäftsführerinnen oder Verwaltungsleiterinnen selbst über einen Hochschulabschluss in der Betriebs- oder Volkswirtschaft. Es stellt sich somit die berechtigte Frage, warum die Leitung des Pflegedienstes über ausgeprägte betriebswirtschaftliche Kompetenzen, wie ein vertieftes Wissen zum Pflegebudget verfügen sollte oder gar müsste? Es geht somit auch um die Frage des beruflichen Selbstverständnisses. Wenn es darum geht die spezifische Wissenschaftssprache der Betriebswirtschaft mit den dahinterstehenden Konzepten, Modellen und Theorien zu verstehen, mag es Sinn machen im Rahmen einer Pflegemanagementqualifikation diese vermittelt zu bekommen. Anscheinend sollen die Entscheidungsträger der beruflichen Pflege in die Lage versetzen mit den ökonomisch verantwortlichen Personenkreisen auf „Augenhöhe“ diskutieren zu können. Zumal es doch noch eher selten vorkommt, dass der oder die Pflegedirektorin oder die Pflegedienstleitung die ökonomische Letztverantwortung für eine Klinik trägt.
Der Rezensent verfolgt die Entwicklungen im Gesundheitswesen seit nunmehr über 42 Jahren. Oft in der Funktion als Leiter des Pflegedienstes. Von massivem Wandel und Herausforderungen wurde in jeder Dekade mehrfach gesprochen, wie auch in dem nun erschienen Werk über das Pflegebudget. Ob die aktuellen Veränderungen dazu beitragen, dass eine nachhaltige NutzerInnenorientierung des Gesundheitssystems etabliert wird, oder die Ökonomisierung des Gesundheitswesens nur mit einem neuen Kleid erscheint, bleibt abzuwarten.
Eine wirkliche Systemänderung müsste tatsächlich die Interessen der NutzerInnen in den Mittelpunkt politischer Maßnahmen stellen. Diese Veränderungen würden eben nicht nur aus einer sektorenübergreifenden Perspektive auf das System schauen, sondern weil ein nicht unerheblicher Teil der Patientinnen und Patienten übersektorale Behandlungen und Pflege erfahren und benötigen, muss übersektoral organisiert (auch personell z.B. im Sinne eines individuellen übersektoralen Casemanagements) und finanziert werden. Das wäre eine kleine Revolution.
Wenn zum wiederholten Male die DRG-Einführung und der latent herangezogene demografische Wandel angeführt wird, warum das vorliegenden Buch geschrieben werden musste, langweilt das eher. Es gibt bessere Gründe für ein professionelles Pflegemanagement einzutreten. Zum Beispiel der Einfluss auf die Mortalität durch den Einsatz von hochschulisch qualifiziertem Pflegepersonal. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens hat eben auch dazu beigetragen, dass sich die Leitung des Pflegedienstes zum Teil als Nebenökonom versteht. Bösartig formuliert, hilft es ja auch, wenn eine Pflegedienstleitung als Gehilfe der Ökonomie fungiert. Man mag dem Rezensenten eine anachronistische Perspektive von Kooperation unterstellen, solange die Letztverantwortung in den meisten Kliniken bei den ökonomisch verantwortlich handelnden Personen liegt wird eben erst an zweiter Stelle über die Versorgungsqualität gesprochen und entschieden.
Aufbau
Das Buch gliedert sich logisch aufgebaut in 5 Teile mit insgesamt 7 Kapiteln. Ein roter Faden ist stets erkennbar und trägt wesentlich zum Verständnis des Buches bei.
Das Buch entwickelt die Inhalte von einer allgemeinen Einführung zur Ökonomisierung des Gesundheitswesens hinführend zur Relevanz für die berufliche Pflege in den Kliniken.
Das Werk führt über die rechtlichen Grundlagen des Pflegebudgets (17 ff) und die Pflegepersonalkosten zur nachvollziehbaren und verständlich geschriebenen „Ermittlung des Pflegebudgets“ (35 ff). Die fachwissenschaftliche Perspektive wird stets berücksichtigt. Besonders hervorzuheben ist die interdisziplinäre Perspektive hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen den ärztlichen und pflegerischen KollegInnen. Es ist in der Tat korrekt beschrieben, dass es nicht nur durch die Einführung des Pflegebudgets, sondern auch durch die Verabschiedung des Pflegeberufereformgesetzes zu einer Neuausrichtung der heilkundlichen Aufgaben zwischen den beiden genannten Berufsgruppen kommen wird (83 ff). Das ist vielleicht die eigentliche Revolution. Eine sehr breite und aktuelle verwendete Literatur wertet die Inhalte sehr auf.
