Edgar Baumgartner (Hrsg.): Betriebliche Soziale Arbeit in der Schweiz
Rezensiert von Prof. Dr. Paul Gödicke, 22.02.2024
Edgar Baumgartner (Hrsg.): Betriebliche Soziale Arbeit in der Schweiz. Geschichte, aktueller Stand und Herausforderungen.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
144 Seiten.
ISBN 978-3-7799-6934-1.
D: 14,95 EUR,
A: 15,40 EUR.
Reihe: Betriebliche Soziale Arbeit. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779966302.
Herausgeber
Der Herausgeber der hier besprochenen Artikelsammlung über die Betriebliche Sozialarbeit in der Schweiz, Prof. Edgar Baumgartner, ist als Leiter des Instituts für Professionsforschung und –entwicklung an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW tätig. Einer seiner Themenschwerpunkte ist die Betriebliche Sozialarbeit, in dem er sich in einer Fülle von Analysen empirisch und theoretisch mit dem Arbeitsfeld der Betrieblichen Sozialen Arbeit auseinandersetzte.
Entstehungshintergrund
Die hier vorgestellte Publikation verdankt ihre Entstehung einem besonderen Anlass: dem 100-jährigen Jubiläum Betrieblicher Sozialarbeit (BSA) in der Schweiz. Die sind nicht nur Gelegenheit für einen feierlichen historischen Über- und Rückblick (wenngleich ein solcher mit dem Artikel von Alan Canonica in dem Büchlein existiert), sondern es geht dem Herausgeber auch darum, einen weiteren Schritt in der Analyse der Betrieblichen Sozialarbeit, ihrer Entwicklungslinien, der Bedarfe an sie, ihrer Organisation und der genutzten methodischen Zugänge zu leisten.
Diesbezügliche (Er-)Kenntnisse über die Betriebliche Sozialarbeit zu publizieren, dies scheint angebracht, wenn man sich mit dem Herausgeber der Schrift vor Augen führt, „dass die betriebliche Soziale Arbeit in einer Position der Randständigkeit gefangen scheint und praktisch keine Selbstverständlichkeiten bezüglich der konkreten Aufgaben und Rolle feststellbar sind“ (vgl. Entwicklung und Erprobung einer evidenzbasierten Konzeption betrieblicher Sozialer Arbeit (https://irf.fhnw.ch/handle/11654/28318 (2009)). Zwischen dieser Aussage und dem Zeitpunkt der Publikation des vorliegenden Büchleins ist zwar mehr als eine Dekade vergangen. Aber dass im Gespräch über die BSA immer noch eine Fülle von Fragezeichen auftauchen unter anderem deswegen, weil auch viele Sozialarbeiter(innen) kein klares Bild davon haben, dies ist auch dem Rezensenten aus seinen Diskussionen an der Hochschule über diesen Zweig der Sozialen Arbeit vertraut.
Insofern ist die vorliegende Publikation, in deren „Fokus (…) Analysen und Beschreibungen der Geschichte, von Entwicklungslinien und aktuellen Herausforderungen des Arbeitsfelds (stehen) und das sich hierbei an Praktiker und Praktikerinnen und weitere an diesem Arbeitsfeld interessierte Fachpersonen“ (9 (Seitenzahlen beziehen sich soweit nicht anders angegeben oder Teil eines Zitats auf die rezensierte Publikation in der Auflage von 2022)) richtet, zu begrüßen. Und ebenso die Herausgabe einer Reihe „Betriebliche Soziale Arbeit“ durch den Kollegen Martin Klein im BELTZ-Verlag. Ein erster Band dieser Reihe wurde unter dem Titel „Eine kleine Einführung in die Betriebliche Soziale Arbeit“ 2021 bei Beltz Juventa (Weinheim und Basel) veröffentlicht und bei socialnet bereits rezensiert. Hier liegt nun ein weiterer Band vor.
