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Peter Fiedler, Sabine Herpertz: Persönlichkeitsstörungen

Rezensiert von Karsten Giertz, 27.03.2024

Cover Peter Fiedler, Sabine Herpertz: Persönlichkeitsstörungen ISBN 978-3-621-28893-4

Peter Fiedler, Sabine Herpertz: Persönlichkeitsstörungen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2023. 565 Seiten. ISBN 978-3-621-28893-4. D: 58,00 EUR, A: 59,70 EUR.

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Thema

Etwa 10 bis 15 % der Menschen in der Allgemeinbevölkerung leiden unter einer Persönlichkeitsstörung (vgl. Fiedler 2018). In vielen Angeboten der psychiatrischen, psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung gehören Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung zu einer häufig anzutreffenden Zielgruppe (vgl. Loranger et al. 1994). Persönlichkeitsstörungen äußern sich bei den Betroffenen in starren Denk- und Handlungsweisen. Oftmals gelingt es den Betroffenen nicht oder nur begrenzt, sich auf wechselnde Situationen einzustellen und flexibel damit umzugehen. Ihre einseitigen, oft unangemessenen Reaktionen können das soziale Miteinander stark beeinträchtigen und zu zwischenmenschlichen Konflikten führen. Viele Betroffene leiden zum Teil erheblich darunter. Nicht selten verstehen sie jedoch nicht, warum ihr Verhalten in ihrem Umfeld auf Unverständnis stößt.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung entwickelt. Durch die stetig steigenden Forschungsinitiativen in diesem Bereich haben zudem die Erkenntnisse zu den Ursachen, Symptomen und Verläufen von spezifischen Persönlichkeitsstörungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. In zahlreichen Studien konnte unter anderem nachgewiesen werden, dass Persönlichkeitsstörungen sich im Verlauf verändern und selten einen chronischen Entwicklungsverlauf aufweisen. Die wissenschaftlichen Entwicklungen schlugen sich auch in einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der psychiatrischen Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen nieder. So geht das alternative Klassifikationsmodell der Persönlichkeitsstörungen in der fünften Auflage des Diagnostischen Statistischen Manual psychischer Störungen (DSM 5) der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (2013) und die Klassifikation von Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsfunktionen in der elften Auflage der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 11) der Weltgesundheitsorganisation (Mittmansgruber 2020) nicht mehr von einem kategorialen sondern von einem dimensionalen Klassifikationssystem bei Persönlichkeitsstörungen aus. Dieser grundlegende Paradigmenwechsel beeinflusst nicht nur die zukünftige Diagnostik, sondern auch die Therapie und Forschung von Persönlichkeitsstörungen.

In der Neuauflage des renommierten Fachbuches „Persönlichkeitsstörungen“ greifen der Autor Peter Fiedler und die Autorin Sabine Herpertz die aktuellen Entwicklungen auf und fassen den aktuellen Stand im Bereich der Forschung, Diagnostik und Therapie von Persönlichkeitsstörungen zusammen.

Autor:in

Prof. Dr. Peter Fiedler ist Verhaltenstherapeut und Supervisor und lehrt seit 1980 als Universitätsprofessor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg. Prof. Dr. Sabine C. Herpertz ist seit 2009 Lehrstuhlinhaberin für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg, wo sie seit 2018 das Amt der Studiendekanin an der Medizinischen Fakultät Heidelberg innehat. Sowohl Peter Fiedler als auch Sabine Herpertz beschäftigen sich in ihrer Forschung seit vielen Jahren unter anderem mit Persönlichkeitsstörungen.

Entstehungshintergrund

Das Fachbuch „Persönlichkeitsstörungen“ wurde ursprünglich von Peter Fiedler als alleiniger Autor verfasst und bis zur 6. Auflage regelmäßig aktualisiert (Fiedler 2007). Mit der 7. Ausgabe hat sich die Autorenschaft des Fachbuches mit Sabine C. Herpertz erweitert (Fiedler & Herpertz 2017). Seit 2023 liegt die 8. Auflage in der Beltz Verlagsgruppe vor, die im Vergleich zur 7. Auflage zahlreiche Aktualisierungen und Überarbeitungen sowie die E-Book-Ausgabe als kostenlosen Download enthält.