Inhalt
Die Einführung in das Buch erläutert im historischen Kontext die Einführung von Marktmechanismen und -prinzipien (Ökonomisierung) in das bundesdeutsche Gesundheitswesen. Die Ursachen oder besser die Diskussion der Ökonomisierung des Gesundheitswesens liegen über 100 Jahre zurück. Eine Konsequenz aus den Ökonomisierungsbestrebungen führt zur Perspektive, dass u.a. die Attraktivität der Pflegberufe steigen muss (7). Die Parameter, die die Attraktivität der Pflegeberufe erhöhen könnten sind bekannt und werden korrekt repetiert (8). Die Ausgliederung der Personalkosten des Pflegedienstes in den bundesdeutschen Kliniken ist ein Teil eines Reformpaktes zur Verbesserung der Rahmenbedingen der Pflege im Krankenhaus, welches die Große Koalition 2018 verabschiedet hat.
In den Kapiteln 2 und 3 des Buches werden die rechtlichen Grundlagen des Pflegebudgets vorgestellt (17 ff). Die Unterlagen, die für eine Pflegebudgetverhandlungsvereinbarung gegenüber den Kostenträgern vorgelegt werden müssen, werden im Kapitel nachvollziehbar erläutert und begründet (71 ff).
Im Kapitel 5 beschreibt von Cossel aus einer ärztlichen Perspektive die Konsequenzen durch die Einführung des Pflegebudgets für die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen dem ärztlichen und pflegerischen Personal (85 ff). Der Autor schreibt, dass durch die Verabschiedung des Pflegeberufereformgesetzes die Substitution oder Übertragung heilkundlicher Aufgaben an die Pflegeprofession durch das Ministerium für Gesundheit sowie Familie, Senioren und Familie erfolgen kann. Es wird erläutert, dass „die Rollenverteilung zwischen Ärzteschaft und Pflege positiv“ beeinflusst werden dürften (87).
Das vorletzte Kapitel 6 befasst sich mit den Konsequenzen und den Herausforderungen des Pflegebudgets für das Pflegemanagement (105 ff). Wenn zunächst erläutert wird, dass die DRG-Einführung zu einem Abbau der Personalstellen im Pflegedienst führte, ist das quantitativ richtig, war aber nicht das politische Ziel. Es wurden eben parallel nicht, wie im staatspolitischen Ziel „ambulant vor stationär“ zu erwarten gewesen wäre, die Bettenzahl in den Kliniken reduziert und in der Folge die stationäre ärztliche Behandlung in den ambulanten Bereich verlagert. Die Zahl der Behandlungsfälle in den Kliniken blieb gleich oder erhöhte sich zwischenzeitlich sogar leicht. Bei einer Reduzierung der stationären Behandlungsfälle um z.B. 30 % würde das vorhandene Pflegepersonal in den Kliniken ja durchaus auskömmlich sein. Die Gründe für die „Verweigerung“ ambulante Behandlungsoptionen auszubauen ist weder in der Politik noch bei den Pflegeberufen zu suchen. Maucher kommt zu der Erkenntnis, dass es ein Umsetzungsproblem gibt, dass eben diese Umsetzung auch vom Pflegepersonal initiiert werden kann oder könnte.
Die Autorin stellt das Modell des Magnetkrankenhauses in einer Feldeinrichtung (Universitätskliniken Ulm) vor (115 ff). Anschließend wird im vorliegenden Buch die Funktion der Führung entsprechend gewürdigt, wenn u.a. die Aufgabe der Strategieentwicklung formuliert wird (116). Als wesentlich wird herausgehoben, dass zur Zertifizierung als Magnetkrankenhaus die Akademisierung der Pflegepraxis herangezogen wird. Der Pflegeprozess wird als vorbehaltene Methode professioneller Pflege als Prinzip der Arbeitsorganisation erläutert und eingefordert. Auch das Denken in Prozessen sei nicht bei allen Menschen vorhanden. Eine Wahrnehmung in Funktionen und Tätigkeiten überwiegt aus unterschiedlichen Gründen. Wesentlich erscheint auch, dass von den zukünftigen PflegemanagerInnen, mehr als heute, strategisches Denken gefordert wird. Dies ist ein wichtiger Hinweis, da viele Führungspersonen in der Pflege ihr Handeln und Denken eher aus einer operativen Perspektive und Wahrnehmung ableiten. Somit ist es nicht nur eine Aufgabe der Selbstreflexion der potentiellen Führungspersonen, sondern auch eine Frage der Auswahlkommissionen und der Menschenkenntnis (129).
