Isa Schlott: Coaching im Grenzbereich
Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen, 22.03.2023

Isa Schlott: Coaching im Grenzbereich. Effektive Tools für schnelle Veränderung und Kriseninterventionen auf der Grenze zwischen Psychotherapie und Coaching.
Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2022.
235 Seiten.
ISBN 978-3-7495-0350-6.
D: 28,00 EUR,
A: 28,80 EUR.
Reihe: Coaching & Beratung. Grenze Psychotherapie/Coaching.
Thema
Allen Coaches will Isa Schlott mit diesem Profiratgeber praxiserprobte Werkzeuge liefern Coaching kann für die Autorin in Krisen zu schnellen und konkreten Verbesserungen führen. Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage der rechtlichen und fachlichen Grenzen zwischen der Psychotherapie und dem Coaching. Die Grenzen zwischen Coaching und Therapie seien fließend und selbst für Profis nicht immer leicht zu ziehen. Eine Psychotherapie könne u.U. lange dauern und habe nicht immer einen aktivierenden Effekt und bezeichne Menschen mit dem Etikett „krank“, was oftmals als Stigma empfunden würde.
Autorin
Die Diplom-Psychologin Isa Schlott arbeitet als Coach, Trainerin und Moderatorin in nationalen und internationalen Projekten. In ihrer eigenen Akademie bildet sie Coaches aus, sie habe in den letzten 30 Jahren bereits Tausende von Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt, sowohl im Business als auch in therapeutischen Kontexten. Weitere konkrete Informationen über berufliche oder therapeutische Weiterbildungen werden nicht vermittelt.
Aufbau
Das Buch gliedert sich nach dem Vorwort in fünf Kapitel mit einem anschließenden kurzen Literaturverzeichnis, einer Danksagung und Hinweisen über die Autorin.
Inhalt
Im Vorwort informiert die Autorin über ihren beruflichen Hintergrund als Psychologin mit Heilerlaubnis und ihrer Tätigkeit im Coaching im Kontext eines integrativen Konzeptes. Sie führt aus: „Ich hänge also nicht an bestimmten Schulen, die sich meines Erachtens sowieso sehr ähneln, sondern liebe die Vielfalt an Möglichkeiten, Menschen so zu unterstützen, dass sie eine schnelle Hilfe zur Selbsthilfe erhalten.“ (S. 11)
Coaches ständen vor der Aufgabe nicht nur therapeutische, sondern auch rechtliche richtige Entscheidung zu treffen. Hierzu wolle das Buch Unterstützung bieten. Im Weiteren wird der Aufbau des Buches beschrieben und begründet, warum Leser*innen in der Du-Form angesprochen werden.
Im ersten Kapitel mit dem Titel „Grenzerkundung“ informiert die Autorin über rechtliche Grenzsetzungen. Coaching ziele darauf ab, Lebenssituationen zu optimieren und Potenziale zu heben und richte sich zunächst an gesunde Menschen. Trotzdem dürfe man als Coach ohne Heilerlaubnis kranke Menschen bei Lebensthemen begleiten, die aus einer Erkrankung resultieren (S. 18). Im Weiteren führt sie aus, dass Coachingausbildungen sich ihres Erachtens wenig von Therapieausbildungen unterscheiden würden. Ihre Coachingausbildung habe sie als pragmatischer empfunden mit einem schnelleren Interesse an Lösungen und einer etwas mutigeren Vorgehensweise. Das möge daran liegen, dass Coaching (noch) nicht Krankenkassen finanziert sei (S. 20). Zudem wird die Frage gestellt, wie lange man noch warten möchte, bis Coaches von Krankenkassen zugelassen werden.
Ausgeführt wird, dass die im Buch beschriebenen Methoden in der Regel bei psychisch gesunden als auch bei kranken Menschen funktionieren würden. Die vorgestellten Interventionen seien durchweg sehr effektive Coachingmethoden, die nicht Teil eines wissenschaftlichen Kanons sind, denn erst dann könnten sie auch ohne Heilerlaubnis verwendet werden.
Im anschließenden Unterkapitel 1.3 Haltung werden sechs Grundhaltungen des Coachings benannt, z.B. Körper, Geist und Seele bilden eine Einheit und das Ziel Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Die Benennung dieser Haltungen geschieht meines Erachtens eher oberflächlich. So soll beispielsweise höchstens 10 % der Zeit für das Problem des Gelehrten verwendet werden, 90 % für die Lösungsfindung. Bei einer solchen Fokussierung besteht die Gefahr, dass Klienten sich nicht mit ihrem Leid gewürdigt fühlen. Die Bedeutung der Neutralität als Grundhaltung damit zu begründen, dass alle Menschen gut sind, wie sie sind, ist zumindest sehr kurz argumentiert. Eine vierte Grundhaltung wird als: „Die Wirklichkeit sind nur Gedanken über die Wirklichkeit“ bezeichnet. Die Realität an sich gäbe es nicht. Diesem Satz würden auch radikale Konstruktivisten nicht zustimmen.
Das zweite Kapitel „Grenzsicherung“ beschäftigt sich mit den rechtlichen und fachlichen Grenzen in Bezug auf verschiedenste Probleme in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Im dritten Kapitel „Rüstzeug“ wird mit dem Bild einer längeren Bergtour Orientierung und entsprechende wichtige Hilfsmittel vermittelt. Für angehende Coaches sei die innere Haltung und das Menschenbild bedeutsam. Ein guter Coach sei Klientenorientiert und in erster Linie Zuhörer und Prozessbegleiter. Vorgestellt wird in diesem Kapitel ein Anamnesebogen. Allerdings habe solch ein Bogen, so die Autorin für einen Coach ohne Heilerlaubnis keinen wirklichen Nutzen, denn dieser könne nicht zwischen gesund und krank unterscheiden. Stattdessen sollten diese Coaches eine klassische Auftragsklärung durchführen. Im Folgenden wird erläutert, wie eine Beratungsvereinbarung und eine Auftragsklärung vorzunehmen sind. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen lösungsorientiertes Denken und eine sogenannte Arbeit in der Struktur, deren Hintergründe nicht näher erläutert werden. Diesen Anmerkungen folgen Hinweise über die Gestaltung einer Coachingsitzung und über lösungsorientierte Fragetechniken, die jedoch nicht in einen theoretischen Zusammenhang gestellt werden. In diesem Kapitel werden weiterhin „Metaprogramme“ identifiziert und sogenannte Super-Skills eingesetzt. Ausgeführt wird, um die erforderliche Raffinesse des Coaching voll auszuschöpfen, sollte man das Storytelling und das Wandern durch die neurologischen Ebenen u.a. Methoden nutzen.
Im umfangreichen vierten Kapitel beschäftigt sich die Autorin aus einer rechtlichen Perspektive mit dem Grenzcoaching im Kontext verschiedener Problembereiche. Hierzu gehören die Thematiken Unsicherheit oder Angst, negative Gedanken und Unsicherheit, Unsicherheit mit körperlichen Symptomen, Phobie, Panikattacke, Stress oder Depression, Perfektionismus oder Zwang, Missbrauch oder Abhängigkeit, Trennung, Trauer und Trauma.
Das fünfte Kapitel trägt den Titel Notfallkoffer, allerdings geht es hier neben der Problematik der Suizidalität insbesondere um die Dokumentation und die Reflexion nach dem Coaching. Das Kapitel schließt mit einem Unterkapitel mit dem Titel „Grenzenlos“, in dem die Autorin nochmals Mut machen möchte sich auf den Weg zu machen und sich zu trauen im Rahmen der gesetzlichen Regelungen erfolgreich mit Klienten zu arbeiten.
Das Buch schließt mit kurzen Literaturangaben, dem Abbildungsverzeichnis Fragebögen und Musterformularen, einer Danksagung und Angaben über die Autorin.
Diskussion
Im Mittelpunkt des Buches stehen Hilfestellungen, inwieweit Coaches sich in einem rechtlich erlaubten Bereich befinden. Dabei werden in einer eklektischen Form Konzepte, Strategien und Techniken aus verschiedenen Therapieansätzen in Variationen miteinander verknüpft. Dies geschieht meines Erachtens ohne das wissenschaftlich fundiert die benutzen Methoden erläutert werden. Nicht erläutert werden auch mögliche Risiken oder der Einbezug der Angehörigen und die Bedeutung möglicher sozialer Kontexte für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Problematik. Soziale Faktoren, die mit den Problematiken in Verbindung stehen könnten, werden nicht diskutiert, stattdessen erfolgen die Intervention im Wesentlichen technisiert, es geht um das „umprogrammieren“ und um eine „Wie- machst- du- es Formel“ (S. 94). Es erfolgt keine grundsätzliche Orientierung an den Wirkfaktoren psychosozialer Hilfen.