Aufbau

Das 558 Seiten lange Buch ist in 24 Einzelkapitel und 5 übergeordnete Buchteile gegliedert. Im ersten Teil wird eine allgemeine Einführung in das Konzept der Persönlichkeitsstile und -störungen gegeben. Der zweite Teil widmet sich der historischen und aktuellen Konzeptentwicklung von Persönlichkeitsstörungen. Zudem werden verschiedene psychologische Erklärungsansätze vorgestellt sowie die aktuellen Erkenntnisse aus der psychiatrischen Epidemiologie, Neurobiologie und Genetik zu Persönlichkeitsstörungen zusammengefasst. Im dritten Teil beschäftigen sich die Autorin und der Autor mit der allgemeinen Behandlung von Persönlichkeitsstörungen.Neben übergreifenden Überlegungen werden aktuelle Entwicklungen zu einer integrativen Psychotherapie sowie Perspektiven im Umgang mit therapeutischen Krisen bei dieser Zielgruppe beschrieben. Ausgehend von der kategorialen DSM-5- und ICD-10-Klassifikation fassen der Autor und die Autorin im fünften Kapitel den aktuellen Forschungsstand zu spezifischen Persönlichkeitsstörungen wie zum Beispiel antisoziale Persönlichkeitsstörung, selbstunsichere Persönlichkeitsstörung oder Borderline-Persönlichkeitsstörung zusammen. Der letzte Teil enthält einen kritischen Epilog zu den Schwierigkeiten bei der Bestimmung von diagnostischen Grenzen hinsichtlich einer normalen Persönlichkeit und einer pathologischen Persönlichkeitsstörung.

Inhalt

Zu Beginn gehen die Autorin und der Autor im ersten Kapitel auf das Stigmatisierungsrisiko von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ein. Unter der Persönlichkeit eines Menschen wird seine „eigene und unverwechselbare Art und Weise zu denken, zu fühlen, wahrzunehmen und auf die Außenwelt zu reagieren (S. 20)“ definiert. Anders als bei anderen psychiatrischen Diagnosen bezieht sich die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nicht nur auf einzelne „störende“ Verhaltens- oder Erlebnisweisen, sondern immer auf die ganze Person. Zudem wird der Grad der Abweichungen weniger von klar bestimmbaren Kriterien als vielmehr über das erreichte Ausmaß an sozialer Devianz in einem sozialen System bestimmt. Durch diese Fremdzuschreibung können für die Betroffenen eine Vielzahl negativer Folgen entstehen. So werden sie beispielsweise selbst für das Problem verantwortlich gemacht oder die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung verbirgt die Gefahr einer überdauernden Identitätszuschreibung in sich. Anderseits erlaubt das Konzept der Persönlichkeitsstörung aber auch, dass die Betroffenen eine Erklärung für ihre eigenen Schwierigkeiten oder einen entsprechenden Zugang zu wirksamen Behandlungs- und Unterstützungsangeboten erhalten. Um den möglichen negativen Folgen einer Persönlichkeitsstörung entgegenzuwirken, plädieren die Autorin und der Autor deshalb für die Überwindung und Vermeidung negativer konnotierter Stigmatisierung durch Metakommunikation und eine transparente diagnostische Aufklärung. Die zumeist negativ formulierten Diagnosen sollten dabei in eine für den oder die Patient:in akzeptierbare Sprache übersetzt und die natürlichen Motive hinter den abweichenden Denk- und Handlungsweisen bewusst gemacht werden.

Im zweiten Kapitel wird ein Einblick in das Konzept der Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung gegeben. Zudem setzen sich die Autorin und der Autor mit dem Konzept der Persönlichkeitsstile und -störungen auseinander. Unter Persönlichkeit wird dabei der Ausdruck eines Menschen „der für ihn charakteristischen Verhaltensweisen und Interaktionsmuster, mit denen er gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach einer persönlichen Identität mit Sinn zu füllen versucht (S. 31).“ Dagegen sind Persönlichkeitsstörungen vor allem „sozial unflexible, wenig angepasste und im Extrem normabweichende Verhaltensauffälligkeiten (S. 31)“, die im Rahmen eines langanhaltenden Musters des Denkens, Verhaltens, Wahrnehmens und Fühlens über einen längeren Zeitraum fortbestehen, mit zahlreichen Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen (z.B. privater oder beruflicher Bereich) einhergehen und zu gravierendem subjektivem Leid führen.