Das vorliegende Buch endet mit dem Kapitel über das Pflegecontrolling (161 ff). Abgerundet wird es durch den Wunsch von Heilsberger, Feistl und Spitz nach einer Entökonomisierung der Pflege des Menschen. Pflegecontrolling als Transparenzkonzept verstanden, um pflegerische Leistung abzubilden erscheine sinnvoll.
Diskussion
Das Buch ist verständlich geschrieben ohne jedoch auf eine spezifische Wissenschaftssprache zu verzichten. Grundlagenwissen zur Betriebswirtschaftslehre sollte bei den LeserInnen vorhanden sein. Den Studenten und Studentinnen der Pflege werden wertvolle neue Denkanstöße gegeben.
Jedes Kapitel ließe sich vertiefen und rechtfertigt eine eigene Buchreihe. Einen sehr guten Überblick im Sinne eines sehr aktuellen Themas liefert das Buch auf jeden Fall.
Die Durchdringung der Materie scheint für Menschen die den Pflegeberuf ergriffen haben um pflegebedürftige Menschen zu pflegen nicht geeignet zu sein. Die Zielgruppe für das vorliegende Buch liegt eher bei den Menschen, die zwar über eine pflegerische Berufssozialisation verfügen, aber die direkte Versorgung der pflegebedürftigen Menschen und die direkte Führung der Kolleginnen und Kollegen eher nicht mehr favorisieren.
Kritikwürdig hält der Rezensent den Klassifizierungsversuch Arbeit und Lernen in Generationsmuster zu drängen (z.B. Generation X/Y). (134) Individuen verändern die Praxis! Und das ist keine Frage der Generation. Bei allem Verständnis für den Wunsch Menschen in Strukturen zu bündeln, entspricht das keinem Modell der individuellen Entwicklung. Es gibt eben auch „Baby-Boomer“, die die Merkmale der Generation X oder Y tragen. Hier wäre eine etwas kritischere Distanz durchaus denkbar gewesen.
Die Funktion des Pflegecontrollings ist es u.a. Zahlen oder Daten pflegerischer Leistungen abzubilden. Was ist aber, wenn sich bestimmte Leistungen, wie Empathie und Aufmerksamkeit ökonomisch nicht abbilden lassen?
Fazit
Den AutorInnen ist es gelungen eine durchaus trockene Materie so aufzubereiten, dass eine hohe Praxisrelevanz gegeben ist. Ein durchweg zu empfehlendes Buch für Studentinnen und Studenten des Pflegemanagements und für Praktiker, die in der Funktion des Pflegemanagements und/oder des Pflegecontrollings tätig sind. Gerade die Kapitel bzw. die Abschnitte zur Interdisziplinarität sollten unbedingt auch von GeschäftsführerInnen, VerwaltungsdirektorInnen und leitenden ÄrztInnen gelesen werden.
Rezension von
Prof. Dr. Olaf Scupin
Professur für Pflegemanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena, Mitglied der Leibniz-Sozietät zu Berlin, Direktor am Institut für Coaching und Organisationsberatung der EAH Jena, Diplom-Pflegewirt (FH), Pflegedirektor, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege, Krankenpfleger, Weiterbildung zur Leitung einer Station oder Abteilung am ÖTV-Institut Duisburg
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Zitiervorschlag
Olaf Scupin. Rezension vom 08.06.2023 zu:
Uwe Bettig (Hrsg.): Praxiswissen Pflegebudget im Krankenhaus. medhochzwei Verlag GmbH
(Heidelberg) 2022.
ISBN 978-3-86216-802-6.
Reihe: Gesundheitswesen in der Praxis.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30141.php, Datum des Zugriffs 15.01.2025.
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