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Rainer Tetzlaff: Der afrikanische Blick

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 10.05.2023

Cover Rainer Tetzlaff: Der afrikanische Blick ISBN 978-3-95558-342-2

Rainer Tetzlaff: Der afrikanische Blick. Unerwartete Perspektiven der Integration. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2023. 300 Seiten. ISBN 978-3-95558-342-2. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.

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Einwanderung – Migration – Flucht – Integration

Die Menschen sind in der Welt in Bewegung – schon immer! Immer auch schon haben Menschen ihre angestammten Lebensräume verlassen, um in der Fremde bessere Lebensbedingungen zu erreichen. Die seit Jahrzehnten anhaltende Situation, dass Menschen aus ihrer Heimat aufbrechen, weil sie dort keine ausreichenden Lebensbedingungen und keine Perspektiven finden – wegen Klima- und Umweltkatastrophen, aus Hunger und Not, wegen gewaltsamen Konflikten und Kriegen, aus politischen Gründen – hat dazu geführt, dass vom „Jahrhundert der Flüchtlinge“ gesprochen wird. Die Weltstatistik weist aus, dass mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Nach Artikel 14 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 hat jeder Mensch das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.

Entstehungshintergrund

In der Migrationsforschung wird zwischen Push- und Pull-Faktoren unterschieden – aus welchen Gründen Menschen aus ihrer Heimat fliehen, und Anreize und Hoffnungen, anderswo ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Es sind die notwendigen Anforderungen, wie in der sich immer interdependenter entwickelnden (Einen? – https://www.sozial.de/eine-welt-oder-mehrere-welten.html, 12. 4. 2023) Welt mit ego-, ethnozentristischem, rassistischem und populistischem Gedankengut umgegangen und entgegnet werden kann. Es sind die schockierenden Ergebnisse des „Afrozensus“, in dem über die Erfahrungen und Lebensberichte der rund 6000 in Deutschland lebenden Afro-Deutschen informiert wird (2020, Each One Teach One <EOTC>/Citizens For Europe <CFE>).

Schau hin! – Hör zu! – Sei empathisch und solidarisch! Wenn Menschen aus welchen Zwängen und Umständen auch immer ihre Heimat verlassen, verdeutlichen sich Hoffnungen, Erwartungen und Wünsche bei den Fliehenden; und sie treffen auf Aufnahmebereitschaft, Skepsis oder Ablehnung bei den Einheimischen. Der Anspruch – „Lass mich Ich sein, damit du Du sein kannst!“ – kann als gelingende Integration verstanden werden. Es melden sich mittlerweile zahlreiche Menschen afrikanischer Herkunft und Vorfahren zu Wort, z.B.: Ismael Beah, 2007; Gatti Fabricio, 2010; Moustapha Diallo, 2014; Marvin Opong, 2019; Ijoma Mangold, 2017/2020; Johny Pitts, 2020). Die antik-historisch hergeleitete Überraschung, dass aus Afrika immer etwas Neues komme (Jos Schnurer, „Weiß ist eine Gelegenheitsfarbe, Schwarz die Farbe aller Tage“, in: Africa Positive, 75/2019, S. 30ff), wird mit wissenschaftlichen, politischen Arbeiten vervollständigt, wie sie z.B. Joseph Achille Mbembe 2017, publiziert, und durch künstlerische und modische Kreationen (Emmanuela Courrèges, Atemberaubende Mode aus Afrika, Gerstenberg-Verlag, Hildesheim 2022, 240 S.).

Der aus dem westafrikanischen Benin stammende, 1968 geborene Luc Degla, hat in Moskau Maschinenbau studiert. Er kam 1994 nach Braunschweig, vervollständigte seine Studien an der dortigen Technischen Universität und lebt seitdem in der niedersächsischen Stadt. Der Wirtschaftsingenieur arbeitet als freier Autor und Kolumnist beim Braunschweiger Stadtmagazin da Capo, engagiert sich beim Büro für Migrationsfragen der Stadt Braunschweig, sowie bei zahlreichen interkulturellen Initiativen, und er betreibt eine Diskothek. In dem Buch „Das afrikanische Auge“ (2007) hat er Kurzgeschichten aufgeschrieben, in denen er wie in einem Défilé erlebte Erfahrungen und Ereignisse erzählt und reflektiert.