Im Zusammenhang mit den Neuerungen im DSM 5 und in der ICD 11 führen der Autor und die Autorin zum Abschluss des Kapitels in das Konzept der Persönlichkeitsstile ein, welches insbesondere bei der dimensionalen Diagnostik von Persönlichkeitsstörung Anwendung findet. Hier wird davon ausgegangen, dass es zu jeder klinisch auffälligen Persönlichkeitsstörung einen analogen nicht pathologischen Persönlichkeitsstil gibt. Das Persönlichkeitsprofil eines Menschen lässt sich in diesem Zusammenhang als eine individuelle Ausprägung von verschiedenen Persönlichkeitsstilen verstehen, die mittels standardisierter diagnostischer Instrumente ermittelt werden können. Extreme von der Normalverteilung abweichende Ausprägungen eines Persönlichkeitsstils weisen dann auf die Tendenz zu möglichen Persönlichkeitsstörungen hin. Zum Abschluss des Kapitels werden dann die einzelnen Persönlichkeitsstile und -störungen sowie ihre spezifische Funktion und Dynamik näher vorgestellt.

Zu Beginn des zweiten Teils wird im dritten Kapitel ein Überblick zur historischen Entwicklung der psychiatrischen Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen gegeben. Dabei fassen die Autorin und der Autor die Entwicklung von den frühesten Ursprüngen der Klassifikation bei Philipe Pinel oder Emil Kraepelin bis hin zur aktuellen DSM-5- und ICD-10-Klassifikation zusammen. Einen besonderen Schwerpunkt des Kapitels nimmt das Alternative-Modell der Persönlichkeitsstörung im DSM 5 und das Modell der Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsfunktionen in der ICD 11 ein. Bei beiden Modellen handelt es sich, um einen dimensionalen Klassifikationsansatz. Der theoretische Hintergrund und der aktuelle Stand zur Umsetzung in der Forschung und Praxis werden dabei näher beschrieben.

Besonders psychoanalytische Konzepte aus dem Bereich der Ich-Psychologie, Objektbeziehungstheorie und Selbstpsychologie haben das gegenwärtige Verständnis von Persönlichkeitsstörungen geprägt. Das Kapitel vier enthält daher eine Zusammenfassung mit den wichtigsten psychoanalytischen Beiträgen zur Konzeptentwicklung der Persönlichkeitsstörungen. Hierzu zählen unter anderem die Arbeiten von Sigmund Freud zum psychoanalytischen Strukturmodell, die Arbeiten zu den Charakterstörungen als frühe Störung der Ich-Entwicklung von Karl Abraham oder Wilhelm Reich sowie die Arbeit von Otto Kernberg zu den pathologischen Objekt-Beziehungen bei Persönlichkeitsstörungen.

Neben den psychoanalytischen Beiträgen bereicherten auch neo- bzw. postfreundianische Beiträge sowie Beiträge aus der Interpersonellen Psychotherapie die Konzeptentwicklung der Persönlichkeitsstörungen, welche in Kapitel 5 von dem Autor und der Autorin zusammengefasst werden. Insbesondere der Fokus der Interpersonellen Psychotherapie auf die zwischenmenschlichen Beeinträchtigungen von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen sowie der Einfluss der Interpersonellen Psychotherapie auf die klinisch-psychologische und psychiatrische Forschung zu Persönlichkeitsstörungen stehen in diesem Kapitel im Fokus. Hervorgehoben werden dabei die Arbeiten von Harry Stack Sullivan und die Arbeiten von dessen Nachfolger zu den Circumplex-Modellen sowie zur Strukturanalyse sozialer Beziehungen.

