Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Daniel Rebbe: Im Schatten der Aktivierung

Rezensiert von Dr. Lea Putz-Erath, 14.12.2023

Cover Daniel Rebbe: Im Schatten der Aktivierung ISBN 978-3-7799-7150-4

Daniel Rebbe: Im Schatten der Aktivierung. Arbeitslosigkeit und Fallbearbeitung im Spannungsfeld sozialer Disziplinierung, Kontrolle und Ausschließung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 341 Seiten. ISBN 978-3-7799-7150-4. D: 52,00 EUR, A: 53,50 EUR.
Reihe: Edition Soziale Arbeit.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Das umfassende Werk nimmt sozialpädagogische Beratungsprozesse von Hilfen zu Ausbildung und Arbeit detailliert in den Blick. Dabei bilden professionstheoretische Überlegungen eine profunde Basis für die empirische und theoretische Analyse des beschäftigungsorientierten Fallmanagements im Bereich U25/SGB2.

Autor und Entstehungshintergrund

Daniel Rebbe ist Dozent und Berater. Er beschäftigt sich unter anderem mit Arbeitslosigkeit und Stigmatisierung, Beschäftigungspolitik und Sozialer Arbeit als Profession und Disziplin. Rebbe möchte mit dem Werk einen Beitrag zur Verbindung von Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit leisten. Das vorliegende Buch ist in der Edition Soziale Arbeit unter der Herausgeberschaft von Hans-Uwe Otto (+) und Hans Thiersch erschienen und zugleich die Dissertationsschrift des Autors zur Erlangung des Doktorgrades an der Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft (Jänner 2022).

„Der mit dieser Forschungsarbeit verbundene genaue empirische Untersuchungspunkt liegt in der professionell beraterischen Anwendung des beschäftigungsorientierten Fallmanagements für die Beratung und Verwaltung grundsicherungsleistungsberechtigter Personen im Organisationsbereich U25 der Jobcenter in Deutschland.“ S 11

Methodik der Erkenntnis baut auf problemzentrierten Interviews mit Klient:innen der Gruppe U25, sowie sechs korrespondierenden Fallmanager_innen. In der gesamten Arbeit verliert Rebbe seinen Fokus nicht aus den Augen: Welche Art und Weise der Professionalität bringen der (organisationale) Rahmen, die praktische Ausrichtung und Zielsetzung des Fallmanagements hervor und wo liegen professionelle Grenzen?

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst auf etwas über 340 Seiten fünf Abschnitte, die von einem Vorwort zu Beginn und von Literaturverzeichnis, Anhang und Dankworten zum Schluss eingerahmt werden.

Abschnitt I (S 8- 25) ist die Einleitung, welche in die Debatte zu Hartz IV einführt und einen kurzen Überblick zu Forschungsschwerpunkten über Hartz IV und die Folgen in der Arbeitsverwaltung gibt. Der Autor schließt seine Einleitung mit den Forschungsfragen, von denen er folgende Leitfrage herausarbeitet: „Welche professionellen Möglichkeiten und beraterischen Risiken bietet das beschäftigungsorientierte Fallmanagement in der Beratungsarbeit im Jobcenter U25?“ (S 23).

Zum Stand der Forschung arbeitet sich der Autor auf 65 Seiten in Abschnitt II ab. Dabei nimmt er mehrere Themenstränge in den Fokus:

  1. Forschungen zu Hartz IV, Jobcenter und zur ‚neuen‘ Arbeitsverwaltung – Diskurse und Akteure
  2. Forschungen zur Situation von adressierten Nutzer_innen im Bereich U25 und sozialpädagogischer Beschäftigungsförderung
  3. Das beschäftigungsorientierte Fallmanagement in deutschen Jobcentern und in der Arbeitsverwaltung (Fokus auf Verhältnis Fallmanagement: Soziale Arbeit)
  4. Forschungen zu Anforderungen für eine gelingende Soziale Arbeit – Handlungsbefähigung und gerechtigkeitstheoretische Abwägungen

In Abschnitt III stellt Daniel Rebbe den „Methodologischen Hintergrund und Einordnung der qualitativen Interviewstudie“ umfassend dar. Auf die Operationalisierung der Forschungsfragen (Kapitel 1) folgen methodologischen Detailüberlegungen (2) und Begründungen (3). In Kapitel (4) und (5) beschreibt der Autor seinen Zugang zum Verlauf des Forschungsprozesses, das Datenmaterial und die Entstehung der Interviews in den Jahren 2011 – 2013. Es wurden lediglich 13 der 22 geführten Interviews in die Auswertung miteinbezogen.

Explizit Hervorhebung findet in Kapitel (7) der Analyseschwerpunkt interaktionsbezogener Aussagen der Befragten. Das bedeutet, dass im Beratungsprozess korrespondierende Personen (also U25-Kund:in UND die jeweilige/der jeweilige Berater:in im Jobcenter U25) zu unterschiedlichen Zeitpunkten interviewt wurden, ihre Aussagen aber interaktionsbezogen ausgewertet wurden.

Professionelle Möglichkeiten und Risiken in der Fallbearbeitung im Jobcenter U25 – Darstellung und Diskussion zentraler empirischer Befunde titelt Abschnitt IV (S 114–303), welcher den Hauptteil des Buches einnimmt.