Autor und Inhalt

Der Politologe und Afrikaforscher Rainer Tetzlaff legt eine Studie vor, mit der er die Leserinnen und Leser auffordert, zuzuhören, was Flüchtlinge aus Afrika zu erzählen haben, was sie bewegt hat, den Kontinent zu verlassen, um nach Europa und vor allem nach Deutschland zu kommen; welche meist gefahrvollen und unsicheren Wege sie eingeschlagen, und was sie bei den Zwischenstopps und bei der Ankunft erlebt haben.

Es sind autobiographische Berichte und Erzählungen, aus denen deutlich wird, dass „Flucht ein komplexer, leidvoller Prozess des Heimatverlassens (ist), der aus Aufbruch, Wegwandern, Ankommen in der Fremde und Heimweh besteht“. Der Autor widmet die Studie seinem Enkel Frederic Frank Paul-Joseph.

Neben dem einführenden Vorwort gliedert Tetzlaff (* 1940) das Buch in die Kapitel

  • „Rassismus in Deutschland und das kulturelle Kapital von Flüchtlingen und Migrant*innen“
  • „Kultur und Kunst – Bausteine afrikanischer Identität“
  • „Die ‚Flüchtlingskrise‘, Fluchtursachen und die deutsche Politik“
  • „Migrant*innen aus muslimischen Herkunftsländern: der Islam als Integrationshemmnis?“
  • „Geschichten von Flucht und Flüchtlingen“
  • „Ankommen in Deutschland – Flüchtlinge erzählen“
  • „Zum Thema ‚kulturelles Gepäck‘ von afrikanischen Flüchtlingen und Migrant*innen“
  • „Deutschland als schwieriges Einwanderungsland für Afrikaner*innen“.

In 19 Punkten will Tetzlaff darauf aufmerksam machen, „dass hier Menschen Einlass erbitten oder fordern, die erstens … anders sozialisiert worden sind als Europäer*innen, die zweitens bereits viel mehr physische Gewalt und menschliche Boshaftigkeit selbst erlebt haben als andere Gruppen, und die drittens die Erwartung haben, dass ihrem Kardinalbedürfnis, in Sicherheit zu leben und arbeiten zu dürfen, mit Sensibilität auf Seiten von Einwanderungsbehörden begegnet wird“. Jeder Einzelne, wie auch die Gemeinschaft der Deutschen (und Europäer), ist aufgerufen dazu beizutragen, dass jeder Mensch das Recht hat, ohne Angst verschieden sein (Adorno), wie gleichzeitig eine gemeinsame Identität entwickeln zu können.

Diskussion

Eine redliche, gerechte, demokratische, humane Einwanderungspolitik ist nur möglich, wenn historisch, politisch, ethisch und gesellschaftlich eine Auseinandersetzung darüber stattfindet, was das individuelle und kollektive Eigene und Fremde im Identitätsbewusstsein der Deutschen ist (Kijan Espahangizi, u.a., Hg., Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/21140.php). Welche Anstrengungen werden übernommen, um die Kolonial-, Imperial- und Faschismus-Geschichte der Deutschen zu thematisieren? (Jos Schnurer, Wie die Deutschen zu den Fremden kamen, ISBN 978-3-86585-118-6).

Fazit

Die Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden, dem Unbekannten, verändert den Menschen. Die Gedichtstrophe – „Lass mich Ich sein, damit du Du sein kannst!“ – verdeutlicht eindeutig, dass der Kontakt mit nach Deutschland eingewanderten Menschen, soll er menschenwürdig, empathisch und solidarisch gelingen, auf „Augenhöhe“, gleichberechtigt erfolgen muss. Die Studie „Der afrikanische Blick“ kann als Handbuch und interkulturelles Werkzeug für alle friedliebenden Menschen verstanden werden – und als didaktische und unterhaltsame Vorlage für interkulturelle Gesprächskreise und schulische und universitäre Diskurse.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1594 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 10.05.2023 zu: Rainer Tetzlaff: Der afrikanische Blick. Unerwartete Perspektiven der Integration. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2023. ISBN 978-3-95558-342-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30205.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.


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