Als Ergänzung zu den beiden vorherigen Kapiteln stellen der Autor und die Autorin in Kapitel 6 den aktuellen Stand der psychologischen Erklärungsmodelle zur Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung vor. Neben den Beiträgen aus der deutschen Charakterkunde und zu sogenannten Schichtmodellen konzentriert sich das Kapitel auf Beiträge zu dimensionalen Systematiken zur Beschreibung von Persönlichkeitsstilen und -störungen. Ein besonderen Schwerpunkt nimmt dabei das Fünf-Faktor-Modell der Persönlichkeit ein, das ursprünglich von Hans Jürgen Eysenck im Rahmen von faktoranalytischen Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung entwickelt, von verschiedenen Forscher:innen modifiziert und heute Eingang in den dimensionalen Klassifikationsansatz des DSM 5 und der ICD 11 gefunden hat. Demnach lassen sich die individuellen Persönlichkeitsprofile sowohl bei Menschen aus der Allgemeinbevölkerung als auch bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen anhand einer spezifischen Ausprägung von fünf Persönlichkeitsmerkmalen (z.B. Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus, Offenheit für Erfahrungen) näher beschreiben. Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen können die spezifischen Ausprägungen dann zur Indikationsstellung für die Behandlungsschwerpunkte herangezogen werden. 

Das siebte Kapitel enthält einen Überblick zu den aktuellen Erkenntnissen aus der Neurobiologie und Genetik von Persönlichkeitsstörungen. Mittlerweile weisen die Daten aus systematischen genetischen Studien daraufhin, dass bei Persönlichkeitsstörungen 40 bis 50 % der Varianz durch genetische Faktoren und weitere 50 % durch individuelle Umweltfaktoren zu erklären sind. Auch im Bereich verschiedener Persönlichkeitsfunktionen wie Affektregulation, Bindung, soziale Verträglichkeit im Bereich Aggressivität und Impulsivität konnten in den letzten Jahren zahlreiche Erkenntnisse zu den dazugehörigen neubiologischen Korrelaten ermittelt werden. Zudem liegen Erkenntnisse zu den spezifischen strukturellen und funktionellen Beeinträchtigungen bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung und antisozialen Persönlichkeitsstörung vor, die das klinische Verständnis bei beiden Persönlichkeitsstörungen bereichert haben und aktuell zur Entwicklung von wirksamen psychotherapeutischen Behandlungsansätzen beitragen.

Im achten Kapitel geben die Autorin und der Autor einen Überblick über die verschiedenen differenzialdiagnostischen Instrumente und Verfahren bei der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen. Hierzu zählen verschiedene strukturierte Interviewverfahren, Interviews zur Beurteilung des Funktionsniveaus, Fragebögen zur Selbstbeurteilung sowie Diagnostikinstrumente zu spezifischen Persönlichkeitsstörungen. Im Anschluss diskutieren sie die Vor- und Nachteile von Interviews und Fragebögen. Zudem werden die Erkenntnisse zur Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen mit anderen psychischen Erkrankungen und zur Komorbidität untereinander vorgestellt und diskutiert.

Seit der Einführung der dritten Auflage des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM) (APA 1980) wird die Gruppe der Persönlichkeitsstörungen auch in der psychiatrischen Epidemiologie näher untersucht. Mittlerweile liegen diverse Studien zur Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen als Gruppe und zur Häufigkeit von spezifischen Persönlichkeitsstörungen in der Allgemeinbevölkerung und in klinischen Stichproben vor. Ausgehend von diesen Studien lässt sich die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen in der Allgemeinbevölkerung zwischen 10 und 15 % schätzen. In klinischen Stichproben ist der Anteil von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen zwischen 39 bis 51 % deutlich höher. Hinsichtlich des Langzeitverlaufes legen die Studien nahe, dass sich Persönlichkeitsstörungen im Laufe des Lebens hinsichtlich ihrer Symptomatologie verändern und die meisten Patient:innen bereits nach wenigen Jahren unabhängig von der Behandlungssituation keine ausreichenden Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung mehr erfüllen. Demnach kritisieren die Autor:in den immer noch weit verbreiteten Mythos der Stabilität und Chronifizierung von Persönlichkeitsstörung und verweisen auf die durchschnittlich guten Prognosen von Persönlichkeitsstörungen hin.

Der dritte Teil des Buches beschäftigt sich mit der psychotherapeutischen Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. Zu Beginn werden im zehnten Kapitel allgemeine Überlegungen im Kontext der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen wie Therapieziele, Problemanalyse vor der Behandlung, Fokusbildung in der Therapie, Umgang mit Selbst- und Fremdgefährdung sowie Umgang mit der Integration einer psychopharmakologischen Behandlung vorgestellt. Darüber hinaus enthält das Kapitel eine Übersicht zu den verschiedenen psychotherapeutischen Behandlungsverfahren (z.B. psychodynamische Behandlungsansätze, verhaltenstherapeutische Verfahren, Gesprächspsychotherapie) und Überlegungen zu deren Indikation.

Ergänzend zum zehnten Kapitel werden im elften Kapitel integrative Ansätze in der psychotherapeutischen Behandlung von Persönlichkeitsstörungen vorgestellt. Im Mittelpunkt des Kapitels stehen die Mentalisierungsgestützte Psychotherapie, die Strukturbezogene Psychotherapie und die Schematherapie, die sich alle drei nach Ansicht der Autorin und des Autoren darin auszeichnen, das sie therapieschulen übergreifend konzipiert wurden und unterschiedliche Theorieperspektiven miteinander integrieren. Mit dem Fokus auf die strukturellen Probleme bei Persönlichkeitsstörungen als Konglomerat aus Störungen der Erinnerung, der Gefühle, der Kognition und der körperlichen Wahrnehmungen besteht nach Ansicht der Autorin und des Autors bei allen drei Ansätzen auch eine enge Verbindung zum Störungs- und Erklärungsansatz des dimensionalen Klassifikationsmodells im DSM 5 und in der ICD 11. Die drei Behandlungsansätze werden daher im elften Kapitel hinsichtlich ihres theoretischen Hintergrundes, der übergeordneten Therapieziele und des allgemeinen therapeutischen Vorgehens vorgestellt und miteinander verglichen.

Im zwölften Kapitel gehen der Autor und die Autorin auf therapeutische Krisen im Kontext der Ich-Syntonie bei Persönlichkeitsstörungen ein. Dabei werden unter Ich-Syntonie ein Mangel an Mentalisierungskompetenzen und reflektierter Einsicht in die eigenen Gewohnheiten verstanden, woraus sich verschiedene zwischenmenschliche Probleme ergebenen, die auch in der therapeutischen Behandlung die Mitarbeit negativ beeinflussen oder zum Therapieabbruch führen können. Ausgehend von der Gesprächsstrategie der personenbezogenen Verantwortungszuweisen stellen die Autorin und der Autor einen Ansatz zur mentalisierungsgestützten Auflösung von therapeutischen Krisen im Zusammenhang mit der Ich-Syntonie vor.

Im vierten Teil des Buches werden der aktuelle Stand zur Diagnostik, Ätiologie und Behandlung von spezifischen Persönlichkeitsstörungen vorgestellt. Zu Beginn gehen der Autor und die Autorin noch einmal auf das zukünftige dimensionale Diagnostikmodell der ICD 11 ein und zeigen auf, welche Chancen und Perspektiven sich daraus für die therapeutische Praxis ergeben und wie eine konkrete Umsetzung bei der Therapieplanung aussehen kann. Im Anschluss fassen sie in Kapitel 14 bis Kapitel 23 den aktuellen Forschungsstand zu spezifischen Persönlichkeitsstörungen wie Borderline-Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung oder schizotype Persönlichkeitsstörung zusammen. Da die Diagnostik nach dem dimensionalen Ansatz des DSM 5 und der ICD 11 bisher in der Praxis und Forschung noch nicht flächendeckend umgesetzt wird, orientieren sich der Autor und die Autorin bei der Auswahl der spezifischen Persönlichkeitsstörungen an der Klassifikation des DSM 5 und der ICD 10.

In ihrem abschließenden Epilog fassen die Autorin und der Autor die wichtigsten Entwicklungen in der Diagnostik und klinischen Forschung im Bereich der Persönlichkeitsstörungen zusammen. Zudem werden aktuelle Herausforderungen in der Diagnostik und Forschung zu Persönlichkeitsstörungen kritisch diskutiert wie die Umsetzung des dimensionalen Klassifikationssystems von Persönlichkeitsstörungen in der Praxis, die noch immer bestehenden Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen einer gesunden Persönlichkeit und pathologischen Persönlichkeitsstörung oder das Fehlen einer allgemeinen Entwicklungspsychologie der Persönlichkeitsstörungen in den wissenschaftlichen Diskursen.