In der Analyse arbeitet Daniel Rebbe sehr differenziert Dimensionen der Professionalität, der Organisation und des subjektiven Erlebens heraus, die schlussendlich Beratungsprozesse des beschäftigungsorientierten Fallmanagements im Jobcenter U25 maßgeblich beeinflussen. Die herausgearbeiteten Kategorien sind folgende:

  • Kontaktdichte und Zeitstruktur
  • Informationsbasis im Beratungsprozess
  • Bedeutung organisationsinterner Kommunikation
  • Strukturelle Dynamik des Beratungsgeschehens
  • Subjektive Verarbeitungsformen der sozialen Situation der Nutzer_innen
  • Uneinigkeit als Dilemma in Fallbearbeitung, -konstruktion und -steuerung.

In Kapitel 3 dieses Abschnitts werden eigene Analyseergebnisse des Autors mit den theoretischen Strängen aus Abschnitt II verwoben und diskutiert. Als Beispiel ist das Thema „Stigmatisierung“ herausgegriffen, das Rebbe, gleitet von seiner Forschungsstrategie sowohl von der Nutzer_innen-Perspektive als auch von der Fachkraftperspektive beleuchten kann. In einem Detail weist Daniel Rebbe auch auf dieser Ebene der Arbeit auf den Einfluss der Organisationsstrukturen auf die Dynamik der Handelnden hin (3.1.3, S 213 f).

In diese Kerbe schlägt auch Abschnitt (3.2.1.1.) zu Kontaktdichte und Zeitstruktur, welcher sehr eindrücklich unterschiedliche Dimensionen von Zeiterleben und zeitlichen Rahmenbedingungen sichtbar macht.

Das Teilkapitel 3.3 Wechselwirkungen im Beratungsprozess macht über den Begriff „Informationsdistribution“ sowie die Differenzierung formaler und informaler Grundlagen ebenfalls auf die Rolle der Organisation aufmerksam.

Abschluss findet der Analyse und Auswertungsteil mit den Einschätzungen junger Erwachsener im SGB II Unterstützungssystem.

Abschnitt V. Schlussfolgerungen und Ausblick ist relativ kurz, hat es aber in sich. So fasst der Autor Daniel Rebbe zusammen, dass die wesentlichste Erkenntnis seiner Forschung sei, dass Stigmatisierungseffekte und negative Zuschreibungen der Leistungsbeziehenden U25 größer seien als die Gewinne bzw. Vorteile, die sich aus dem Angebot im Rahmen der Hilfesituation ergeben würden (S 304). Dabei geht er davon aus, dass vor allem auch die „organisationale Praxis“ und „gesetzliche Rahmenbedingungen“ „daran anknüpfende soziale Hilfen“ präformieren und einen begrenzten Spielraum bieten.

Dieses Zusammensehen und -denken der Rahmenbedingungen für Soziale Hilfen ist ein wichtiger Blick auf die Praxis der Sozialen Arbeit, welcher in viel mehr Kontexten notwendig wäre. Rebbe schließt des Weiteren mit dem Vorschlag, im Detail Alltäglichkeit von Vorurteils- und Diskriminierungsformen in der Sozialen Arbeit zu beforschen.

Insgesamt zeigt das Werk einige kritische Perspektiven auf, wie Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen Ebenen die Professionalität der Sozialen Arbeit konterkarieren können. Bis zu dem Punkt, dass Daniel Rebbe ein Risiko für „Deprofessionalisierungstendenzen“ im Handlungsfeld Arbeitshilfe ableitet, dem mit verstärkter Sensibilisierung und Auseinandersetzung von Profession und Disziplin begegnet werden sollte, woraus sich ein erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf ableitet.

Diskussion

Das vorliegende Werk bietet nicht nur eine umfassende Darstellung und Diskussion zur Literatur im Themenkreis Arbeitslosigkeit, Fallbearbeitung und Organisation dieser, sondern durch die Wahl der Forschungsmethode einen mehrperspektivischen Blick auf unterschiedliche Kategorien wie Stereotype, Information oder der Dynamik des Beratungsgeschehens. In problemzentrierten Interviews wurden sowohl Nutzer_innen U25 als auch deren fallbearbeitende Fallmanager:innen befragt und die Daten entsprechend ausgewertet.

Aus einem Strang entwickelt sich der Blick auf den nächsten und die Dimensionen werden von Daniel Rebbe – trotz entsprechender Komplexität – sinnvoll zusammengeführt. Z.B. S 88 (Übergang Kapitel 3 zu Kapitel 4)

Der Fokus auf die Organisation mit ihren Dimensionen stellt eine Besonderheit des Werks dar, die von der Rezensentin sehr gerne hervorgehoben wird.

„Dies bedeutet auch eine Erforschung nicht nur im Hinblick auf professionelle Praxis, sondern gerade der Wechselverhältnisse von Organisation, sozialpolitischer Paradigmen, Konjunkturen und Trens, bezogen auf vorherrschende Deutungsangebote bei der Konstruktion sozialer Hilfen und Hilfebedürftigkeit.“ S 306

Die Daten sind relativ alt (2011-2013) das Erscheinen des Buches liegt jedoch mit November 2022 in der näheren Vergangenheit. Dies bedeutet, dass die Erhebung und die Auswertung noch während der Hartz-IV-Gesetzgebung erfolgte, die politischen Rahmenbedinungen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung jedoch andere waren, als Mitte der 2010er Jahre.

Fazit

Das Buch richtet sich nach Einschätzung der Rezensentin in seinem Umfang und der inhaltlichen Tiefe sowie dem theoretischen Anspruch an Lesende aus dem Bereich Wissenschaft und Forschung. Sicherlich würden von den Ergebnissen und Inhalten Entscheidungsträger:innen und Gestalter:innen aus Politik und Verwaltung profitieren.

Rezension von
Dr. Lea Putz-Erath
Geschäftsführerin femail – Verein für Frauenberatung und zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, AT
Mailformular

Es gibt 21 Rezensionen von Lea Putz-Erath.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245