Woher rührt der im o. g. Zitat angesprochene Mangel an Selbstverständlichkeiten, der auch über 10 Jahre danach immer noch zu verzeichnen ist? Woher kommt es, dass selbst Fachkräften der Sozialen Arbeit dieses Arbeitsfeld häufig nicht nur nicht selbstverständlich, sondern fremd ist?
Inhalt
Wenig Sinn würde es machen, zu bestreiten, dass die Betriebliche Sozialarbeit im Rahmen der Sozialen Arbeit eine Sonderstellung einnimmt. Worin besteht diese und woher rührt sie?
Besteht sie darin, dass es bei diesem Teil der Sozialen Arbeit nicht um die Befassung mit dem Proprium der Sozialen Arbeit zu gehen scheint? Denn zumindest der Bezeichnung nach scheint es um Betriebe zu gehen und nicht um Menschen? Ergibt sich also die Sonderstellung der BSA daraus, dass man nicht von einem moralisch-ethischen, sondern von einem wirtschaftlichen Beweggrund ausgehen muss bzw. einen solchen vermutet?
Dem Rezensenten sei es gestattet vor der Vorstellung des Büchleins einleitend darauf hinzuweisen, dass jede auch moralisch-ethisch begründete Soziale Arbeit sich bei der Realisierung ihrer Ziele auf die Frage nach der Herkunft/Beschaffung der Ressourcen und ihrer zweckorientierten Verwendung (wer wendet aus welchen Gründen Geld und Arbeit für Soziale Arbeit auf?) verwiesen sehen wird. Denn Fürsorge für notleidende Menschen lebt aufgrund ihrer mangelnden Verkäuflichkeit überwiegend von persönlichen (wie z.B. Spenden) oder öffentlichen Zuwendungen. Diese wiederum sind oftmals moralisch-ethisch motiviert oder (bei öffentlichen Zuwendungen) sozialpolitisch. Der Hilfeerbringer ist somit darauf verwiesen, den Zwecken der Ressourcengeber gerecht zu werden, um den Fluss der Zuwendungen aufrechtzuerhalten.
Wie also stellt sich dies dar, wenn es um Fürsorge geht, von der letztlich Unternehmen profitieren, also Organisationen, deren Tätigkeit sich überwiegend am Gewinn orientiert? Legt man sich die Frage so vor, dann liegt als Antwort bezüglich der Besonderheiten der BSA nahe, dass die Zurverfügungstellung betrieblicher bzw. unternehmerischer Ressourcen unterstellt, dass daraus ein betrieblicher bzw. unternehmerischer Nutzen resultiert bzw. sich ein solcher erwarten lässt.
Welche Fragen werden besprochen?
An diese Nutzenerwartung anknüpfend ergibt sich eine ganze Reihe von Fragen, die in dem vorliegenden Büchlein u.a. angesprochen und untersucht werden:
Zum Beispiel:
- Was hatte eine Fürsorge anfänglich vor, die im Umkreis oder in Betrieben tätig ist? Heißt „Fabrikfürsorge“ (so die vorgängige Bezeichnung der BSA anlässlich der „Einrichtung der ersten Fabrikfürsorgestelle bei der Maschinenfabrik Gebrüder Bühler (die) sich 2022 zum 100. Mal (jährt)“ (9), dass für die Fabrik gesorgt wird und nicht für hilfebedürftige Menschen? Und wenn nicht für die Fabrik gesorgt wird: für wen denn dann und was hat dies mit einer Fabrik zu tun?
- Wer organisiert warum und mit welchen Mitteln eine solche Fabrikfürsorge(stelle)?
- Wo befindet sich die Fabrikfürsorgestelle/BSA in der Regel? In einem Unternehmen oder „beliefert“ ein externer Anbieter den Betrieb mit seinen Leistungen?
- Wenn die Fabrik vielleicht nicht der Adressat einer Fabrikfürsorge ist, aber deren „Lebenswelt“: was folgt daraus für die durchgeführte Sorge um das Klientel?
