Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet - Das Netz für die Sozialwirtschaft

Eva Kühn: Zwischen den Welten

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 08.05.2023

Cover Eva Kühn: Zwischen den Welten ISBN 978-3-95490-461-7

Eva Kühn: Zwischen den Welten. Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit. Dr. Ludwig Reichert Verlag (Wiesbaden) 2020. 138 Seiten. ISBN 978-3-95490-461-7. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Zeitzeugen – Lebenserzähler

Erinnerungen sind geronnene Zeit. Es sind tatsächliche Erfahrungen, mit der Zeit verbrämte, geschönte oder katastrophierte Erzählungen. Autobiographische Erinnerungen erfüllen im geschichtlichen, kulturellen, individuellen und kollektiven Prozess von Ich- und Weltdeutung eine literarische Funktion. Es sind die intellektuellen, alltäglichen und lokal- und globalgesellschaftlichen Wahrnehmungen, die mit der Frage beginnen: „Wer bin ich?“, und sich ausweiten in den Nachfragen: „Wie bin ich/wie sind wir geworden, wer und was wir sind?“ (vgl. dazu auch: Joachim Bauer, Wie wir werden, wer wir sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz, 2022, www.socialnet.de/rezensionen/29229.php). Lebenserzählungen sind individuelle Vergewisserungen über die eigene Identität – und sie wollen – wenn sie veröffentlicht werden – das eigene Erlebte anderen Menschen mitteilen. Wenn dabei Deja-vu-, und/oder gleiche oder ähnlich erlebte Erfahrungen deutlich werden, wird im anthropologischen, literarischen Diskurs von der „Konstruktion der Erinnerung“ gesprochen, die sich im Gedenken und Bedenken als „Memoria-Bildung“ und „Erinnerungskultur“ darstellen (Carolin Behrmann, u.a., Hrsg., Grab – Kult – Memoria. Studien zur gesellschaftlichen Funktion von Erinnerung, 2007, www.socialnet.de/rezensionen/6210.php).

Entstehungshintergrund und Autorin

Es sind „Tag- und „Nachtgedanken“, die aus Fundsachen, Sammlungen, Archiven und Tagebüchern gründen, in Erinnerungen aufkommen und zu Wort gebracht werden. Unter ihrem Mädchennamen, Eva Hildebrecht, hat Eva Kühn ihre Biographie bereits unter dem Titel „Der Rat des Rabbi“, 2017 veröffentlicht. Dass der Ludwig-Reichert-Verlag 2020 die Erzählung erneut (unverändert!) herausbringt, lässt die Frage nach dem Warum? Aufkommen. Eine Antwort könnte sein, dass die pensionierte Lehrerin in der Volkshochschule Kurse zur Literaturbetrachtung und Philosophie anbietet, und dabei Fragen nach Leben und Tod, nach Erleben und Abschied, nach Endlichkeit und Perspektivenwechsel diskutiert werden, und daraus deutlich wird, dass Lebenserzählungen nach wie vor im familialen und gesellschaftlichen Diskurs gefragt sind. Das ist tröstlich und bemerkenswert, wird doch in unserer schnelllebigen Zeit der Eindruck relativiert, dass Egoismus und Geschichtsvergessenheit überhand nähmen.

Aufbau und Inhalt

Neben den einleitenden Vorbetrachtungen gliedert Eva Kühn ihre Autobiographie zeitläuftig. Sie beginnt ihre Erzählung mit der Frage – „Wo komm‘ ich her?“ – indem sie über ihren familiären Hintergrund und den Schicksalswegen von „Mutter, Vater, Tod des Vaters, Flucht nach Marburg“ berichtet, über ihre „Kindheit in Kriegs- und Nachkriegszeit“ reflektiert, über ihren einjährigen Aufenthalt in der Schweiz nachdenkt, von der „Schule in Marburg mit Abitur und Studienbeginn“ erzählt, ihre Erfahrungen beim „Studium in Marburg“ thematisiert, und schließlich den Schicksalsschlag vom Tod ihres Sohnes Thomas bearbeitet. Mit den Schlussbetrachtungen schließt sich der Kreis ihres Lebensberichts, indem sie aufnimmt, was die Poetin Mascha Kaléko in ihrem Gedicht zum Ausdruck bringt: „Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tod derer, die mir nah sind“.

Diskussion

Lebenserinnerungen von lebenden Zeitzeugen können Türöffner und Denkorte für den Menschheitsverlauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sein. Sie können künden und erzählen von schicksalhaften und bewältigten Ereignissen und Erfahrungen, von Glück und Unglück, von Freuden und Schmerz von Individuen und Gemeinschaften. In den Zeiten von Unsicherheiten, von Leid und Krieg, von Ego-, Ethnozentrismus und Populismus hilft ein Blick auf Bemühungen und Anstrengungen, mit Anpassung und Widerstand zu leben. Es ist die Aufmerksamkeit zu richten auf Not und Leid (Alexander Denzler, u.a., Hrsg., Kinder und Krieg, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/21887.php), und auf die Anforderungen, Anpassung und Widerstand in ein Lebensgleichgewicht zu bringen (Philipp Staab, Anpassung. Leitmotiv der nächsten Generation, 2022.

Fazit

Eva Kühns neu aufgelegte Autobiographie „Zwischen den Welten: Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit“ ist eine Erzählung, bei der LeserInnen eigene Erfahrungen erinnern, und sie ihren Nachkommen und Freunden weitergeben können. Die Autobiographie kann in schulischen Zusammenhängen und in Lese- und Diskussionszirkeln Einsatz finden.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
Mailformular

Es gibt 1595 Rezensionen von Jos Schnurer.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 08.05.2023 zu: Eva Kühn: Zwischen den Welten. Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit. Dr. Ludwig Reichert Verlag (Wiesbaden) 2020. ISBN 978-3-95490-461-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30143.php, Datum des Zugriffs 11.06.2023.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht