Bärbel Schönhof: Demenz
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 06.06.2023

Bärbel Schönhof: Demenz. Das Recht im Blick behalten : Fallgeschichten und Informationen zu rechtlichen Fragen. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2021. 151 Seiten. ISBN 978-3-497-03064-4. D: 19,90 EUR, A: 17,40 EUR.
Thema
Demenz und Recht sind aus verschiedenen Gründen recht eng miteinander verknüpft. Primäre neurodegenerative Demenzen wie z.B. die Alzheimer-Krankheit sind mit einem fortschreitenden Abbau verbunden, der die Betroffenen im schweren Stadium hilflos und damit zugleich auch schutzbedürftig werden lässt. Das Recht bietet für dieses Krankheitsstadium den notwendigen normativen Rahmen für die Gewährleistung der erforderlichen Leistungen u.a. in Gestalt des Sozialgesetzbuches XI (Pflegeversicherungsgesetz). Darüber hinaus enthält das Recht eine Reihe von Schutzrechten wie z.B. das Betreuungsrecht und das Heimgesetz, die den juristischen Gestaltungsraum mit den entsprechenden Garantien für eine angemessene Lebensführung bilden. Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit diesem Themenbereich.
Autorin
Bärbel Schönhof ist Juristin mit langjähriger Erfahrung als Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Rechte für Demenzkranke. Des Weiteren war sie langjährig ehrenamtlich im Vorstand der Deutschen Alzheimer Gesellschaft tätig.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in acht Kapitel nebst Einleitung und Sachregister unterteilt. Anhand von 20 Fallbeispielen wird das Spektrum an juristischen Problemlagen bei Demenzen mitsamt den damit einhergehenden Lösungsstrategien anschaulich dargestellt.
In Kapitel 1 (Recht auf Diagnose und Behandlung, Seite 12 – 29) werden anhand eines Fallbeispiels Aspekte des Patientenrechtegesetzes erläutert, demnach der Arzt verpflichtet ist, alle wichtigen Informationen der Erkrankung allgemeinverständlich zu erklären (u.a. Diagnose, Krankheitsentwicklung und die möglichen Behandlungsschritte). Des Weiteren wird im Informationsteil des Kapitels u.a. auf die rechtliche Betreuung mitsamt den damit verbundenen Vorgehensweisen (u.a. die Zuständigkeit des Betreuungsgerichts als Abteilung des Amtsgerichts und das psychiatrische Fachgutachten) hingewiesen.
Kapitel 2 (Autofahren und Demenz, Seite 30 – 47) thematisiert das oft heikle Problem der Fahrerlaubnis bei beginnender Demenz. Hier gilt es in Zweifelsfällen gemäß der Fahrerlaubnisverordnung eine Begutachtung durch Verkehrspsychologen und Verkehrsmediziner zu veranlassen. In Fällen von bedingter Einschränkung kann die zuständige Behörde Auflagen wie z.B. die Absolvierung eines Fahrsicherheitstrainings erteilen. Darüber hinaus bieten Automobilclubs zur Überprüfung der Fahrfähigkeit so genannte „Fahrfitness-Checks“ an. Fahrlehrer empfehlen bei beginnenden kognitiven Einschränkungen das Fahrverhalten zu beschränken (kurze Strecken, vertraute Fahrrouten und Vormittagsfahrten) und sich mit der Zeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vertraut zu machen. Seniorenbüros raten in diesen Fällen den Betroffenen oft, den Führerschein freiwillig abzugeben.
In Kapitel 3 (Selbstbestimmung und Demenz, Seite 48 – 86) werden anhand mehrerer Fallbeispiele die Themen Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, gesetzliche Erfolge, Testament und rechtliche Betreuung behandelt. Im Informationsteil wird auf das Testament eingegangen: privatschriftliches Testament nach § 2247 BGB, notariell beurkundetes Testament nach § 2232 BGB, Aufbewahrung des Testaments und Widerrufsrecht.
In Kapitel 4 (Demenz und Strafbarkeit, Seite 87 – 92) werden anhand des Falles eines Ladendiebstahls die Aspekte der Schuldfähigkeit beschrieben. Bei einer leichten Demenz geht man von einer verminderten Schuldfähigkeit aus (§ 21 StGB), während bereits bei einer mittelschweren Demenz den Betroffenen eine vollständige Schuldunfähigkeit zubilligt wird. In den Fällen von Ladendiebstahl sind die Geschäfte aufgrund der Vertragsfreiheit in der Wahl ihrer Kunden berechtigt, demenzkranken Ladendieben ein Hausverbot zu erteilen. In dem angeführten Fallbeispiel hingegen vereinbaren die Ehefrau des stehlenden Demenzkranken und die Filialleitung, dass bei wiederholten Diebstählen das Diebesgut nachträglich von der Ehefrau bezahlt wird. Durch dieses Arrangement wird der Betroffene nicht in seiner vertrauten Lebensführung bezüglich des täglichen Einkaufs eingeschränkt.