- Welche Ziele entwickelt eine Soziale Arbeit, die unter einer solchen Bedingung (wirtschaftlicher Zielsetzung) tätig ist?
- Wie entwickelt(e) sich eine Fürsorge in den letzten 100 Jahren, die von einem persönlichen Hilfebedarf ausgehend sich einem solchen Ziel unterordnet(e)?
- Wenn Ressourcen der Fabrik für die Fürsorge verwendet werden: Wie legitimiert sie sich gegenüber betrieblichen bzw. unternehmerischen Ressourcengebern, wenn nicht ethisch-moralisch oder sozialpolitisch? Oder doch ethisch-moralisch oder sozialpolitisch?
Geschichtliche Entwicklung und Herausbildung der modernen BSA
Für alle genannten Fragen finden interessiere Leser(innen) in dem Artikel von Alan Canonica „Betriebliche Soziale Arbeit in der Schweiz im 20. Jahrhundert“ reichhaltig empirisches Material. Zur Vertiefung bieten sich dann die anderen Artikel im Büchlein an. Wer z.B. der Frage nachgehen möchte, wie sich die moderne BSA gegenüber ihren Ressourcengebern legitimiert/legitimieren kann, der entdeckt Ansätze dazu im finalen Artikel der u.a. aus der Feder des Herausgebers stammt (Edgar Baumgartner, Aline Kaufmann und Michael Lambertus: „Leistungen, Ergebnisse und den Nutzen der Betrieblichen Sozialen Arbeit belegen – aktuelle Praxis und Herausforderungen“). Für gegenüber der BSA „fremdelnde“ Leser(innen) werden damit verbundene Überlegungen, die zu einer betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung führen, das Arbeitsfeld vielleicht noch fremder machen, aber in Edgar Baumgartner auf jeden Fall einen der ersten und sehr differenziert analysierenden Experten in diesem Gebiet finden.
Interessierte, die sich mit der ersten und zweiten Frage befassen, wie Fabrikfürsorge entstanden ist und „wie es dazu kommen konnte, dass Soziale Arbeiter“ sich für gewinnorientierte Unternehmen „einspannen“ lassen, werden bezüglich der historischen Entwicklung in dem ersten Artikel von Alan Canonica reichhaltig Material finden und feststellen, dass auch die Vorläufer der BSA in der Schweiz, die ersten Fabrikfürsorgestellen“ einen klaren fürsorgerischen Ausgangspunkt zur Hilfe für Armutsbetroffene hatten. Wie ausgehend von „der Bewältigung von fürsorgerischen Aufgaben im engeren Sinn für Menschen oder Familien, die (in der Nachkriegszeit) in existenzielle Notlagen geraten waren“ (16) zunehmend „eine innerbetriebliche Perspektive in den Vordergrund (rückte), … eine Fokussierung auf die spezifischen Aufgaben erfolgte, die sich mit der Arbeit an sich, dem Arbeitsplatz, Fragen der Zusammenarbeit oder der Anpassung befassten“ (24) dies stellt Alan Canonica in seinem Aufsatz geschichtlich dar.
„Die Ursprünge der Betrieblichen Sozialen Arbeit in der Schweiz sind eng mit dem Namen Else Züblin-Spiller und dem Verein Schweizer Verband Volksdienst (SV) verbunden. Züblin-Spiller (1881–1948) stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und war schon in jungen Jahren journalistisch tätig. 1911 wurde sie Mitglied der Redaktion der «Schweizer Wochenzeitung». Sie war eine sozial sehr engagierte Frau. Sie stand der Heilsarmee nahe und leitete den Pressedienst der Organisation. Mit Studienreisen verschaffte sich Züblin-Spiller ein Bild über die Lebensverhältnisse von Armutsbetroffenen in den Großstädten. In Vorträgen und Berichten beschrieb sie die Not, die sie erlebt hatte, eindringlich. Inspiriert von ihren Erlebnissen in Kopenhagen lancierte sie 1911 den ersten Zürcher Kinderhilfstag. Dank der Veranstaltung wurden Gelder für arme und kranke Kinder gesammelt“ (15)
BSA als betriebliche Investition: also doch Sorge um die Fabrik?