Mehrfach wird die Bedeutung einer schnellen Hilfe betont, beispielsweise für ein (S. 20) lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching mit zwei bis maximal acht Sitzungen. M.E. wird gegen „Dauerbetreuungen“ (S. 21) vereinfachend polemisiert. Es wird der Eindruck vermittelt, Psychotherapeuten würden oftmals aus finanziellen Gründen „länger brauchen“, ohne diese Zusammenhänge differenziert zu erörtern. So wird beispielsweise vereinfachend argumentiert (S. 18): „Was macht es mit der Psyche eines Menschen, wenn man ihn in eine Schublade mit der Aufschrift „psychisch krank“ steckt? In meiner Welt zementiert das den Zustand der Handlungsunfähigkeit und bringt den Klienten in einen Opfer- Modus.“
Die Autorin spricht in ihrem Buch sehr viele Themen nur an. So wird beispielsweise auf einer Seite der Ausschluss eines sekundären Krankheitsgewinn thematisiert. Dies geschieht meines Erachtens nicht in einer angemessenen wertschätzenden Haltung, wenn ausgeführt wird (S. 56): „Manchmal sind die Klienten schockiert, dass es auch bei Ihnen einen sekundären Krankheitsgewinn gibt. Zum ersten Mal verstehen sie, dass sie nun Verantwortung für sich selbst übernehmen müssen und generell die Erlaubnis haben, z.B. ihre Bedürfnisse auch in einem gesunden Zustand durchzusetzen.“ Auch das kurze Kapitel 3.3.3 „In die Welt deines Gegenübers eintauchen“ benennt eine Reihe von Schlagworten, mit denen keine vertiefte Auseinandersetzung stattfinden kann. So wird möglicherweise ein gefährliches „Halbwissen“ vermittelt.
Mancher vermittelte Inhalt erschließt sich mir nicht, wenn Isa Schlott zum Beispiel (S. 86) erläutert: „Ein Verhalten auf der gleichen Ebene zu verändern, auf der es stattfindet, hat in vielen Fällen nicht so schnell Erfolg gebracht, wie das Thema in den darüber liegenden Ebenen anzupacken.“ Im Weiteren führt sie aus (S. 87): „Die Ebenen sind also nicht logisch, sondern psychologisch.“
Oftmals geht es um den Einsatz „spektakulärer“ Techniken (z.B. Nr. 15 „Horrorfilm“, bei der eine Imagination durch Abspielen von Musik aus Horrorfilmen intensiviert wird).
Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Vermittlung von Methoden, obwohl wir aus der Psychotherapiewirkungsforschung wissen, dass der Einsatz der Methoden nur einen kleinen Teil möglicher Wirkungsfaktoren ausmachen. Oftmals werden Techniken beschrieben, die eine fundierte Ausbildung voraussetzen. Mir bleibt die Sorge, dass angehende Coaches die Anleitungen komplexer Interventionen ohne vertiefende Selbsterfahrung und Weiterbildung in der Praxis nutzen und damit die Aufforderung der Autorin sich zu trauen eher folgen als den Hinweisen die rechtlichen Grenzbereiche zu achten.
Fazit
Den Leser*innen wird eine Darstellung über die rechtliche und fachliche Problematik im Coaching geboten. Das Buch kann Mut machen Übungen anzuwenden und Themen zu bearbeiten, andererseits besteht die Gefahr, dass die mit diesem Buch angesprochenen „Grenz-Neulinge“ diese Methoden ohne vertiefte Kenntnisse anwenden.
Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen
studierte Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaft und absolvierte Ausbildungen als Familientherapeut und Traumatherapeut und arbeitet ab 2021 als Studiendekan im Masterstudiengang „Psychosoziale Beratung in Sozialer Arbeit“ an der DIPLOMA Hochschule
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Zitiervorschlag
Jürgen Beushausen. Rezension vom 22.03.2023 zu:
Isa Schlott: Coaching im Grenzbereich. Effektive Tools für schnelle Veränderung und Kriseninterventionen auf der Grenze zwischen Psychotherapie und Coaching. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2022.
ISBN 978-3-7495-0350-6.
Reihe: Coaching & Beratung. Grenze Psychotherapie/Coaching.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30195.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.
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