Diskussion

Bei dem Fachbuch „Persönlichkeitsstörungen“ von Peter Fiedler und Sabine Herpertz handelt es sich um ein umfangreiches und kompaktes Grundlagenwerk zu Persönlichkeitsstörungen. Das Buch gibt einen fundierten Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Diagnostik, klinischen Forschung und Therapie von Persönlichkeitsstörungen. Dabei wird nicht nur ein Überblick zur Gruppe der Persönlichkeitsstörungen im Allgemeinen gegeben, sondern alle relevanten spezifischen Persönlichkeitsstörungen werden berücksichtigt. Im Vergleich zu den früheren Auflagen enthält die 8. Auflage eine Übersicht zu den aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Einführung der ICD 11 und der damit einhergehenden verbindlichen dimensionalen Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen. Hier informiert das Fachbuch hervorragend über die theoretischen und wissenschaftlichen Hintergründe der neuen ICD-11-Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen sowie über die Umsetzungsmöglichkeiten in der Diagnostik und Behandlungsplanung. Ebenso werden im Teil zur psychotherapeutischen Behandlung neuere Entwicklungen in der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen aufgegriffen.

Fazit

Bei dem Fachbuch „Persönlichkeitsstörungen“ von Peter Fiedler und Sabine Herpertz handelt es sich um ein umfangreiches und kompaktes Grundlagenwerk zu Persönlichkeitsstörungen. Das Buch gibt einen fundierten Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Diagnostik, klinischen Forschung und Therapie von Persönlichkeitsstörungen. Mit der verständlichen Sprache richtet es sich an alle Leser:innen, die sich für das Thema interessieren. Darüber hinaus ist das Fachbuch auch für Fachpersonen und Wissenschaftler:innen im Bereich der Diagnostik, Behandlung, Unterstützung und Forschung von Persönlichkeitsstörungen relevant.

Literatur

American Psychiatric Association (1980). Quick Reference to the Diagnostic Criteria from Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Third Edition, Washington DC, American Psychiatric Association. Deutsche Überarbeitung: Tinger, Gerhard (Hrsg.) (1986). Diagnostische Kriterien und Differentialdiagnosen des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-III. Weinheim und Basel, Belz Verlag.

American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition. Washington DC, American Psychiatric Association. Deutsche Überarbeitung: Falkai, P., Wittchen, H.-U., Döpfner, M., Gaebel, W., Maier, W., Rief, W., Saß, H. & Zaudig, M. (Hrsg.) (2015). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5. Göttingen, Hogrefe Verlag.

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (2012). ICD-10-GM 2012 Systematisches Verzeichnis. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. 10. Revision – German Modification. DIMDI (Hrsg.). Köln, Deutscher Ärtzte-Verlag, Version 2012 - Stand 23. September 2011.

Fiedler, P. (2007). Persönlichkeitsstörungen. Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 6. aktualisierte Aufl.

Fiedler, P. (2018). Epidemiologie und Verlauf von Persönlichkeitsstörungen. In: Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 66 (2), S. 85–94.

Fiedler, P. & Herpertz, S. C. (2017). Persönlichkeitsstörungen. Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 7., vollständig überarbeitete Auflage.

Loranger, A. W., Sartorius, N., Andreoli, A., Berger, P., Buchheim, P., Channabasavanna, S. M., Coid, B., Dahl, A., Diekstra, R. F. W., Ferguson, B., Jacobsberg, L. B., Mombour, W., Pull, C. Ono, Y. & Regier, D. A. (1994). The International Personality Disorder Examination. The World Health Organization/​Alcohol, Drug Abuse, and Mental Health Administration International Pilot Study of Personality Disorders. In: Archives of General Psychiatry, 51, pp. 215–224.

Mitmansgruber, H. (2020). Die „neue“ Borderline-Persönlichkeitsstörung: Dimensionale Klassifikation imDSM-5 und ICD-11. In: Psychotherapie Forum, 24, S. 89–99.

Rezension von
Karsten Giertz
M. A., ist Geschäftsführer des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e. V., Vorstandsvorsitzende des European Centre of Clinical Social Work e.V., Mitglied im Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. sowie in den Fachgruppen Sektion Klinische Sozialarbeit und Case Management der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. Er promoviert an der Universitätsmedizin Greifswald zur psychosozialen Versorgung von Borderline-Patientinnen und -Patienten und hat mehrere Lehraufträge und hat mehrere Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen und Institutionen für Klinische Sozialarbeit, psychosoziale Beratung und Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie Sozialpsychiatrie und Psychotherapieforschung.
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ISSN 2190-9245