Überlegungen über den Stand in neueren Zeiten, in denen die „Betriebliche Sozialberatung (…) nicht nur als «notwendige Investition» anerkannt (sei), sondern (…) auch «langfristig zum Image eines Unternehmens» beitrage“ (35) finden sich an unterschiedlichen Stellen in anderen Artikeln des Büchleins. „Strategisch positionierte sich die Betriebliche Soziale Arbeit zum einen vermehrt als Dienstleistung und betonte zum anderen verstärkt deren ökonomischen Mehrwert für die Unternehmen“ „Der ökonomische Beitrag der Betrieblichen Sozialen Arbeit, so das Anliegen, sollte für die Unternehmen sichtbar gemacht werden, wobei etwa der Erhalt von wertvollen Mitarbeitenden, die Entlastung von Vorgesetzen, der Beitrag zu einer besseren Arbeitsatmosphäre oder Maßnahmen zur Prävention aufgezählt wurden“ (alle Zitate auf 34) Die Entwicklung dahin stellt Canonica in seinem Kapitel differenziert dar und schafft darüber den empirischen Boden, auf dem dann in den folgenden Artikeln Fragen besprochen werden können wie die, was für die BSA daraus folgt, wenn wirklich davon ausgegangen wird, dass wirtschaftliche Ziele leitend sind:
Welche Ziele und Aufgaben verfolgt die Betriebliche Sozialarbeit dann, wenn diese für das beauftragende Unternehmen einen betrieblichen Nutzen erbringen sollen? Auf welche Methoden greift sie dabei zurück und wie gestaltete sich die Entwicklung ausgehend von einer Fürsorge für Menschen in Not hin zum aktuellen Stand der Betrieblichen Sozialen Arbeit? Und wie legitimiert sie ihre Tätigkeit in Unternehmen, in denen wirtschaftliche Ziele leitend sind?
Warum sich also z.B. als Sozialarbeiter(in) mit einer Lektüre des Büchleins einem Thema nähern, wenn bereits dessen Bezeichnung anzudeuten scheint, dass das Arbeitsfeld weit „vom Eigentlichen“ der Sozialen Arbeit entfernt ist? Welchen Nutzen könnte sich eine Fachkraft der Sozialen Arbeit als Leser von der vorliegenden Artikelsammlung über die Betriebliche Sozialarbeit, zumal derjenigen in der Schweiz erwarten?
Der Vorspann des Buches weckt aufgrund seiner Zugehörigkeit zur von Martin Klein herausgegebenen Reihe folgende Erwartungen:
„In den einzelnen Bänden der Reihe soll es um diesen breiten Katalog von Aufgaben und Maßnahmen gehen, sowie um handlungsfeldspezifische Themen und die Entwicklung von Perspektiven für die Betriebliche Soziale Arbeit. Die einzelnen Bände berücksichtigen theoretische, konzeptionelle und anwendungsbezogene Ansätze und ermöglichen einen fundierten Theorie-Praxis-Transfer.“ (3)
Warum sich für die BSA der Schweiz interessieren?
Dass der Herausgeber dabei die Schweiz als Gegenstand der Betrachtung ins Zentrum rückt, hat natürlich den genannten historischen Anlass, aber es gibt – so Baumgartner einführend – mehrere Gründe einen länderspezifischen Zugang zur Analyse und Darstellung der Betrieblichen Sozialarbeit zu wählen. Denn in „diesem Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit (sind) länderspezifische Profile als bedeutsam anzunehmen (…).“ (9) Dies sei nicht nur an der jeweiligen Geschichte festzumachen, sondern an den „konkreten sozialstaatlichen wie auch wirtschaftlichen Besonderheiten eines Landes als wichtige Rahmenbedingungen für die Betriebliche Soziale Arbeit.“ (9)
Interessent(inn)en die sich auf den Gegenstand einlassen, werden darüber an die Logik und Systematik eines für sie evtl. nicht selbstverständlichen Themas herangeführt; und fachlich Interessierte finden darin eine reichhaltige Materialsammlung und vielleicht auch einen Blick darauf, wie andere im Arbeitsfeld tätig sind. Und die bundesdeutschen BSAler werden vielleicht darin einen völlig neuen Ansatz finden, wie sich die BSA in der Schweiz in die interne und externe BSA aufteilt. Ein Beispiel das im Artikel über die „Thematische Ausrichtung und strukturelle Positionierung“ der BSA von Katja Müggler angesprochen wird:
„Die Kulturentwicklung der Betrieblichen Sozialarbeit war lange Jahre in der Hand des SV-Service als treibende Kraft», hält Verena Hufschmid fest. Die externen Anbietenden standen vor der Herausforderung, die Dienstleistung zu verkaufen, und sahen sich veranlasst, das Angebot zu beschreiben.“ (42) Konfrontiert sehen sich alle damit, dass „Regionale, nationale und internationale Anbieterinnen und Anbieter (…) den wachsenden Markt (bewerben)“. (41)
Aber wenn es um reichhaltiges Material über die BSA und einen nationalen und internationalen Markt geht, dann könnte die Frage auftauchen, warum denn am Beispiel der Schweiz, wenn es um Tätigkeiten geht, die in und für Unternehmen ausgeführt werden. Rühmt sich die Schweiz nicht dafür, „das Kuhland schlechthin zu sein“ wie es z.B. eine Dokumentation in 3sat darstellte, die das Land porträtieren wollte und die ich kurz vor der Lektüre des Buchs gesehen hatte?
Als ich auf die Publikation aufmerksam wurde, stutzte ich deshalb gerade wegen der Konzentration auf die Schweiz: Ja, zur Geschichte, dem aktuellen Stand und den Herausforderungen von Betrieblicher Sozialarbeit, gäbe es in Anbetracht der vielen Entwicklungen im Arbeitsfeld in den letzten Jahren auch viel zu sagen, aber warum ausgerechnet anhand der Schweiz? Ist in der Schweiz nicht vor allen Dingen die Landwirtschaft und der Tourismus von Bedeutung, vielleicht noch das Bankenwesen?
Wäre es also nicht sinnvoller, einen Blick auf ein Land wie Deutschland zu werfen, das mit seinen wirtschaftlich potenten Unternehmen sicherlich beispielgebend in diesem Arbeitsfeld sein müsste?
Auf diese Frage gibt der Herausgeber selbst eine Antwort, die geraderückt, dass es ein vollständig falsches Bild wäre, die Schweiz als „Underdog“ der Betrieblichen Sozialarbeit anzusehen.
Baumgartner weist Zweifel an der Sinnhaftigkeit des schweizspezifischen Zugangs mit Zitaten seiner Co-Autorin Katja Müggler zurück, die deutlich machen sollen, dass die Schweiz das Gegenteil von „in der BSA zurückgeblieben“ sei: ‚Klein aber anders‘ – so zitiert Baumgartner Katja Müggler aus einem Beitrag zur Betrieblichen Sozialberatung in der Schweiz von 2010 (vgl. Müggler 2010). Und in der Spezifikation dieses „anders“ ergibt sich, dass sich an der Betrieblichen Sozialarbeit Interessierte aufgrund der Beschäftigung mit der BSA in der Schweiz einiges erwarten können sollten (Zu denen auch Baumgartner mit seinen vielfältigen Initiativen beiträgt.).