In Kapitel 5 (Demenz und Gewalt in der Pflege, Seite 93 – 110) wird zu Beginn ein Fallbeispiel zur Gewalt in der häuslichen Pflege durch Angehörige angeführt: Eine pflegenden Tochter verlor die Beherrschung, als ihre Mutter sie bei der Pflege schlug, indem sie sie daraufhin regelrecht verprügelte. Hier verweist die Autorin auf die Pflegeversicherung mit dem Hinweis, dass ab dem Pflegegrad 3 Leistungen der ambulanten Pflege in Anspruch genommen werden können. Des Weiteren wird diesbezüglich auf die Beratung und Hilfeleistungen der Sozialpsychiatrischen Dienste verwiesen, die in solchen Krisensituationen weiterhelfen können. Ergänzend wird u.a. auf die Pflegeberatung und auf Pflegekurse für Angehörige hingewiesen. Im Informationsteil des Kapitels wird eingehend auf die Thematik „Gewalt in der Pflege“ eingegangen, indem die verschiedenen Formen der Gewalt (u.a. physische, psychische und sexuelle Gewalt, aber auch finanzielle Ausbeutung und Vernachlässigung) bezüglich der Strafbarkeit der Tatbestände erläutert werden.
Kapitel 6 (Demenz im Pflegeheim, Seite 111 – 126) beinhaltet Problemlagen im Heimbereich: die Magensonde (PEG-Sonde: perkutane endoskopische Gastrostomie) bei drohender Mangelernährung mit möglichen Alternativen wie z.B. Trink- und Sondennahrung, Anreicherung von Speisen und die Ruhigstellung der Bewohner mittels mechanischer Vorrichtung oder mittels entsprechender Medikamente unter dem Aspekt einer freiheitsentziehenden Maßnahme. Auch wird auf die Möglichkeit der Beschwerde bei unzureichender Pflege und Betreuung hingewiesen, die in der Regel im Heimvertrag angeführt ist. Hierbei handelt es sich um eine Informationspflicht der Einrichtung gemäß den Vorschriften in den Wohn- und Teilhabegesetzen der Bundesländer (z.B. § 6 WTG NRW).
In Kapitel 7 (Finanzierung der Pflege, Seite 127 – 134) steht die Finanzierung der stationären Pflege durch die Bewohner und die Angehörigen im Mittelpunkt, wobei u.a. auf die allgemeinen Vermögensfreibeträge, Schenkungen und das Recht der Rückforderung seitens des Sozialhilfeträgers eingegangen wird. Hierbei wird auch die Frage, inwieweit Kinder verpflichtet sind, sich an den Pflegekosten der Eltern zu beteiligen, beantwortet. Eine Unterhaltsverpflichtung seitens der Kinder liegt erst dann vor, wenn das Jahreseinkommen 100.000 EUR übersteigt (§ 94 Abs. 1 a SGB XII).
Kapitel 8 (Entscheidungen am Lebensende, Seite 135 – 147) behandelt die rechtlichen Fragen und Problemlagen des Lebensendes. Wie sind die Wünsche und Erwartungen der Sterbenden hinsichtlich ihrer letzten Lebensphase? Sollen lebensverlängernde Maßnahmen wie z.B. eine Magensonde noch appliziert werden? Rechtssicherheit wird in diesem Rahmen u.a. durch die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung gewährleistet. Dies wird anhand eines Fallbeispiels eindrücklich verdeutlicht. Darüber hinaus wird diesem Zusammenhang auf Institutionen hingewiesen, die sich den speziellen u.a. auch medizinischen und psychosozialen Bedarfserfordernissen der letzten Lebensphase angenommen haben: ambulante Hospizdienste, stationäre Hospize und Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung.
Diskussion
Es liegt das Buch einer Juristin vor, die ein Spektrum an Themenbereichen aus der Lebenswelt Demenzkranker unter rechtlichen Aspekten darstellt. Das Ziel ist es, Angehörigen der Demenzkranken die einschlägigen Verordnungen, Vorgehensweisen und Gesetze allgemeinverständlich zu vermitteln. So werden zu vielen Themen der Alltagsbewältigung Demenzkranker bezüglich der juristischen Dimensionen praxisnahe und damit alltagstaugliche Erklärungen und Hinweise gegeben. Besonders anhand der konkreten Fallbeispiele aus dem täglichen Leben wird Hilfestellung und Orientierung gegeben. Die Autorin drückt sich dabei sehr allgemeinverständlich aus.
Fazit
Die Darstellung der Verflechtung von Recht und Demenz als Orientierungswissen konnte in der vorliegenden Publikation vollauf und zufriedenstellend geleistet werden. Es liegt somit ein solider Rechtsratgeberband vor, der nicht nur Angehörigen, sondern auch Mitarbeitern in Beratungsstellen und Seniorenbüros das erforderliche Fachwissen in diesem Themenfeld zu vermitteln vermag.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 06.06.2023 zu:
Bärbel Schönhof: Demenz. Das Recht im Blick behalten : Fallgeschichten und Informationen zu rechtlichen Fragen. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2021.
ISBN 978-3-497-03064-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30206.php, Datum des Zugriffs 08.12.2023.
Urheberrecht
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