Baumgartner hält deshalb in seiner Einführung mit Fug und Recht fest, dass „die Betriebliche Soziale Arbeit … in der Schweiz auf eine lange Tradition zurückblicken“ kann. (9) Und dass zu den Eigenheiten der Betrieblichen Sozialen Arbeit in der Schweiz „unter anderem eine Anbieterlandschaft mit großen Unternehmen für externe Angebote (zählen), ein hoher Professionalisierungsgrad mit Vernetzung unter den Akteuren und Akteurinnen sowie Initiativen zur theoretischen Fundierung und Erforschung des Arbeitsfeldes.“
Diskussion
Warum also sich für das Büchlein und die Arbeit des Herausgebers interessieren?
Auch bundesdeutsche Fachkräfte der BSA, die bereits tiefer in die Materie eingedrungen sind, werden aufgrundlage von deren 100-jährigen Entwicklung in der Befassung mit der BSA der Schweiz reichhaltige Erkenntnisgewinne erwarten können. Zu dem kommt, dass die BSA in der Schweiz in ganz anderer Form und mit anderen Überlegungen in das allgemeine Sozialsystem eingebunden/eingedacht wird:
Betriebliche Fürsorge wurde von der wesentlichen sie tragenden Organisation des SV (Schweizer Verbands Volksdienst (heute SV Group und Movis)) als (zum Teil bessere) Alternative bzw. bedeutende Ergänzung zur staatlichen Fürsorge angesehen: „In ländlichen Räumen nahm die frühe Fabrikfürsorge eine besonders wichtige Funktion ein, da selten anderweitige öffentliche und private Fürsorgeeinrichtungen vorhanden waren. So hob der SV bereits 1927 die Bedeutung der Fürsorgestelle bei der Firma Bühler hervor. Diese sei «nicht mehr wegzudenken, da in den dortigen ländlichen Verhältnissen eine ausgebaute und zusammengefasste Fürsorge überhaupt noch nicht besteht». Noch in den 1970er-Jahren war diese Funktion in manchen Gegenden relevant, wie der SV konstatierte, «weil die gesetzliche Fürsorge zu wenig oder noch gar nicht ausgebaut ist, oder weil er [der Sozialberater] der einzige Vertreter für neutrale, kostenlose Beratungs- und Sozialdiensthilfe ist»“. (31)
Stellt man zudem in Rechnung, dass die Betriebliche Sozialarbeit in Deutschland in der fachlichen und/oder sozialpolitischen Diskussion kaum relevant ist, dann stellt die vorliegende Publikation über die BSA in der Schweiz einen Denkanstoß dar und für Fachvertreter einen Fundus an bislang nicht oder selten bedachten Ideen.
Oder anders ausgedrückt: Viele Entwicklungen, wie sie auch in der „großen“ Bundesrepublik Deutschland stattfinden, finden sich in dem „kleinen Land“ Schweiz wie in einem Brennglas wieder.
Fazit
An der BSA interessierte Leser:innen finden somit in dem Büchlein einen guten Überblick über solche typischen Entwicklungen, wenn sie von den historischen und gesellschaftlichen Besonderheiten des Landes abstrahieren, was in Anbetracht dessen wie deutlich Besonderheiten der Schweiz in dem Buch herausgestellt werden, leichtfallen sollte.
Rezension von
Prof. Dr. Paul Gödicke
war bis zu seiner Emeritierung als Professor für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München tätig. U. a. leitete er den Vertiefungsbereich „Betriebliche Sozialarbeit“.
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Zitiervorschlag
Paul Gödicke. Rezension vom 22.02.2024 zu:
Edgar Baumgartner (Hrsg.): Betriebliche Soziale Arbeit in der Schweiz. Geschichte, aktueller Stand und Herausforderungen. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
ISBN 978-3-7799-6934-1.
Reihe: Betriebliche Soziale Arbeit. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779966302.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30164.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.
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